10. Dezember
An diesem Morgen kann Gwyn das erste Mal seit Ewigkeiten ausschlafen, denn tatsächlich kümmert sich ihre Freundin um Nieves. Sie macht ausgiebiges Frühstück und beschäftigt sich die ersten Stunden des Tages mit Nieves. Gwyn lässt sie einfach schlafen. Gwyn bekommt einen riesigen Schreck, als sie erst um zehn Uhr aufwacht und auf die Uhr schaut. Sie schaut aus der Tür heraus, ganz vorsichtig, denn ist verdammt still und bei Kindern ist dies nie ein gutes Zeichen. Da haben sie dann meistens Mist gebaut. Sie öffnet vorsichtig die Tür und man sieht nur ihren Kopf herausschauen.
"Gwyn!" , ruft da Donatella aufgeregt. "Na, endlich. Ich dachte, ich lasse dich heute einmal ausschlafen" , erklärt Tella grinsend und zeigt in die Küche, wo der größte Stapel an Pfannkuchen, den sie jemals gesehen hat, steht.
"Hast du die gemacht?" , fragt sie. Donatella nickt und ist schon wieder im Wohnzimmer verschwunden. "Du kannst alle essen, wenn du möchtest. Nieves und ich haben schon heute Morgen gegessen" , ruft sie ihrer Freundin noch hinterher. Gwyn ist völlig verblüfft. Die Pfannkuchen schmecken phantastisch.
"Was hast du da reingemacht?" , ruft sie ins Wohnzimmer.
"Geheimrezept" , ruft Tella zurück.
"Die schmecken grandios" , lobt sie ihre Freundin. Danach ist es bei den beiden im Wohnzimmer wieder ziemlich still. Gwyn genießt die Ruhe, die ausnahmsweise herrscht und lässt die beiden machen. Was soll schon geschehen? Immerhin ist Donatella eine erwachsene Frau. Nachdem sie ihr Frühstück gegessen hat, räumt sie die Küche auf, denn Donatella hat einen Saustall hinterlassen. Gwyn stört es jedoch nicht, denn sie weiß, wie es ist, wenn man sich um ein vierjähriges Kind kümmern muss. Sie würde jedoch nichts in der Welt gegen ihre kleine Tochter eintauschen. Als sie alles aufgeräumt hat, holt sie das Fotoalbum von seinem Platz und schaut sich den zehnten Dezember von vor vier Jahren an. Es passt tatsächlich gut, denn der Elf brät ein paar Smarties in einer Pfanne. Sie bereitet den Elfen vor und geht dann schließlich zu den beiden stillen Mäusen ins Wohnzimmer. Als sie dort hineinkommt, staunt Gwyn nicht schlecht. Die beiden haben an diesem morgen scheinbar schon einige Arbeit geleistet, denn die ganze Wohnung ist dekoriert. Weihnachtlich. Gwyn kommen fast die Tränen. Sie muss an ihren Freund denken, der Weihnachten geliebt hat und immer alles total übertrieben hat. Sie dreht sich schnell weg. Die beiden sollen nicht sehen, dass sie kurz vorm heulen ist. Sie sitzen auf dem Fußboden und spielen mit der Karrererbahn, die auch ihr Freund sich vor einigen Jahren selbst geschenkt hat.
"Darf ich auch eine Runde mitspielen?" , fragt sie nach einer Weile, nachdem sie sich wieder beruhigt hat.
"Gegen mich!" , ruft Nieves aufgeregt und die beiden spielen ein paar Runden gegeneinander.
"Ihr habt heute morgen aber schon so einiges erledigt, was? Wo versteckt ihr den Tannenbaum?" , fragt Gwyn lachend ihre Freundin.
"Im Garten" , antwortet Donatella trocken. Gwyn und Nieves wohnen in einer kleinen Wohnung, sie haben keinen Garten.
"Draußen" , verbessert sie sich nun schnell. "Ne, den müsst ihr schon noch selbst besorgen. Das war mir zu viel Verantwortung" , gibt Donatella zu. Kurz darauf fällt Donatella die Aktion im Einkaufszentrum ein und schlägt vor, dort mit Nieves hinzugehen. Es soll kleine Wichtel geben, bei denen man sich etwas wünschen kann.
"Muss das sein?" , fragt Gwyn. Sie wäre lieber Zuhause geblieben.
"Komm schon. Das wird bestimmt witzig!" , erklärt Donatella begeistert und auch Nieves ist für den Vorschlag. Sie bekommen Gwyn gerade noch überredet und die drei machen sich auf den Weg in das kleine Einkaufszentrum an der Ecke. Auf dem Weg zum Eingangsbereich entdeckt Nieves den kleinen Elfen und sie schießen ein Foto. Ein Foto, nur vom dem Elf, hatte sie schon heute Morgen gemacht. Nun schießt sie noch ein Foto, auf dem Donatella und Nieves gemeinsam mit dem Elfen zu sehen sind. Gwyn zieht Nieves die Schuhe und die Jacke an und kurz darauf ist sie auch schon aus der Wohnung gelaufen. Die beiden wohnen im Erdgeschoss, weshalb sie Nieves noch sehen und hören können, als sie schon aus der Tür gelaufen ist.
"Mama, Tella. Es schneit!" , ruft sie begeistert.
"Danke übrigens. Das du gestern geblieben bist und dich auch heute morgen um sie gekümmert hast. Ich habe es richtig genossen und gestern Abend auch noch etwas geschafft!" , erklärt sie.
"Das mache ich doch gerne. Ich mag Nieves. Und dich sowieso" , sagt Donatella grinsend und zieht sich die Stiefel über. Die beiden verlassen dick eingepackt das Haus. Tella nimmt Nieves an die Hand und die drei brauchen nicht lang, bis sie beim Einkaufszentrum angekommen sind.
"Ich will zuerst zu den Elfen!" , schreit Nieves mit quickiger Stimme. Sie ist total aufgeregt.
"Gleich" , sagt Donatella geduldig und sie gehen noch weiter. Nieves geht das alles viel zu langsam. Sie reißt förmlich an Donatellas Hand.
"Ich bin gleich wieder da" , sagt sie dann grinsend zu Gwyn und lässt sich von Nieves mit ziehen. Sie kann sich noch genau daran erinnern, wie es früher war, als sie klein war und die Elfen hier waren. Das war immer DAS Ereignis, weil in dieser Kleinstadt nie etwas passierte. Sie konnte es verstehen, dass Nieves es kaum abwarten kann und man musste auch noch so lange anstehen. Gwyn setzt sich auf eine Bank und wartet, bis die beiden fertig sind. Zuvor holt sie sich einen Kaffee und genießt ihn auf der Bank. Als sie ihn ausgetrunken hat und die Zeit alleine ein bisschen genossen hat, um andere Leute zu beobachten, gesellt sie sich zu den beiden anderen hinzu. Sie stehen immer noch in der Schlange.
"Immer noch hier?" , fragt sie. Inzwischen sind aber nur noch drei andere Kinder vor Nieves.
Nun herrscht jedoch ein Tausch und es sind keine Elfen mehr an der Reihe, sondern Wichtel und Nieves ist kurz vorm Heulen.
"Ich wollte aber die Elfen!" , protestiert sie.
"Die Wichtel sind doch viel cooler. Bei Ihnen darfst du dir etwas wünschen. Das war bei den Elfen nicht so. Jetzt haben wir hier so lange angestanden, Nieves" , versucht Gwyn es. Doch Nieves ist weiterhin mucksch. Gwyn kann es verstehen. Dieser Wechsel mittendrin ist doch total bescheuert.
"Wir suchen gleich noch einen Elfen, okay?" , fragt Donatella und auf einmal strahlt Nieves wieder über das Ganze Gesicht und ist auch damit einverstanden, dass sie erst zu den Wichteln gehen. In diesem Moment stellt Gwyn all ihre Fähigkeiten in Frage. Als ob Donatella sie mit einem beschissenen Satz beruhigt hat. Sie konnte das mit Nieves viel besser, als sie. Dabei ist es ihre Tochter.
"Ich geh nochmal kurz woanders hin" , sagt sie und verzieht sich. Sie braucht ein wenig Abstand von den beiden. Sie fühlt sich außerdem total nutzlos.
"Okay, wo wollen wir uns widertreffen?" , fragt Tella. Sie scheint nichts davon mitzubekommen, dass diese Sache Gwyn beschäftigt.
"Ähm. Einfach vor dem Einkaufszentrum?" , fragt Gwyn unsicher.
"Klingt gut. In einer Stunde?" , fragt Donatella und sie nickt. Als sie ein paar Meter von ihnen entfernt ist, schaut sie noch einmal auf die beiden. Nieves könnte auch die Tochter von Tella sein. Diese sieht sowieso viel besser aus und erwachsener. Sie kann das mit den Kindern einfach besser. Gwyn weiß noch nicht einmal, ob sie als Mutter geeignet ist. Auf einmal kommen ihr die Tränen hoch. Sie kann das alles nicht. Nicht alleine. So war das nie geplant. Sie setzt sich auf eine der Bänke in der Kälte und beginnt, zu weinen. Hier würde sie zumindest niemand sehen. Hier kommt sowieso niemand vorbei, es ist viel zu kalt. Sie hält ihr Gesicht auf ihre Hände gestützt und lässt den Tränen freien Lauf.
"Hey" , sagt da auf einmal eine tiefe Männerstimme und berührt sie vorsichtig an der Schulter. Sie schaut hoch, denn sie muss gemeint sein. Er hat sie schließlich berührt. Es kann kein versehen sein, er muss sie meinen und niemand anderen.
"Alles okay?" , fragt der junge Mann und sie schaut ausgerechnet in das Gesicht des Mannes im Zug. Mit völlig verheultem Gesicht. Sie hat ja Mal wieder einen ganz tollen Eindruck hinterlassen.
"Ähm, ja" , schnieft sie.
"Bist du dir sicher?" , fragt der junge Mann und setzt sich nun ernsthaft neben sie.
"Ja" , sagt sie noch einmal und zieht die Nase hoch. Der Typ muss doch wirklich denken, sie ist eine verrückte. Aber er schaut sie an, wischt ihr eine Träne aus dem Gesicht und reicht ihr ein Taschentuch.
"Tut mir Leid, was auch immer zu deinem Zustand geführt hat" , sagt er mitfühlend. Sie nimmt das Taschentuch entgegen und putzt sich die Nase.
"Danke" , sagt sie. Kurz darauf ist er schon wieder verschwunden und sie weiß immer noch nichts von diesem schönen Menschen. Nachdem sie noch eine Weile auf der Bank sitzt, geht sie auf die Toilette und macht sich frisch. Sie schüttet sich einmal kaltes Wasser ins Gesicht. Nieves und Tella sollen nicht bemerken, dass sie geweint hat. Nach einer Stunde treffen sie sich wieder.
"Und, habt ihr noch einen Elfen gefunden?" , fragt Gwyn lächelnd. Nieves nickt fröhlich und zieht Tella am Ärmel. Sie zückt ihr Telefon und zeigt Gwyn ein Bild, auf dem Nieves mit einem Elfen nebeneinander steht und von einem Ohr zum anderen grinst.
"Nieves, was hast du dir jetzt eigentlich gewünscht?" , fragt Gwyn ihre Tochter.
"Das darf ich nicht verraten, sonst geht es nicht in Erfüllung" , sagt ihre Tochter. Donatella hat sie es bestimmt gesagt, ist der erste Gedanke, der Gwyn durch den Kopf geht und sie würde sich am liebsten Ohrfeigen. Jetzt ist sie doch tatsächlich eifersüchtig auf ihre Freundin, die sie eigentlich total lieb hat. Das muss aufhören! Trotzdem kann sie jetzt eine Auszeit haben und möchte ein wenig Zeit alleine mit ihrer Tochter verbringen.
"Hey, ich glaube, wir müssen jetzt nach Hause" , erklärt sie ihrer Freundin noch einmal.
"Soll ich noch einmal mitkommen?" , fragt Tella.
"Nein, wir kommen schon klar" , sagt Gwyn. Sie braucht wieder ein bisschen Freiraum, ein wenig Zeit für sich selbst. "Danke" , fügt sie noch schnell hinzu und nun trennen sich ihre Wege wieder voneinander. Den restlichen Samstag verbringen Nieves und Gwyn gemeinsam und machen einen gemütlichen Samstag draus. Nieves spielt den ganzen Nachmittag im Wohnzimmer, sodass Gwyn sich noch einmal an die Lernsachen setzten kann. Sie setzt sich an den Küchentisch und breitet ihre Lernsachen aus. Sie geht auf den Discordserver und geht in den Lernraum, wo tatsächlich eine weitere Person ist. Doch dieses Mal ist es nicht Chandler und sie ist fast schon ein bisschen enttäuscht. Es ist ein anderes Mädchen aus ihrem Studium, welches sie flüchtig kennt. Die beiden schaffen gemeinsam bis zum Abend jedoch sehr viel. Am Abend verabschiedet sie sich von ihr, als es Zeit für das Abendessen wird. Heute gibt es Gemüsepfanne, Gwyns Lieblingsessen. Erstaunlicherweise mag Nieves auch sehr viel Gemüse.
Sie macht sich ans Kochen. Inzwischen spielt Nieves nicht mehr und kommt in die Küche. "Darf ich jetzt eine Folge schauen?", fragt sie. Gwyn nickt. Sie hat den ganzen Nachmittag ohne Bildschirm verbracht und Gwyn kann diesen kleinen treuen Augen manchmal einfach nicht widerstehen.
"Du weißt ja inzwischen schon, wie du das Ding startest. Das ist echt unglaublich" , murmelt sie vor sich hin und schneidet die Karotten.
"Aua" , zischt sie und Nieves kommt schnell noch einmal zurück.
"Was ist, Mami?" , fragt sie mit großen Augen.
"Ich habe mich geschnitten" , erklärt sie ihrer Tochter.
"Warte" , sagt Nieves und läuft aus der Küche heraus in ihr Zimmer. Sie kommt mit einem Pflaster wieder hinein. Auf dem Pflaster sind Affen drauf und sie bindet es Gwyn um den Finger.
"Alles wieder okay?" , fragt sie. "Tut es doll weh?"
"Alles wieder okay. Danke, Schatz. Jetzt geht es wieder" , sagt sie und gibt Nieves einen Kuss auf den Kopf, bevor diese wieder ins Wohnzimmer hüpft und man ein paar Minuten später das Intro der Serie hört. Außerdem hört man Nieves kleine Kinderstimme, die den Song fröhlich mit trällert. Die weiteren Gemüsesorten schneidet Gwyn ohne Zwischenfälle und nach einer Stunde können die beiden gemeinsam Essen. Nieves zweite Folge ist gerade zu Ende gegangen und die beiden setzten sich an den Küchentisch. Nieves erzählt von ihrem Tag und die beiden essen gemeinsam. Nach dem Essen hilft Nieves sogar noch in der Küche. Zur Belohnung darf sie noch eine weitere Folge der Serie schauen. Gwyn will sich den restlichen Abend noch einmal ihren Medizinsachen widmen. Ein bisschen hofft sie auch, Chandler wieder zu hören. Sie geht wieder in den Discordserver und tatsächlich ist er dieses Mal anwesend.
"Du bist ja doch nicht den ganzen Tag am Bildschirm gefesselt" , schreibt sie sofort.
"Hast du etwa ohne mich gelernt?" , schreibt er zurück.
"Ein wenig. Zwei Stunden oder so" , erklärt sie.
"Das ist ja eine Frechheit" , schreibt er mit einem grinsenden Smiley zurück. Die restliche Zeit lernen sie beide still nebeneinander her, bis Nieves zu ihr kommt.
"Ich bin müde." , sagt sie und gähnt. Gwyn verschwindet kurz und bringt Nieves ins Bett. Sie liest noch die Geschichte vor und hofft, dass Nieves bis morgen durchschläft. Sie kommt an diesem Samstag sehr weit voran und schläft dieses Mal nicht vor dem Computer ein.
Bevor sie ins Bett geht, schreibt sie Chandler noch einmal, denn er scheint auch immer noch da zu sein. Zumindest ist sein Name nicht verschwunden, seine Kamera hat er immer noch nicht aktiviert.
"In welchem Semester bist du eigentlich?" , fragt sie.
"Ich habe gerade erst angefangen. Bin im ersten Semester" , erklärt er. "Und du?" , fragt er.
"Drittes. Deshalb kenne ich dich also noch nicht" , findet sie eine Erklärung, weshalb er ihr vorher noch nicht aufgefallen ist. Wahrscheinlich hatte sie aber auch einfach keine Augen dafür.
"Ich muss jetzt jedenfalls schlafen gehen" , schreibt sie und klappt den Laptop zu, um sich ins Bett zu kuscheln und hoffentlich auch wieder ein bisschen länger, als sechs Uhr morgens an einem Sonntag zu schlafen.
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