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Holly Preston warf einen letzten Blick in den kleinen Taschenspiegel, obwohl ihre Frisur genauso tadellos saß, wie vor zwei Minuten. Aber für die perfekte Aufnahme durfte man nichts dem Zufall überlassen. Holly wusste genau was es brauchte, damit die Zuschauer vor den Bildschirmen dranblieben. Ihr taubengraues konservatives Kostüm und die weiße Seidenbluse verliehen ihr zusammen mit ihrer klaren, festen Stimme die nötige professionelle Autorität. Die schmale Goldkette mit dem Diamantanhänger und die passenden Ohrringe sorgten für den exklusiven Hauch von Glamour und die hochgesteckten blonden Haare, der rote Lippenstift, sowie die 12 cm Absätze ihrer Jimmy Choos an ihren langen schlanken Beinen sorgten dafür, dass auch die Zuschauer sich die Lokalnachrichten ansahen, die eigentlich immer erst zum Sportteil einschalteten.
„Bist du soweit?" Sie gab ihrem Kameramann ein Zeichen. Ihr Standort war gut gewählt, sie standen ganz nah am flatternden Absperrband der Polizei und die dunklen Leichenwagen waren ebenso mit im Bild wie das unauffällige graue Fahrzeug der Gerichtsmedizin.
„Also, auf drei! Eins, zwei, drei... Wir senden hier live vom Schauplatz des jüngsten Verbrechens, welches im Zusammenhang mit dem derzeit stattfindenden Drogenkrieg in unserer Stadt zu stehen scheint. Bei den vier Toten, die in den frühen Morgenstunden aufgefunden wurden, handelt es sich laut Angaben der ermittelnden Behörde um polizeibekannte Straftäter, die dem Milieu zuzuordnen sind. Eines der Opfer ist ein gewisser Robert C., alias Rocco, der schon seit längerem unter dem Verdacht steht eines der führenden Mitglieder im Bereich der organisierten Kriminalität zu sein.
An uns ist es jetzt zu fragen, welche Maßnahmen von Seiten der Polizei ergriffen werden, um dieser ausufernden Gewalt ein Ende zu setzen und den unbescholtenen Bürgern unserer Stadt die Sicherheit eines Lebens ohne Angst zu gewährleisten. Wie immer für Sie live von den Brennpunkten des Tages, Ihre Holly Preston von den Local News."
Mit einer Handbewegung signalisierte sie das Ende der Aufnahme und stöckelte zurück zum Übertragungswagen. Termin für eine Pressekonferenz gab es noch keinen und sie hatte schon das Maximum an Informationen hier herausgeholt.
„Was haben wir als nächstes?", fragte sie Kevin, ihren Assistenten, der auch als Fahrer fungierte.
„Unfall in der Innenstadt. Ein betrunkener Autofahrer ist in die Fußgängerzone gerauscht, hat beim Wenden rückwärts in ein Dessousgeschäft gesetzt und ist dann mit der gesamten Schaufensterauslage im Schlepptau in den Springbrunnen gekracht."
„Okay, das gibt ein paar schöne Bilder fürs Tageblatt, aber warum sollen wir uns das antun?"
Kevin grinste wie ein Honigkuchenpferd von einem Ohr zum anderen.
„Weil es der Wagen von unserem stellvertretenden Bürgermeister war und er auch drin saß!"
Holly reckte den Daumen nach oben, hüpfte auf die Beifahrerbank und zog sich die High-Heels von den Füßen. Ihr Kameramann verstaute schon die Ausrüstung im Van.
„Auf geht's Jungs. Wir wollen doch unsere Promillenz nicht warten lassen."
** * *
„Lie down, Rusty!" Ava bemühte sich die Anspannung aus ihrer Stimme herauszuhalten. Ihre Gereiztheit hatte sich heute schon genug auf den Hund übertragen. Dabei fragte sie sich ernsthaft woher das Tier seine endlose Energie nahm. Schließlich waren sie beide seit den frühen Morgenstunden auf den Beinen. Gut, der Bordercollie war im Gegensatz zu ihr so schlau gewesen die letzten Nächte durchzuschlafen.
Noch immer überfiel sie ein nervöses Zucken wenn sie an ihren nächtlichen Ausflug dachte. Auch in den Stunden nach ihrer Rückkehr hatte sie keine Ruhe finden können. Immer wieder war sie zum Fenster gelaufen und hatte in die Nacht hinausgehorcht.
Doch keine Motorgeräusche durchbrachen die friedliche Stille, keine gefährlichen Gestalten schälten sich aus den Schatten und die Fledermäuse unter dem Dach der Scheune stürzten sich nicht mit rotglühenden Augen auf sie, sondern jagten nur nach Insekten.
Mit einem geübten Griff setzte sie das Mutterschaf vor ihr auf sein Hinterteil und klemmte es mit den Schenkel in Position. Die beiden Lämmer wuselten blökend um sie herum, trauten sich nicht recht heran, von der Mutter weglaufen mochten sie aber auch nicht. Das Umhergespringe machte wiederum ihren Hund ganz wuschig.
„Ruhig, ganz ruhig meine Lieben", murmelte sie beschwichtigend und begann eine leise Melodie zu summen. Beim Klauenschneiden sollte das Schaf nach Möglichkeit nicht zappeln. Den ganzen Tag war sie auf der Außenweide unterwegs gewesen. Ursprünglich wollte sie nur ein paar Ohrmarken setzen. Doch dann musste ein Weidezaun geflickt, die Ausreißer gefunden und zurückgetrieben werden.
Immer wieder ließen Wanderer ihre Hunde trotz Leinenpflicht im Weidegebiet frei laufen. Mit dem Ergebnis, dass ihre Schafe die Flucht ergriffen, sich im Weidezaun verhedderten oder ihn beschädigten und sich im Umland verteilten. Zum Glück hielt der ausgeprägte Herdentrieb die Tiere davon ab bis nach Schottland zu laufen.
Beim Rücktrieb war ihr ein lahmendes Mutterschaf aufgefallen. Da sie es auf dem Quad nicht mitnehmen konnte, musste sie wieder zum Hof, den kleinen Viehhänger holen und die ganze Aktion nochmal von vorn beginnen.
Jetzt hatte sie das Tier samt dem dazugehörenden Nachwuchs im Stall und konnte sich die Sache aus der Nähe ansehen. Mittlerweile war es draußen schon dunkel und die, wenn auch etwas schummrige Beleutung über der Box verschaffte ihr bessere Sicht.
Wenigstens verhielt sich Rusty endlich ruhig. Den Bauch auf den Boden gepresst fixierte der Hund einen Punkt jenseits der Absperrung.
Mit dem Klauenmesser schnitt sie die Ränder der Hufe nach. Bei dem betroffenen Bein war eine leichte Verletzung zu erkennen. Vermutlich war das Tier in etwas Scharfes, wie eine Scherbe oder eine kaputte Metalldose getreten.
Wie viele Naturfreunde ihren Müll in der Landschaft entsorgten, war für Ava einfach nicht nachvollziehbar. Wer seinen Unrat am Wegesrand loswerden wollte, sollte seinen Wanderausflug in der örtlichen Entsorgungsdeponie machen.
Sie würde die kleine Familie für ein paar Tage hier behalten, der Boden der Buchte war frisch eingestreut und trocken. Damit konnte die Verletzung gut abheilen.
Ava streckte den schmerzenden Rücken durch und wischte sich den Schweiß aus der Stirn. Hoffentlich half ihr die Erschöpfung in einen tiefen, traumlosen Schlaf zu fallen.
Sie packte ihre Sachen zusammen und kletterte aus der Box, trat in den Gang und prallte gegen einen großen, sehr männlichen, in schwarzes Leder gekleideten Körper.
Mit einem erschrockenen Aufkreischen sprang sie zurück und traute ihren Augen nicht.
Da stand ihr Vampir seelenruhig an die Wand gelehnt und betrachtete sie abschätzend.
Diesmal ganz ohne Schlamm, Modder und Blut, dafür sauber, frisch rasiert und mit Schuhen an den Füßen. Seine Arme hingen lässig nach unten und er hielt keine Waffe in den Händen. Allerdings genug griffbereit am ganzen Körper.
Moment, hatte sie gerade 'Ihr Vampir' gedacht? Wie bescheuert war das denn? Persönlicher Albtraum war wohl angebrachter. Ein verstörender, heißer, erotischer ... nein! Bloß nicht!
„Heilige Jungfrau! Was, zum Teufel, machst du denn schon wieder hier?", schrie sie ihn empört an.
„Wir müssen reden", sagte er in einem Tonfall, als hätte sie etwas verbrochen.
Dieser Meinung war Ava keineswegs. Die Ereignisse der letzten Tage hatten ihren Nerven arg zugesetzt und jetzt kochte ihr Temperament über.
„Einen Scheiß muss ich!", wütend funkelte sie ihn an.
„Das Dach reparieren muss ich! Den Tierarzt bezahlen muss ich! Nach neuen Förderrichtlinien suchen, weil die EU-Gelder bald wegfallen muss ich! Die blöde Internetseite aktualisieren muss ich! Neues Verbandszeug besorgen muss ich! Diese Scheiß Drogen loswerden muss ich! Aber ganz sicher muss ich mich nicht um etwas kümmern, was ich vor ein paar Nächten unter tausend Ängsten losgeworden bin!"
Der Mistkerl brachte es fertig sie anzugrinsen.
„Ich kann mich nicht erinnern, das du irgendwann mal ängstlich aussahst."
„Pff...", ihr fiel nichts Schlagfertiges ein. So putzmunter sah der Kerl aber auch teuflisch gut aus, groß, dunkel und gefährlich. Viel besser noch als in ihren Träumen. „Wie hast du mich gefunden? Ich denke, du hast keine Ahnung wie du hier gelandet bist?"
„Habe ich auch immer noch nicht. Aber dich kann ich überall finden. Danke übrigens." Sein Blick verweilte auf ihrer linken Hand, an der ein großes Pflaster über dem Daumenballen klebte.
„Hmm", brummte sie und wedelte abwertend mit den Händen. Dann betrachtete sie ihn blinzelnd. „Das hat wirklich funktioniert?"
Thure konnte nicht fassen, dass er sich tatsächlich wieder in diesem Stall befand. Branor würde ausrasten weil er schon wieder unerlaubt unterwegs war. Aber diesmal hatte er eine Nachricht hinterlassen und auch sein Handy dabei. Welches er vorsichtshalber stumm gestellt hatte. Bevor er irgendwelche Fragen beantworten konnte, musste er erst mal selber herausfinden, was genau passiert war.
Wenn er jetzt ihre blitzenden Augen und die geröteten Wangen sah, störte ihn der ganze Ärger, der ihm bevorstand, gleich noch viel weniger. Wie geschickt sie vorhin mit dem gebogenen Messer hantiert hatte, war eine Augenweide und die Muskeln ihrer straffen Figur kamen vom Arbeiten und nicht aus dem Fitness-Studio. Das machte ihn sowas von an. Diese Schenkel fest um seinen Leib geschlungen ... Verflucht, er musste bei der Sache bleiben.
„Pass auf, ich werde dich nicht verraten, aber du musst mir ein paar Fragen beantworten."
„Verraten? Wegen dem Dope? Seid ihr auch im Geschäft? Oh Mann ...", sie begann hektisch hin und her zu laufen. „Das war 'ne Schnapsidee, im wahrsten Sinne des Wortes! Ich will nicht zwischen irgendwelche Fronten geraten. Nach dem fünften Tequilla klang es einfach so gut. Alles easy, null Risiko, schnelle Kohle – so ein Mist!"
Sie holte tief Luft. „Und jetzt lässt mich dieses Arschloch einfach hängen. Die Pflanzen sind erntereif, aber Rocco lässt nichts von sich hören und ich erreiche ihn auch nicht. Ich will das Zeug nur noch loswerden, ehrlich."
Thure zuckte nur mit den Schultern. „Dein Grasanbau interessiert mich nicht. Ich muss nur wissen zu welchem Zirkel du gehörst und was du mit den Abtrünnigen zu tun hast."
„Wie?", sie blinzelte wie eine kleine Eule. „Ich weiß nicht, was du meinst."
Was sollte das denn jetzt? Thure runzelte die Stirn. Er war doch wirklich höflich gewesen, hatte sogar Danke gesagt und sie zog hier die Unschuldsnummer ab?
„Wenn du als Hexe praktizierst musst du einem Zirkel angehören", knurrte er ungehalten.
„Sagt wer?"
So langsam wurde Thure sauer. „Für den Codex ist viel Blut vergossen worden. Es kann aber nur funktionieren, wenn sich alle daran halten und dafür sorgen wir und da gibt es für niemanden eine Ausnahme."
„Ja, schon klar, logisch."
Sie sprach langsam, mit ruhiger Stimme, betonte jede Silbe. Als hätte er einen an der Klatsche. Für dieses Weib lud er sich den ganzen Ärger auf den Hals? Thure spürte das vertraute Brodeln der Wut. Doch er würde sich nicht aufregen, nein, er würde vernünftig reagieren, schön tief Luft holen und tief durchatmen.
Ihr Geruch stieg ihm in die Nase, verlockend weiblich, nach Honig und Sommer. Kein säuerliches Aroma von Angst, keine bittere Note der Falschheit und auch kein brenzliger Duft ...
„Du riechst überhaupt nicht nach Hexe", stellte er verwundert fest.
Diese Aussage ließ sie die Augen verdrehen und entrüstet schnauben.
„Oh, tut mir ja leid! Wenn ich gewußt hätte, dass du vorbeischaust, hätte ich schnell noch ein Rosenblütenblätterbad genommen."
Welch reizende Aussicht, diese zarte, helle Haut in Wellen von warmen Wasser, die kleinen festen Brüste zwischen duftendem Schaum und Blütenblättern ...
Konzentration, verflucht noch mal, worum ging es gerade?
Achja, Hexe ...
„Wo ist dein Hexenmal?"
„Bitte was?", verständnislos starrte sie ihn an, als hätte er nach der Formel zur Berechnung der Rotationsgeschwindigkeit von Neutronensternen gefragt.
Er musste zugeben, dass sie diese 'Ich habe keine Ahnung' Nummer voll draufhatte. Gut, Katz und Maus spielen konnte er auch.
„Jede Hexe hat irgendwo an ihrem Körper ein Zeichen, so was wie ein Muttermal, in Form einer kleinen Rune und je nachdem welche Magie sie verwendet, desto kräftiger ist es."
Thure trat einen Schritt auf sie zu und ließ seinen Blick langsam und intensiv über sie gleiten. „Ich will wissen, mit welcher Magie du arbeitest", knurrte er mit tiefer Stimme.
Mit einem Mal veränderte sich die Situation. Ihre Haltung entspannte sich und ein kleines Lächeln schlich sich in ihre Züge.
„Ach, willst du das?"
Sie bückte sich, entknotete die Schnürsenkel ihrer derben Arbeitsschuhe und schüttelte sie von ihren Füßen.
„Da werde ich besser mal kooperieren, nicht wahr?"
Plötzlich hatte Thure das ungute Gefühl die Schlacht verloren zu haben, bevor überhaupt eine Kriegserklärung ausgesprochen war.
Sie biss sich auf die Unterlippe und begann langsam ihr Holzfällerhemd aufzuknöpfen. Dabei blieben ihre strahlenden Augen unverwandt auf ihn gerichtet.
„Na dann, such mal gründlich." Das Hemd fiel zu Boden, ein T-Shirt folgte, dann rutschte ihre Cargohose nach unten. Eleganter als ein Stripgirl stieg sie aus dem Kleiderhaufen und vollführte eine anmutige 360 Grad Drehung.
Bei den Dämonen! Seit wann war einfache, weiße Baumwollunterwäsche so sexy?
Hexe! Hexe! Hexe! Definitiv!
Wie hatte er nur daran zweifeln können.
„Was soll das denn werden, wenn's fertig ist?", fragte er betont lässig. Mist, wieso klang seine Stimme so heiser?
„Wonach sieht's denn aus?", konterte sie ebenso lässig. Ohne rauen Unterton.
Fuck! Hatten sie dieses Gespräch nicht schon mal?
Genau. Kurz bevor sie ihn mit einem 10 000 Volt Blitz abgeschossen hatte. Sie war gefährlich. Das durfte er nicht vergessen. Sie hatte ihm zwar danach geholfen, aber bei Hexen wusste man nie sicher woran man war. Auch wenn sie noch so verführerisch duftete. Und das heißeste weibliche Wesen auf dieser Erde war.
„Kannst du denn aus der Entfernung was erkennen?"
Für wie blöd hielt sie ihn? Er würde sich ganz sicher nicht in ihre Reichweite begeben.
Seine Füße liefen einfach los. Aber er konnte sie stoppen. So ungefähr dreißig Zentimeter vor ihr.
„Bist du notgeil? Oder gerade in der Hitze?" Zumindest sein Mundwerk reagierte noch abweisend.
Sie war kein bisschen beleidigt, sondern zuckte nur mit den Schultern.
„Beltane steht vor der Tür, da sind wir Hexen ein wenig hippelig."
Thure kniff die Augen zusammen und fing an zu rechnen. Wow, er konnte noch weiter als bis drei zählen.
„Bis Beltane sind es noch gut sechs Wochen!"
„Mein Gott, was bist du pingelig! Deine Vorfahren sind da schneller zur Sache gekommen."
„Vorfahren?", fragte er irritiert. „Welche Vorfahren?" Was laberte sie da für einen Müll?
Sie verschränkte die Hände hinter dem Kopf und lehnte sich mit dem Rücken an die holzverschalte Aussenwand.
„Na wen meine ich wohl? Silberschmuck, tätowierte Runen, blaue Augen, rote Haare mit kleinen Zöpfchen, liebstes Hobby plündern und brandschatzen ... Oder warte mal, vielleicht bist du ja höchstpersönlich mit den Söhnen Odins hier eingefallen?"
Die Frau hatte echt einen an der Waffel.
„Was heißt hier Söhne Odins? Ich bin doch kein Wikinger! Und rote Haare? Ich habe überhaupt keine roten Haare!"
„Ja, hier bei dem Schummerlicht vielleicht nicht. Aber ich wette im Sonnenschein sieht das anders aus. Da leuchten sie sicherlich richtig."
Er starrte sie mit versteinerter Miene an und zog dann langsam die Lippen zurück. Mit einem bösen Zischen präsentierte er seine ausgefahrenen Fänge.
Sie besaß den Anstand, sich erschrocken die Hand vor den Mund zu halten.
„Ups, ach so, ja Vampir. Na gut, das mit der Sonne müssen wir wohl streichen."
Ihre Augen blieben begehrlich an seinem Mund hängen.
„Du trödelst rum!"
„Vielleicht habe ich ja keine Lust wieder den Blitzableiter zu spielen."
„Das liegt ganz bei dir. Ich habe mich nur verteidigt", schnurrte sie.
Das tiefe Timbre ihrer Stimme wirkte wie der Lockruf einer Sirene. Sein Körper stand unter Strom, ihm war heiß, die Klamotten waren zu eng und seine Selbstbeherrschung war dabei die Koffer zu packen. Er musste schleunigst zum Gegenangriff übergehen.
Thure stützte sich mit den Händen links und rechts von ihr ab und beugte sich nach vorn, immer noch darauf bedacht, sie ja nicht zu berühren.
„Vorsicht Hexe! Ich beiße!"
„Nur zu. Wenn du hinterher als Lurch aufwachen willst. Ich sehe schon die Schlagzeilen vor mir – Neue Spezies entdeckt! Nachtaktiver, schwarzer Moorfrosch mit Fangzähnen gesichtet! - Ich könnte exklusive geführte Nachtwanderungen anbieten."
Das allgegenwärtige Summen in seinem Blut schwoll erneut an. Aber Thure zwang sein aufbrausendes Temperament nieder. Das war doch genau, was sie beabsichtigte. Wenn er wütend wurde, würde sie ihm wieder eine volle Breitseite verpassen.
Er schloss die Augen und atmete tief ihren wundervollen Duft über der Hauptschlagader ihres Halses ein.
Lindenblüten! Rein und zart und betörend.
„Du hast gar keine eigene Magie", murmelte er leise. „Zumindest keinen Hexenzauber. Der riecht nämlich wie ein frisch abgebranntes Streichholz."
Thure hob sein Gesicht vor ihres und blickte ihr tief in die geweiteten Augen.
„Du hast nur irgendwie meine Wut auf mich zurückgespiegelt."
Zum ersten Mal entdeckte er so etwas wie Unsicherheit in ihren Zügen.
„Ich frage mich daher", knurrte er mit gefährlich sanfter Stimme, „was du machen willst, wenn ich dir völlig emotionslos die Kehle rausreiße." Dabei strich er zur Bekräftigung seiner Worte mit der Zungenspitze über seine Fangzähne.
Im Mienenspiel der Hexe zuckte es. Jetzt hatte er sie!
Oder auch nicht. Sie fing an zu lachen.
„Tut mir leid", schniefte sie zwischen zwei Prustern, „aber ich bezweifel, dass du das hinkriegst. Also nicht das Kehle rausreißen, sondern ich meine das emotionslos. Du hast eine tiefrote Aura mitglühend orange pulsierenden Streifen, fast so wie kochende Lava. Das ist das komplette Gegenteil von kalt und gefühllos."
Thure rückte ein Stück zurück. Sie konnte seine Aura sehen?
„Wer oder was bist du?", fragte er mißtrauisch.
Sie ließ die Arme sinken und das Leuchten verschwand aus ihren Augen.
„Ist doch egal, oder? Hexe, Freak, Missgeburt, Dämonenschlampe – such dir halt was aus."
Ihre plötzliche Verletzlichkeit berührte ihn mehr, als er sich eingestehen wollte.
Er spürte die Ablehnung und Ausgrenzung, die sie erfahren hatte und fühlte sich ihr dadurch verbunden.
Langsam senkte er seine Lippen auf ihre und schenkte ihr einen sanften, entschuldigenden Kuss.
Beim zweiten kam sie ihm auf halben Weg entgegen, zögerlich und schüchtern. Diese fast scheue Berührung entlarvte ihr forsches Auftreten als Lüge. Thure erkannte, dass ihre taffe und angriffslustige Art nichts anderes als purer Selbstschutz war. Lieber selber zuschlagen, als verletzt werden, sein eigenes Lebensmotto kam dem recht nahe.
Ein ihm völlig unbekannter Beschützerinstinkt wallte in ihm auf. Meins, schrie es klar und deutlich durch jede einzelne Zelle seines Körpers.
Wie irritierend. Das konnte er jetzt gar nicht gebrauchen.
Ava war völlig neben der Spur. Sie hatte während der letzten Tage gehofft zur Normalität zurückzufinden, aber es hatte nicht funktioniert. Ständig war dieser Kerl durch ihre Gedanken gegeistert. Durch ihre verrückte Rettungsaktion hatte sie so gut wie alle ihre Kraftreserven aufgebraucht. Sie brauchte dringend eine Energiequelle zum Aufladen. Aber erneut in die Stadt zu fahren, hatte sie sich nicht getraut und hier draußen? Da war die Auswahl an freiwilligen Spendern stark eingeschränkt.
Tom würde eine unverbindliche Verabredung viel zu ernst nehmen und Leroy? Selbst wenn ihr Leben davon abhing würde sie dieses Ekel nicht berühren, obwohl sie der Menschheit sicher einen großen Dienst erweisen könnte, sollte der Dreckskerl dabei hopsgehen.
Wenn du denkst es geht nichts mehr – kommt irgendwo ein Licht daher.
Ihre Rettung stand zum Greifen vor ihr. Eine kraftstrotzende Powerbank mit umwerfend erotischer Ausstrahlung. Zugegeben, seine Anmache war ein wenig verquer gewesen mit dem ganzen Gerede über Magie und Hexengerüche. Sie hatte doch genau gespürt, dass er scharf auf sie war. Vermutlich war es ihm zu plump erschienen, sie einfach nach einem Date plus Nachtisch zu fragen.
Ihre kleine Kabbelei hatte sie sichtlich genossen und sie hatte sich schon darauf vorbereitet seinen Wutanfall abzufangen. Aber irgendwie hatte er den Braten gerochen und ihren Plan ins Leere laufen lassen. Sein plötzlicher Rückzieher hatte ihr einen schmerzhaften Stich versetzt. Das sie selbst von einem Vampir wie eine Aussätzige behandelt wurde, war schwer wegzustecken. Und dann überrumpelte er sie mit diesem verflixten Kuss. Es war nicht mehr als ein sanftes Streicheln ihrer Lippen gewesen, einfühlsam und zärtlich. Unwillkürlich hatte sie sich nach vorn gelehnt, ihm entgegen, weil ihr dieser kurze Moment so unwirklich erschienen war. Doch auch der zweite Kuss blieb behutsam und geradezu unschuldig, als wäre sie etwas unglaublich Wertvolles und Zerbrechliches. Ihr Herz blieb stehen und schlug gleichzeitig Purzelbäume. Was hatte der Kerl nur mit ihr angestellt? Lästiges Nachtschattengewächs!
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Sorry, es hat mit dem Update länger gedauert als beabsichtigt.
Mein Leben nimmt mich gerade ziemlich in Beschlag.
Ob die beiden nun endlich zusammenkommen?
Ich freue mich riesig über die vielen neuen Views, bin aber gleichzeitig etwas traurig, dass so viele Ghostreader dabei sind. Liebe Leser, ein kleiner Kommentar, Hinweis oder wenigstens ein Sternchen sind für den Autor unglaublich motivierend.
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