Kapitel 7
Mit neun kam ich in die dritte Klasse.
Meine schulische Laufbahn war bis zu diesem Zeitpunkt Katastrophal. Die erste Klasse hatte ich wiederholen müssen, weil ich weder lesen noch wirklich schreiben konnte. Kaum zu glauben, dass die beiden Dinge jetzt meine Hobbys sind.
In der dritten Klasse bekamen wir eine neue Lehrerin und meine Klasse wurde komplett neu zusammengestellt. Zu meinem Pech war aber der Junge, der zuvor mein Nachbar war und mich mit Sand beschmissen hatte, auch in meiner Klasse. Aber er ließ mich in Ruhe. Trotz der Tatsache, dass ich nun eine Glatze hatte. Die gesamte Klasse sagte nichts dazu, was überraschend war, weil Kinder aus den Nebenklassen und auf den Spielplätzen sich nicht gescheut hatten gemein zu sein. Ich glaube es lag an der Tatsache, dass ein Mädchen in meiner Klasse war, die weniger gemocht wurde. Sie kam aus einer sozialschwachen Familie und hatte genauso Pech wie ich bezüglich ihrer Familie. Am zweiten Schultag sind wir Planschen gegangen und ich hatte kein Schwimmzeug. Das Mädchen bot mir ihren zweiten Badeanzug an. Plötzlich kam die hälfte der Klasse zu mir und sagte zu mir, ich solle den lieber nicht anziehen, weil sie eklig ist. Sie hatte abgenutzte Kleidung an, mit einer niedlichen Brille auf der Nase. Während andere nur oberflächlich schlechtes in ihr sahen, wirkte sie auf mich wie ein herzensguter Mensch und ich fand es nicht fair, wie sie über sie sprachen. Ab diesem Tag an verbrachte ich meine Zeit mit ihr. Ignorierte die abfälligen Kommentare der anderen und tauschte auch Brotdosen mit ihr, da das damals üblich war, dass man sein Essen tauschte. Sie wurde zu einer wirklich guten Freundin und bis heute habe ich noch Kontakt zu ihr. Ich habe sie vor den anderen immer verteidigt und mit der Zeit setzten sich immer mehr Mädchen zu uns. Fingen an sie kennenzulernen und sie begannen sie zu mögen. Denn es war rein gar nichts falsch an ihr. Sie war und ist einer der reinsten Menschen, die ich kennenlernen durfte. Und ich bin froh, dass ich bis heute ein Teil ihres Lebens sein darf. Das Mobbing in der Schule hörte in der Grundschule erstmal auf. Die Kinder fingen an mich zu akzeptieren und wertzuschätzen und meine neue Lehrerin wurde die erste Erwachsene Person, die an mich glaubte. Sie sorgte dafür, dass ich Mittwochs vor der ersten Stunde eine extra Stunde bekam, um mein Deutsch zu verbessern. Bei Niederschlägen munterte sie mich auf und sie gab mir einmal eine Klassenarbeit zurück, damit ich die letzte Aufgabe wiederholen konnte, weil sie wusste, dass ich es eigentlich konnte. Es blieb unser Geheimnis. Parallel zur Schule hatte ich Therapie. Neben meiner Lehrerin war das die zweite Frau, die mein Leben zu etwas besserem gemacht hatte. Dank ihr habe ich begonnen zu lesen, als sie mir mein erstes Buch geschenkt hatte. Dank ihr konnte ich lernen mich zu verteidigen. Für mich einzustehen. Zumindest damit zu beginnen. Denn zuvor bin ich immer nur für andere eingestanden und habe mich selber dabei immer vergessen. Aber dank ihr wurde ich langsam in die Richtung gelenkt mich und meine Bedürfnisse wahrzunehmen. Viele sagen Therapie würde nichts bringen. Einige wehren sich immens dagegen. Aber für mich waren diese zwei Jahre Therapie ausschlaggebend für meine Entwicklung. Was für viele wie Spielen aussah, war im Grunde mehr als das. Ich gebe euch ein Beispiel. In einer meiner Therapiestunden habe ich an einem Puppenhaus gespielt. Der Vater war in meinem Spiel ein Säufer, der nichts anderes tat als zu schreien und seine Familie zu schlagen. Das war mein Bild einer Familie. Die Realität, die ich kannte und so äußerte ich genau diese Realität in meinem Spiel. Als Kind war mir das nicht bewusst. Aber heute weiß ich mit Sicherheit, was in den Notizen meiner Therapeutin stehen musste. Sie sah mich. Sie sah was mich belastete, obwohl ich es nicht angesprochen hatte. Denn in all den Jahren hatte ich niemandem von dem erzählen können, was bei uns zu Hause los war. Ich schwieg. So viele Jahre hatte ich geschwiegen. Ich hatte Glück. Ich hatte großes Glück diese beiden Frauen in meinem Leben gehabt zu haben. Ich hatte großes Glück, dass sie mein Potenzial gesehen hatten. Dass sie alles dafür gegeben haben meine Persönlichkeit, die meine Familie so vehement unterdrückt hat, herauszuholen. Denn dank ihnen fand ich die Liebe in Poesie. Dank ihnen fand ich einen Weg mich auszudrücken. Dank meiner Lehrerin verbesserte ich meine Noten soweit, dass ich von einer 4,0 auf eine 2,8 rutschte. Dadurch wurde mein Draht zu den anderen Kindern auch besser. Ich fand meine Spielgruppe aus einem Mädchen und einem Jungen. Wir trafen uns Privat und spielten One Piece nach. Wir schrieben sogar unsere eigene Geschichte und bekamen Kostüme von der Mutter des Mädchens. Bis zur sechsten Klasse war mein Leben etwas schöner. Ich hatte Freunde, meine Noten waren besser und meine Eltern schlugen mich nicht mehr. Aber mit jeder Hochphase, kommt auch ein Tief. Meine Mutter kam nicht zu meinem Abschluss. Sie hatte mich bestraft, weil ich meine Schwester in Schutz genommen hatte. Meine Schwester ist damals zu einem alten verlassenen Haus mit einigen anderen Kindern. Ich habe sie einmal erwischt und versprach es für mich zu behalten, wenn sie in Zukunft nicht mehr hin geht. Nun ja. Meine Mutter hat am Tag meines Abschlusses das Tagebuch meiner Schwester gefunden und entschieden nicht zu meinem Abschluss zu kommen. Alle anderen Eltern waren da und ich musste mir die Tränen zurückhalten. Vor allem dann, als meine Lehrerin mich weinend umarmt hatte und mir alles gute für meine Zukunft wünschte. Auf dem Weg nach Hause habe ich fürchterlich geweint. Meine Mutter kam mir auf der Straße entgegen. Statt wütend zu sein rannte ich weinend auf sie zu und ließ zu, dass sie mich in den Arm nimmt. Sie hat mir erklärt, dass sie wegen dem Tagebuch nicht gekommen ist. Als wir zu Hause waren, schnappte sie sich meine Schwester und mich und holte den Koran raus. Die ganzen Jahre über verschwendete sie keinen Blick auf den Koran und gelesen hat sie diesen auch nicht. Aber für die nächste Situation, schien ihr dieses Buch auszureichen. Sie wollte uns zwingen auf den Koran zu schwören, dass wir sie nie wieder anlügen. Meine kleine Schwester, die Lieblingstochter meines Vaters, tat was meine Mutter wollte. Ich aber weigerte mich. Das erste mal stand ich für mich ein. Mit 13 Jahren wehrte ich mich endlich gegen das toxische Verhalten meiner Mutter. Ich weigerte mich und sagte ihr, dass sie so etwas nicht von mir verlangen kann, weil ich dieses Versprechen nicht halten kann. Ich hatte viel zu großen Respekt vor Gott und dem Koran. Es gibt kaum einen Menschen, der nicht einmal eine kleine Lüge hier und da ausspricht. Ich hatte Angst, dass ich bei der kleinsten Lüge Gottes Zorn spüren würde. Nur weil meine Mutter absolute Kontrolle über uns haben wollte. Sie hatte kein Recht dazu das zu verlangen. Nicht wenn sie nicht besser war. Denn meine Mutter log. Meine Mutter log viel.
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