14. Türchen
Am Abend stand Julia vor ihrem Spiegel und wippte nervös vor und zurück. Sie war noch nie eines der Mädchen gewesen, dass sich gerne hübsch machte und verließ das Haus stets ohne Make-up. Nur kam das am heutigen Tag nicht in Frage. Zum einen wollte sie Nicholas nicht blamieren und zum anderen bestand die Möglichkeit, auf dem Polarball auf alte Schulkameraden zu treffen und sie wollte eben jenen beweisen, dass sie nicht mehr die alte Julia war, sondern eine gereifte und bessere Version von sich selbst. Das hatte sie auch Nicholas gesagt, als er sie viel zu früh hatte abholen wollen, wo sie doch noch Lidschatten auflegen und in ihr Cocktaikleid schlüpfen musste. Typisch Mann hatte er bloß mit den Augen gerollt und betont, dass sie sich nicht ins Zeug zu legen brauchte. Es ginge ihm darum, dass sie einen schönen Abend miteinander verbringen würden und dass sie Spaß hatte. Er hatte ihr einen Kloß im Hals beschert, als er gesagt hatte, dass ihm die alte Julia genug war.
Jetzt blickten ihr ihre braunen Augen, geschmückt mit einem dunklen Lidstrich, dem Lidschatten und dem Mascara im Spiegel entgegen und obwohl sie all die Mühe investiert hatte, bekam sie plötzlich Nicholas Worte nicht aus dem Kopf und war geneigt, all den Aufwand zu zerstören und nach einem Reinigungstuch zu greifen. Denn dieses Spiegelbild war nicht sie. Es war, als sehe sie eine Fremde an, die eine Rolle spielte und vollkommen vergessen hatte, wer sie eigentlich war. Natürlich hatte sie immer vom Polarball geträumt und sich vorgestellt, wie perfekt alles sein würde, aber gerade erschien es ihr richtiger zu sein, den anderen nichts zu beweisen,sondern einfach sie selbst zu bleiben. Vielleicht war das genug Beweis ihrer Stärke.
Als Nicholas sie zum zweiten Mal an diesem Tag einsammelte, hatte sie tatsächlich viel von dem Make-up entfernt. Nur den Mascara hatte sie noch einmal aufgetragen und sie zupfte aufgeregt an ihrem Kleid, als sie sich in sein Auto setzte. Dieses Mal nicht wegen der Meinung der anderen, sondern um seine besorgt. Vielleicht war das Kleid zu schlicht. Vielleicht gefiel ihm das Blau nicht. Vielleicht überlegte er es sich anders und würde doch nicht hinfahren wollen. Nicholas war ohnehin nicht der Typ für solche Veranstaltungen. Er hasste es zu tanzen und war kein Fan von großen Menschenmassen. Sie im übrigen auch nicht, aber sie hatte das Gefühl einmal im Leben diese Erfahrung machen zu müssen. Vielleicht würde er diesen Traum doch noch platzen lassen, sie würde es verstehen können.
Aber Nicholas lächelte bloß und sagte ihr, wie schön sie aussah, wie sehr er ihr Kleid mochte und wie er sich schon auf den Abend freute. Und all ihre Sorgen fielen von ihr ab, als sie sich in seinen sicheren Armen wiederfand, die sie sich über Tanzfläche wirbelten. Der Abend stellte am Ende all ihre Vorstellungen in den Schatten. Sie redeten und tanzten, tranken Orangensaft, weil sie beide den Geschmack von Sekt verachteten und belagerten die Fotobox, um witzige Bilder von sich mit Hüten und Perücken zu machen. Julia lachte so viel und so laut, dass es sich irgendwann so anfühlen, als würde das Lachen fest zu ihren Lippen gehören und sich niemals wider von ihrem Gesicht lösen. Es war einer der schönsten Momente ihres Lebens und auch wenn er nicht perfekt sein mochte, machte ihn das nur noch besser. Sie konnte die neidischen Blicke manch anderer spüren, die sich nicht trauten zu tanzen und nur am Rand standen. Tatsächlich waren unter ihnen auch ein paar altbekannte Gesichter, aber anders als gedacht, schenkte sie keine Aufmerksamkeit. Lieber stürmte sie das Buffet mit Nicholas, um sich am Ende mit ihm darüber zu streiten, ob nun die Schokocreme oder das Tiramisu das bessere Dessert war.
Irgendwann waren ihre Füße kurz davor abzusterben und sie bereute es, sich nicht für die Ballerinas sondern für die Schuhe mit ein wenige Absatz entschieden zu haben. Das war sie schlichtweg nicht gewöhnt. Und während sie ihren Füßen eine Pause gönnte, bemerkte sie, dass jener Teil des Abends hereingebrochen war, der ganz den Pärchen vorbehalten war. Die Musik wurde ruhig, langsamer und romantischer, die Tanzenden rückten näher zusammen, Köpfe ruhten auf Schultern und es lag ein Hauch von Liebe in der Luft. Nicholas gab sein Bestes es sich nicht anmerken zu lassen, aber sie konnte sehen, dass er gerne unter ihnen gewesen wäre. Gewiss hätte er auch mit ihr so getanzt, wenn sie ihn in diesem Moment darum gebeten hätte, aber es wäre nicht das gewesen, was er sich wünschte. Sie wusste, dass er Louis in diesem Augenblick vermisste, bloß sprach sie es nicht an, weil sie wusste, dass er es abstreiten und darauf beharren würde, dass dieser Abend ihnen gehörte. Aber ihr Abend war schon wunderschön. Besser konnte er nicht werden und in ihr wuchs das Bedürfnis ihm etwas zurückzugeben. Extra für sie hatte er sich auf diesen Ball eingelassen, hatte ihr damit einen großen Wunsch erfüllt, sich eigens dafür in Schale geworfen und war der perfekte Gentleman gewesen.
Sie nutzte die Gelegenheit, als er sein Jackett bei ihr ließ, um auf die Toilette zu gehen und fischte aus der Seitentasche sein Handy. Für eine Sekunde fürchtete sie, dass er vielleicht sein Passwort geändert haben könnte, doch als es sich mit dem alten Codemuster entsperren ließ, grinste sie breit und öffnete die Kontaktliste um Louis Namen zu finden.
-Meine Schuhe sind durchgetanzt und ich bin bereit abgelöst zu werden. Beeil dich, bevor sie I will Always love you ohne dich und Nicholas auf der Tanzfläche spielen :P-
Sie schmunzelte, als sie die Nachricht abschickte und das Handy wieder im Jackett verstaute. Bevor Nicholas zurückkehrte, hatte sie sich schon die Schuhe ausgezogen, diese in die Hand genommen und den Ballsaal eher gesagt die Sporthalle verlassen. Draußen war es eiskalt, aber der Schnee kühlte ihre heißen Füße. An der Bushaltestelle wartete sie auf ein Taxi, die an diesem Abend regelmäßig dort hielten. Es konnte sich nur noch um Minuten handeln, da sah sie in der Ferne Louis in Richtung Sporthalle laufen und es tat ihrer guten Laune keinen Abbruch, sondern bescherte ihr ein warmes Gefühl im Bauch bei der Vorstellung wie Nicholas sich über ihn freuen würde. Sie schlief gut in jener Nacht und als sie am Morgen erwachte, hatte Nicholas ihr übers Handy ein Bild von sich und Louis geschickt, wie sie über die Tanzfläche schwebten und da wusste sie, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte.
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