24 - Safrangelb
▷Jack Savoretti - Written In Scars ◁
Nach der Blitzrunde gehe ich zum Pavillon und rauche eine Zigarette. Ich bin zwiegespalten, denn einerseits gibt es keine Therapie, die ich lieber mag als die Maltherapie - aber gerade dazu fühle ich mich heute nicht so wirklich in der Lage. Doch ich habe gelernt, dass es gerade dann hilft, wenn man etwas malt oder zeichnet; dass einem genau das dann helfen kann, dass man wieder von der Dunkelheit wegkommt, die einen in dem Moment so sehr anzieht. So sehr ich daran gewöhnt bin, in der kalten Dunkelheit zu ertrinken - so sehr liebe ich auch all die Farben, die es außerhalb dieser Dunkelheit gibt. Nur sehe ich sie leider viel zu selten. Manchmal fühlt es sich an, als hätte ich eine schwarze Sonnenbrille an, die die Farben so sehr täuscht und verdunkelt, dass alles nur noch schwarz aussieht. Und je länger man in der Dunkelheit schwimmt, desto blinder wird man für die Farben außerhalb des schwarzen Teiches, in dem man ertrinkt.
Ich muss zur Maltherapie. Wenn ich mich jetzt in meinem Zimmer verkrieche, kann ich für nichts garantieren. Und ich weiß nicht mal, warum es mir gerade nicht gut geht. Ich kann es nicht einmal wirklich benennen. Es ist einfach ein Gefühl. Ein Gefühl, das sich in mir breit macht und meinen Körper von innen heraus mit Schwärze füllt. Wie ein dunkler Nebel.
Mein Handy vibriert und ich hebe ab, ohne großartig auf das Display zu sehen - was ein Fehler ist, wie ich feststelle, als ich die Stimme meiner Mutter höre.
"Thalia? Endlich hebst du mal ab, ich versuche schon den ganzen Tag dich zu erreichen und habe dich zehnmal angerufen." Ihre Stimme klingt panisch.
Ich werfe einen Blick auf das Display und sehe zwei Anrufe in Abwesenheit. So viel also dazu, dass sie mich zehnmal anrufen musste, bis ich endlich mal abhebe. Aber ihre panische Stimme macht mir Sorgen.
"Hallo Mutter, ist etwas passiert? Du klingst so?" Ich drücke die Zigarette im Aschenbecher aus und verlasse den Pavillon um die anderen nicht zu stören - und mir nicht vor ihnen die Blöße geben zu müssen, falls Mama ausfallend werden sollte.
"Was? Nein, es ist alles gut. Ich bin nur gerade erst nach Hause gekommen. Dein Vater hat in der Klinik angerufen, aber diese inkompetenten Ärzte dort wollten ihm keine Auskunft über deinen Zustand und die besprochenen Themen geben. Lächerlich, oder? Du bist unsere Tochter! Wir haben ein Recht darauf, zu erfahren, worüber du in den Therapien sprichst."
Im Hintergrund klappert es, es klingt nach Töpfen und Pfannen und die Vorstellung meiner Mutter in der Küche lässt ein Lächeln in meinem Gesicht erscheinen. Es ist eher immer Papa der kocht. Mutter würde sich ihre Fingernägel niemals schmutzig machen. Ich höre ein leises Murmeln und weiß sofort, dass sie mit Papa spricht. Kurz darauf höre ich etwas in der Pfanne zischen.
Meine Mutter schweigt, während sie in irgendeiner Plastiktüte herumkramt und erschrickt mich, als sie plötzlich wieder mit mir spricht. Dass wir uns anschweigen während wir telefonieren ist nichts Neues. Vor allem da ich sowieso jemand bin, der nicht viel redet und nichts zu erzählen hat - mal davon abgesehen, dass sie mir auch nie Fragen stellt. Und manchmal schweigen wir dann. Naja, gut. Eigentlich schweigen wir immer. Und in dem Schweigen ist all der Unmut den sie mir gegenüber hat zu spüren. Fast greifbar. Ich könnte ihn durch den Hörer ziehen, wie Kaugummi. Das Schweigen mit ihr war noch nie besonders angenehm.
"Wir werden dich abholen." Ihre Stimme klingt fest, sachlich. Als wäre ich irgendeine Ware aus dem Supermarkt.
Mein Blick fällt auf Noah, der jetzt mit den anderen im Pavillon steht und raucht. Er bemerkt mich nicht - was gut ist, sonst würde er mich wieder beim Starren erwischen und das wäre sehr peinlich.
"Nein", entgegne ich.
"Wie bitte?"
"Ich bin alt genug, Mutter. Und ich möchte hier bleiben."
"Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein, Thalia! Du bist doch nicht zurechnungsfähig und kannst gar nicht für dich selbst entscheiden."
Wut kocht in mir hoch. Wie kann sie es wagen, mich als nicht zurechnungsfähig zu bezeichnen!
"Ich bin sehr wohl zurechnungsfähig, Mutter!", fahre ich sie an.
Sie lacht hystersisch. "Natürlich. Deine Entscheidungen sind so super und erwachsen, Thalia. Sieht man ja an deiner Selbstmord-Aufmerksamkeits-Aktion. Wie stehen wir denn jetzt da vor allen? Vor allem vor den Nachbarn? Es ist eh schon eine Bürde, dass du so viel wiegst - und dann steht auch noch der Krankenwagen vor der Tür. Weißt du, wie schwierig das für uns war? All diese Blicke und Kommentare! Du bist ein solch ein undankbares Stück! Anstatt dass du uns dafür dankst, was wir alles für dich tun, machst du uns Vorwürfe und uns wahrscheinlich auch noch total schlecht in der Klinik. Aber wir haben nichts falsch gemacht. Wir nicht!" Sie schreit mich an. Ihre Stimme ist schrill.
Ihre Worte treffen mich hart. Wie Pfeile. Aber das konnte sie schon immer gut. Mich treffen. Genau da, wo es wehtut. Ich höre, wie Papa sich einmischt, aber ich zittere vor Wut und lege einfach auf. Mit zitternden Händen stopfe ich das Handy in meine Hosentasche und zünde mir eine Zigarette an. Mein Kopf ist leer, ich habe alle Gedanken ausgesperrt, denn ich möchte verhindern, dass sie mich mitreißen. Alles was ich spüre ist Wut. Über die Worte meiner Mutter. Weil es nicht wahr ist - und weil es mich ankotzt, dass sie es immer wieder schafft, dass ich mich so fühle, als wäre ich nicht gut genug. Wer weiß, vielleicht bin ich das auch nicht, für sie. Aber für andere könnte ich durchaus genug sein. Und für mich. Ich möchte mir genügen. Ich bin nicht hier, um meiner Mutter zu gefallen. Der Zug ist sowieso schon längst abgefahren. Mit wackeligen Knien mache ich mich auf den Weg zum Bunker in dem die Maltherapie stattfindet. Kurz bevor ich die Tür öffne, stocke ich. Die Vorstellung, jetzt dort unten zu sitzen und zu malen, macht mir Angst. Aber vielleicht ist das jetzt genau die Kreativquelle die ich brauche. Ich drücke die Zigarette im Aschenbecher aus. Langsam laufe ich die Treppen hinunter, leises Stimmengewirr ist zu hören. Ich gehe gleich nach rechts zum Schrank mit den Malutensilien. Es wurde neue Acrylfarbe gekauft, wie ich sehe. Neue Farben stehen im Schrank. Aber Acryl spricht mich heute nicht an. Ich entscheide mich für einen Kohlestift und für ein DIN-A4-Zeichenpapier. Ich setze mich an das Ende der langen Bank und lege sofort los. Was ich malen will, das weiß ich nicht. Aber meine Hände brauchen Beschäftigung. Und ehe ich mich versehen kann, habe ich eine Schere gemalt. Eine Schere, die ein Seil durchschneidet. Wie von selbst male ich eine Marionette auf das Blatt Papier. Es ist eher eine grobe Skizze als ein perfektes Bild, aber es reicht mir. Es zeigt das, was mir im Herzen herumwirbelt. Ich bin fertig und ich suche Herrn Litzke, den Maltherapeuten. Er steht am Materialschrank, an seinem Tisch und kritzelt etwas in sein Heft.
"Herr Litzke?" Meine Stimme klingt kratzig und ich muss mich räuspern.
Er sieht auf und lächelt, als er mich sieht. "Frau Großmann. Fertig für heute?"
Ich nicke und lege ihm das Blatt auf den Tisch. Er betrachtet es eingehend und runzelt die Stirn.
"Bei Ihnen tut sich gerade so einiges, kann das sein?" Wieder sieht er mich aus seinen wachen Augen auf.
Schulterzuckend trete ich näher an den Tisch.
"Sie scheinen sich von etwas loszuschneiden. Das Bild wirkt wie eine Veränderung. Ob sie jetzt äußerlich stattfindet oder im Inneren, das vermag ich nicht zu sagen. Aber es tut sich was. Und es wirkt so, als hätten Sie eine Schere gefunden, die Ihnen dabei hilft, sich zu lösen."
Er reicht mir mein Gemälde und sieht mich abwartend an. Aber ich bin nicht in der Stimmung um großartig viel dazu zu sagen.
"Ja, das könnte man so sagen. Danke, Herr Litzke. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend."
Der Maltherapeut lächelt. "Das wünsche ich Ihnen auch."
Die Luft draußen ist herrlich und tut nach der farbgetränkten Luft im Bunker gut. Ich möchte noch nicht in mein Zimmer gehen, vor allem, da ich nicht weiß, wo Leonie ist. Aber ich möchte auch nicht in den Speisesaal. Deswegen gehe ich zu einer kleinen versteckten Bank hinter den Bäumen und lege das Blatt neben mich. Mein Handy vibriert erneut, aber ich ignoriere es. Ich ertrage heute keinen weiteren Kontakt zu meinen Eltern. Es ist etwas windig und die Blätter der Bäume tanzen im Wind. Ich liebe dieses Geräusch des Windes in den Bäumen. Und ich liebe das Gefühl, wenn der Wind mit meinen Haaren tanzt. Mein Feuerzeug klickt, als ich mir eine Zigarette anzünde. Die Vögel zwitschern aufgeregt im Wald und ich schließe kurz die Augen und genieße die Idylle. Ich gönne sie mir, da sie schon sehr, sehr bald wieder vorbei sein kann. Meine Gedanken huschen zu meiner Mutter und ich versuche sie mit aller Gewalt wieder wegzuschieben.
"Hier bist du."
Ich hätte diese Stimme unter tausenden erkannt. Aber ich verstehe nicht, was sie hier macht; was der Besitzer der Stimme hier macht. Warum er hier ist.
"Was willst du, Noah?" Ich kann nicht verhindern, dass ich genervt klinge.
"Wow, da freut sich aber jemand mich zu sehen." Ich kann es direkt hören, wie er grinst.
"Ja, vor allem, weil ich dich ja auch sehen kann, wenn ich meine Augen geschlossen habe." Ich schnaube und sehe ihn schließlich an.
Sein Blick ist herausfordernd und ich gebe schließlich nach. Schnell schnappe ich mir mein Bild und lege es auf meinen Schoß, damit er es nicht sehen kann.
Auch er zündet sich eine Zigarette an. Seine Hände sind in safrangelbe Farbe getaucht. Eine der neuen Farben, die Herr Litzke bestellt hat. Wir schweigen und starren gemeinsam in den Wald. Irgendwann räuspert er sich.
"Dalí?"
"Hm?"
"Ich hätte das heute nicht tun sollen, es tut mir leid."
"Das hatten wir doch schon. Es ist okay. Mach dir keinen Kopf."
Noah brummt. "Du musst lernen, deine Grenzen aufzuziehen."
"Ich weiß."
"Ich helfe dir gerne dabei."
Erstaunt sehe ich ihn an. Ein Lächeln umspielt seine Lippen, seine Grübchen sind wieder da - und ich kann nicht anders, als ihn auch anzulächeln.
Vielleicht ist es ja Noah. Vielleicht ist Noah meine Schere.
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