xii. alekto, megeira, tisiphone
»Ist er wach?« Vorsichtig trete ich in das Labor ein, das umfunktioniert wurde.
»Wäre ein Krankenhaus nicht besser?«, füge ich die Frage direkt hinzu und sehe eine gehetzte Charlotte, die zwischen einem Tisch, der mit allen möglichen Materialien gefüllt ist, und dem Patienten hin und her.
»Ich studiere Medizin, außerdem wissen wir nicht, was passiert ist. Hier ist er im Moment am sichersten«, erwidert sie, ohne aufzublicken. »Kannst du mal kurz?«, fragt sie und hält mir eine Schale hin. Ich gehe nicht darauf ein, dass sie es trotz des Vorfalls hier immer noch am sichersten hält.
Ich stelle mich neben den leblosen Mann hin und halte die Schale. Kurz fällt mein Blick nach unten. Er atmet. Sehr flach, aber er atmet. »Ich wusste gar nicht, dass du Medizin studierst«, erwidere ich verwundert, während ich beobachte, wie Charlotte vorsichtig und hochkonzentriert mit einer Pinzette kleine Splitter aus der offenen Wunde holt.
Schnell wende ich meinen Blick ab. Ich habe zwar kein Problem mit Verletzungen, aber ich muss dennoch nicht dabei zusehen, wie jemand darin rumstochert.
»Es war schon mein Traum als kleines Mädchen«, erzählt sie hochkonzentriert und holt einen länglichen Splitter hinaus, den sie in die Schale, die ich ihr hinhalte,fallen lässt. »Es ist nicht einfach, nebenbei zu studieren, aber ich liebe, was ich tue.«
Charlotte ist eine unglaubliche Frau, das muss ich immer wieder feststellen. Es ist nervenaufreibend genug, den ganzen Gefahren Tag für Tag zu entkommen, nebenbei noch ein Studium anzufangen – ausgerechnet dann noch Medizin – schafft nicht jeder. Doch Charlotte gibt niemals auf, für ihre Träume zu kämpfen.
»Er wird wieder werden«, spricht Charlotte mir Mut zu, als sie sieht, wie mein Blick immer wieder auf den Mann vor mir liegt. »Kennst du ihn?«, frage ich und blicke sie dankbar an.
»Das ist Jonathan Teller, einer, der von Fury in die Sondereinheit berufen wurde«, fügt sie hinzu. Ich hebe meinen Kopf und sehe sie erstaunt an. »Glaubst du...?«, ich muss es nicht aussprechen. Die Dunkelblonde nickt sachte mit ihrem Kopf.
»Das wäre ein zu großer Zufall und die Wahrheit ist, ich glaube an keine Zufälle.« Zustimmend brumme ich. Ich glaube auch nicht an Zufälle, vor allem nicht, wenn sie etwas mit Nemesis zu tun haben.
»Das war kein Zufall«, erschrocken zucken wir beide zusammen, als Tonys Stimme hinter uns ertönt. »Ist er stabil? Wir müssen alle reden«, mit diesen Worten ist er verschwunden und lässt uns beide allein.
Kurz darauf werfen Charlotte und ich uns einen Blick zu. Dann kontrolliert sie, ob Jonathan stabil genug ist, dass er es für kurze Zeit ohne sie aushält, bevor wir beide mit schnellen Schritten den Gang entlang laufen und zu den anderen Avengers im Meetingraum stoßen.
»Hast du einen neuen Tisch gekauft?«, frage ich den Milliardär, während ich mich neben Charlotte auf einen Stuhl setze. Beim letzten Mal hat Bucky den Tisch in seiner Wut in zwei geteilt, heute ziert ein neuer Glastisch den Raum.
Hat Tony nicht aus seinen Fehlern gelernt, oder ist er einfach nur zu stur?
Ich erhasche einen kurzen Blick auf Bucky, der mich mit steinharter Miene anblickt. »Bucky kam auf die Idee«, erwidert er. »Steve«, antwortet Bucky und alle sehen nun den blonden Supersoldaten an, doch dieser schluckt einmal, bevor er das Thema darauf lenkt, warum wir uns hier eigentlich versammelt haben: Nemesis.
»Es war eine Warnung an uns«, fängt er an. Uns allen ist klar, dass wir so langsam in der Scheiße sitzen. Nemesis will die Avengers zerstören, aus welchem Grund, das wissen wir noch nicht. Genauso wenig, wer der Anführer ist.
»Nun aber folgt die Strafe dem Verächter. Als wenn die Schlangenfackel der Erinnyen. Von Berg zu Tal, von Land zu Meer ihn triebe«, wiederholt Steve die Worte, die immer noch an der Wand stehen.
»Heißt das, wir sind die Verächter?«, stellt Bruce eine Vermutung an. »Oder sie sehen uns als Verächter«, fügt Natasha hinzu.
»Dann haben sie aber ein ziemlich verzerrtes Bild von uns«, brummt Tony und tippt mit seinem Finger auf seiner Lippe, während er überlegt. »Verächter, Verächter, Verächter...«, immer wieder murmelt er die Worte, während er aus dem Fenster starrt.
»Die Verächter, jemand, der an etwas Bestimmten keinen Gefallen, keine Freude hat und ihm keinen Wert misst, es ablehnt. Irgendwas muss passiert sein, dass Nemesis sich in die Position als Richterin gedrängt fühlt«, schaltet Bruce sich ein. Tony sieht auf. »Sie sind Größenwahnsinnig«, erwidert er.
»So wie du?« Bruce spricht leise, dennoch hört ihn jeder, der sich im Raum befindet. Der Philanthrop blickt wütend zu seinem Laborpartner, doch bevor er etwas darauf erwidern kann, unterbricht Steve ihr Gezanke.
»Es reicht jetzt! Es ist verdammt ernst! Ein Agent wurde wegen uns verletzt, die Warnung ist an uns gerichtet und ihr streitet euch wie 12-jährigen Jungen!« Nach dem kleinen Ausraster von Steve ist es komplett still im Raum.
Es ist nicht oft, dass der blonde Supersoldat aus seiner Haut fährt, aber wenn, dann, weil er einen guten Grund hat.
»Wisst ihr, was die Erinnyen sind?«
Die Avengers schütteln allesamt mit ihren Köpfen, nur Thor mustert mich.
»Die Erinnyen – Alekto, Megaira und Tisiphone, drei Rachegöttinnen der griechischen Mythologie«, fasst er zusammen und ich nicke. »Ihr Name muss irgendeine Bedeutung haben, sonst hätten sie sich niemals für Nemesis entschieden. Die Göttern der gerechten Rache, die Erinnyen. Wir haben nicht, nichts«, füge ich an und Bruce zu meiner linken nickt.
»Wenn wir davon ausgehen, dass sie es auf uns abgesehen haben, weil wir in ihnen Augen etwas Unrechtes getan haben, wofür sie sich jetzt rächen wollen – sie die Richter in diesem Spiel sind. Dann...«
»Können wir davon ausgehen, dass es drei Anführer gibt?«, fällt Natasha ihm ins Wort. Bruce sieht zu ihr, während er verstummt. »Es ist im Rahmen des Möglichen. Warum sonst sollten sie uns sonst Gedichte mit Blut an die Wand malen?«
»Sonst noch etwas Wissenswertes über die griechische Mythologie?« Auf einmal liegen alle Blicke auf mir. »Warum ich?«
»Das weißt du genau«, antwortet Bucky und erntet von mir einen vernichtenden Blick. Er ist der einzige, dem ich das mit Odin anvertraut habe. Und ich weiß nicht einmal warum. Zu dem Zeitpunkt war er einfach da, schätze ich. Freiwillig wäre ich niemals darauf gekommen, ausgerechnet ihm das zu erzählen.
»Ich denke, die Anführerin ist Tisiphone, sie ist die Vergeltung. Die Vergeltung an den Verächtern. Und in dem Fall sind die Avengers die Verächter.«
»Also suchen wir eine Frau, die sich selbst Tisiphone nennt?«, fasst Steve zusammen. »Es ist nicht viel und wer weiß, ob wir das Ganze nicht auch falsch interpretieren, aber niemand würde sich so eine Mühe mit der Mythologie machen, wenn sie kein Symbol darin sieht«, erwidere ich. »Ich stimme Celeste zu.« Dankbar lächle ich Charlotte an.
»Ich werde Fury davon unterrichten«, Steve erhebt sich und löst somit die Versammlung auf. Nach und nach gehen auch die anderen Avengers ihren Weg und erst als ich denke, dass ich alleine im Raum bin, hebe ich meinen Kopf.
»Was willst du hier?«, frage ich den ehemaligen Winter Soldier, der sich, als wäre er eine Statue nicht von seinem Sitzplatz bewegt hat. »Warum hast du es den anderen nicht mit Odin erzählt?«, will er wissen und ignoriert dabei meine Frage.
Leicht hat er seinen Kopf geneigt, während er mich eingehend mustert. Ich beiße mir auf meine Unterlippe. Ich weiß es nicht. Es hat sich zu diesem Zeitpunkt einfach nicht richtig angefühlt. »Ich fand es nicht wichtig«, erwidere ich kühl.
»Nicht wichtig? Du hast es nicht als wichtig empfunden, dass Odin dir ausgerechnet die Gedichte gezeigt hat, die Nemesis benutzt? War es nicht er, der dich hierher geschickt hat?«, eindringlich mustert er mich. Ich gebe es nicht gerne zu, aber auch hiermit hat er recht.
»Ich muss zurück nach Asgard«, murmle ich leise. Nicht zu Bucky, sondern zu mir. Aber in der Sekunde ist es mir klar geworden. Ich muss herausfinden, was es damit auf sich hat.
»Was?« Die Stimme von Bucky ist höher geworden, als er meinen Entschluss hört. Er umrundet den Tisch und kommt auf mich zu. »Du kannst jetzt nicht einfach gehen«, erwidert er und sieht mich eindringlich an.
Verwirrt, runzle ich meine Stirn. Will er nicht, dass ich gehe? Schnell schüttle ich meinen Kopf, ich kann mir nicht erklären, woher plötzlich dieser Gedanke gekommen ist. Doch so schnell wie er da war, so schnell verschwindet er auch wieder.
»Du hast es selbst gesagt. Ich muss mit Odin reden und ich glaube kaum, dass er vorhat nach Midgard zu kommen«, halte ich gegen ihn und will mich umdrehen. Ich habe meinen Entschluss gefasst und niemand wird mich davon abhalten können. Auch kein Bucky, der mich mit seinem widersprüchlichen Verhalten komplett verwirrt.
»Nemesis kann jeden Augenblick zuschlagen. So schwer ich es auch zugebe, bemerke ich, wie die anderen dich ins Herz geschlossen haben. Laut ihnen, bist du schon einer von uns.« Seine Worte berühren mich auf zwei Weisen.
Ich gehöre zu ihnen. Die Avengers sehen mich als eine von ihnen. Mehr habe ich nie gewollt, als endlich irgendwo wirklich dazuzugehören. Auf der anderen Seite bleibt mein Herz kurz stehen. Die Avengers sehen es so. Bucky nicht. Er hat sich rausgenommen. Es sollte mir egal sein, und ich leugne es, aber das ist es nicht.
»Es ist doch das, was du schon die ganze Zeit wolltest, ›dass ich dahin zurück gehe, wo ich hergekommen bin‹, warum machst du es mir dann jetzt so schwer?«
Ich verstehe diesen Mann einfach nicht. Je öfter ich es versuche, desto mehr Fragezeichen machen sich in meinen Kopf breit. Wenn ich denke, dass wir uns vielleicht ganz normal verstehen können, kommt irgendein Spruch, der die Mauer zwischen uns einreißt, die ich mit Mühe versucht habe aufzubauen.
»Bucky, du kannst sagen, was du willst, aber du wirst mich nicht aufhalten können. Wie denn auch?« Einen Moment verharre ich in seinen blauen Augen, in denen ein Sturm wütet. Doch ich bin zu müde davon, ihn versuchen zu lesen.
Einen letzten Blick genehmige ich mir, dann drehe ich mich auf dem Absatz kehrt und verlasse den Raum. »Doll.« Eine Hand schließt sich um mein Handgelenk und zieht mich nach hinten, sodass ich gezwungen bin, Bucky wieder anzusehen.
»Okay. Wir brauchen dich und deine Lichtstrahlen, die aus deinem Körper schießen«, gibt er zu. Es fällt ihm sichtlich schwer.
»Also bin ich das für dich? Ein Ding, das irgendwelche Strahlen ausschießt und mit dem man umgehen kann, wie man will?«, erwidere ich. Die Wut auf ihn kommt mit einem Mal. Oder eher gelangt sie mit einem Mal an die Oberfläche.
Ich habe es satt, dass Bucky mich so behandelt. Die ganzen Streitereien mit ihm strengen mich an, zerren an meinem Körper.
»Was überredet dich dann, zu bleiben?«, fragt er aufgebracht und genervt entziehe ich mir seinen Arm. »Du Arschloch! Weißt du überhaupt, wie man mit anderen umgeht? Du kannst nicht verlangen...-«, meine Stimme bricht ab.
»Lass mich einfach in Ruhe, Bucky«, zische ich. Mit aufeinander gepressten Lippen sieht er mich an. Einen Moment verharre ich noch auf der Stelle und sehe ihn an. Ich weiß nicht, worauf ich warte, eine Erklärung, eine Entschuldigung... Doch mir sollte klar sein, dass nichts dergleichen aus seinem Mund kommen wird.
Kopfschüttelnd sehe ich ihn an. Dann verlasse ich den Meetingraum und diesmal hält Bucky mich nicht mehr auf.
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