Kapitel 3
„Das Auto kann nichts für deine Dummheit", hörte er plötzlich hinter sich.
Jason schloss die Augen und stöhnte. „Witzig!"
„Sollte es nicht sein", raunte Noraja.
Jason drehte sich und sah nach oben. Sie lehnte auf dem Balkongeländer mit einer Tasse in der Hand und grinste ihn dämlich an.
„Bereit für einen neuen Versuch?", fragte sie und neigte den Kopf leicht zur Seite.
Jason runzelte die Stirn.
„Meinst du das ernst?", fragte er ungläubig.„Ich stehe immer zu dem, was ich sage. Kannst du dir direkt für die Zukunft merken", antwortete Noraja und lächelte ihn an.
Er sah zwischen ihr und seinem Auto hin und her. Was hatte er schon zu verlieren? Schlimmer als eben konnte es nicht werden und bevor er wieder zu viel darüber nachdenken würde, drückte er sich von dem Auto ab und machte sich auf den Weg zurück in das Büro.
Noraja wartete auf dem Balkon und lehnte mit dem Rücken an dem Geländer, als Jason die obere Etage betrat. Er lief an Melina vorbei, die an einem der Schreibtische saß.„Nimm dir am besten noch einen Kaffee und geh raus zu ihr. Ich glaube, dass ihr zwei allein reden, solltet", sagte sie, ohne ihn dabei anzusehen.
Jason nickte dankbar, nahm sich einen neuen Kaffee und ging auf den Balkon. Noraja lehnte immer noch über dem Geländer und beachtete ihn überhaupt nicht. Er stellte sich einfach neben sie und überlegte, was er sagen sollte.
„Sorry für meinen Abgang gerade eben, aber", wieder stockte er und wusste nicht weiter.Sie seufzte.
„Passt schon. Ich weiß, dass es manchmal schwer ist, zu wissen, was man will, und noch schwieriger sein Ziel zu erreichen. Außerdem lässt sich niemand gern von einem Fremden in den Arsch treten, aber es freut mich, dass es funktioniert, hat."
Sie setzte sich in einen der Hängesessel und bot Jason den anderen an.
„Wie konntest du so schnell erkennen, was mit mir los ist? Ich wusste es ja selbst kaum", sagte Jason und setzte sich neben sie.
Noraja dachte über seine Worte nach. Sie wusste in diesen Moment nicht wirklich, was sein Problem war. Woher auch? Sie kannte ihn ja kaum. Sie hatte sich einfach auf ihr Bauchgefühl verlassen, welches sie noch nie enttäuscht hatte. Sie zuckte mit den Schultern und lehnte sich zurück. „Glück. Eingebung. Keine Ahnung. Aber hätte ich falschgelegen, hättest du dein Auto nicht vermöbelt", sagte Noraja.
Jason seufzte.
„Ja, scheint so", gab er widerwillig zu.
„Gut, dann fangen wir doch einfach noch mal an. Den Vorstellungsmist hatten wir ja schon. Also, dann sag mir doch mal, warum bist du heute hier? Oder anders. Was kotzt dich so an, dass du zu einem Vorstellungsgespräch kommst, obwohl du keine Vorstellung hast, was dich hier erwartet?"
Jason räusperte sich und da er nicht wirklich wusste, was sie hören wollte, erzählte er einfach alles.
„Ich musste mein Studium abbrechen und somit war der Traum von einer eigenen Kanzlei gestorben. Ich hatte unendlich viele Vorstellungsgespräche, bei hunderten Kanzleien, bis ich endlich als Assistent angestellt wurde. Ich dachte mir damals, dass es besser ist, als nichts zu haben, und ich wusste auch nicht, was ich sonst hätte machen sollen. Der Verdienst war gut und ich dachte für den Übergang, bis ich etwas anderes gefunden hätte, reicht es für mich. Na ja, acht Jahre später habe ich dieselbe Position, dasselbe Gehalt und hunderte unbezahlte Überstunden. Ich rede selbst in meiner Freizeit nur über die Arbeit. Die Jeans, die ich anhabe, ist die Einzige, die ich besitze. Ansonsten gibt es bei mir nur Anzüge zu finden. Ich habe einfach das Gefühl, dass das nicht mehr ich bin. Ich will endlich mal wieder etwas anderes sehen und über andere Sachen reden. Ich würde unglaublich gern mal einen Tag in der Jogginghose verbringen. Mal wieder auf ein Konzert gehen und vielleicht auch endlich mal wieder Spaß an meiner Arbeit und Freizeit haben. Ich konnte in der letzten Zeit kaum schlafen und hab mir im Internet Dinge angeschaut, auf die ich ständig verzichte und bin durch Zufall auf eure Anzeige gestoßen. Ich habe keine Ahnung warum, aber ich habe eine Bewerbung abgeschickt und nun sitze ich hier", sagte Jason und war von sich selbst überrascht, dass es ihm schlagartig so einfach fiel, über all das zu reden.
Noraja nahm einen Schluck Kaffee und sah ihn an.
„Und ich gehe stark davon aus, dass du dir das hier heute ganz anders vorgestellt hast?", fragte sie und zog dabei die Augenbrauen nach oben.
Jason lächelte verlegen und nickte.
„Dachte ich mir, aber ich kann dich beruhigen, ich habe auch etwas anderes erwartet. Eigentlich wollte ich schon seit mindestens einer halben Stunde wieder auf der Couch liegen", sagte Noraja und griff nach ihren Zigaretten.
„Ich spar mir jetzt auch die Frage, was du dir unter dem Job hier vorstellst, und erzähle es dir einfach. Okay?", fragte sie.
„Ja, bitte", sagte Jason und lehnte sich zurück.
„Wir sind hier aktuell ein Team von zehn Personen und haben uns den Namen in unserer Branche hart erarbeitet. Wir organisieren alles. Von einfachen Teammeetings bis zu den größten Rockfestivals, die es gibt. Jeder Mitarbeiter hat seinen festen Bereich und seine eigenen Events. Ich habe auf alles ein Auge, kümmere mich um neue Auftraggeber und bin, wenn nötig oder wenn ich Lust dazu habe, direkt vor Ort. Deine Aufgabe wird es sein, meine Rechtehand zu werden. Du musst dafür Sorge tragen, dass alles reibungslos läuft. Dass meine Termine sich nicht überschneiden und dass ich vielleicht halbwegs pünktlich erscheine. Meine Rechtehand sollte immer an meiner Seite sein, das bedeutet für dich: Du kommst mit auf Konzerte, Meetings oder bringst mir Kaffee, wenn ich einen will. Im Grunde bin ich das Chaos und benötige jemanden, der dieses schlichtet und ordnet. Du wirst dich mit ziemlich viel Papierkram herumschlagen müssen und ich verspreche dir, du wirst mich ziemlich schnell hassen. Solltest du Talent für die ganze Sache entwickeln, ist es natürlich denkbar, dass du deine eigenen Projekte leiten kannst. Melina kann dir aber genauer erklären, was sie wirklich alles für mich macht, denn ehrlich, ich habe keine Ahnung davon. Es gibt Tage, Wochen, Monate, in denen wir gefühlt vierundzwanzig Stunden arbeiten oder unterwegs sind. Dafür gibt es aber auch Zeiten, an denen wir unsere Freizeit in vollen Zügen genießen können. Was ich damit sagen will, wir haben keine festen Arbeitszeiten. Aber wir haben natürlich die Möglichkeit, unsere Arbeit von fast jeden Ort aus zu tätigen. Ich erwarte keine tägliche Anwesenheit hier im Büro, alles, was zählt, ist die Zufriedenheit der Auftraggeber", sagte sie.
Jason versuchte, das Gehörte zu verarbeiten, und nickte erneut.
„Wir haben hier auch Übernachtungsmöglichkeiten, für den Fall, dass es doch mal länger dauert, denn der Weg bis zum Festland ist ja doch etwas länger. Handy, Laptop und alles, was du sonst noch brauchst, bekommst du natürlich gestellt und klären wir die Gehaltsfrage auch gleich noch ... 4000 Dollar wäre die Startsumme. Passt alles, wird es natürlich mehr."
„4000 Dollar?", wiederholte Jason ungläubig und verschluckte sich fast an seinem Kaffee. „Ja. Warum? Zu wenig?", fragte Noraja mit einem sarkastischen Unterton und schmunzelte Jason an.
Der riss erschrocken die Augen auf und winkte nervös ab.
„Gott nein. Zu viel. Also ich meine, mit so viel habe ich gar nicht gerechnet."
Noraja lachte auf und lehnte sich zurück.„Na ja, ich bin der Meinung, man muss von dem Geld, was man verdient, leben können. Ich bezahle alle meine Mitarbeiter gut. Ich meine, was hat Arbeit für einen Sinn, wenn man sich nichts davon leisten kann?"
Jason schüttelte ungläubig den Kopf. Träumte er gerade? Denn das konnte unmöglich real sein. Und wieder sprach Noraja einfach weiter.
„Reisen gehen immer auf Firmenkosten und Probezeit wäre ein halbes Jahr. Melina würde dich die nächsten Wochen begleiten und einarbeiten, damit wir einen reibungslosen Übergang bekommen. Ich denke, das war das Wichtigste. Fragen? Vorschläge? Oder schon das Interesse verloren?", fragte Noraja und streckte sich. Jason saß ihr völlig perplex gegenüber und schien nach Worten zu suchen, während er sich unsicher am Kinn kratzte.
„Und das ist auch alles dein Ernst oder verarschst du mich gerade, weil ich vorhin so dämlich war?"
Noraja legte den Kopf schief und starrte ihn an.
„Seh ich aus, als wäre ich jemand, der Menschen verarscht? Denkst du, ich würde meine Zeit mit dir verschwenden, wenn ich nicht daran glauben würde, dass du dem vielleicht gewachsen bist? Auch wenn ich ehrlich gesagt nicht weiß, wie ich darauf komme."
Jason lachte auf.
„Nein, ich denke, du bist verrückt. Du willst jemanden einstellen, der dir den Arsch retten soll, aber nicht den Hauch einer Ahnung hat, was überhaupt auf ihn zukommt", erwiderte Jason.
Noraja zuckte mit den Schultern.
„Ja, da magst du vielleicht recht haben, aber No risk No fun", sagte sie und griff nach ihrer Tasse.
„Spaß bei Seite. Denkst du, du bist dem Ganzen gewachsen?", fragte sie ihn.
Jason überlegte kurz, bevor er antwortete. „Ehrlich? Ich weiß es nicht, aber ich würde es gern probieren."
Noraja nickte gedankenverloren und starrte für einen Moment ins Leere, bis sie ihren Blick wieder auf ihn fokussierte.
„Okay. Dann lass uns sehen, was passiert. Ich würde Melina bitten, dir einen Arbeitsvertrag mitzugeben, und dann nimm dir ein paar Tage Zeit, um es dir zu überlegen. Ach und eins noch. Ich will hier keine Anzüge oder Ähnliches sehen. Da bekomm ich das Schütteln", sagte Noraja und zeigte auf sein Hemd.
„Und lass diese scheußlichen Schuhe zu Hause oder besser noch in einem Müllcontainer", schob sie nach.
Jason konnte es kaum glauben. Schlagartig fühlte er sich völlig frei und strahlte bis über beide Ohren.
„Okay, das bekomm ich hin. Ich muss dir wohl danken, denke ich."
Noraja lachte.
„Dank mir, wenn du die ersten Wochen hinter dir hast und mich immer noch leiden kannst", erwiderte sie und schenkte ihm das erste herzhafte Lächeln.
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