9. Kapitel
"Geben sie mir die Tulpen, Butterblumen und bitte diese Gänseblümchen." ,bitte ich die Blumenverkäuferin.
Es war fast mittag, als ich in die U-Bahn eingestiegen bin. Ich wollte mich wie immer für die Arbeit fertig machen, als mir wieder bewusst wurde, welcher Tag heute ist.
9. Juni 2016, der Tag, den ich am liebsten nie wieder erleben will. An Geburtstag feiern ist gar nicht zu denken. 19 Jahre bin ich nun alt, 19 Jahre habe ich jetzt auf dem Buckel.
"Hier, Liebes", sagt die grauhaarige Frau und reicht mir die gewünschten Blumen.
Ich will ihr die Pfund geben, die ich ihr Schulde, aber sie schüttelt nur den Kopf.
"Schon gut. Lass stecken. Pass auf dich auf und mache keinen Unsinn."
Verwirrt gehe ich ohne etwas zu sagen. Ich merke nicht mehr, wie sie verträumt nach vorne starrt, wo ich eben noch stand. Da, wo man mein Tattoo sehen konnte...
Schlurfend, aber trotzdem zielstrebig, gehe ich den Weg, den ich vor fast genau einem Jahr gegangen bin. Da hatte ich meine Tante im Arm, die ich dann zum letzten Mal gesehen habe. Die Schwester meines Vaters gibt mir die Schuld, dass sie nicht mehr da sind, womit sie ja auch Recht hat. Meine ganze Familie hat sich von mir abgewandt, sodass ich mir relativ sicher bin, dass ich heute nicht auf sie treffen werde, hoffentlich!
Dass die Eltern von David kommen ist am unwahrscheinlichsten. Er ist in einem Waisenhaus aufgewachsen. Davids Eltern haben ihn dort hineingesteckt, als er noch ein Baby war. Wo sie jetzt sind, weiß ich nicht, aber hoffentlich ganz weit weg.
Meine Beine knicken vor dem Grab meiner Eltern ein.
William Prince 11.08.1964 - 9.6.2015
Anna Prince 29.3.1964 - 9.6.2015
Der letzte Feind, der besiegt werden muss, ist der Tod.
"Hey Mum, Dad. Lange nicht mehr gesehen. Tut mir leid, dass ich euch nicht besucht habe. Mum, ich habe dir deine Lieblingsblumen mitgebracht. Die Gänseblümchen, die du immer so schön fandest, die du im Garten gehütet hast. Ich weiß noch, wie sauer du warst, als ich in die Blumen gefallen bin. Doch war dein Zorn schneller weggeblassen, als er gekommen war. Ich war noch jung, nicht wissend was auf der Welt passiert. Ich wünschte, du könntest mich sehen, wie ich dein Kleid mit Stolz trage."
Ich habe das Kleid meiner Mutter angezogen. Das grüne Kleid, das ich anhatte, als ich mit David ausgegangen bin. Es ist das Kleid meiner Mutter, das sie an hatte, als sie meinen Dad kennen gelernt hat.
"Ich wünschte, ihr könntet mir in der schweren Zeit helfen. Es ist ein großes Loch in meinen Herzen, was wünscht geschlossen zu werden. Wäre ich doch nur alleine zum Flughafen gegangen und hätte ihn alleine betreten. Es tut mir leid, Mummy, Daddy.
Ich gehe weiter zu David, er wartet bestimmt schon sehnsüchtig auf mich. Wir reden später nochmal.
Der letzte Feind, der besiegt werden muss, ist der Tod"
Die Gänseblümchen lege ich vorsichtig auf die Erde, wo meine Eltern vergraben sind. Diese Nähe und die mit eingehende Entfernung schmerzt mir sehr. Mein ganzer Körper, jede Faser, jede Zelle schmerzt. Vorallem mein Herz, was sich anfühlt, als ob es brennen würde.
Ich gehe ein Grab weitern, zu David.
David Krater
1.4.1997 - 9.6.2015
Vincit Omnia Amor
"Hey Schatz. Ich weiß, du hasst es, aber trotzdem nenne ich dich immer so. Es ist so komisch ohne dich. Jeden Moment, wo du mir fehlst, wo du mir sehr, sehr dolle fehlst, will ich am liebsten sterben. Doch ich habe dir ein Versprechen gegeben. Ich versuche es so gut es geht, doch ich merke, wie jede Sekunde meines Lebens mich anstrengt. Diese Belastung halte ich nicht mehr lange aus. Ich will zu dir, ich will zu Steve, ich will zu meinen Eltern. Ich will das Mädchen vor mehr als einem Jahr sein. Das Mädchen, was glücklich war. Das Mädchen, das keine anderen Sorgen hatte, außer ob sie lieber mit ihren Freund Harry Potter gucken oder Klavier spielen soll.
Ich bin gestern Jessica über den Weg gelaufen. Jedenfalls kann man es so sagen. Mit einem Kerl habe ich etwas gegessen und dann kam sie herein. Sie ist noch immer so wie früher. Sie hat mir die Wahrheit gesagt, die, die mir so sehr weh tut. Ich bin eine wandelnde Zeitbombe, die jeden mit in den Tod reißt, wenn er mir zu nahe tritt. Wären wir nie zusammen gekommen, dann wärst du am leben. Es wäre jeder noch am Leben. Hätte ich nicht nach Paris gewollt und du mich nicht eingeladen und hätte ich die Einladung nicht angenommen, dann würdest noch leben. Ich liebe dich, so sehr, dass es mir weh tut. Keinen Mann werde ich mehr so angegucken wie dich. Vincit Omnia Amor, Liebe besiegt alles"
Diesmal lege ich die Butterblumen hin. Es waren die ersten Blumen, die er mir geschenkt hat. Die Ersten und die Letzten. Zum ersten Date, zu meinen Geburtstag.
Ich schniefe einmal kurz. In meinen Augen sammeln sich die Tränen. Ich habe es geschafft ein Jahr nicht zu weinen. Gefühlskalt würden andere sagen, ich sage, ich verarbeite anders. Auch wenn es kein Verarbeiten ist.
Eine Träne läuft mir durchs Gesicht.
Ich wische sie nicht weg. Sammel mich einen Moment. Atme tief ein und aus. Die andern Tränen, die auch die Freiheit wollen, bleiben erstmal zurück.
Noch einmal gehe ich ein Grab weiter. Wieder knie ich mich hin.
Steven Prince
9.6.1997 - 10.6.2015
Liebe ist ein starkes Bündnis. Blut ist ein stärkeres Bündnis. Liebe und Blut zusammen ist das stärkste Bündnis der Welt
"Hallo Brüderchen. Erstmal Happy Birthday. Wir sind jetzt 19 Jahre alt. Ich hoffe, du machst da oben schön Party. Trinke für mich einen Sekt mit. Ich bin nicht wirklich in Feierlaune. Kein Wunder, oder? Es tut mir so unendlich leid."
Tränen laufen mir jetzt strömend die Wangen runter. Ich kann sie nicht mehr aufhalten und will es auch nicht. Mir ist egal, das Leute an mir vorbei gehen. Ein Friedhof ist zum Trauern da, doch würde ich am liebsten mit meiner Familie alleine sein. Die nächsten Worte kommen nun schon flüsternd über meine Lippen.
"Ich hätte deine Maschinen nicht abschalten dürfen. Was wäre, wenn du aufgewacht wärst? Ich bin deine Mörderin, ich bin die Mörderin von unseren Eltern und meines Freundes."
Vom Knien setze ich mich in den Schneidersitz. Rutsche aber noch etwas weiter nach vorne. Wenn ich mich richtig erinnere, müsste ich jetzt auf seine Füße sitzen, doch habe ich ganz andere Probleme. Ich drohe an den Tränen zu ersticken. Trotzdem rede ich weiter. Ich rede so viel, wie ich ein ganzes Jahr nicht mehr geredet habe:
"Steve, ich bin nichts ohne euch. Weist du noch, als wir uns so heftig gestritten haben? Ich habe gesagt, dass ich dich hasse und am liebsten Einzelkind wäre. Das war gerade erst einen Monat bevor du-weißt-schon-was passiert ist. Mir ist eingefallen, dass ich nie gesagt habe, dass es nicht stimmt. Ich habe nie gesagt, dass ich ohne dich, ohne einen Bruder verloren wäre. Genau in den Moment, als wir im Flughafen waren und es passierte, wollte ich es dir sagen. Bestimmte Worte habe ich mir ausgedacht. Ich habe wirklich überlegt was ich dir sagen könnte"
Regen prasselt auf mich. Meine Kleidung wird schlagartig tropfend nass. Die Tränen, die immer weiter fließen kann man nicht mehr erkennen. Leute, die Gräber besuchen wollten, laufen schnell weg. Die Gefahr ist zu groß von einem Blitz getroffen zu werden. Doch bleibe ich in der gleichen Position sitzen. Keinen Millimeter bewege ich mich von der Stelle.
"Ich hätte dir sagen wollen, wie doll ich dich liebe, wie froh ich bin, dass du mein Bruder bist und kein anderer. Doch war es zu spät. Dann kommt es noch, dass du eigentlich gar nicht da sein solltest. Du wolltest mich überraschen, was du auch gemacht hast. Du hättest Zuhause bei deinen Kumpels bleiben sollen, dein Geschenk von mir auspacken sollen. ICH HASSE MICH, STEVEN."
Die letzten Worte schreie ich nur noch so raus. Danach bekomme ich keine Luft mehr. Meine Lunge will keinen Sauerstoff einatmen. Ich bekomme eine Panikattacke. Meine Hände zittern. Mir ist schlecht. Ich kralle mich in den Boden, der mehr als aufgeweicht ist. Schwarze Punkt tanzen schon vor meinen Augen. Ich ersticke.
Ich lege mich auf den Rücken, sodass der schöne Regen auf mein Gesicht fällt. Meine letzten Minuten auf Erden. Gleich werde ich bei euch sein. Meine Lunge schmerzt, aber der Schmerz ist auszuhalten. Man merkt es kaum. Ein echtes Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht. Mein Blickfeld wird immer dunkler und dunkler, dennoch bin ich glücklich. Ich liege weich und bequem. Später werde ich neben Steve liegen. Ich versuche noch etwas zu sagen, aber es kommt nichts. Meine Lungen sind ganz leer.
Ich bin leer und gleichzeitig voll.
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