Von Slasheis und Liebeskummer
Der Weg vom Wald zurück ins Camp fiel Leo überraschend schwer. Zwar verspürte er nicht die geringsten Gewissensbisse, obwohl er doch gerade Henry aus dem Camp vertrieben hatte.
Aber trotzdem erfüllte es ihn nicht mit Glück. Vermutlich hatte Henry alles riskiert für diesen Stein- seine Vergangenheit, seine Freundschaft zu diesem komischen Oscar...
Der Stein, der mit Calypsos Blut befleckt ist.
Die alte Wut kochte in Leo auf. Henry hatte gewusst, dass sich einer von ihnen im Kreis sich opfern musste!
Aber eine Sache war merkwürdig und plagte Leo schon seit dem Calypso sich verletzt hatte. Warum wollte Henry denn unbedingt Teil vom Ritual sein? Und warum wollte er nicht zulassen, dass Leo mit von der Partie war?
Warum denke ich überhaupt darüber nach? Warum habe ich ihm so schnell verziehen?
Der kurze Schlagabtausch mit Henry hatte ihn ziemlich schnell die Augen geöffnet. Er kannte diesen Kerl gerade Mal einen Tag lang und schon hatte er ihn so gut wie alles anvertraut. Henry wusste, dass Leo mit ein paar anderen Halbgöttern auf einen Einsatz ist. Er wusste, dass Leo stinkwütend auf Piper und Jason war. Dazu wusste er alle Geheimnisse des Camps, denn Chiron hatte mit Henry geredet.
Und am Ende hatte Leo so gut wie nichts von Henry zurück bekommen.
Leo wusste nicht, wer Henrys Mutter war. Er wusste nicht, wie Henrys Vergangenheit abgelaufen war, wo Henry bis jetzt gelebt hatte, bevor er ins Lotus Hotel gekommen war. Er wusste noch nicht mal, wie er ins Lotus Hotel gelangt war!
Langsam wurde Leo klar, dass er nichts über seinen "Freund" wusste.
Außer dass sein Bruder sehr jung gestorben war und dass Henry sich mit Zauberzeug auskannte.
Und jetzt wusste Leo, dass ein Junge namens Oscar Henry früher Mal sehr viel bedeutet hatte.
Aber dafür musste er ihm erst nachspionieren, bis er die Wahrheit heraus gefunden hatte!
Aber wie zur Hölle ist Oscar gestorben?
Leos Gedanken überschlugen sich, immer schneller rotierten sie, bis Leo ein Muster auffiel.
Henry konnte gar nicht jemanden umbringen. Zwar hatte er durchaus die Fähigkeiten dazu, aber er würde es nicht über sich bringen können. Es war Leo schon mehrmals aufgefallen, dass Henry fast einen Herzanfall bekam, wenn man von Tod und Blut redete.
Nicht Henry hatte Oscar umgebracht. Jemand anderes muss es getan haben, aber Henry war schon dabei beteiligt gewesen. Nicht direkt.
Vielleicht hatte Henry den Mord in Auftrag gegeben? *
Zuerst kam Leo der Gedanke abwegig vor: ein Fünfzehnjähriger, der einen anderen umbringen will, um jeden Preis?
Allerdings hatte Leo in seinen kurzen Leben schon vieles erlebt. Er hat Monster aus der Antike umgebracht, ist mit paar Jugendlichen und einer Halbziege um die halbe Welt gereist. Er ist tot gewesen und ist mit einem 3000 altem Mädchen zusammen gekommen.
Was wundert da einen denn noch? Henry war sowieso schon die ganze Zeit super geheimnisvoll gewesen...
Beim ganzen Nachdenken, sah Leo überhaupt nicht auf seinen Weg. "Aua!" Er war gegen die Hephaestus-Hütte gestoßen. Schmerz breitete sich langsam in seinen Schädel aus.
"Leo!" Eine kleine Gestalt hüpfte vor ihm auf und ab. "Was ist jetzt mit Henry? Leo?"
"Kennen wir uns ", knurrte Leo nur. Sein ganzer Kopf pochte unaufhörlich. Aua...
Cecil musterte ihn mit diesen total verwirrenden braunen Augen. "Soll ich deinem Gehirn ein bisschen auf die Sprünge helfen? Wir haben zusammen meinen Halbbruder beschattet. Danb bin ich abgehauen, du bist aber geblieben. Und jetzt heult Henry sich bei deiner Freundin Piper aus. Was ist los?"
Leo wusste nicht, was er sagen sollte. Schließlich stieß er hervor: "Henry ist... noch da?"
Cecil deutete auf den Tisch vor ihnen. Paar Meter vor ihnen saßen Percy, Annabeth und Piper an einem Tisch. Henry, der neben Piper saß, starrte Leo aus zusammen gekniffenen Augen an und wandte sich hastig um, als Leo ihn mit einen finsteren Blick bedachte.
Leo drehte sich wütend zu Cecil um- warum hatte er ihn nicht gewarnt, dass Henry so dicht an ihrem Gespräch war und vermutlich alles mithörte? Aber Cecil war nicht mehr da. Ach, Kinder des Hermes hatten es eben echt leicht... wenn man Luke Castellan, einer von Goldis Lieblingen, nicht mitzählte.
Wie auch immer, ein reges Gespräch fand wohl gerade zwischen Piper und Henry statt.
"Ich liebe ihn nicht, verdammt noch mal!"
"Tust du wohl! Ich weiß es!"
"Nein!"
"Doch!"
"Ohhh!"
"Halt Stopp, so leicht lasse ich mich nicht zufrieden geben. Du liebst ihn. Punkt aus!"
"Woher willst du das wissen?", brüllte Henry. "Ich liebe keine Jungs!"
Piper warf Henry einen mehr oder weniger frustrierten Blick zu, doch sie fing sich sofort wieder. "Warte nur. Ich finde schon noch heraus, wer deine- oder besser gesagt dein Partner sein wird. Und dann verkuppele ich euch. Vielleicht verkuppele ich euch auch zuerst und denke dann nach, ob ihr zusammen passt. Hm..." Sie tänzelte verträumt davon (vermutlich ganz in ihrer eigenen Shippingworld), nicht ohne dem betroffen dreinsehenden Henry kurz zu zugrinsen. "Verärgere nie eine Tochter der Aphrodite!"
Mit diesen Worten rauschte sie zufrieden davon.
Leo warf einen flüchtigen Blick auf die Gäste vor ihm.
Piper schien irgendwie die Unterhaltung am Leben gehalten zu haben. Jetzt starrten Annabeth und Percy mit hochgezogenen Augenbrauen (irgendwie witzig, was sie alles sincron konnten) zu Leo und und dem geknickten Henry rüber, der noch nicht Mal hoch schauen konnte.
Leo konnte sich immer noch nicht vorstellen, wie stark das Paar sich verändert hatte. Diese unsicheren verliebten Seitenblicke exestieren nicht mehr. Sie hatten zueinander gefunden und zweifelten nicht an ihrem Glück. (Ja, Glück. Auch Halbgötter haben Mal Glück.)
Percy Jacksons Augen hatten jegliches Sarkasmus oder Unruhe verloren. Stattdessen strotzte er vor Ruhe und Liebe, wann immer Annabeth ihm einen amüsierten Blick zu warf.
Annabeths Blick war auch längst nicht mehr so streng und sie wirkte zum ersten Mal auf Leo zutiefst zufrieden und ausgeglichen. Es war so, als ob alle Ecken und Kanten von ihrer Beziehung glatt geschliffen worden sind, wie ein Stein im Meer.
Piper kam zurück mit zwei riesigen Bechern mit glitzernder Flüssigkeit. Das linke Glas enttarnte Leo als blaues Slasheis, das rechte als dunkle Schokolade mit goldenen Spritzern und Sahne. Die Tochter der Liebesgöttin stellte das mit Schoko vor Henrys Nase ab und begann nachdenklich am blauen zu nippen. "Mhm..."
"Ich will auch!", kam es gleichzeitig von Percy und Leo. Beide funkelten sich gegenseitig an. "Finger weg von der Schokolade!", fuhr Leo Algenhirn an.
"Du kannst die Schokolade haben. Ich möchte das blaue!", quengelte Percy.
Insgeheim lächelte Leo. So doll hatte Percy sich also doch nicht verändert. Einmal Kindskopf, immer Kindskopf.
Piper aber schüttelte unnachgiebig den Kopf. Die Perlen in ihren Haaren glänzten mit ihren gerade efeugrünen Augen um die Wette. "Das bekommen nur die, die Liebeskummer haben."
Sofort wich Henry wie elektrisiert zurück. Es war mehr als Angst, die in seiner Stimme mitschwang, als er stockend Pipers Trank ablehnte. "Ich... ich habe keinen Liebeskummer." Vorsichtig schob er es von sich. "Ich möchte nicht-"
Aber Pipers Blick ließ ihn verstummen. "Wenn ich sage, dass du Liebeskummer hast, muss das wohl stimmen."
Leo wurde langsam nervös. Liebeskummer? Warum sollte Henry Liebeskummer haben? "Wenn er es nicht will, kann ich es haben?"
Diesmal war es Annabeth, die einen mahnenden Blick verteilte. "Leo. Wenn es Henry nicht gut geht, sollst du keine Witze darüber machen." Sie nickte dem Sohn des Hermes aufmunternd zu. "Probiere doch!"
Oder zumindest war es aufmunternd gemeint.
Henry zog nahezu erschrocken den Kopf ein und nahm hastig einen Schluck aus seinem "Liebeskummertrank", teils um Leos Blicken auszuweichen, teils wahrscheinlich aus Angst vor der lieben Annabeth Chase. Gleich darauf spuckte er es wieder aus. "Wollt ihr mich umbringen oder was?!"
"Nein!" Piper sah ihn verständnislos an.
"Ja ", sagte Leo. "Ich nicht ", murmelte Percy.
Annabeth kniff die Augen zusammen und auf einmal war sie wieder die Alte. "Piper, was ist darin? Doch nicht etwa Nektar?" Das Wort ‚Nektar' sprach sie aus, wie ein gewisser Mensch ‚Bananenmatsch'.
"Ähhh... vielleicht... ein bisschen? Ich wollte sein Gesicht heilen, die Narbe wurde ihm mit Magie zugefügt. Ich dachte, er sehe hübscher ohne aus..." Es gab einen stummen Blickwechsel zwischen den Dreien. Henry starrte fast verletzt zu Piper hoch, Annabeth durchbohrte sie wiederum mit blitzenden Augen.
Die Blonde sendete mit dem ungeduldigen Fingerschnipsen einen klaren Alarm aus. Piper, du Dummerchen! Wie konntest du nur? Percy legte ihr beruhigend einen Arm um die Schulter, was Leo recht beunruhigend fand.
Aber Annabeth seufzte tief und zwang sich dazu, paar Beleidigungen Piper gegenüber runter zu schlucken. Trotzdem sah sie fassungslos auf das eisgekühlte Getränk, was Henry gerade noch getrunken hatte. "Piper! Das könnte ihn umbringen!" Piper knirschte mit den Zähnen. "Tut mir leid. Wirklich." Sie sah nervös zu Henry rüber. "Ähm... wonach schmeckt es denn?"
Henry war mehr damit beschäftigt, sich nicht zu übergeben. Aber nach einer Weile trat ein merkwürdiger Ausdruck in sein Gesicht, bis es zu Erkenntnis und dann zu Sehnsucht umschlug. "Verbrannte Fischstäbchen. Von ihm. Oscar konnte einfach nicht kochen." Wie immer, wenn er Oscars Namen nannte, griff er sich geistesabwesend ins Gesicht und strich leicht verwundert über die dünne Narbe, die sich quer über sein Gesicht spannte. "Er verbrannte und übersalzte immer alles." "Da hast du dir aber ein tolles Date ausgesucht ", lästerte Leo. "Dann müsst ihr euch immer im Café oder Restaurant treffen, wenn ihr beide nicht kochen könnt." Henry antwortete mit einem säuerlichen Lächeln. "Das mit dem Daten könnte ein Problem werden, da Oscar tot ist."
"Ansonsten spricht aber nichts dagegen, hm?", fragte Piper scharf.
Henry starrte stumm auf seinen kaum angerührten Becher. Sonderlich zu helfen tat es ja nicht, denn er schien schon wieder mit den Tränen kämpfen zu müssen. "Ich- ich..."
Piper bemerkte ihren Fehler. Sofort entschuldigte sie sich und sagte anschließend feierlich: "Henry... du kannst mein Eis haben. Ich mag es sowieso nicht." Großzügig reichte sie den Becher über den Tisch.
Dabei kam er an Percy vorbei.
Leo konnte kaum "Unterhosenmango!" brüllen, da schüttelte Percy sich das Eis auch schon gierig hinunter.
Annabeths versteinerter Gesichtsausdruck verriet ziemlich gut, dass Mr. Chase zu Hause eine ziemliche Standpauke bekommen würde.
Zu allem Übel rülpste Percy auch noch. "Oh, sorry Mann ", sagte er zu Henry, der nur leer zum Himmel starrte, "ich konnte mich einfach nicht beherrschen..."
"Schon gut ", murmelte Henry. "Ich mag Slasheis sowieso nicht."
Annabeth schnaubte. "Perseus Jackson, du bist unmöglich." Percy grinste nur. "Es hat aber fabelhaft geschmeckt, Annabeth Chase." Kokett zwinkerte er der Tochter der Athene zu.
Das schien Annabeth nicht wirklich zu gefallen, aber Piper winkte schon ab. "Ist doch egal."
Erneut drehte sie sich zu Henry um, der sofort ein leicht schmerzverzeertes Lächeln aufsetzte. "Piper. Ich möchte nicht darüber reden-"
"Halt!", unterbrach sie ihn energisch. Sie lehnte sich betont gelassen vor und setzte ihre beste Pokerface auf. "Wenn du nicht darüber reden willst, ist es okay. Ich werde dich nicht weiter bedrängen."
Henry runzelte die Stirn. "Haha. Guter Witz. Hast du Veritaserum in die Schokolade runter gemischt?"
"Äh... was ist das? Und nein. Ich wechsele jetzt einfach das Thema. Deine kleine Freundin-"
"Du meinst meine Cousine? Könnt ihr jetzt endlich aufhören uns beide zu shippen?" Henry warf Leo einen ziemlich gereizten Blick zu, dem es an Verzweiflung nicht fehlte. "Erstens... Lina und Oscar sind ein Paar gewesen. Zweitens... Oscar... ähm... und drittens: Wir mögen uns noch nicht mal wirklich!"
"Ich weiß." Piper tat verständnisvoll. "Du bist in diesen Oscar verschossen!"
"Ja!" Er lehnte sich schon zufrieden zurück, dann sah er Leos entsetztes Gesicht. Aber es war schon zu spät, um den gravierenden Fehler zu kaschieren. "Oh nein! Ich meine nein! MANN! Das war ein Trick!"
Piper lachte. "Okay, Mister Ich-liebe-ihn-nicht-aber-dann-doch! Ich wollte dich fragen, warum Lina Will Solace so hasst." Grinsend sah sie auf und zuckte leicht zusammen, als sie Henrys kreidebleiche Miene erblickte. "Was? Ist das jetzt etwa auch ein Tabu-Thema?"
Henry verzog nur das Gesicht. "Nein. Es ist nur, dass... naja..."
Plötzlich ertönte ein definitiv weiblicher Schrei aus Richtung vom See. "OH YEAH BABY!"
Percy blinzelte ungläubig. "Ist das... Kayla?!"
Stirnrunzelnd drehte Piper sich um. "Normalerweise ist sie nicht so..."
"WILLIII!!!"
Leos Hand, die sich langsam und unauffällig in Richtung heißer Schokolade, hielt inne. "Willi?"
Ein paar Sekunden flackerte wieder das alte Feuer in Pipers Augen auf. Hektisch stand sie auf und stieß mehrere Stühle um und stürzte anschließend juchzend vor Freude los. "Willi! Will! Will Solace!"
Da klingelte es auch bei Percy. "Nico! Jason!" Beide rasten los, nicht ohne Annabeth mit zu ziehen, die von einem Ohr bis zum anderen grinste.
Auch Henry rang sich ein Lächeln ab. "Dein Freund Will ist also wieder da?"
Leo war immer noch wie versteinert, etwas völlig ungewöhnliches für ihn. "J-ja, ich glaube sch-schon." Er drehte sich zu Henry um. "Also... bevor ich jetzt vollkommen ausraste... was ist das Problem zwischen dir und Will? Sag es jetzt. Die nächsten beiden Minuten werde ich nicht mehr ansprechbar sein."
Henry lehnte sich vor und spuckte in sein Glas. "Tja. So wie ich das verstanden habe, trägt Will daran mit Schuld, dass Oscar gestorben ist." Verzweiflung vermischte sich in Henrys Augen mit tiefer Reue. "Aber das ist jetzt nicht wichtig. Komm, schauen wir, ob Will seinen alten Kumpel noch erkennt und ob Nico wirklich so düster ist, wie du ihn beschrieben hast."
Das ließ sich Leo nicht zweimal sagen. Schreiend rannte er auf den goldenen Bus zu und schubste jedem aus dem Weg, der ihm zu nahe kam.
Langsamer und ziemlich nervös folgte Henry ihm. Er glaubte nämlich nicht, dass Will ihn mit Freude begrüßen würde.
~ Kapitel Ende, 2700 Wörter
Tag: 27.06.
Stimmung: 🎴😒
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