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62 - Erdbraun

▷ Sam Smith - Lay Me Down ◁


Meine Lider sind schwer, als ich sie öffnen will. Es fühlt sich so an, als wäre eine ganze Wagenladung Steine auf ihnen. Jede Bewegung schmerzt, als wäre ich verprügelt worden. Und irgendwie bin ich das auch. Meine Hände schmerzen unter dem Verlust seiner Haut unter ihnen. Mein Herz schmerzt unter dem Verlust seines Herzens, das im gleichen Takt schlug - das die Melodie sang, die nur meines hören konnte. Ich seufze und habe das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Ich weiß nicht, ob das jemals wieder besser wird; ob Atmen jemals wieder ein Automatismus ist und funktioniert, ohne, dass ich meinen Körper daran erinnern muss.

Der Tag ist so unendlich dunkel. Mir fehlt mein Licht. Er fehlt mir. Dieses Loch, das mir in die Brust gerissen ist so groß, dass es vermutlich nie wieder richtig heilen wird. Ich habe seit Tagen nicht mehr wirklich etwas gegessen. Oma versorgt mich mit Suppen, weil ich die noch am ehesten runterbringen kann. Sie und Leonie haben meine Seite nicht mehr verlassen, seit ich an dem Tag das Haus betreten habe. Ich bin dankbar für ihre Hilfe - denn ich wüsste nicht, was ich tun würde, wäre ich alleine und auf mich alleine gestellt. Weihnachten flog an mir vorbei, mir war nicht zu feiern zumute - niemandem war zu feiern zumute. Ich hätte so gerne gekotzt, als ich mit den ganzen kitschigen Weihnachtsfilmen und Weihnachtsmusik konfrontiert wurde. Die Weihnachtszeit wird nie wieder etwas Gutes für mich bedeuten.

Sogar meine Mutter hat mich besucht und ich bildete mir eine Spur von Besorgnis in ihrem Gesicht ein. Vielleicht war sie echt, die Sorge - vielleicht auch nicht. Papa hat mich festgehalten und ich habe in sein Hemd geweint, das nachher ekelhafte nasse Spuren vorwies. Aber es schien ihn nicht gestört zu haben.

Inzwischen haben sie festgestellt, dass es ein Terrorangriff war. Noch immer kann ich nicht glauben, dass uns dieser Terror auch in Deutschland erreicht hat. In Berlin. In meiner Heimat. Dass ich dabei war und haarscharf dem Tod entkommen bin, realisiere ich immer noch nicht. Zu groß und intensiv ist der Schmerz über meinen Verlust.


Ich stelle mich unter die Dusche und lasse das warme Wasser auf mich niederprasseln. Ich verwende Noahs Duschgel - und ich habe Leonie losgeschickt, um mir eine Jahresration davon zu besorgen. Nun habe ich mehr als 20 Flaschen davon in meinem Badezimmer stehen. Es sind die kleinen Dinge die bleiben. Als ich fertig bin und das Badezimmer verlasse, steht Leonie mit dem Rücken zu mir am Fenster. Sie hört meine Schritte und dreht sich um. Ihr gelber Pulli ist zu fröhlich für die Dunkelheit in mir. Die Sonne wird von ihren feuerroten Haaren gespiegelt und ich bin kurz abgelenkt, ob des tanzenden Musters.


"Smilla ist gefahren um die Beerdigung vorzubereiten, beziehungsweise die letzten Vorbereitungen für übermorgen zu klären." Leonie tritt an mich heran streicht mir die Haare aus dem Gesicht. Sie hängen nass und wirr von meinem Kopf.

Sofort bekomme ich ein schlechtes Gewissen, weil ich ihr nicht beistehen kann. Meine beste Freundin muss mir meine Gefühle an meinem Gesicht abgelesen haben.

"Mach dir keine Sorgen. Sie hat einen Freund der ihr hilft. Sie ist nicht alleine."

Stumm nicke ich und fummle den brüchigen Nagellack von meinen Nägeln.

"Ich habe Angst, Leo", flüstere ich.

"Ich weiß, Lia. Ich weiß." Sie nimmt mich in den Arm und drückt mich fest an sich. Ihre Umarmung rückt meine Welt nicht wieder gerade, aber sie macht sie ein Stückchen heller.



Nico holt Leonie, Oma und mich ab. Er hat sich bereit erklärt, uns nach St.-Peter-Ording zu fahren. Auch Aaron, Betty und Kai haben sich für die Beerdigung angemeldet. Sie fahren allerdings mit dem Zug und kommen heute Abend an. Smilla hat ein paar Zimmer in einer kleinen Pension gebucht. Sie hat Oma und mir angeboten, bei ihr zu schlafen. Aber ich bin noch nicht bereit, das Zimmer zu betreten, in dem ich mit Noah war. Ich kann es noch nicht. Manche mögen mich für schwach halten oder weinerlich. Doch die Kraft fehlt mir. Sie fehlt mir.


Leonie, meine Therapeutin und meine Oma haben mir ans Herz gelegt, dass ich erneut eine stationäre Therapie mache. Mit ihrer Hilfe habe ich eine geeignete Klinik gefunden, die auf Traumata spezialisiert ist. Eine Woche nach Noahs Beerdigung wird es losgehen. Es graut mir davor und ich habe wahnsinnige Angst. Aber es kann nur besser werden. Zumindest ein bisschen. Vielleicht können sie mir helfen, mit der Trauer umzugehen und mit dem damit verbundenen Trauma.


Die Landschaft außerhalb des Autos zieht an mir vorbei. Leonie drückt meine Hand, ich drücke zurück. Aber ich schaffe es nicht, sie anzusehen. Müde lehne ich meinen Kopf an die kühle Scheibe und beobachte die Regentropfen, die in Bahnen am Fenster entlanglaufen. Es ist fast so, als veranstalteten sie ein Wettrennen, wer als erstes am Ende der Scheibe angelangt ist. Wir stehen im Stau, es geht nur langsam vorwärts. Oma sitzt neben Nico und die beiden unterhalten sich. Ich habe keine Kraft für Unterhaltungen und höre Musik. Leonie, die neben mir sitzt, tut das gleiche und hält meine Hand. Zwar habe ich versucht, sie davon abzuhalten - denn zu viel Nähe macht schwach - aber sie hat nicht von mir abgelassen. Die Fahrt dauert fast fünf Stunden und es ist stockdunkel, als wir in St.-Peter-Ording ankommen. Mein Handyakku ist fast leer und ich hoffe, dass in der Pension genügend Steckdosen vorhanden sind. Nico parkt das Auto auf dem Parkplatz vor einem kleinen, niedlichen Haus. Die Pension sieht von außen sehr gemütlich aus und liegt noch dazu nicht unweit des Meeres. Ich kann die Möwen hören - und das Meer. Es ist das erste Mal, dass ich wieder atmen kann. Und ich beschließe, Smilla zu besuchen. Der Rest zieht sich zurück und geht gemeinsam Abendessen, aber ich habe plötzlich das dringende Bedürfnis, Noahs Mutter zu besuchen. Sie soll an dem Abend vor der Beerdigung nicht alleine sein.

Aus diesem Grund rufe ich sie an. Es dauert keine Sekunde und sie nimmt den Anruf entgegen.

"Lia?" Ihre Stimme klingt müde.

"Smilla, wir sind jetzt angekommen. Bist du zu Hause? Ich würde dich gerne besuchen", plappere ich, um die Angst zu übertönen, sie könnte mich abwimmeln.

"Ich bin zu Hause. Komm gerne vorbei, Lia, ich würde mich freuen." Es tut weh, ihre sonst so fröhliche Stimme so müde und farblos zu hören.


Ich brauche 15 Minuten von der Pension zu ihr. Die Zwerge vor dem Haus beobachten mich argwöhnisch. Automatisch suche ich nach dem Zwerg mit der gelben Mütze, unter der der Ersatzschlüssel versteckt ist. Als ich ihn gefunden habe, schließe ich die Augen und ärgere mich über meine besondere Art der Selbstgeißelung. Die Erinnerung an Noah überflutet mich. Er ist hier überall. Seufzend drücke ich die Klingel und gehe einen Schritt von der Tür weg. Drinnen sind Schritte zu hören. Plötzlich bin ich nervös. Schlechtes Gewissen macht sich in mir breit, weil ich mich so sehr zurückgezogen habe und kein einziges Mal mit Smilla gesprochen habe.

Ein Lächeln liegt auf ihren Lippen. "Lia, wie schön dich zu sehen. Komm doch herein."

Nachdem ich die Schuhe ausgezogen habe, drückt sie mich an sich. Ein Stückchen zu fest, aber ich erwidere ihre Umarmung.

"Es tut mir so leid." Meine Stimme zittert und beinahe kann ich dabei zusehen, wie sie bricht.

"Was? Was meinst du?" Sie nimmt meine Hand und zieht mich ins Wohnzimmer, wo wir uns auf die Couch setzen.

"Ich war nicht für dich da. Ich bin einfach in meinem eigenen Schmerz ertrunken und stecke fest. Ich bin so egoistisch. Und außerdem bin ich schuld, dass er ... dass er ..." Ich schluchze und fahre verloren mit den Händen durch die Luft.

"Lia." Smilla sieht mich mahend an. "Es ist nicht deine Aufgabe für mich da zu sein. Der Gedanke ehrt dich. Aber es ehrt dich. Du warst dabei, als es passiert ist. Ich hätte für dich da sein müssen. Ich denke, wir sind beide im Schmerz ertrunken. Aber Noah hätte nicht gewollt, dass du dir Vorwürfe machst. Du bist nicht schuld."

Blinzelnd, um die Tränen aus meinen Augen zu bekommen, sehe ich sie an. "Doch. Ich wollte unbedingt auf diesen beschissenen Weihnachtsmarkt", schluchze ich.

"Liebes, das mag sein. Aber du hast dir nicht ausgesucht, dass dieser Mann in den LKW steigt und sich dazu entschließt, Menschen zu überfahren. Das ist nicht deine Schuld. Es ist nicht deine Schuld. Hörst du?" Sie schließt mich in die Arme.

Ihre Worte heilen den Teil meines Herzens, den ich bis jetzt noch niemandem gezeigt habe. Den noch niemand gesehen hat. Ich fühle mich verantworlich für Noahs Tod. Die Worte aus Smillas Mund zu hören, setzt ein kleines Stückchen meines Herzens wieder zusammen.

"Warte einen Moment", sagt sie leise und verlässt das Wohnzimmer.

Wenige Minuten später kommt sie mit einer Flasche Wein, Taschentüchern und zwei Weißweingläsern zurück.

"Komm, wir gehen auf die Terrasse."

Ich gehe voraus und öffne die Tür. Draußen steht ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen. Von hier aus kann man das Meer im Dunkeln glitzern sehen. Es ist nicht weit weg, ich könnte einfach die Treppen hinablaufen und meine Füße in das Wasser stecken.

Smilla gießt uns Wein ein und hält mir eine Schachtel Zigaretten entgegen.

Verdutzt sehe ich sie an. "Ich wusste gar nicht, dass du rauchst."

Sie zuckt mit den Schultern. "Ab und zu."

Eine Weile sitzen wir schweigen da, trinken Wein, rauchen und lauschen dem Meer. Die Luft füllt meine Lungen, ich kann endlich wieder ein bisschen atmen.


"Weißt du, was er mir erzählt hat, als wir uns damals das erste Mal seit langem wieder gesehen haben, seitdem das mit seinem Vater passiert ist?" Smilla füllt mein Weinglas auf und drückt es mir in die Hand.

Es tut gut, mit ihr alleine zu sein und diesen Abend vor der Beerdigung zu verbringen.

"Nein", erwidere ich und schüttle den Kopf.

"Er sagte - und ich hoffe, ich kann es genauso wiedergeben, wie er es gesagt hat: 'Sie bricht mich nicht, wie andere Frauen es getan haben - oder das Leben es getan hat. Genau das macht mir so verdammte Angst. Deswegen habe ich so große Angst vor ihr. Sie könnte mich glücklich machen. Sie könnte mir zeigen, wie gut es das Leben mit mir meint. Und glücklich zu sein macht mir am meisten Angst. Weil, wenn man es einmal ist, dann kann es einem jederzeit wieder genommen werden. Und alles was man hat ist verloren. Aber sie macht mich verrückt, Mama. Sie sieht mich. Nicht den Rüpel den ich vorgebe zu sein. Sie sieht hinter meine Mauer. Das alles macht mir Angst. Und doch kann ich an nichts anderes mehr denken, als an sie.' - Er hat dich geliebt, Lia. Mehr als dir vielleicht bewusst ist. Ich dachte, das solltest du wissen."

"Danke, dass du es mir gesagt hast", wispere ich und ziehe seinen Pulli am Kragen so hoch, dass ich mich darin verstecken kann. Mein Schluchzen klingt gedämpft und ich verfluche mich dafür, dass man es immer noch hören kann.

"Oh, Lia." Smilla kommt um den Tisch herum und nimmt mich in den Arm. Sie hält mich fest, als könnte sie so jeden Splitter meines Herzens wieder aufsammeln und zusammenkleben.


Ich rufe mir ein Taxi, das mich zur Pension fährt. Der Abend mit Smilla war gut für mein Herz - und für ihres hoffentlich auch. Leonie, Oma und der Rest sitzen noch in der Bar. Ich schließe mich ihnen an und trinke noch ein letztes Glas Wein für den Abend, der Rest bestellt sich eine neue Runde.

Als all unsere Getränke auf dem Tisch stehen, hebt Aaron das Glas.

"Auf Noah. Einen der besten Menschen, den wir kannten." Er räuspert sich.

Wir prosten einander zu. Mein Weinglas ist schneller leer, als es sollte, aber ich kann mich nicht davon abhalten, es schnell zu trinken.

Die Nacht ist kurz, ich schlafe kaum. Ständig schrecke ich aus dem Schlaf, weil ich von Noah träume. Von seinen sturmblauen Augen. Von dem Moment, als sein Körper schwächer wurde. Ich versuche, so leise wie möglich zu sein, um Oma nicht zu wecken, die neben mir schläft.


Es ist so verdammt unfair, dass er tot ist, während ich lebendig bin, atmen kann, leben darf. Leben muss. Wie soll ich ohne dich leben, Noah? Er fehlt mir. So sehr. Es wird mir fehlen, neben ihm einzuschlafen. Es wird mir fehlen, neben ihm aufzuwachen. Alles in Bezug auf Noah wird mir fehlen. Ich wünschte, er würde mein gebrochenes Herz wieder zusammenkleben. Mit kunterbuntem Washitape, weil Noah auch so kunterbunt war. Mein Herz schlägt, während seines nicht mehr schlägt. Nie wieder. Ich muss mich beruhigen, denn ich stehe kurz vor einem Panikanfall. Atme, Lia.



Ich schlüpfe in mein schwarzes Kleid und die schwarzen Boots. Es ist zu kalt und zu nass für Ballerinas. Mein Mantel liegt mir schwer auf den Schultern, wie das Gewicht der Schuld, die auf mir lastet. Auch wenn dieses Gewicht nach dem Gespräch mit Smilla ein wenig geringer geworden ist.

Die Fahrt zum Friedhof verläuft schweigend. Niemand spricht. Jeder hängt seinen Gedanken nach. Ich erinnere mich an den Moment, als Noah und ich uns das erste Mal gesehen haben. An die Art und Weise, wie sehr er mich von sich gestoßen hat. Wie sehr er mich verletzen und von sich stoßen wollte. Und wie er nach und nach seine Mauern fallen ließ. Und an unseren ersten Kuss, als wir mit Betty und Kai im Dunkeln Verstecken spielten. Ein Lächeln zupft an meinen Mundwinkeln. Er hatte sich schon so lange in mein Herz geschlichen. Ich lehne meinen Kopf an die kalte Scheibe des Autos und schließe die Augen. Der Friedhof ist direkt am Meer. So hat Noah immer die Meeresluft um sich. Als Nico einparkt, steigen alle aus. Außer ich. Leonie bemerkt das und bleibt bei mir.

"Ich brauche noch einen Moment", murmle ich und zupfe an den Ärmeln meines Mantels.

"Möchtest du Gesellschaft?" Ihre leise Stimme durchbricht die laute, schreienede Stille im Fahrzeug.

Ich nicke. Es haben sich bereits einige Trauergäste versammelt. Für mich fühlt es sich immer noch surreal an. Dass heute Noahs Beerdigung ist. Dass er heute beerdigt wird und für immer unter der Erde verschwindet. Dass ich ihn nie wieder sehen werde. Nie wieder hören. Nie wieder riechen und schmecken und fühlen.

Tief Luft holend öffne ich die Tür des Autos und fasse allen Mut zusammen. Auszusteigen kostet mich unglaublich viel Kraft. Aaron ist mir sofort zur Seite, dankbar lehne ich mich an ihn.



Noahs Sarg steht bereits neben dem ausgehobenen Loch im Boden. Erdbraune Krümel verteilen sich auf dem grünen Rasen. Ich schlucke. Heftige Sehnsucht durchfährt meinen Körper. Ihm so nah zu sein, ein letztes Mal und nicht bei ihm zu sein, bricht mein Herz. Ein älterer Mann geht herum und verteilt die Trauerkarten. Ich stopfe sie in meine Manteltasche, nur um sie kurze Zeit später wieder hervorzuholen und den Spruch zu lesen. Auf der Trauerkarte steht "Je schöner und voller die Erinnerung, desto schwerer ist die Trennung. Aber die Dankbarkeit verwandelt die Erinnerung in eine stille Freude. Man trägt das vergangene Schöne nicht wie einen Stachel, sondern wie ein kostbares Geschenk in sich." Das Zitat ist von Dietrich Bonhoeffer und es gefällt mir sehr, sehr gut.

Als ich die Karte aufschlage, ist da Noahs Bild. Es ist eins der Fotos, die ich von ihm gemacht habe. Er strahlt. Seine Grübchen sind zu sehen. Seine sturmblauen Augen funkeln und er zieht die Nase kraus. Er sieht nicht direkt in die Kamera, sondern er sieht zu mir. Sein Blick ist warm, voller Liebe.

Der Schmerz, der sich in meinem Körper breit macht, ist nicht in Worte zu fassen. Er haut mich von den Füßen, macht meine Knie weich. Wäre Aaron nicht an meiner Seite, würde ich zusammenkippen und auf den Boden fallen.


Jemand hält eine Rede. Ich höre kaum zu, bin erstarrt. Gleich ist es soweit. Ein Lied wird gesungen. Ich weiß nicht, welches. Ich lasse die ganze Zeit Noahs Sarg nicht aus den Augen. Aaron und Lia stehen bei mir, meine Oma hält meine Hand. Ich bin umgeben von Menschen, die mich auffangen und doch könnte ich mich in diesem Moment nicht einsamer fühlen. Tränen verschleiern meinen Blick. Ich suche Smilla und finde sie. Sie steht an einen Mann gelehnt. Ihre Schultern beben unter dem Schmerz, das eigene Kind zu Grabe zu tragen.

Ich werfe meinen Liebsten um mich herum einen kurzen Blick zu und löse mich von ihnen. In wenigen Minuten wird Noahs Sarg in die Erde gelassen.

Als ich bei Smilla ankomme, nehme ich ihre Hand.


Wir stehen zu zweit vorne, direkt neben Noah, der den ewigen Schlaf angetreten hat. Unsere beider Herzen brechen im Einklang, als sein Sarg in die Erde gelassen wird. Langsam. Ich bekomme keine Luft, Sterne tanzen vor meinen Augen und ich möchte mich am liebsten auf den Boden fallen lassen. Doch ich bleibe stehen. Für Noah.


"Ich liebe dich. Für immer", flüstere ich und werfe eine Rose in das Grab. Sie landet auf dem Holz des Sarges und hinterlässt ein dumpfes Klingeln in meinen Ohren.


Ich wünschte, ich könnte mich neben ihn in diesen Sarg legen. Ich wünschte, ich könnte es. Es ist für mich unvorstellbar, dass er in diesem Sarg liegt. Dass er dort drin liegt und für immer der Erde überlassen wird; wo er langsam, aber stetig verschwindet. Für immer. Die Mikroorganismen im Boden helfen ihm, langsam aber stetig zu zerfallen. Zu verschwinden. Und irgendwann wird niemand mehr wissen, dass Noah hier liegt. Niemand wird sich an Noah erinnern. Oder an seine Geschichte. Was für ein Mensch er war. Welche Pizza er besonders mochte. Welche Schokolade ihn schwach werden ließ. Niemand wird sich daran erinnern, dass ihn ein Kuss auf das kleine Muttermal am Hals verrückt machte. Wie weich seine Lippen waren. Wie rau und gleichzeitig unheimlich sanft seine Hände. Niemand wird sich daran erinnern, dass er Flachwitze geliebt hat und sich nie davor gescheut hat, einen zu erzählen; wie lieb er zu meiner Oma war. Wie wichtig ihm seine Tattoos waren - wie stolz er auf das Dalí-Tattoo war, das ich mit Küssen überdeckte. Niemand wird sich daran erinnern, dass er stets darauf geachtet hat, dass seine Hände eingecremt sind - und dennoch waren sie immer rau. Niemand wird sich daran erinnern, dass er Kitschmusik gehasst hat, aber jedes einzelne Wort von Katy Perrys 'Roar' auswendig kannte, um es mit mir zu singen. All dieses Wissen wird irgendwann verloren. Niemand wird sich an Noah Eisold erinnern. An den wunderbaren Menschen der er war. An die Liebe die er zu geben hatte. Niemand wird sich daran erinnern.

Aber ich tue es. Für jetzt. Für immer. So lange ich lebe.

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