ix. die dämonen, die uns plagen
Von dem Traum aufgewühlt, lasse ich mein Zimmer leise hinter mir und betrete das oberste Stockwerk. Der Tower liegt dunkel vor mir und nur der Mond, der durch die großen Fenster scheint, spendet etwas Licht.
Mittlerweile muss es ziemlich spät in der Nacht sein, doch Schlaf werde ich heute nicht mehr finden. Die Terrassentür knarrt leise, als ich sie öffne und nach draußen husche.
Die kühle Luft schließt sich um meinen Körper und ich verfluche mich dafür, dass ich bis auf mein Pyjama nichts anderes trage. Ich bin aus meinem Zimmer geflüchtet und habe nicht einmal daran gedacht, mir Socken oder Schuhe überzuziehen.
Ohne meinen Blick vom Mond zu wenden, lasse ich den Tower hinter mir, trete auf der Terrasse heraus und stelle mich an den Rand. Mein Blick löst sich vom Mond, der eine wundersame Wirkung auf mich hat. Sofort spüre ich, wie auch das letzte bisschen, was von meinem Traum übrig geblieben ist, verschwindet und ich mich allmählich entspanne.
Trotz der Uhrzeit liegt die Stadt unter mir nicht in vollkommener Ruhe vor. Es scheint, als würde die Stadt niemals schlafen. Vereinzelt sehe ich Menschen rumlaufen, die ihr Zuhause suchen, oder gelbe Autos, die durch die Straßen nach ihrem Ziel jagen.
Einen Moment schließe ich meine Augen und denke zurück an meinen Traum. Ich versuche mich daran zu erinnern, was für ein Gefühl es war, als kleines Kind durch die prächtigen Gärten Bhatis zu streifen. Ich höre das Wiehern meines Ponys, das ich nach der Mondgöttin Luna benannt habe. Mein Dad, der König von Bhati, hat es mir direkt nach meiner Geburt geschenkt. Während meine Mutter in den Wehen lag, erging es Lunas Mutter nicht anders.
Traurigkeit überkommt mein Herz und lässt es schwer in meiner Brust schlagen. Ich verdränge die Erinnerungen daran, versuche den Schmerz ganz tief in mir zu verstecken.
Eine kühle Hand schlingt sich um meinen Nacken und zieht mich nach hinten. Ein Schrei steckt in meiner Kehle fest, doch eine andere Hand legt sich auf meinen Mund und erstickt ihn darin.
»Du solltest achtsamer sein«, knurrt eine dunkle Stimme in mein Ohr und für einen Augenblick hört mein Herz auf zu schlagen. »Ich könnte sonst wer sein«, führt sie weiter aus, während ich Buckys harte Brust in meinem Rücken spüre.
»Aber das bist du nicht«, nuschle ich gegen seine Hand. Er schnaubt auf, dann entfernt er seine Hände von meinem Körper und ich drehe mich um, suche etwas Abstand, bevor ich ihn anfunkle.
Immer noch spüre ich den festen Griff um meinen Hals, doch ich widerstehe dem Drang, ihn zu berühren und über die Stelle zu streichen. »Du hättest tot sein können«, erwidert er, bevor er sich an den Rand stellt und ebenfalls auf die Stadt hinaus starrt.
»Als würde es dich interessieren...«, grummle ich leise, stelle mich dann mit etwas Abstand neben ihn und blicke in die sternenklare Nacht.
»Warum bist du hier?«, fragt er nach Minuten der Stille.
Kann es wirklich sein, dass Bucky gerade versucht ein normales Gespräch mit mir zu führen?
Ich schlucke die Wut darüber hinunter, wie er mich gerade angesprochen hat und antworte mit neutraler Stimme: »Ich konnte nicht schlafen.«
»Und der Mond beruhigt dich?«, fragt Bucky und lässt mich erstaunt zu ihm blicken. Er erwidert meinen Blick nicht, sondern starrt weiter auf die Stadt. Ich nutze den Moment und mustere den brünetten Mann.
Seine langen Haare hat er zu einem Dutt zusammengebunden, aber vereinzelte Strähnen haben sich gelöst und kleben an seinen Schläfen. Die Schatten unter seinen Augen sind fast größer als der Schatten, den der Tower wirft. Seine geschwungenen Lippen hat er locker aufeinander gepresst.
Ich hätte niemals gedacht, dass er mir so genau zugehört hat, dass er aufgrund meiner Herkunft darauf schließen kann, was der Mond für mich bedeutet.
»Was machst du hier?«, erwidere ich, ohne auf seine Frage einzugehen.
»Ich konnte nicht schlafen«, sagt er knapp und plötzlich spannt er seinen Kiefer wieder an. Ich lasse meinen Blick an ihm vorbei wandern und seufze.
»Es sind Albträume, die dich wach halten«, stelle ich fest. Auch er antwortet nicht darauf, doch das muss er nicht. »Ich glaube kaum, dass du über Einhörner träumst.«
Traurig verziehen sich meine Mundwinkel nach oben. Bucky umgibt eine Mauer, die er versucht zu schützen. Wovor hat er nur Angst?
»Du kennst meine Vergangenheit. Ist es nicht fair, wenn du mir deine verrätst?«, ich bewege mich auf sehr dünnem Eis. Doch ich will wissen, was für eine Geschichte hinter den traurigen Augen steckt.
Es sind die ersten fünf Minuten, in denen wir uns im gleichen Raum befinden, ohne dass wir versuchen, uns gegenseitig umbringen zu wollen. Wahrscheinlich, weil uns beide die Dämonen der Vergangenheit heimgesucht haben und wir mit unserer Kraft am Ende sind.
»Du weißt über Steve Bescheid, aber nicht über mich?«, versucht er zu witzeln, aber seine Stimme ist einfach nur ausgelaugt. Ich starre ihn bei seinem kläglichen Versuch einen Witz zu reißen an und weiß nicht, was ich darauf antworten soll.
»Jahrelang war ich gefangen in einem Konstrukt aus Manipulationen. Mir wurde mein freier Wille genommen und ich habe Dinge getan, die du dir nicht einmal in deinen kühnsten Träumen vorstellen kannst.«
Was macht dich da so sicher?
»Wollen wir wetten?«, frage ich leise und drehe mich um. Ich ertrage den Blick auf die Stadt nicht mehr. Von Außen strahlt alles wunderschön, nur im Inneren zeichnet sich die Hässlichkeit ab.
»Das willst du nicht«, schwach heben sich seine Mundwinkel. Der Mond scheint auf uns, taucht uns in silbernes Licht, doch die gewohnte Reaktion bleibt aus. Ich fühle einfach nichts, während ich neben Bucky auf dem Dach des Avengers Tower stehe.
»Sprichst du mit jemandem darüber?«, will ich dann wissen. Irritiert hebt Bucky seinen Kopf. »Über die Dämonen, die dich plagen«, füge ich hinzu.
»Was macht dich da so sicher, dass ich nicht einfach nur ein Arschloch bin?«
Es ist die Art, wie er spricht. Wie gelangweilt er klingt. Wie monoton die Worte über seine Lippen kommen, als wäre es ihm egal, ob er hier ist oder nicht. Dann gibt es seinen Blick, den er mir schenkt, der mich zweifeln lässt. Die Wut, wenn er mich ansieht, ist das einzige Gefühl, bis auf den Schmerz, den ich bei ihm erkennen kann.
»Vielleicht der Glaube daran, dass das alles nur Fassade ist, dass du am allermeisten dich schützen willst«, erwidere ich leise. Aus der Vergangenheit weiß ich, wie schnell ihn meine Worte zur Weißglut bringen. Ich schiele zu seiner Hand, die locker an seinem Körper herunterhängt und nicht zu einer Faust geballt ist.
»Sei nicht zu enttäuscht, wenn dein Glaube sich nicht bewahrheitet«, schmunzelt er und dreht seinen Kopf zu mir. Ich spüre seinen Blick auf mir, aber sehe erst wenige Sekunden später zu ihm.
Da ist diese Anziehung zwischen unseren Blicken, die was anderes sagt, als die Worte, die über unsere Lippen kommen.
»Sei nicht enttäuscht, wenn du nicht jede Person von dir fernhalten kannst. Du kannst so ekelhaft sein, wie du willst, aber irgendwann wird jemand kommen, der einen Blick hinter deiner Fassade wagt. Der die Wahrheit über dich erkennt und sie so hinnimmt. Weil du du bist. Mit deinen Dämonen.«
Buckys Gesicht ist zu Stein gemeißelt. Kurz wandert mein Blick zu seiner Brust, um zu überprüfen, ob er noch atmet.
»Celeste«, knurrt er meinen Namen. Noch nie hat mein Name gleichermaßen so schön und so hässlich geklungen. Wie ein Segen und Fluch zugleich. Er beugt sich nach vorne. Wobei er mit seinem Arm um mich greift, sodass ich gefangen zwischen ihm und der Barriere vom Tower stehe.
Mein Herz setzt aus, als er mir näherkommt und sein männlicher Duft in die Nase dringt. Nervös wandert mein Blick in seine Augen. Seine Pupillen sind geweitet und vertreiben das Blau seiner Iriden.
Ich starre in seine Augen. Er starrt zurück. Ich muss meinen Blick nicht aus seinen Augen nehmen, um zu wissen, dass meine Zeichnungen am Körper golden durch meine Kleidung schimmern. Ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat, aber mein ganzer Körper erhitzt sich, dass mir ein leises Keuchen über die Lippen kommt.
»Ich hasse dich Celeste. Von der ersten Sekunde an, in der du deine Füße in den Tower gesetzt hast«, flüstert er leise. Seine Lippen sind wenige Millimeter vor meinen entfernt. Mit jedem Wort, das er spricht, streift sein heißer Atem meinen Mund.
»Man kann niemanden hassen, den man nicht kennt«, kontere ich schwach und frage mich, wie ich es schaffen kann, überhaupt einen vernünftigen Satz zu sprechen. Meine Gedanken sind leer, ich fühle nichts, außer das Licht, das wie heißes Lava durch meine Venen pulsiert.
Seine Lippen verziehen sich zu einem unechten Grinsen und dennoch schlägt mein schwaches Herz darauf an. Oder ich verliere den Verstand, weil es sich anfühlt, als würde ich von innen verbrennen.
Ich will mich an Bucky klammern, doch ich tue es nicht. Weiterhin versuche ich mich auf meinen Beinen zu halten, während mein Körper kocht.
Was passiert mit mir? Noch nie habe ich mich so gefühlt.
»Glaub mir...« Bucky beugt sich zu meinem Ohr und flüstert mir die Worte hinein. »Es geht.«
Als würden mir seine Worte den letzten Stoß geben, kann ich mich nicht mehr auf meinen Beinen halten. Sie knicken ein und geistesgegenwärtig kralle ich meine Hände in das Shirt von Bucky, um mich irgendwie oben zu halten.
Sofort spüre ich, wie sich Arme um mich schlingen und Bucky mich anhebt, als würde ich nichts wiegen. Meine Augen fallen zu und auch wenn ich mich innerlich anschreie, kriege ich sie nicht auf.
Ein Wimmern verlässt meine Lippen. Ich will sagen, dass Bucky mich loslassen und mich alleine lassen soll, aber keine Worte verlassen meine Lippen. Alles verschwimmt, die Geräusche um mich herum werden zu einem eintönigen Piepen und dann bin ich mit einem Mal weg.
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