xiv. die kinder des lichts
Das Buch.
Ich schlage meine Augen auf und stehe plötzlich im Bett. Mein Herz hämmert gegen meinen Brustkorb, als wäre ich gerade einen Marathon gerannt. Von draußen scheint die Sonne hinein und küsst die untere Seite meines Bettes.
Dieser Traum, wenn es denn einer war, hat sich wieder so real angefühlt, dass ich mir einbilde, immer noch die Wärme des anderen zu spüren. Das Buch. Wieder fällt mir ein, warum ich aufgewacht bin. Mein Blick gleitet zu dem Boden, wo meine Sachen von gestern Abend liegen.
Leise seufzend schwinge ich meine Beine aus dem Bett und trete vor dem Spiegel. Mein kompletter Lippenstift ist verschmiert. Ich lasse meinen Blick über meinen halbnackten Körper schweifen und betrachte die Linien, die über meine Haut führen.
Betrachtet man sie als ein Ganzes, dann erkennt man das Sternbild, das sich über meinen gesamten Körper erstreckt. Traurig wende ich meinen Blick ab, bevor ich mir einen Pullover aus dem Kleiderschrank hole und ihn überziehe. Mein Magen knurrt und in meinem Mund breitet sich ein unangenehmer Geschmack aus, aber das Buch zieht mich magisch an.
Ich greife hinter meinen ganzen Klamotten und hole es aus dem Versteck heraus, bevor ich mich wieder auf die Matratze gleiten lasse. Der Einband des Buches ist einfach nur braun. Ich drehe es in meinen Händen, doch auf dem Verband steht weder ein Titel noch ein Hinweis darauf, wer es geschrieben hat.
Kurz danach lausche ich der Stille auf dem Flur, aber die meisten Avengers müssen sich wahrscheinlich noch auskatern. Mein Blick wandert wieder zu dem Buch in meiner Hand, vorsichtig öffne ich es und sauge jedes einzelne Detail auf, das sich auf den leicht vergilbten Seiten befindet.
Manche Geschichten fangen mit dem Ende an. Weil alles im Leben vorbestimmt ist. Du wirst geboren und auch wenn du nicht weißt, was das Leben für dich zu bieten hat, weiß es das Leben schon. Deine Geschichte ist vorbestimmt, sie wurde geschrieben, bevor du überhaupt warst. Sie geschieht, du kannst sie nicht verhindern.
Nach den ersten paar Zeilen löse ich meinen Blick von dem Papier.
Ist das eine Art Tagebuch? Eine Geschichte?
Mein Lieblingsort ist hinter dem kleinen Wasserfall in der Höhle hinter der Allee, die zum Sternenpavillon führt.
Wieder stocke ich. Auf Bhati gab es auch einen Sternenpavillon. Es war kein Pavillon, sondern ein Felsvorsprung, auf den man über die gesamte Stadt blicken konnte.
Ich erinnere mich an die Geschichten meiner Mutter und an die ihrer Mutter. Der Sternenpavillon existiert seither auf unserem Planeten. Zur Sommerwende treffen sich dort die ältesten und weisesten unseres Volkes, setzen sich dort nieder. Es heißt, sie würden mit unserer Göttin reden, sie um Rat fragen, doch nichts verlässt den Kreis der Ältesten, sodass nur die, die wirklich Anwesend waren, was dort geschieht. Ich kenne die anderen neun Welten nicht, doch ich glaube, keiner kommt an die Herzlichkeit und Freundlichkeit der Kindes des Lichtes ran.
Kinder des Lichtes... Ich bin ein Kind des Lichts. Mein Volk war ein Kind des Lichts. Odin hat mir im Heimlichen ein Buch über mein Volk gegeben, doch warum hat er behauptet, dass er nichts kennt, wenn dieses Buch mehr Preisgibt als alles andere.
Mein Herz hämmert nervös in meiner Brust und ich befeuchte meine trockenen Lippe. Ich will gerade die erste Seite umblättern, als ein Klopfen mich aufschauen lässt.
»Miss Celeste, Fury hat ein Notfall-Meeting einberufen«, tönt F.R.I.D.A.Y.s Stimme durch meinen Raum und erschrocken zucke ich zusammen. Ich blicke zur Tür, durch die ich das Klopfen vermutet habe, aber wahrscheinlich kam das Geräusch einfach von Tonys künstlicher Intelligenz.
Ich verstecke das Buch unter meinem Kissen, bevor ich schnell in das Badezimmer dusche, Auch wenn es eine Notfall Besprechung ist, putze ich mir schnell meine Zähne, bevor ich in frische Klamotten schlüpfe und ich mit schnellen Schritten durch den Tower laufe.
Ich bin die Letzte, die den Raum betritt und ohne eine Entschuldigung zu murmeln, setze ich mich auf den letzten freien Platz neben Bucky. Kurz ruht Furys Auge auf mir und entschuldigend lächle ich ihn an.
»Wie ich eben schon erwähnt habe, es gibt eine Drohung von Nemesis.« Ich erstarre und blicke von dem Tisch auf, den ich eben fixiert habe. Nemesis habe ich in den letzten paar Stunden komplett verdrängt gehabt.
»Was für eine Drohung?« Steve ist angespannt und die Heiterkeit von gestern Abend ist nicht mehr zu sehen. Er ist bereit, den Krieg zu führen, in den wir hineingezogen worden sind.
»Ein Stützpunkt in Russland.« Ich bemerke, wie Bucky sich neben mir anspannt. Flüchtig sehe ich ihn an, doch er starrt mit ausdrucksloser Miene zu Fury, dass ich mich auch wieder besinne, ihn anzuschauen.
»Warum Russland? Ich dachte, ihr Plan war es, die Avengers zu vernichten?«, meldet sich der Milliardär. Wie so oft, liegen seine Finger auf seinen Lippen, während er nachdenkt.
»Es ist eine Falle«, vermutet Natasha und der Direktor nicht zustimmend. »Also wollen Sie, dass wir in diese Falle tappen?«, mutmaßt der Wissenschaftler. Fury verschränkt seine Hände hinter seinem Rücken, während er langsam auf und ab geht und dabei jeden einzelnen der Avengers ansieht.
Sein Blick geht einem unter die Haut. »Es wurden Zivilisten einer Fabrik involviert. Die Avengers stehen trotzdem noch für eines«, erwidert er und kurz herrscht Stille zwischen allen.
Es ist keine Frage, ob sie wollen oder nicht. Sie müssen nach Russland, weil sie sich geschworen haben, die Menschen zu retten – vor was auch immer.
»Das Gute ist, wir sind vorbereitet – wir wissen zwar nicht genau auf was, aber irgendwas wird kommen.«
»Aufmunternde Worte«, brummt Tony, aber ich kann dem Milliardär nur zustimmen. Furys Idee ist, dass er keine hat. Sein Plan besteht mehr oder weniger daraus, dass wir in die Falle laufen. Das einzige was wir wissen ist, dass es Nemesis ist, die darauf wartet, die Avengers zu vernichten. Doch sie sind nicht die ersten, die das versuchen und ohne jemand bestimmten im Sinn zu haben, werden es auch nicht die letzten sein.
»Wir sollten uns lieber warm anziehen«, murmelt Natasha und zustimmend brummt Tony. Er sieht nachdenklich aus, bevor er sich erhebt. »Ihr habt den Direktor gehört, warm einpacken und vielleicht ein paar Blaubeerechen verstecken, es kann ein langer Tag werden.« Was ist das nur für eine Sache mit Tony und den Blaubeeren? Immerhin sind es einfache blaue Beeren, die nicht einmal besonders gut schmecken.
Den Gedanken an das Buch verschiebe ich ganz tief in meinen Gedanken. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber nachzudenken. Nicht, wenn meine neue Familie in Gefahr schwebt.
Die Versammlung löst sich auf und ich erhebe mich auch, ohne einen der anderen anzusehen. Die Stimmung ist gedrückt und während ich durch die vielen Gänge zu meinem Zimmer gehe, kann ich das komische Gefühl in meinem Bauch nicht einordnen. Meine Kraft flimmert unaufhörlich in mir. Es scheint mir, dass sie mir etwas mitteilen will, ich sie aber nicht verstehe. Ganz so, als würde sie eine andere Sprache sprechen.
In meinem Zimmer angekommen, verliere ich keine Sekunde. Ich suche den hellen Anzug hinaus, den Tony mir extra angefertigt hat und wofür ich ihm immer noch so unfassbar dankbar bin. Ich entledige mich und schlüpfe direkt in ihn hinein. Der Stoff scheint nicht besonders dick zu sein und dennoch hält er mich unfassbar warm, was bestimmt daran liegt, was Tony mit dem Anzug gemacht hat.
Meine langen dunklen Haare flechte ich mir unordentlich, damit sie mich im Falle eines Kampfes – was nicht so unwahrscheinlich ist – nicht behindern. Unordentlich sind sie nur, weil ich noch nie die Konzentration und Geduld hatte, die die anderen Asinnen auf Asgard. Mir waren immer andere Sachen wichtiger und vielleicht ist das auch ein Grund, warum ich mich nie mit ihnen anfreunden konnte.
Kurz ruht mein Blick auf meinen unordentlichen Bett. Unter dem Kissen befindet sich immer noch das Buch und es juckt mir in den Fingern, dass ich es einfach weiterlesen soll, doch das Geheimnis – wenn es denn eins gibt – muss warten. Leider.
Seufzend wende ich mich ab und verlasse mein Zimmer mit schnellen Schritten. Im Flur treffe ich auf Charlotte, doch wir sind beide nicht in der Lage, Worte miteinander auszutauschen, weswegen wir stumm nach oben gehen, wo die anderen Avengers sich schon versammelt haben. Mit dem Unterschied, dass Fury diesmal mit von der Partie ist und Tony und Steve zur Seite genommen hat und auf die beiden einredet.
»Worüber sprechen sie?«, frage ich Bruce, der ebenfalls zu den dreien blickt. »Irgendwas wegen der Mission«, brummt er und ich seufze. Das hätte ich mir auch denken können. Aber warum spricht Fury nur mit den beiden? Ist es nicht eine Mission, die wir alle bestreiten müssen, warum also die Geheimnisse, wenn wir ein Team sind?
»Sie werden es uns schon mitteilen. Nun komm.« Charlotte ruft mich, während sie schon das Flugzeug betritt. Leise seufze ich auf, bevor ich ihr ins Innere der Flugmaschine folge. Nur zu gut erinnere ich mich an meinen ersten Flug.
»Wie lange fliegen wir?«, frage ich und lasse mich auf den Sitz gleiten. Ich drehe meinen Kopf zur Seite und blicke aus dem Fenster hinaus, wo sich gerade der Direktor und die zwei Avengers voneinander lösen, bevor sie auch das Flugzeug als letztes betreten.
»Gute 16 Stunden, wenn wir gut sind, dann vielleicht 15«, beantwortet Clint meine Frage. Ruckartig drehe ich meinen Kopf zu ihm und sehe ihn mit großen Augen an.
»Wie bitte?«
Ich soll es so lange in dieser Blechschüssel in tausenden Meter Höhe aushalten? Mir hat der letzte Flug gereicht. So schön die Erde auch vom Himmel aussieht, betrachte ich sie dann doch lieber von unten, wo ich den festen Boden unter meinen Füßen zu wissen weiß.
»Hab keine Angst. Der Flug vergeht schneller als du denkst.« Steve lässt sich auf den freien Platz neben mich gleiten. Ich blase meine Wangen auf, während ich einen Punkt auf dem Boden fixiere.
Sicherlich. 16 Stunden fliegen auch immer dahin, wenn ich festen Boden unter meinen Füßen habe.
»Wir fliegen zum Helicarrier, von dem fühlt es sich nicht wirklich an, als würden wir fliegen«, besänftigt Charlotte mich, die meine aufkommende Panik zu spüren scheint. Ich schließe meine Augen und zwinge mich zu einem zaghaften Lächeln.
Was soll jetzt der Helicarrier sein?
Der Helicarrier ist ein fliegender Flugzeugträger, der als mobile Einsatzbasis von S.H.I.E.L.D. dient. Ich habe viel in meinem Leben gesehen, doch der Helicarrier 64 raubt mir den Atem.
»Damit können wir uns sogar unter Wasser bewegen«, erzählt Tony stolz, während wir in einer Gruppe über den Landeplatz nach drinnen laufen. Fasziniert blicke ich mich um. Es ist so surreal, auf so einem riesigen Flugzeugträger zu laufen. Es fühlt sich an, als hätte ich wirklich normalen Boden unter nur die Wolken, die so nah an uns vorbeiziehen, weisen darauf hin, dass wir uns wirklich tausende Meter über dem Boden befinden.
***
Der Helicarrier fliegt so hoch über den Wolken, dass man bis auf die schneeweiße Decke nichts sehen kann. Es sollte meine Angst etwas nehmen, aber fast schon schmerzhaft krallen sich meine Finger um das Geländer, während ich meinen Blick aber auch nicht abwenden kann.
Wie bei einem Unfall muss ich einfach hinschauen. Es ist gleichermaßen so beängstigend und faszinierend. So wie die gesamte Erde. Ein komisches Gefühl überkommt mich, wenn ich daran denke, was ich in den anderthalb Wochen hier schon erlebt habe, was für eine Achterbahnfahrt der Gefühle ich durchfahren bin.
»Celeste.«
Mein Nacken kribbelt, als jemand hinter mich tritt. Mein Unterleib zieht sich leicht zusammen. Nervös beiße ich mir auf meine Unterlippe, ohne meinen starrenden Blick aus dem Fenster zu nehmen.
»Was willst du, Bucky?«, erwidere ich nur. Nachdem er mich in mein Bett gebracht hat, haben wir uns nicht mehr unterhalten. Es scheint mir, als wäre es unser Spiel. Sobald wir nicht alleine sind, gehen wir uns an die Gurgel, doch auch wenn wir alleine sind, erreichen wir irgendwann den Punkt, wo uns Worte verletzen und wir uns versuchen zu schützen. Aber vor was?
»Du hast Angst«, stellt er fest. Ich spanne mich an und presse meine Lippen aufeinander. »Es ist keine Kunst, das festzustellen«, erwidere ich. Leise seufzt er, bevor er sich neben mich stellt.
Ich will ihn ansehen, doch ich bewege mich keinen Zentimeter. Meine Augen ruhen auf den weißen Wolken, die so weich aussehen, dass man sich am liebsten drauflegen will.
»Du versuchst es aber zu unterdrücken«, spricht er weiter. Ich kann meinen Blick nicht mehr bei den Wolken behalten und drehe mich stattdessen zu ihm. Seine blauen Augen ruhen schon auf mir.
»Und du hasst mich und dennoch versuchst du mich immer wieder in ein Gespräch zu wickeln, bevor du mich wieder von dir schubst.« Ernst sehe ich ihn an. Er erwidert meinen Blick, bevor er ihn abwendet und seine Lippen zusammenpresst.
Damit habe ich wohl ins Schwarze getroffen.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro