34. Kapitel
Nachdem wir aufgegessen haben, Michael hat bei mir etwas nachgeholfen, in dem er meinen Rest gegessen hat, spazieren wir die Straße entlang.
Was meine Stimmung ein wenig getrübt hat, war, dass diese doofe Kellnerin Michael die Handynummer gegeben hat und ihm danach noch einen fetten Kuss auf die Wange gedrückt hat. Michael hat darauf nicht reagiert und den Zettel zerknüllt und weg geschmissen. Dennoch fand ich es unverschämt von ihr.
Unser Ziel ist die Shoppingstraße. Ich habe Lust etwas zu kaufen. Das hatte ich schon lange nicht mehr.
Etwas neues besitzen zu wollen, kam mir die letzten Monate gar nicht erst in den Sinn. Der Gedanke, nun was zu kaufen, ist gewöhnungsbedürftig, aber nicht schlecht. Es ist einfach nur neu.
Das erste Geschäft, was wir passieren, das betreten wir auch. Weiß der Geier, was es für ein Kleidungsgeschäft ist, aber die Klamotten sind toll. Bunt, aber nicht zu bunt. Auffällige Eleganz. Ein wenig Mädchenlike und dennoch nicht zu sehr verspielt. Ein Kleid fällt mir besonders ins Auge.
Auf direktem Weg gehe ich zu einem weißen Kleid, welches ein wenig durchsichtig ist. Auf dem Stoff sind Muster drauf gestrickt. Blumen, Vögel und andere undefinierbare Muster. Es ist wunderschön und ich möchte es anprobieren.
Zum Glück ist das knielange Kleid noch in der Größe S vorhanden. Eigentlich hätte ich noch eine Größe weniger gebraucht, aber wenn es enganliegend ist, fühle ich mich nicht wohl.
Ich flitze in die Umkleidekabine und entkleide mich. Bis ich das Kleid anhabe, schaue ich überall hin, außer in den Spiegel. Es würde meine recht gute Laune zerstören und das möchte ich definitiv nicht.
"Claire, wo bist du?", ruft Michael durch den ganzen Laden.
"Umkleidekabine", antworte ich nicht leiser zurück.
Bevor ich nach draußen trete, betrachte ich mich im Spiegel.
Mir steht das Kleid. Es ist das erste, hellfarbige Kleidungsstück, was ich seit Monaten an habe. Es sieht gut aus.
Es schmeichelt an meinen zu kleinen Rundungen. Es trägt auf, dort wo es für mich sinnvoll ist. Auch wenn es ein wenig durchsichtig an manchen Stellen ist, wie am Bauch und Rücken fühle ich mich wohl.
Schwungvoll ziehe ich den Vorhang zur Seite. Gegenüber steht Michael, der ein wenig desinteressiert durch die Gegend schaut. Dies ändert sich, als er bemerkt, dass ich fertig mit umziehen bin.
"Das sieht echt gut aus. Du musst dir das unbedingt kaufen"
Ein wenig rot werde ich um die Nase.
Auch wenn er "das" gesagt und nicht "du", aber es macht keinen Unterschied. Für mich jedenfalls.
"Gracias, wie sie hier sagen würde", grinse ich.
Und das schon wieder. Morgen habe in den Wangen Muskelkater. Mir soll es recht sein. Ich verschwinde zurück in die Kabine, um mich umzuziehen. Das Kleid ist theoretisch schon gekauft.
So schnell es geht, ziehe ich mich ein weiteres mal um. Danach stelle ich mich an der Warteschlange der Kasse an. Michael ist nicht in Sicht. Wahrscheinlich sieht er sich selbst einmal um. Nur habe ich keine Männersachen gesehen, deswegen wird er weniger fündig werden.
Hibbelig wechsel ich das Gewicht von einem Bein auf das andere. Warum auch immer, würde ich jetzt am liebsten herum springen, tanzen was auch immer. Jedenfalls mich bewegen. Es klingt verrückt, sehr verrückt für mich.
Nach dem ich bezahlt habe, was ein wenig umständlich war, weil ich den Betrag nicht verstanden habe, suche ich Michael. Er sitzt draußen auf einem Stein und ist mit seinem Handy beschäftigt.
Ich gehe auf ihn zu und er tut sein Handy zurück in seine Hosentasche.
"Ich habe Lust etwas verrücktes zu machen, aber ich weiß nicht was", meine ich zu Michael.
"Hmm", brummt er.
Eigene Minuten verharren wir in der Position, bis Michael urplötzlich aufspringt.
"Ich habe eine Idee. Komm mit"
Und so laufen wir die Straße entlang.
Schon nach wenigen Minuten bin ich außer Atem. Sport und ich haben sich entfremdet und wissen nichts mehr voneinander.
Doch quengeln ich nicht, sondern laufe einfach weiter. Immer dem Blondschopf hinterher, der ein genaues Ziel vor Augen hat. Lange dauert es nicht, bis ich verstanden habe, wohin es geht.
Zum Strand. Zum Meer.
Meine Lunge brennt wie Feuer. Meine Seiten stechen und der Abstand von Michael und mir wird immer größer.
"Warte. Pause", hechel ich.
Michael dreht sich um.
"Pf. Nix da. Pause gibt es nicht. Du wolltest etwas verrücktes machen, dann tun wir das."
Keine Sekunde später hebt er mich hoch und verfrachtet mich auf seinen Rücken. Dann läuft er los und ich werde durchgeschüttelt. Nicht einmal zweifel ich daran, dass mich der junge Mann fallen lassen würde und wenn, tief würde ich nicht fallen.
Michael springt über die Promenade und lässt mich von seinem Rücken runter. Er ist noch nicht mal außer Atem. Bei meinem Fliegengewicht ist es auch kein Wunder.
Er grinst mich an und wackelt mit seinen Augenbrauen in Richtung Meer. Ein Lächeln kann ich nicht unterdrücken.
Langsam gehen wir in Richtung klares Meer. Bald geht die Sonne unter. Es kann nicht mehr lange dauern.
Ein kleines Stück vor dem Wasser lasse ich meine Tüte mit dem Kleid fallen und meine Handtasche daneben. Ziehe meine Schuhe aus und die Socken. Michael macht das gleiche und legt sein Handy in die Tasche.
Doch zieht er sich weiter aus, bis auf die Unterhose und schaut mich erstmal an.
"Ich wollte schon immer mal nackt im Meer schwimmen gehen. Das steht auf meiner Liste", grinst er und kleidet sich ganz aus.
Reflexartig sehe ich weg, dennoch nicht schnell genug, damit ich seinen Penis nicht sehe.
Peinlich berührt schaue ich an mir runter. Soll ich? Soll ich nicht?
"Claire, man muss auch manchmal etwas verrücktes machen. Hier ist kein Mensch, außer mir und dir.", überredet der junge Mann mich.
Mein Gehirn setzt aus, als ich schlussendlich meinen BH und meinen Slip ausziehe. Alles kribbelt an mir, vor allem mein knallrotes Gesicht.
"Auf fünf?", frage ich.
Er nickt und sieht nur in meine Augen. Nicht auf meine viel zu kleinen Brüsten, die ich versuche mit meinen Arm zu verdecken, jedenfalls versuche ich mir das einzureden. Schwachsinnig und dumm.
"1"
Ich nehme seine Hand in meine. Die Tatsache, dass ich neben ihn nackt stehe, vergesse ich nun.
"2"
Mein Herz fängt an schneller zu pochen. Man muss auch mal mutig sein.
"3"
Kurz berühre ich das Medailon um meinen Hals, welches ich angelassen habe.
"4"
Noch nie war ich schwimmen im Meer. Schon gar nicht ohne Klamotten.
"5"
Es gibt immer ein erstes Mal.
Wir laufen in die Wellen, bis zu den Punkt, wo ich nicht mehr stehen kann.
Schallend lache ich auf.
Das Wasser ist bitterkalt.
Dennoch lache und lache ich.
Es hört gar nicht mehr auf.
Es klingt verrückt.
Ich bin verrückt.
Verrückt und glücklich.
Ich bin seit langem glücklich.
Nach gefühlten Stunden, in denen wir im Wasser waren, liegen wir nun auf dem Sand und schauen in den schwarzen Himmel der mit vielen Sternen geschmückt ist. Mittlerweile haben wir uns auch wieder angezogen, weil uns kalt war.
Ich bin ausgelacht, aber dennoch glücklich. Mein Lächeln verschwindet einfach nicht mehr von meinem Gesicht. Das von Michael auch nicht.
Mir liegt eine Frage auf der Zunge, die ich so gerne fragen würde, aber danach würde die angenehme Stimmung verpuffen.
Trotz des Risikos frage ich.
"Denkst du, denkst du unsere Familie schaut uns von dort oben zu? Denkst du, sie sind glücklich? Glücklich, weil wir es gerade auch sind?"
Sehnsüchtig warte ich auf eine Antwort.
Nach minutenlanger Stille denke ich, das Michael eingeschlafen oder meine Frage nicht gehört hat, bis er dann antwortet.
"Ja, ja ich denke schon. Sie sind dort oben. Schauen uns zu und sind glücklich und stolz auf uns. Sie freuen sich, dass wir Spaß haben. Auf keinen Fall sind sie neidisch auf uns. Im Himmel haben sie auch ihren Spaß und sind glücklich und zufrieden.", flüstert er in die Nacht.
Ich halte mich an den Worten fest, als wäre es ein Rettungsseil. So sehr wünschte ich, dass ich sie glauben könnte. Vielleicht, irgendwann halte ich sie für die Wahrheit. Bis dahin halte ich mich an ihnen fest.
"Sie sind immer bei uns und passen auch auf uns auf. Wir können sie nicht sehen, aber ich bin mir sicher, sie sind gerade bei uns sind. Oder auch, als ich dich zum ersten Mal angesprochen habe. Ich wollte dich so oder so ansprechen, doch irgendetwas gab mir noch den nötigen Schubs dahinter. Vielleicht war es meine Schwester, oder vielleicht war es nur eine Art Instinkt von mir. Genau weiß ich es auch nicht. Doch so denke ich und jeder sollte vielleicht selbst darüber nachdenken, was sie glauben, was mit unseren geliebten Menschen passiert. Es gibt kein richtig oder falsch. Man muss es nur für sich selbst wissen"
Dazu äußer ich mich nicht.
Ich wüsste auch nicht, was ich dazu sagen sollte. Michael hat recht, das weiß ich, aber mehr auch nicht.
Und obwohl ich jetzt darüber nachdenken möchte, lasse ich es sein und genieße den wunderschönen Moment.
Hier am Strand, am Meer unter den Sternen.
Im Wissen, dass Michael mich nackt gesehen hat, so wie ich ihn auch.
Ich bin glücklich.
Glücklich.
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