Streitigkeiten
Als wir, also Maria, Alessio, Antonio und ich etwas zu spät auf dem Weg zur Kirche waren, ließ die Sonne schon Caprarolas Dächer warm glitzern.
Es war die erste Juniwoche und bisher hatte es fast nur geregnet.
Selbst meine sonnenhassende Wenigkeit blickte dem Licht sehnsüchtig entgegen.
Jetzt wo der Sommer endlich begonnen hatte, waren wir wie wachgeküsst und unsere Lust auf das dunkle, stinkende Kirchenschiff schwand mehr und mehr.
Wir blickten uns an als wollten wir vorschlagen einfach nicht hinzugehen, aber jeder von uns wusste, dass Sofia uns bis an unser Lebensende in die Küche gesperrt hätte.
Wer nicht zum Gottesdienst ging, musste Kartoffeln schälen.
Da hatte sie kein Erbarmen.
"Das ist ein christliches Haus", pflegte sie zu sagen, "Ihr feiert den Gottesdienst und basta!"
Maria ließ ein Seufzen ertönen, hakte sich bei mir und Alessio unter und steuerte uns gewandt nach rechts. Antonio kam hinter uns hergelaufen und lief jetzt rückwärts vor mir her.
"Da will man sich einmal die Schnürsenkel binden und schon steht man alleine da!"
Er täuschte einen empörten Gesichtsausdruck vor.
Maria warf ihr langes, rotblondes Haar zurück und entgegnete:"Wir können es uns halt nicht leisten auf offene Schuhe zu warten. Sofia macht uns sowieso schon einen Kopf kürzer, weil wir zu spät kommen."
Dabei ließ sie ihr Haar noch einmal über die Schulter schwingen, sodass es rötlich-golden schimmerte.
Dann zwinkerte sie kurz belustigt und lief weiter.
Langsam wurde es mir zu warm.
Ich hatte ständigen Körperkontakt mit Maria und auch Antonio stieß beim Laufen immer wieder gegen mich.
Ich spürte schon wie mir übel wurde, als ich das Eingangsportal der Chiesa de Santa Teresa erblickte.
Während wir die gefühlt endlosen Treppenstufen zur Kirche erklommen ließen wir zum Glück von einander ab.
"Wo wart ihr?", zischte Caterina, welche anscheinend auf uns gewartet hatte.
"Sorry! Antonio kann nicht richtig Schuhe binden", presste meine andere Freundin unter lauten Keuchern hervor.
Auch Alessio war völlig außer Atem.
Mit fehlender Kondition hatte ich noch nie Probleme gehabt, ebenso wenig wie Antonio.
Der machte aber auch schon seit Jahren Leichtathletik, im Gegensatz zu mir.
Ich machte schon lange keinen Sport mehr, außer Schwimmen im Sommer.
Früher war ich einmal im Tanzkurs gewesen und hatte sogar einige Pokale oder Medaillen erhalten.
Irgendwann hatte ich aufgehört, denn ich war kaum noch über dem Durchschnitt gewesen und hatte realisiert, dass ich nur noch Trostpreise bekam.
Meine Preise behielt ich aus unerklärlichen Gründen aber, dabei nahmen sie nur Platz weg und sahen nicht einmal schön aus.
Vielleicht war ich einfach nur zu sentimental.
Caterina war erst vor einem Jahr zu uns gekommen, hatte sich aber schnell in die Gruppe eingefunden. Ich bewohnte eines der größten Zimmer und so waren wir die meiste Zeit dort.
Einmal hatten Maria, Giulia und Annissa den Raum verlassen, sodass Caterina und ich alleine gewesen waren.
Sie hatte mich auf die vielen alten Dinge in meinem Zimmer angesprochen und ich hatte ihr geantwortet, dass sie nur Errinnerungen an die Zeit mit meiner Mutter waren und ich nicht wüsste warum ich den ganzen Kram nicht schon lange aussortiert hätte.
"Nordica!", hatte sie sanft gesagt und mir dabei als erste wirklich in die Augen gesehen, "Du musst die Sachen nicht wegwerfen. Wir können sie in Kisten packen und Amadeo fragen ob wir sie auf den Dachboden stellen dürfen."
Von diesem Tag an schien es manchmal so als könnte dieses Mädchen meine Gedanken lesen. Ich verstand mich immer besser mit Caterina.
Warscheinlich weil sie nicht so aufgedreht und spöttisch wie Maria war oder vielleicht auch einfach nur weil sie so schön reden konnte. Ich hörte ihr gerne zu. Sie konnte stundenlang erzählen ohne, dass ich gezwungen wurde etwas zu sagen.
Ich mochte Maria deswegen nicht weniger.
Sie war eine Freundin zum Spaß haben, zum Lachen.
Mit ihr wurde es nie langweilig und schließlich kannten wir uns ja schon seit Ewigkeiten.
Alessio öffnete also die Seitentür und wir versuchten möglichst unauffällig zu unserer Reihe zu kommen.
Der Pfarrer redete gerade und man hätte eine Stecknadel fallen hören können.
Umso peinlicher war es als kurz darauf fünf verschwitzte Jugendliche, von denen eine unentwegt schimpfte, durch die Kirche zu ihren Plätzen stolperten.
Auf unseren Stammplätzen saßen schon die kleinen. "Mach n Abflug Kim!", flüsterte Alessio zur ältesten aus der Gruppe und wuschelte ihr durch das kurze, strubbelige Haar, genau so wie sie es hasste. Die Dreizehnjährige blickte uns an als ob sie uns jeden Moment töten würde.
"Wir waren aber dieses Mal zuerst hier", gab sie zurück, "und wenn du noch einmal meine Haare anfasst bringe ich dich um"
Wie auf ein Stichwort drehte sich der Rest dieser nervigen Biester zu uns um und schaute Alessio noch einmal in extra zickig an.
"Oh Kimmy", Maria schaltete sich ein " du weißt ganz genau, dass das unsere Plätze sind. Ihr alle", begann sie den Satz extra langsam als würde es ihr Spaß machen und führte eine ausladende Handbewegung in Richtung der Jüngeren aus, "werdet euch jetzt ganz einfach eine Reihe nach rechts setzen, Kapito?"
"Manuela kann Sofia auch sagen, dass ihr Wein aus der Küche geklaut habt, stimmts Manu?", Kim legte hämisch grinsend einen Arm um ihre Freundin.
Ich hörte wie Caterina neben mir die Luft einsog. Das mit dem Wein war ihre Idee gewesen. Es war ein sehr lustiger Abend geworden, aber leider waren wir alle bei mir im Zimmer eingeschlafen, auch die Jungs.
Manuela war Antonios kleine Schwester, welche Kim wie ein Schoßhündchen hinterherlief. Sie war auf der Suche nach ihrem Bruder gewesen und hatte, nachdem sie ihn nicht in seinem Zimmer gefunden hatte, bei mir vorbeigesehen. Nun, wir hätten vielleicht abschließen sollen.
Jetzt wo ich dachte ich würde mein restliches Leben jeden Sonntag in der ersten Reihe sitzen müssen, legte Maria noch einmal los:"Du bist keine Petze, Manuela. Deswegen wirst du uns nicht verraten. "
"Und warum nicht?", langsam sah man die Unsicherheit in den Augen des Mädchens aufblitzen.
"Weil Kim dich nur benutzt."
Das hatte zwar überhaupt nichts mit der Situation zu tun, aber wirkte.
Dunkle, braune Augen weiteten sich und ein langgezogene "Hä!" ertönte.
"Ja, wäre sie eine richtige Freundin, hätte sie mir nicht erzählt, dass du in Samuele verliebt bist", den Satz sagte Maria extra laut, sodass besagter Junge es genau hören konnte. Ich konnte ihr ansehen, wie wütend sie auf Kim war, einfach nur weil sich ihr jemand widersetzt hatte.
Caterina und ich wussten beide, dass Kim nichts erzählt hatte. Maria konnte einfach nur gut lauschen.
Auch Manuela war sichtlich wütend, aber verletzt ebenfalls. Ich sah schon die Tränen in ihren Augen glitzern, wusste, dass es nicht länger als fünf Minuten dauern würde bis sie anfing zu weinen.
Wir liefen jetzt keine Gefahr mehr verpetzt zu werden, also schob Maria die ganzen Mittelschüler etwas rabiat in den Gang und setzte sich.
Sie sah zufrieden aus, ganz im Gegenteil zu Cati.
Ihre Lippen lösten sich voneinander und ich ahnte nichts gutes.
"Das war zu viel Maria."
Caterinas Gesicht war wie eingefroren.
Kein Muskel bewegte sich und sie hatte ihren Unterkiefer nach vorne geschoben.
"Wieso? Diese dummen Kleinkinder haben es verdient", lachte Maria und richtete den Blick zum Priester.
Dieser Meinung waren weder Caterina noch ich.
"Vielleicht hast du gerade eine Freundschaft zerstört? Du hast Manuela vor Samuele bloßgestellt nur um im Seitenschiff weiter Scheiße bauen zu können"
Alle diese Anschuldigungen waren wahr, doch ich hielt mich noch immer aus dem angehenden Streit heraus.
"Und was kümmert es dich wenn eine Zwölfjährige mal kurz heult?", Maria hatte ruckartig den Kopf in Caterinas Richtung gedreht, sodass es fast ein wenig mechanisch aussah, "Ich habe uns immerhin aus der Zwickmühle mit dem Alkohol geholt."
"Du lenkst schon wieder vom Thema ab. Es geht ums Prinzip. Sowas macht man einfach nicht", Caterina lehnte sich über mich um Maria anzusehen, "Du solltest mal lernen Verantwortung zu übernehmen!"
Ihre Gegnerin antwortete in Sekundenschnelle:"Aha, jetzt bin ich also wieder schuld? Ihr habt alle mitgetrunken, du und Nordica und die Jungs.
Sie machte eine fordernde Handbewegung und sah mich an, "Was ist eigentlich mit dir? Bist du auch so verklemmt wie sie?"
Dabei schien ihr ganzer Körper auf Caterina zu zeigen.
Ich zögerte zuerst, dann sagte ich ihr mit einem Unguten Gefühl, dass ich Caterina recht gab.
"Beruhige dich doch Maria!", warf Antonio ein, "wir sind noch immer in der Kirche."
Nach diesem Satz schaute er immer wieder unruhig auf die andere Seite der Kirche, wo Sofia saß.
Jetzt stand meine Freundin auf:"Ihr seid doch alle bescheuert!", ihre Stimme wurde immer lauter, "Warum bin ich eigentlich mit euch befreundet? Setzt euch doch zu Kim und co., wenn alles was ich mache so 'unverantwortlich' ist."
Mittlerweile hatten sämtliche Menschen in diesem Gebäude unseren Streit mitbekommen.
Das ließ Maria aber nicht davon ab einfach mit erhobenem Kopf zu gehen.
Hätte sie hohe Schuhe angehabt, hätte deren klackern diesen arroganten Rythmus gehabt, wie bei den Tussen in Filmen immer.
"Maria warte!", rief Caterina ihr noch unnötigerweise hinterher, was die darauffolgende Totenstille in der Kirche nicht angenehmer machte.
Cati sah irgendwie verzweifelt aus.
Dabei wussten wir beide, dass Maria sich bis zum Abend einkriegen würde.
Der Gottesdienst verlief nun reibungslos weiter, bei jedem, außer mir.
Ich spürte etwas, etwas neues.
Ich wusste nicht was es war, aber es schien in mir zu brennen.
Und eines war sicher, es war nichts gutes.
A/N Das Kapitel ist leider eine Woche zu spät, weil ich unterwegs war. Diese Info hat jetzt niemanden interessiert, weil keiner auf dieses Kapitel gewartet hat XD. Außer vielleicht meine herzallerliebste Lieblingshelferin girl_like_fire, die allerdings mit mir unterwegs war.
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