1. Kapitel (1)
"Verdammte Scheisse!"
Ich trat mit voller Wucht gegen die Mülltonne neben dem Hinterausgang der Sporthalle, woraufhin sie umkippte und sich der gesamte Inhalt über den Boden verteilte. Das Chaos würde ich später beseitigen müssen, aber im Moment war mir das egal. Lautstark fluchend, lief ich unruhig umher und versuchte meine Gefühle in den Griff zu bekommen, bevor ich noch weitgehenden Schaden anrichten konnte.
Ich wusste nur zu gut, zu was ich in solchen Situationen fähig war.
Plötzlich wurde mir übel und ich krümmte mich hustend zusammen. Nachdem ich mich wieder etwas beruhigt hatte, bemerkte ich Jasper, der hinter mir aus der Tür getreten war, mit verschränkten Armen an der Wand lehnte und mich aufmerksam beobachtete. Sofort packte mich erneut die Wut.
"Sag mal, hast du sie noch alle?! Warum hast du das getan?
Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht?", fuhr ich ihn aufgebracht an und stiess ihn unsanft vor die Brust. "Du wusstest doch genau, dass ich mir keinen Fehltritt mehr erlauben darf, sonst flieg ich von der Schule!", fuhr ich fort ohne auf seine Antwort zu warten.
"Naja, nimm's mir nicht übel... aber du machst nicht gerade den Eindruck, als würde dir was daran liegen an der Schule zu bleiben. Und ausserdem ist ja gar nichts passiert.", unterbrach er meinen Wortschwall und grinste mich schief an.
Seine Gelassenheit trieb mich in den Wahnsinn.
Er verstand es ganz einfach nicht.
Von Minute zu Minute wurde ich wütender und ich konnte fühlen wie es in meinem Inneren gefährlich zu brodeln begann. Das Blut kochte in meinen Adern und ich hatte Mühe den aufsteigenden Zorn zu unterdrücken. Verzweifelt grub ich mir die Fingernägel in die Handflächen, bis es blutete, um nicht die Beherrschung zu verlieren.
"Ich muss hier weg."
Als ich Anstalten machte zu verschwinden, griff Jasper nach meinen Arm.
"Warte, wo willst du hin?"
"Das geht dich einen Scheiss an!"
Warum zum Teufel konnte er sich nicht einfach um seinen eigenen Dreck kümmern und mich in Frieden lassen?!
Ich versuchte mich aus seinem Griff zu befreien, doch er lockerte ihn lediglich ein wenig.
"Lass mich einfach los und hau endlich ab!"
Es kostete mich sehr viel Mühe, nicht zu schreien.
Jasper musterte eine Weile eindringlich mein Gesicht, dann liess er meinen Arm los.
"Komm, ich bring dich zur Krankenstation, du siehst echt übel aus."
Ich erwiderte seinen Blick stur, bevor ich spöttisch eine Augenbraue hob und in meiner gewohnt schnippischen Art antwortete:
"Es geht schon. Ist ja nichts passiert, nicht wahr?"
Verblüfft blinzelte er zweimal, bevor er den Mund öffnete um zu einer Antwort anzusetzen, ihn kurz darauf jedoch wieder schloss und mich nur angrinste.
Was hatte es bloss mit diesem ständigen Gegrinse auf sich?
Seine Reaktion verwirrte mich derart, dass ich mich nach einigen Sekunden, eingeschnappt und ohne ein weiteres Wort zum Gehen wandte.
Aus dem Augenwinkel nahm ich plötzlich eine Bewegung wahr. Ruckartig wirbelte ich herum... und stand meinem eigenen Spiegelbild gegenüber. Die Glasfenster der Sporthalle eigneten sich zwar nicht wirklich als Spiegelersatz, dennoch sah ich genug.
"Ach du Scheisse!".
Jasper hatte Recht gehabt.
Ich sah tatsächlich ziemlich übel aus.
Das Harmloseste waren noch die dunklen Schatten unter meinen Augen, an deren Anblick ich mich jedoch längst gewöhnt hatte, da sie die Folge zahlreicher, schlafloser Nächte waren. Hinzu kam eine aufgeplatzte Lippe und eine Schnittwunde, die sich quer durch meine rechte Augenbraue zog, wobei ich keine Ahnung hatte, woher diese kam. Ausserdem war meine linke Wange angeschwollen und ich hatte noch immer starkes Nasenbluten. Ich sah echt zum Davonlaufen aus und wollte gar nicht erst wissen, wie ich jetzt wohl ausgesehen hätte, wenn... Jedenfalls wäre es ganz bestimmt nicht gut ausgegangen.
„Ich sehe aus, als hätte ich eins auf die Nase gekriegt!", jammerte ich.
Einige Meter hinter mir ertönte Jaspers spöttische Stimme. Offenbar hatte er sich wieder gefasst.
„Ich weiss ja nicht, wie du das nennen würdest", er wies auf mein zerschundenes Gesicht, „aber hast du nicht tatsächlich eins auf die Nase gekriegt?"
Darauf wusste ich nichts zu erwidern, also funkelte ich ihn nur wütend an und warf ihm zur Antwort einen vernichtenden Blick zu. Mir war bewusst, dass das kindisch war, aber ich konnte einfach nicht anders. Das altbekannte Grinsen war nun wieder auf sein Gesicht getreten. Er lachte leise. Ein Grossteil der Mädchen an dieser Schule, hätten sein Lachen womöglich als attraktiv bezeichnet, vor einigen Monaten hätte ich vermutlich sogar selbst noch zu diesen Leuten gezählt, jetzt hingegen fand ich es einfach nur ätzend.
„Du brauchst gar nicht so dämlich zu grinsen!", fauchte ich in seine Richtung.
Sein Grinsen wurde breiter.
,Idiot', dachte ich empört, er schien sich ja prächtig zu amüsieren.
Langsam bekam ich das Gefühl, dass er mich absichtlich provozierte, um mich aus der Reserve zu locken, doch den Gefallen würde ich ihm ganz bestimmt nicht machen.
„Ach, komm schon Noah! Mal im Ernst: weswegen regst du dich eigentlich so auf?"
Jasper war vor mich getreten und sah mich erwartungsvoll an.
Ungläubig starrte ich zurück.
Das konnte doch nicht sein Ernst sein!
Mit zusammengekniffenen Augen und gerunzelter Stirn beobachtete ich prüfend jede Regung in seinem Gesicht, suchte nach einem Anzeichen dafür, dass er mich nur wieder neckte, sich über mich lustig machte, doch davon war nichts zu erkennen.
„Weswegen ich mich so aufrege, fragst du?" Ich sprach ruhig und beherrscht.
Doch dann, aus einem plötzlichen Impuls heraus, lachte ich laut auf.
Es war ein höhnisches, gezwungenes Lachen.
„Ich glaube es ja nicht!", prustete ich zwischen zwei Atemzügen, „Er will doch tatsächlich wissen, weshalb ich mich aufrege!"
Meine Stimme klang schrill und falsch, das hörte ich selber. Ausserdem hatte ich begonnen wild mit den Armen zu fuchteln.
Jasper zog die Augenbrauen hoch.
Und ja, mir war auch klar, dass ich mich wie eine Irre benahm.
„Ich glaube du solltest dich jetzt besser hinlegen..."
Kopfschüttelnd kam er auf mich zu und versuchte einen meiner Arme zu fassen zu kriegen. Ich gab ein verächtliches Schnauben von mir und wich geschickt seinen nach mir greifenden Händen aus.
Inzwischen hatte ich aufgehört zu lachen.
„Ich bin nicht verrückt, hörst du!", zischte ich, während ich darauf achtete, dass er mir nicht zu nahe kam.
"Nein, natürlich nicht!", erwiderte er voller Ironie und mit vor Sarkasmus triefender Stimme.
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