
Kapitel 8
Als ich am nächsten Tag in der Schule bei meinem Spind stand, musste ich beschämt zugeben, dass ich das kleine Souvenir, das Oscar mir gestern gebracht hatte, bei mir trug.
Ich hatte es in meine Jackentasche gesteckt, bevor ich aus dem Haus gegangen bin. Totaler Schwachsinn. Ich bildete mir ein, dass es mir Glück bringen würde, obwohl mir dieser Typ das letzte halbe Jahr nicht wirklich Glück gebracht hatte.
»Du bist heute so still. Ist alles in Ordnung?«
Hendrick sah mich besorgt von der Seite an. Ich schätzte diesen Jungen wirklich sehr, doch gerade in diesem Moment wollte ich einfach meine Ruhe haben, wollte allein sein mit meinen Gedanken. Ich musste sie ordnen, um klar denken zu können, sonst würde ich noch verrückt werden.
Vielleicht war ich das auch schon. Wer schleppt schon ein lächerliches Stück Karton mit sich herum. Normalerweise warf man sowas in den Müll.
Nervös spielte ich mit dem Schnipsel in meiner Tasche, wandte ihn hin und her und schluckte.
»Hey, was ist denn? Rede doch mit mir.«
Hendrick verzweifelte langsam. Das hörte ich an seinem Tonfall und es tat mir leid, dass ich ihm nicht sagen konnte, was mit mir ist. Ich wusste es ja selbst nicht einmal. Wie sollte ich es denn dann anderen sagen?
»Hör Mal, ich denke ich lasse heute die Schule sausen. Sag, dass ich krank bin ja?«
Ich sah meinem besten Freund bittend an, dessen Mund überrascht auf und zu klappte.
»Okay...was hast du vor?«, fragte mein Kumpel, als er seine Sprache wieder gefunden hatte.
Ich sah zu Boden und zog den Schnipsel aus meiner Jackentasche. Wie hypnotisiert starrte ich drauf, bis sich die säuberliche Handschrift mit dem hellen weiß des ehemaligen Bechers vermischte.
»Ich hab was zu erledigen«, sagte ich bloß.
***
Ich könnte mich selbst ohrfeigen, dass ich nun hier stand. Eigentlich wollte ich mich doch wehren, wollte mich zurück ziehen, rar machen, so tun, als hätte ich bereits eine Beziehung, aber jetzt stand ich hier, wie ein Hund, der zu seinem Herrchen zurück kehrte.
Der eisige Wind, der für Bergen so typisch war, wehte mir um die Nase und ließ mich frösteln.
Noch immer hielt ich den Schnipsel fest umklammert und hob meine Hand, um an die Tür zu klopfen.
Ich wusste nicht, warum ich nicht einfach die Klingel nahm. Vielleicht, weil ich mit meinem Inneren einen Deal abgeschlossen hatte.
Wenn er nicht aufmacht, gehe ich einfach wieder und da die Wahrscheinlichkeit höher war, dass er ein klopfen überhörte, hab ich auf die Klingel verzichtet.
Vielleicht war er auch gar nicht Zuhause.
All die stillen Hoffnungen wurden nieder geschmettert, als Oscar die Tür öffnete.
Seine dunklen Haare standen wild in alle Richtungen ab. Hatte er etwa gerade geschlafen? Warum sah er nur so süß aus? Ich sollte gehen! Jetzt!
»Hey, schön, dass du da bist«, lächelte der Junge vor mir.
Sein Gesicht war so freundlich und warm, als wäre nie etwas zwischen uns vor gefallen, das unsere Beziehung in Stücke gerissen hätte.
Meine Beine bewegten sich wie automatisch in das Innere der warmen Wohnung. Aus dem Wohnzimmer hörte ich das leise Knistern eines Feuers und gegen meinem Willen fühlte ich mich sofort wohl hier.
Mein Blick glitt über die Wände, die alle in einem schlichten weiß gehalten sind. Ab und zu hingen ein paar Bilder dort, die das ganze noch gemütlicher machten.
»Es freut mich wirklich, dass du hier bist. Was ist denn mit der Schule? Hast du keine?«
»Hab sie sausen lassen«, gab ich nur zurück und vermied es, ihn anzusehen, da ich wusste, dass er mich sofort wieder in seinem Bann ziehen würde.
Oscar musste leicht lachen und ging in die Küche, wo er sich an einer Kaffeemaschine bediente.
»Du lässt die Schule sausen, nur um MICH zu besuchen? Wie darf ich das jetzt verstehen?«
Ich konnte das breite Grinsen förmlich hören. Mir war gar nicht aufgefallen, wie blöd das klang, wo ich doch eigentlich nichts mehr von ihm wollte.
»So sollte das nicht klingen. Ich wollte es nur hinter mich bringen. Reine Höflichkeit«, sagte ich so kühl es mein inneres Feuer zu ließ, das für ihn brannte.
Oscar nickte leicht. Seine Mine verriet nicht, ob er mir glaubte oder nicht. Ich tat es nämlich nicht.
»Willst du was trinken? Einen Tee? Kaffee? Orangensaft?«
Oscar trank einen Schluck von seinem schwarzen Kaffee. Er trank ihn also immer noch ohne Milch und Zucker.
Ich senkte den Blick, damit er nicht sah, wie ich leicht schmunzelte, bei dieser Erinnerung. Ich musste dringend lernen, meine Gesichtszüge unter Kontrolle zu behalten.
»Ein Wasser bitte«, gab ich zurück und zog vorsichtig den Stuhl heraus, der an einem kleinen Tisch an der Wand stand.
Ich ließ mich darauf nieder und sah zu, wie Oscar mir ein Glas Orangensaft vor die Nase stellte.
»Den hast du früher immer so gern getrunken«, meinte er mit sanfter Stimme und ich bekam wieder eine Gänsehaut.
Ich hätte aufstehen und ihm das Glas Saft über den Kopf schütten sollen. Warum rollte er immer wieder die Vergangenheit auf? Konnte er es denn nicht dabei belassen.
Zögernd trank ich einen Schluck von dem Saft, als hätte ich Angst, er wäre vergiftet. Dann blickte ich zu Oscar hoch. Direkt in seine blaugrauen Augen. Ein Fehler, denn schon hatte ich Wortfindungsprobleme.
»Was ist mit dir? Musst du nicht arbeiten?«, wollte ich wissen.
Oscar ließ sich mir gegenüber auf den anderen Stuhl fallen und legte seine Hände um die Tasse, als müsse er seine kalten Finger aufwärmen.
»Doch muss ich, aber ich hab Nachtschicht. Ich arbeite bei der Bank im Kundenservice«, gab er zurück.
Ich war überrascht. Ich hätte nicht die Energie, die ganze Nacht über in einem Büro zu sitzen und irgendwelche Anrufe entgegen zu nehmen von Leuten, die irgendwelche Probleme hatten.
»Cool«, murmelte ich nur.
»Naja, es geht. Ich verdiene ganz gut und komme über die Runden. Es gibt schlimmere Jobs, aber auch angenehmere. Manchmal schlafe ich wirklich fast ein.«
Leicht lachte Oscar und warf dabei leicht seinen Kopf in den Nacken, wie er es früher immer getan hatte. Vielleicht war er nicht der einzige, der die Vergangenheit immer wieder aufrollte.
Ich musste schmunzeln und trank erneut von dem Saft. Diesmal aber mutiger.
Nachdenklich sah ich meinen Exfreund an. Es war verrückt. Noch vor ein paar Tagen hatte ich nichtmal einen Gedanken an ihn verschwendet. Ich hatte das geschafft, was ich die ganze Zeit wollte und nun saß ich hier in seinem kleinen Haus und wollte nicht mehr weg. Wie sollte das nur weiter gehen?
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