xiii. bittere wahrheit
Kalt schmiegt sich die Luft um mich, umhüllt mich wie die Umarmung einer liebenden Mutter. Wann ist das letzte Mal her, dass ich meine Mutter umarmt habe? Dass ich ihr gesagt habe, dass ich sie liebe?
Wieder einmal hat mich mein Zimmer eingeengt und die Angst vor den Träumen nach draußen getrieben. Die Erinnerungen holen mich ein und wollen mich in den Abgrund ziehen. Aber ich bin nicht bereit, von ihnen eingenommen zu werden. Noch nicht.
Ich sitze auf der Couch, die sich Tag und Nacht draußen befindet. Von drinnen habe ich eine Kuscheldecke mitgenommen, die ich um meinen Körper geschlungen habe, sodass sie mir in dieser kühlen Nacht Wärme schenkt.
Mehr Wärme kriege ich im Moment nicht.
Buckys Worte hängen mir immer noch im Ohr. Die Avengers, sehen mich als einen Teil von ihnen. In den wenigen Wochen, die ich schon hier bin, habe ich mehr Freude erfahren, als in Asgard.
Dort war ich, wenn ich nicht gemeinsam mit Loki in der Bibliothek war, oder mit Thor gekämpft habe, die meiste Zeit alleine. Die meisten Asen haben zu mir Abstand gesucht. Sie haben gedacht, dass die Dunkelheit, die über mein Planeten gekommen ist, mich suchen wird, um wirklich alle aus Bhati zu vernichten. Sie hatten um sich selbst Angst, weswegen sie dem kleinen Mädchen, das nicht nur ihre Eltern, sondern auch ihre Heimat verloren hat, keine Chance gegeben hat.
Vielleicht war das der Grund, warum ich in den Weiten der Bücher geflüchtet bin. Warum ich hunderte tragische Liebesgeschichten gelesen habe, ohne selbst eine zu haben.
Vor vielen Jahren gab es einen Mann, den ich wirklich mochte. Und er hat mich auch gemocht. Er war einer der Wachen auf Asgard, weswegen unsere treffen immer heimlich stattgefunden haben. Es war aufregend, so ein Geheimnis zu haben – bis ich die Wahrheit darüber herausgefunden habe, warum unsere Treffen im Heimlichen stattgefunden haben.
Ich habe nie weiter nachgefragt, sondern habe ihm vertraut, dass ich zur Königsfamilie gehöre und ich somit für die einfachen Wachen Tabu bin. Die bittere Wahrheit war, dass mein Körper für ihn gut genug war, um Druck abzubauen, er aber sich für meine Person geschämt hat.
Weil ich anders bin.
Nie habe ich etwas anderes gewollt, als zu etwas dazuzugehören. Nicht einfach nur die zu sein, die da ist. Die, die keinen Planeten mehr hat und aufgenommen werden musste. Buckys Worte lassen mich zweifeln, auch wenn er gesagt hat, dass ich zu den Avengers gehöre, fühle ich mich immer noch verloren und einsam. In Charlotte habe ich eine gute Freundin gefunden, auch wenn ich das Konzept einer wirklichen Freundschaft noch nicht ganz verstehe. Aber etwas fehlt mir. Ich weiß nur nicht was.
»Kannst du wieder nicht schlafen?« Buckys Stimme ertönt neben mir. Wieder einmal habe ich nicht mitbekommen, wie er auf die Terrasse gekommen ist und sich neben mir auf die Couch gesetzt hat.
Seine langen Haare hat er in einen engen Dutt zusammengesteckt, während sein Gesicht angespannt ist.
»Du hattest wieder einen Albtraum«, stelle ich fest, bevor ich meinen Blick über die beleuchtete Stadt schweifen lasse.
Was wäre, wenn ich nicht die Tochter des Lichts wäre? Wenn ich eine vollwertige Asin oder ein ganz normaler Mensch wäre? Fragen über Fragen schwirren durch meinen Kopf, aber auf keine einzige habe ich eine Antwort. Ich bin einfach verloren.
Ich verstehe nicht, was zwischen uns ist, wenn wir uns in der tiefsten Nacht auf der Terrasse treffen und einfach hinaus in die große, weite Welt starren, aber uns beide überkommt eine Ruhe, die uns normal unterhalten lässt.
»Sind es noch Albträume, wenn alles geschehen ist?«, hinterfragt er und seufzt einmal laut und tief. Er trägt nichts weiter als ein altes ausgeleiertes T- Shirt und kurze Shorts, aber die Kälte scheint ihm nichts auszumachen.
»Von deiner Zeit als Winter Soldier?«, frage ich vorsichtig. Ich habe noch genau vor Augen, wie er das letzte Mal reagiert hat, als Bruce diese zwei Wörter in seinen Mund genommen hat.
Er spannt sich neben mir an. Seinen Kiefer presst er hart aufeinander, bis er sich in die Couch zurücklehnt. Seine Haltung, die sonst immer darauf bedacht ist, bedrohlich zu wirken, sackt in diesem Moment ein.
»So wurde ich genannt. Winter Soldier.« Der Name kommt wie ein Fluch über seine Lippen. Gleichzeitig klingt er so voller Schmerz. Sein Blick richtet sich in die Ferne, fixiert irgendeinen Punkt, bevor er weiterredet.
»Sie haben mich zu diesem Monster gemacht. Zu einer Maschine, die Befehle befolgt, während ich mit ansehen musste, wozu ich fähig war.« Ich höre ihm aufmerksam zu. Lasse ihn alles in seiner Geschwindigkeit erzählen, während ich seinen Schmerz spüre.
Seine menschliche Hand fährt durch seine Haare und öffnet seinen strengen Dutt. Seine langen braunen Haare fallen locker auf seine Schulter und lassen ihn etwas jünger wirken.
Wie alt er wohl ist?
»Jahrelang war ich der gefürchteste Attentäter auf der Welt«, kraftlos lacht er auf, als er an die Zeit zurückdenken muss. So langsam scheine ich zu verstehen, woher der Schmerz in seinen Augen kommt. Welche Dämonen ihn in der dunkelsten Nacht heimsuchen und ihn verschlingen wollen.
»Ich war gut als Marionette. Für eine lange Zeit, bis Steve mich gerettet hat«, ein kleines Lächeln, lang genug, um es zu sehen, aber zu kurz für ein echtes. »Wir haben unsere gesamte Kindheit miteinander verbracht. Schon immer waren wir unterschiedlich, aber das war es, was uns zu guten Freunden gemacht hat. Ich war für ihn da. So wie er jetzt für mich da ist...«, seufzt er leise.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich denke, ein ›es tut mir leid‹ wird deine Dämonen auch nicht vertreiben können, aber du weißt, dass du da nicht alleine durch musst. Ich meine, du hast Steve... Und die Avengers«, spreche ich sanft. Langsam fällt Buckys Blick auf mich.
»Die Avengers...«, murmelt er leise. Seine Stimme ist kraftlos und ich kann nicht genau sagen, was er mir damit sagen will. Dieser Mann ist wie ein Buch mit sieben Siegeln und einem extra Vorhängeschloss für mich. Verkrampft versucht er, jeden von sich zu stoßen, selbst wenn die Person ihm nur helfen will.
»Die Avengers?«, hake ich vorsichtig nach. Seine Augen wandern langsam von meinem rechten, dann zu meinem linken und dann wieder zurück. »Deine...« er zögert einen Moment. »Du hast außergewöhnliche Augen.«
Mein Atem stockt und verdattert, kann ich ihn nur ansehen. Was? Mein Herz hat für einen Moment aufgehört zu schlagen, nur um in der nächsten Sekunde schneller als zuvor gegen mein Brustkorb zu hämmern.
Schon immer habe ich meine Augen gehasst, doch anders als meine filigranen Linien auf der Haut, kann ich sie nicht einfach so verstecken. Nervös streiche ich mir eine Strähne hinter mein Ohr, während mir ein schüchternes ›Danke‹ über die Lippen rutscht.
Was ist mit mir los?
Kaum ist Bucky für einige Sekunden freundlich zu mir, scheint mein Körper durchzudrehen. Die letzten Tage habe ich meine Kraft geschont, doch in dieser Sekunde pulsiert sie kräftiger als jemals zuvor durch meine Venen.
Schweigen hüllt sich um uns und weil ich nicht weiß, was ich sagen soll, blicke ich geradeaus in die beleuchtete Stadt. Die sanften Lichter beruhigen mich. Sie sagen mir, dass ich nicht alleine bin.
»Worüber träumst du nachts, Celeste?«, fragt Bucky mich nach einer Weile. Verwundert darüber, dass er mir ausgerechnet diese Frage stellt, sehe ich ihn an. Er erwidert meinen Blick und seine blauen Augen, fordern mich sanft auf, zu antworten.
»Ich träume von der Dunkelheit«, erwidere ich, bevor ich meine Augen aus seinen löse. Ich kann seinem Blick einfach nicht standhalten. Schwer schlucke ich, bevor ich die Decke näher an meinen Körper ziehe.
»Mal zieht sie mich in ihre Tiefen, mal zieht sie meine Familie in die Tiefen und in anderen Träumen, erlebe ich den einen Tag. Immer und immer wieder.«
Es hat etwas Tröstendes, dass wir hier beieinander sitzen und einfach reden können, ohne dass wir uns die Köpfe einschlagen. Es ist, als würden wir in der Nacht wirklich zu uns stehen und nicht versuchen, uns vor irgendjemanden zu verstecken. Oder vor uns selbst.
»Und Bhati?«, fragt er vorsichtig und als er meinen Planeten richtig ausspricht nicke ich, was ihn veranlasst, weiterzusprechen: »Warst du jemals wieder dort?«
Ich verstehe seine Neugierde. Ich hatte sie auch. »Nein. Die Dunkelheit würde mich genauso verschlingen wie mein Volk, sobald ich diesen Planeten betreten würde.«
»Man fragt sowas eigentlich keine Frau, aber wie alt bist du?«, will er dann wissen und bei seinen Worten lache ich leise auf. »Aber man prügelt sich mit ihr?«, erwidere ich und hebe eine Augenbraue hoch.
Er verzieht seine Lippen, bevor er mit seinen Schultern zuckt. Kein Wort kommt über seinen Mund. »Wie alt schätzt du mich?«, stelle ich ihm eine Gegenfrage und lege meinen Kopf schief. Die Frage ist nicht fair, dennoch will ich ihn etwas aus der Reserve locken. Schlummert hinter der Fassade doch noch ein Gentleman?
»Wie alt ist Thor?«, fragt Bucky jedoch zunächst. Der Ansatz, den er versucht, ist klar. »Über 1000 Jahre«, antworte ich dennoch.
»300?«, rät er und ich schmunzle. Nah dran. »Mehr? Weniger?«, versucht Bucky es, doch ich stehe nur auf und sehe ihn Achsel zuckend an. »Das wird wohl mein kleines Geheimnis bleiben«, grinse ich leicht.
»Doll«, grollt er leicht, doch immer noch mit einem Grinsen auf meinen Lippen, trete ich von der Couch weg und gehe zu der Brüstung, um besser über die Stadt schauen zu können.
Ich muss keine zehn Sekunden warten und ich höre, wie Bucky sich neben mich stellt. Er steht dicht neben mir, sodass wir uns nicht berühren, aber ich dennoch seine Wärme spüren kann, die von ihm ausgeht.
»Willst du manchmal einfach abhauen?«, frage ich ihn leise. Der Wind umspielt meine langen braunen Haare und lässt sie leicht durch die Luft fliegen, bevor sie sich wieder an meinen Rücken schmiegen.
»Egal wohin ich gehe, die Dämonen finden mich überall«, erwidert er genauso leise. Ich seufze auf. Man kann sich seinen Dämonen nur stellen. Sie sind ein Teil von einem selbst.
»Sie sind ein Teil von uns. Sie ernähren sich von unserer Vergangenheit und ergötzen sich an unserem Leid«, murmle ich. Bucky antwortet daraufhin nichts mehr und als ich meinen Kopf drehe, sehe ich die bittere Wahrheit in seinem Gesicht.
Die Angst. Der Schmerz. Die Hoffnungslosigkeit und Aussicht auf ein Leben, das er nicht will.
Automatisch lege ich meine Hand auf seine. Ich weiß nicht, warum ich das tue, doch mit dieser Geste will ich ihm etwas Trost spenden, als plötzlich meine Kraft reagiert, ohne dass ich sie gerufen habe. Die Linien an meiner Hand leuchten golden, als das Licht durch meine Venen geschossen wird und sich in meiner Hand bündelt.
Angenehm warm fließt meine Kraft durch meine Hand. Buckys Augen richten sich auf unsere ineinander verschlungenen Hände. Weder er, noch ich machen Anstalten, unsere Hände zu lösen. Meine Hand flimmert golden, einzelne Partikel setzen sich auf Buckys Hand ab und mit der Berührung seiner Haut entspannt der ehemalige Winter Soldier plötzlich.
»Was passiert hier?«, haucht er leise und sieht mich direkt an. Seine Augen strahlen intensiver als jemals zuvor. Als seine Iriden auf meine treffen, scheint für einen Moment die Zeit stillzustehen. Das Licht schlingt sich wie eine Schnur um sein Handgelenk und verbindet uns miteinander. Ich verstehe nicht, was gerade mit mir passiert, was meine Kraft mit uns macht, doch plötzlich geht die Zeit wieder normal.
Das Licht zieht sich wieder zurück und Buckys Augen, die heller als jemals zuvor gestrahlt haben, werden wieder normal.
Wir starren uns an. Niemand von uns kann sich erklären, was das gerade war. Was für ein Gefühl in mich gekommen ist, als unsere Iriden aufeinander getroffen sind, während um uns herum sich eine goldene Aura gebildet hat.
»Du bist eine Hexe.« Bucky entzieht sich meiner Hand und stolpert nach hinten, während er mich mit großen Augen ansieht. »Nein, was? Ich bin keine Hexe«, stottere ich und mache einen Schritt auf ihn zu. Doch als hätte es die letzten Minuten nicht zwischen uns gegeben, hat sich wieder eine Mauer zwischen uns gebildet.
Was ist nur passiert?
Buckys Atem geht schnell, sein Blick wandert von meinen Augen zu seiner Hand, die gerade eben noch von meinem Licht umgeben wurde. Jetzt sieht man nichts mehr davon auf seiner hellen Haut.
»Nicht? Was war das dann?«, wettert er gegen mich und ich verstehe es einfach nicht. Wieder beginnt das Licht in mir zu pulsieren. So heiß, als würde es versuchen, aus mir herausbrodeln zu wollen, aber diesmal lasse ich es nicht zu.
Bucky wirft mir einen letzten Blick zu, der mir den Boden unter den Füßen wegreißt. Ich kenne diese Blicke. Jahrelang wurde ich mit ihnen taxiert. Sie haben mich klein gemacht. Genau wie jetzt.
Auf Absatz macht er kehrt und mit dem lauten knallen der Tür, die hinter ihm zufällt, hört auch mein Blut auf zu kochen und ich sinke kraftlos auf meine Knie.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro