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Die einsame Gegend des nördlichen Dark Peak wurde vom Licht eines Scheinwerferpaares durchschnitten.
Eddie Kubiček verfluchte seine eigene Gutmütigkeit. Wieso nur hatte er sich von Stanley diesen Müll einreden lassen. Die asphaltierte Straße war längst in einen schmalen, holprigen, von verwitterten Trockensteinmauern gesäumten Feldweg übergegangen. Wenden konnte er mit dem Laster hier auch nicht. Nie und nimmer würden sie rechtzeitig nach Barnsley zurückkommen, um das Fahrzeug noch im Dunkeln zu entladen.
„Davorn müsste es sein." Stan spähte angestrengt in die schwindende Nacht.
„Das behauptest du seit der letzten halben Stunde alle fünf Minuten!", erwiderte Eddie zähneknirschend. War bei der Campingausrüstung nicht auch ein Klappspaten dabeigewesen? Er würde Stanley erschlagen, sorry Tante Millie, aber diesmal würde er diesem Nervtod den Schädel einschlagen, ihn erwürgen und dann zur Sicherheit noch vierteilen!
„Hier ist es! Hier ist die Stelle! Na, was habe ich dir gesagt!", schnatterte Stan fröhlich.
Im diffusen Scheinwerferlicht erweiterte sich die enge Fahrbahn zu einem kleinen Platz mit zwei hölzernen, überdachten Sitzgruppen und mehreren Anschauungstafeln.
Ungläubig blickte Eddie nach draußen. Nebelschwaden zogen aus dem Moor und hüllten die karge Heidelandschaft mit ihren Schleiern ein.
„Das ist ein Rastplatz für Wanderer, du Hornochse! Wie soll ich denn hier drehen?", schnauzte er.
„Stell dich nicht so an! Du kriegst das schon hin. Dahinten ist der Steg!" Stanley sprang aus dem Auto und lief zu den Informationsschildern.
Mühsam begann Eddie mit dem Rangieren. Nach mehreren Anläufen und einem unglücklichen Zusammenstoß mit einem Wegweiser stand der Transporter passgenau zwischen den Bänken.
„Jetzt guck dir das an! Solche Idioten! Die haben hier alles vollgeschmiert!", empörte sich sein Cousin, als Eddie ausstieg. Im Licht von Stan's Maglite gewahrte er eine nicht gerade wohlwollende Meinung zum hiesigen Fußballverein, die jemand mit schwarzem Marker quer über die Bilder von seltenen Schmetterlingen und vom Aussterben bedrohter Moorpflanzen verewigt hatte.
Kopfschüttelnd lief er um das Fahrzeug herum und begann die hintere Plane zu lösen.
„Denkst du nicht, dass wir gerade andere Probleme haben?"
„Das war eine tierische Schufterei, die Tafeln aufzustellen!", beschwerte sich Stanley. Wenigstens kam er angetrottet und half ihm beim Aufschnüren.
Dann blickten sie beide betreten auf den dunklen Körper, der reglos zwischen zerdrückten Schuhkartons, Trekkinghosen, Windjacken und Fahrradrucksäcken lag.
„Und du meinst, der ist wirklich tot?", flüsterte Stan.
„Du kannst gerne nochmal nach einem Puls fühlen", zischte Eddie ihn an. „Mach schon, wir haben schon genug Zeit verplempert!" Entschlossen kletterte er auf die Ladefläche.
„Was für eine Sauerei!"
Die ramponierten Verpackungen waren blutverschmiert und vom feuchten Nieselregen, der durch das Loch im Dach drang, völlig durchweicht.
„Scheiße! Was wenn dem seine Kumpels das Blut riechen können?" Stanley's Stimme schnappte ins Hysterische.
„Jetzt hör endlich auf! Die Tüten müssen wir eh entsorgen! Wir verbrennen alles, was versifft ist, dann gibt es keine Spuren!" Eddie riss seinem Cousin die Taschenlampe aus der Hand und stopfte sie sich in den Hosenbund. „Los jetzt! Du nimmst die Füße!", kommandierte er und krabbelte weiter nach vorn.
Der Fremde sah wirklich ziemlich unheimlich und gefährlich aus. Von Kopf bis Fuß bewaffnet, in schwarzem Drillich und mit schweren Kampfstiefeln kam er wie das Mitglied einer Spezialeinheit rüber. Nur hatte Eddie noch nie von einem Einsatzkommando gehört, welches mit Wurfsternen und langen Messern ausrückte. Und neben dem Kerl lag tatsächlich ein Kurzschwert aus schwarzem Stahl. Der Griff eines Zweiten ragte hinter seinem Rücken hervor. Die ganze Sache war einfach abstrus.
Energisch packte er den Körper unter den Schultern und hievte ihn hoch. Verdammt, war der schwer! Glücklicherweise hatte Stan seine Scheu überwunden und packte kräftig mit an. Gemeinsam wuchteten sie den Leichnam aus dem Laster.
„Warte mal", keuchte Stan und griff nach dem Schwert. „Wir dürfen nichts zurücklassen!"
Er warf es auf den Toten und kletterte von der Pritsche.
Eddie widerstand nur knapp der Versuchung sich das Schwert zu schnappen und seinem Vetter in den Leib zu rammen. Schwer schnaufend schleiften sie den Körper über den Bohlensteg bis zu einer kleinen Aussichtsplattform.
„Da unten ist das Sumpfloch", verkündete Stanley. Eddie konnte außer ein paar abgestorbenen Grasbüscheln nichts erkennen. Es war ihm auch egal. Er hatte die Schnauze gestrichen voll. Er wollte nur noch, dass dieser Albtraum endlich ein Ende fand.
Mit Schwung rollten sie den Unbekannten unter der hölzernen Absperrung hindurch. Mit einem schmatzenden Platschen blieb er wenige Meter entfernt liegen.
„Nanu", staunend lehnte sich Stan über das Geländer. „Der geht ja gar nicht unter. Sowas aber auch."
„Warum nur wundert mich das jetzt nicht", fauchte Eddie.
„Vielleicht ist es ausgetrocknet. Letztes Jahr hatten wir doch eine Jahrhundertdürre."
Eddie packte seinen Vetter am Kragen und zerrte ihn zurück zum Laster.
„Ist mir scheißegal! Wir fahren jetzt zurück und verstecken das Auto! Und wenn du nur ein Wort über diese Sache verlierst – dann lasse ich dich verschwinden. Und glaub mir, mir fällt bestimmt was besseres ein als deine verblödete Exkursion ins Grüne!"
„Aber wir können den doch nicht so liegenlassen!", protestierte Stanley halbherzig.
„Doch, und wie wir das können! Du hälst den doch für irgendein dämonisches Wesen – Reißzähne und glühende Augen, hm?! Vorschlag: Wie wär's mit Vampir? Dann hat sich das Problem erledigt, sobald die Sonne aufgeht, stimmt's?" Eddie schubste ihn an die Beifahrertür und verzurrte in aller Eile die Abdeckung der Ladefläche. Dann sprang er ins Führerhaus und wenige Minuten später rumpelte der Pritschenwagen wieder Richtung Zivilisation.
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Wichtig! Etwas war unglaublich wichtig! Etwas, dass er ganz dringend erledigen mußte! Ihm wollte nur ums Verrecken nicht einfallen, was das war.
Vielleicht wäre es gut, sich zu bewegen. Oder die Augen zu öffnen. Oder wenigstens mal zu blinzeln. Wenn das nur nicht so anstrengend wäre.
Thure beließ es erst einmal dabei, langsam zu atmen. Ein fauliger Geruch stieg ihm in die Nase und verstärkte seine Übelkeit.
Bruchstückhaft kamen ihm erste Erinnerungsfetzen. Rhíg, der ihn zusammenstauchte, weil er diesen Ghul auf der Mitternachts-Soiree von Lord und Lady Marissov gestellt und zerstückelt hatte. Branor, der ihn anbrüllte, weil er bei der Befragung des Yorkshire-Clan-Vorstehers die Geduld verloren und ein wenig ausfällig geworden war. Der nichtgenemigte Abstecher, der etwas aus dem Ruder lief. Die Verfolgung dieses Vampirs, der den großen Macker markiert hatte.
Genau! Das war's! Er musste Simon eine Beschreibung dieser Ratte liefern –damit kamen sie auf der Suche nach den Hintermännern garantiert weiter.
Sein Versuch, sich aufzurichten, schlug gründlich fehl. Zeitverzögert zu seinem Bewußtsein, kehrte auch sein Körpergefühl zurück. Mit der sehr sehr deutlichen Ansage, sich ja nicht zu rühren. Stechende Schmerzen jagten durch seine Nervenbahnen.
Die Brücke! Oh Shit! Ihm fiel die unerfreuliche Wendung seiner Jagd wieder ein.
Mittels großer Anstrengung gelang es ihm schließlich, zumindest ein Auge zu öffnen.
Er lag in einer schlammigen Pfütze aus verfilztem Gras und das Nieselwetter war in einen straffen Dauerregen übergegangen, der aus einem bleigrauen, wolkenverhangenen Himmel auf ihn herabfiel.
Heilige Scheiße! Es war längst Tag!
Panisch kämpfte er sich in eine aufrechte Position und schickte ein Stoßgebet zu allen Heiligen, die ihm auf die Schnelle einfielen. Allerdings machte er sich keine große Hoffnung auf himmlischen Beistand. Bisher hatte er sich einen Dreck um sein Karma geschert.
Nur seinem Mischlingsblut verdankte er es, nicht zu einem Stück Holzkohle verbruzzelt zu sein. Ein gewisses Maß an Tageslicht konnte er durchaus verkraften, solange es keine direkte Sonnenstrahlung war.
Die hektische Bewegung nahm ihm sein geschundener Körper übel und Thure musste sich übergeben.
In welchem trostlosen Vorkreis der Hölle war er hier gelandet? Soweit er mit seinem eingeschränkten Gesichtsfeld schauen konnte, umgab ihn nur ödes, nasses Grasland mit vereinzelten, niedrigen Heidekrautbüschen.
Ohne großen Erfolg versuchte er sein zweites Auge aufzubekommen. Der linke Arm ließ sich auch nicht recht gebrauchen. Mit der anderen Hand tastete Thure vorsichtig sein Gesicht ab. Es fühlte sich gar nicht gut an. Vermutlich stak in seiner fehlenden Schädelhälfte auch die Information, wie zum Geier er hierher geraten war.
Zu allererst musste er sich schleunigst um einem Unterschlupf kümmern. Bei seinem derzeitigen Verhältnis zu Fortuna schlug das Wetter sicher bald in einen strahlenden Frühlingstag um.
Thures getrübter Blick blieb an einem runden, metallischen Gegenstand hängen, der sich vom tristen graubraun der Umgebung abhob. Nach längerem Sinnieren entschied sein träges Hirn, dass es sich dabei um eine leere Bierdose handelte.
Okay, Müll in der Landschaft war zumindest ein Anzeichen für menschliches Leben. Damit konnte er schon mal ausschließen, durch irgendeinen dämlichen Zauber in der Anderswelt gelandet zu sein.
Eine heftige Windboe trieb die dichten Regenschwaden auseinander. Nicht allzuweit von ihm entfernt entdeckte Thure zwei schlanke Stahlstreben, die in etwa zwei Metern Höhe eine hölzerne Plattform trugen. Ein Bohlensteg verband diese mit der Böschung einer kleinen Anhöhe. Die Fläche darunter war jedoch nach drei Seiten offen und bot ihm keinen ausreichenden Schutz.
Bei dem Versuch auf die Knie zu kommen, fand er sein Kurzschwert halb im Matsch versunken.
Kaum zu fassen, wer immer ihn hierher gebracht hatte, hatte ihn nichtmal beklaut.
Mit zusammengebissenen Zähnen kroch er auf die Anhöhe zu. Der sumpfige Morast erschwerte ihm das Vorankommen erheblich. Gefühlte Stunden später hatte er es endlich den kleinen Hang hinauf geschafft.
Hier oben sah es auch nicht hoffnungsvoller aus. Ein paar zusammengezimmerte Sitzgelegenheiten und ein schmaler Feldweg mit vereinzelten Sträuchern und einer bruchstückhaften Trockensteinmauer am Rand. Der Regen prasselte noch immer beständig auf ihn nieder. Bei diesem Scheißwetter, für das er ja auch noch dankbar sein musste, würde keine Menschenseele sich auf einen Ausflug hierher verirren.
Er lehnte sich mit dem Rücken an eine kleine Birke. Er könnte die Sitzgruppen auseinandernehmen und sich unter den Überresten verkriechen, bis ihn seine Selbstheilungskräfte halbwegs wiederhergestellt hatten.
Haha,träum weiter! Wie willst du das denn anstellen. Du kannst ja noch nicht mal gerade stehen!
Blieb noch die Straße. Theoretisch sollte die doch irgendwo hinführen. Fragte sich nur in welcher Richtung ein lohnendes Ziel lag. Wieso gab es hier keinen verfickten Wegweiser?
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So, gemein wie ich bin lasse ich Thure erstmal in der ... sitzen.
Aber diese Woche geht's noch weiter, versprochen.
Was haltet ihr von den beiden Cousin's?
Sollen die später nochmal auftauchen?
Eigentlich waren es nur Randfiguren, aber mir sind sie ein bissl ans Herz gewachsen.
Ich freue mich auf eure Meinungen.
Eure Runa
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