2. Türchen
Ihre Schulzeit lag inzwischen lange zurück. Viele Erinnerungen waren geblieben, manche hingen noch an ihrer Wand, doch mit den Jahren hatte sie den Bildern immer weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Ihr neues Leben hatte sich in den Vordergrund gedrängt und ihr einen Neustart ermöglicht. Fernab der alten Gesichter hatte sie begonnen zu studieren, Julia hatte neue Freunde gefunden, eine neue Stadt, die sie inzwischen ihr zuhause nannte. Sie hatte gelernt sich nur noch mit Menschen zu umgeben, die ihre Zeit wert waren, wohl das Wichtigste, was ihr Nicholas beigebracht hatte. Der Kontakt zu ihm war am Anfang rege gewesen, beinahe täglich hatten sie telefoniert, obwohl der jeweils andere am anderen Ende des Landes hockte. Es hatte geklappt. Bis auch hier sich der Alltag eingeschlichen und der Stress größer geworden war. Sie beide hatten Verpflichtungen, denen sie nachkommen mussten und so wurden die Gespräche weniger und weniger, bis sie irgendwann ausblieben. Manchmal machte sie das traurig. Dann saß sie abends allein auf ihrem Sofa und wünschte sich Nicholas und das Schokofondue zurück, dass irgendwann seinen festen Platz in ihrem Wochenendplan eingenommen hatte. Sie vermisste seine Grübchen, wenn er lachte und seine übergroßen Pullis, in die sie sich einkuscheln hatte, wenn ihr wieder einmal zu kalt gewesen war. Manchmal fragte sie sich, was er wohl gerade machte. Doch es war zu ungewohnt geworden, den grünen Hörer neben seinem Namen zu drücken, ganz zu schweigen davon, dass es irgendwie nicht reichte, nur seine Stimme zu hören.
Drei Jahre waren seit ihrem Umzug nun ins Land gezogen und zum ersten Mal zog es sie zurück in ihre Heimat. Der Dezember war hereingebrochen und ihre Familie hatte sie eingeladen die Weihnachtszeit dort zu verbringen. Eine Auszeit vom stressigen Studium. Erst jetzt hatte sie sich bereit gefühlt, zurückzukehren und doch wurde ihr ein wenig flau im Magen, als sie wieder die altbekannten Straßen zu ihrem alten Zuhause entlangfuhr. Die Erinnerungen waren hier viel frischer und klarer und nicht wie sonst von dickem Staub bedeckt. Es waren überall die gleichen Ecken und Kanten wie früher. Nur war sie nicht mehr dieselbe. Die Zeit hatte sie Abstand nehmen lassen.
Der Empfang war herzlich und erst in den Armen ihrer Mutter wurde ihr bewusst, wie sehr sie ihre Heimat tatsächlich vermisst hatte. Ihr Zimmer hatte sich genau wie die Stadt nicht verändert. Ihre Lieblingsbücher standen wie immer in Reih und Glied, der Schreibtisch gab das gleiche Quietschen von sich, wenn man sich auf ihm abstützte und von ihrem Fenster aus konnte sie noch immer in den angrenzenden Wald sehen. Für einen Augenblick ließ sie das glücklich innehalten, dann machte sie es sich auf ihrem alten Stammplatz im Wohnzimmer auf dem Sessel bequem und lauschte den kitschigen Weihnachtsliedern, die ihre Mutter jedes Jahr zu Weihnachten hörte. Mittlerweile protestierte sie nicht mehr dagegen, sondern schmunzelte lieber in sich hinein und bemühte sich, nicht doch bei dem ein oder anderen Lied einzustimmen. Der Geruch in der Wohnung war herrlich süß, mit dem perfekten Duft von Punsch und Bratäpfeln, perfekt für die Adventszeit.
Und als sie mit ihrer heißen Tasse in der Hand genießerisch die Augen schließen wollte, war das letzte womit sie gerechnet hatte, dass es an der Tür klingelte. Überrascht sah sie auf, stellte die Tasse vorsichtig auf das kleine Wohnzimmertischchen und lief dann in den kleinen Flur. Als sie die Tür öffnete, stolperte ihr Herz, ob aus Freude oder aus Überraschung konnte sie nicht sagen. Er stand vor ihr, als wäre es gestern gewesen, dass er sie von eben jener Stelle immer zum Schulweg abgeholt hatte. Auch jetzt konnte er das unsichere Verlagern seines Gewichts von einem auf den anderen Fuß nicht unterdrücken. Es war so typisch für ihn und doch konnte sie nicht fassen, dass tatsächlich Nicholas vor ihr stand. Sprachlos machte sie zögerlich einen Schritt nach vorne. Dann noch einen. Dann fiel sie ihm lachend um den Hals.
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