63 - Sturmblau
▷ Sleeping At Last - Saturn ◁
- Epilog -
"Hallo Noah", wispere ich und streiche über den Grabstein. Er ist aus Naturstein. Rau und eckig. Wie Noah.
Der Wind spielt mit meinen Haaren, tanzt mit ihnen, liebkost mein Gesicht. Ich lächle. Er ist hier. Ich weiß es.
"Du fehlst mir. Keine Worte beschreiben, wie sehr du mir fehlst."
Ich lasse mich vor seinem Grab nieder und lege die frische Blumen auf die Erde. Ich habe Sonnenblumen dabei und Rosen. Es ist später Nachmittag und die Sonne scheint mir auf die Haut. Wir haben fast Frühling, es ist angenehm warm.
"Weißt du, inzwischen befindet sich ein Mahnmal am Breitscheidplatz. Es ist ein goldener Riss im Boden. Ich finde, das ist ein schönes Motiv. Der Riss ist golden wie der in meinem Herzen. Das letzte Jahr war hart. Und es tut mir leid, dass ich erst jetzt zu dir komme. Aber es gab so einiges zu organisieren. Ich wohne jetzt hier, weißt du? Gleich neben deiner Mama. Sie ist großartig. Und sie vermisst dich, Noah. Wir alle vermissen dich. Oma ist auch hier. Papa besucht mich, so oft er kann. Und auch Leonie und der Rest der Truppe kommt öfter vorbei. Sie alle haben dich schon besucht. Ich habe es noch nicht geschafft. Es tut mir leid. Ich weiß, ich bin feige, ich habe es jetzt fast ein Jahr lang nicht geschafft. Aber ich war nicht stark genug. Ich musste mich erst wieder finden. Aber jetzt bin ich hier. Und ich gehe nicht mehr weg. Du hast mich also für immer an der Backe."
Ich fahre mit meinen - wie immer - eiskalten Fingerspitzen über mein Handgelenk. Es ziert ein neues Tattoo.
"Sieh her, ich habe mir ein Tattoo stechen lassen. Es ist ein Kompass. Und weißt du, was neben dem N für Norden zu finden ist? Ein kleines Herz. Es ist für dich, Noah. Du hast mir einen Weg aus der Dunkelheit gezeigt. Und mein Herz wird immer dir gehören. Immer."
Ich schließe die Augen. Die Musik der Wellen streicht mir über die Haut. Ich bilde mir ein, Noahs leises Lachen zu hören. Die Meeresluft füllt meine Lungen, schenkt mir Mut und Kraft.
"Du hast mich zu einem Zeitpunkt gefunden, an dem ich am Boden war. Zerbrochen. Gebrochen. Am Ende meiner Kräfte. Als ich kurz davor war zu gehen. Du hast mich zurückgehalten. Du hast mir Ruhe geschenkt. Ich hatte mehr und mehr das Gefühl, anzukommen; zu mir zu kommen. Jeder Moment mit dir war aufregend, Noah. Egal, wie leise er war. Egal wie laut er war. Ich habe jeden einzelnen Moment mit dir geliebt und genossen. Wir waren albern und kindisch und gleichzeitig so erwachsen. Du hast mir gezeigt, wie bunt das Leben sein kann. Durch dich habe ich die Farben wieder entdeckt. Die Liebe zur Kunst. Wir haben jeden Moment miteinander so intensiv gelebt, ohne zu wissen, wie viel wert es einmal sein wird. Wie viel wert es mir einmal sein wird. Ich bin so dankbar, dass du in mein Leben gekommen bist. Du hast mir gezeigt, wie wertvoll es ist, zu leben. Du hast mir gesagt, dass das Universum nur dafür gemacht wurde, um es durch meine Augen zu sehen. Danke, Noah. Ich liebe dich. Ich werde dich immer lieben. Ich komme morgen wieder. Und übermorgen. Und überübermorgen. Bis bald, mein Herz."
Ich sehe die weite Unendlichkeit vor mir, als ich aufstehe und auf das Meer blicke. Kurz fällt mir das Atmen schwer, aber ich versuche, tief Luft zu holen und meine Lungen zu füllen. Und dann blicke ich in den Himmel und ich werde plötzlich ganz ruhig. Denn ich weiß, dass alles wieder gut wird.
Der Himmel, er ist sturmblau.
ENDE
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