Kapitel 1
Es hatte sich nicht viel verändert, seit wir vor sechs Jahren wegezogen waren, wie meine Mutter prophezeit hatte. Die beiden Autos meines Vaters, standen draußen vor der Garage und als wir eintraten, erkannte ich unsere alte Einrichtung wieder. Nur die Persönlichkeit, also Bilder von uns, fehlte in diesem Haus. Sam und ich stürmten die Treppe hoch, visierten das dritte Zimmer rechts. Unser altes Kinderzimmer. Als wir die Tür öffneten, strahlten uns die beige gestrichenen Wände entgegen und vor den großen Fenstern hingen noch die rosa Vorhänge. Wir hatten uns früher in diesem Zimmer wie Prinzessinnen gefühlt und als ich das Zimmer jetzt so sah, verstand ich umso mehr, warum. Nachdem wir schnell unseren Eltern dabei geholfen hatten, die restlichen Koffer aus dem Auto zu räumen, setzten wir uns auf die Barhocker an die Küchentheke. Meine Eltern standen uns gegenüber und fingen schon wieder an, uns etwas zu erklären. Manchmal hatte ich echt das Gefühl, sie würden uns für kleine Kinder halten. „ Ryan, du kannst das Zimmer haben, das dir schon früher gehört hat. Wir müssen nur mal wegen der Möbel und Tapeten gucken, ich denke, dass sie vielleicht ein bisschen kindisch sein könnten. Bei euch Mädels, haben eure Mutter und ich etwas beschlossen: ihr seid inzwischen fast siebzehn und von daher wird es Zeit, dass jede ein eigenes Zimmer bekommt", Sam und ich unterbrachen meinen Vater gleichzeitig mit einem "aber" doch er ließ uns gar nicht erst zu Wort kommen, sondern redete weiter, „ es ist vielleicht anfangs schwer, doch ihr werdet euch schon dran gewöhnen. Um es ein bisschen leichter zu machen, wollen wir aber auf jeden Fall euer altes Kinderzimmer so lassen, wie es jetzt ist. Ihr könnt euch dahin zurückziehen, wenn euch alles zu viel ist. Es mag seltsam klingen, aber eure Mutter meinte, dass es euch vielleicht leichter fällt, wenn ihr so ein bisschen in den alten Zeiten schwelgen könnt. Hat sie wohl in einer Zeitschrift gelesen. So genug davon, Ryan, leg bitte das iPad weg, du solltest auch wieder zu hören. Heute Nachmittag wollen wir am liebsten mit euch die Möbel kaufen gehen. Bis dahin könnt ihr eigentlich machen, was ihr wollt, da ihr euch ja auskennt."
Damit entließ mein Vater uns und Sam und ich sahen zum ersten Mal unsere Zimmer. Hier waren keine Möbel, früher hatten wir das Zimmer noch nicht benutzt und ich war erst selten hier drinnen gewesen. An einer Wand war ein Fenster, unter dem eine große Sitzfensterbank war. Jetzt sah es noch nicht wirklich bequem aus, aber mit ein paar Decke und Kissen, wäre es wahrscheinlich richtig bequem. Ich hatte schon oft von einer Sitzfensterbank geträumt und jetzt hatte ich eine! Nachdem ich mein Zimmer bewundert und schon mal geplant hatte, was für Möbel hier rein passen würden, schaute ich mich kurz in dem Zimmer meiner Schwester um. „ Kommst du mit? Ich will gleich laufen gehen", eröffnete ich meiner Schwester mein Vorhaben. Nachdem sie kurz den Kopf geschüttelt hatte, vertiefte sie sich wieder in ihr Handy. Dann hieß es für mich also alleine laufen. Zuerst kramte ich meine Laufsachen aus dem Koffer und suchte danach meine Kopfhörer, wofür ich ziemlich lange gebraucht hatte. Schnell schlüpfte ich in die Sportsachen und überlegte dann, wo ich am besten lang laufen könnte. Durch die Stadt? Nein, das wäre zu voll. Vor allem samstags. Also entschloss ich mich, am Privatstrand, der an unser Haus grenzte, entlang zu laufen.
„ Alexis", eine schrille Stimme schrie meinen Zweitnamen, mit dem mich jeder ansprach. Ich hasste den Namen Lilian einfach! „ Alexis, bist du es wirklich?" Erst nachdem die Stimme ein zweites Mal meinen Namen benutzte, fühlte ich mich richtig angesprochen. Ich hatte ungefähr die Hälfte meiner Strecke geschafft und das mit einem wirklich guten Schnitt. Einen Moment lang überlegte ich, das Rufen zu ignorieren und einfach weiter zu laufen, aber die Neugier siegte, da ich mir nicht vorstellen konnte, dass mich hier noch irgendjemand kannte. Ich nahm meine Kopfhörer aus den Ohren und drehte mich um. In diesem Augenblick wurde ich auch schon mit voller Wucht in den Sand geschmissen und zwei Arme schlossen sich um mich. Zuerst war ich ziemlich geschockt, aber nachdem ich tief durchgeatmet hatte, konnte ich die Person richtig wahrnehmen. „ Emily", quietschte ich freudig. Wir beide hatten uns kenngelernt, als ich das erste Mal nach Amerika gezogen war und seitdem war sie hier meine beste Freundin. Vor vier Jahren hatten wir allerdings den Kontakt zu einander verloren.
Sie rollte sich von mir runter und lag nun neben mir im Sand. „ Ich wusste gar nicht, dass ihr wieder hier seid! Warum hast du nichts gesagt? Ach ist das schön, ich habe meine beste Freundin wieder! Ich habe dich sooooo vermisst! Weiß James schon, dass du wieder hier bist?" Ich lächelte. Sie war eine ziemlich aufgedrehte, alberne, quirlige und taffe Person, auch wenn diese Art auf viele Menschen beängstigend wirkte, war sie eigentlich super lieb. Sie schaute mich abwartend an. Nachdem wir beide aufgestanden waren, antwortete ich ihr: „ Ich habe dich doch auch vermisst! Ich hätte dir schon noch gesagt, dass ich wieder hier bin. Habe es nur vergessen. Wir sind aber auch vorhin erst angekommen, deshalb hat James genau so wenig Ahnung, wie du bis vorhin. Oh mein Gott, ich habe dir so viel zu erzählen! Du kannst dir nicht vorstellen, was in Afrika und Deutschland alles passiert ist!"
James, Emily und ich. Wir waren damals eine unzertrennliche Dreierclique gewesen. Hatten alles zusammen gemacht. Sieben Jahre lang. Bis ich umgezogen war.
Emily und ich hatten uns entschieden zu mir zu gehen. Schon als meine Mutter unsere Stimmen hörte, während wir durch die Terrassentür ins Wohnzimmer traten, eilte sie zu uns und begrüßte Emily mit einer herzlichen Umarmung. Auch die 'Ach bist du groß geworden' Rede blieb Emily nicht erspart. Danach gingen Em und ich erst mal die Treppen hoch in mein Zimmer. Zeigen konnte ich ihr nicht viel, schließlich hatte ich noch keine Möbel. Sie ließ sich auf meinem Boden nieder, im Schneidersitz und wählte dann James Nummer. Er hob nach dem dritten Klingeln ab und begrüßte seine beste Freundin, die sofort redete. Typisch Emily eben. Sie redete so lange auf ihren besten Freund ein, bis er ihr zusagte, sie morgen Nachmittag in einem Café zu treffen. Dabei ließ sie die Tatsache, dass ich wieder in Amerika war, aus. In dieser Eigenschaft stimmte sie mit Cat überein. Sie liebte nämlich ebenfalls Überraschungen. Ich zeigte Emily gerade Fotos aus Afrika, als mein Vater in mein Zimmer kam. Er begrüßte meine beste Freundin kurz und lud sie dann ein, mit uns ins Möbelhaus zu kommen und danach bei uns zu übernachten.
5 Stunden. So lange hatten wir uns im Möbelhaus aufgehalten. Ich besaß jetzt ein riesiges, weißes Himmelbett, Rosenbettwäsche, eine weiße Kleiderstange, weiße Regale, einen Schreibtisch mit Stuhl und eine Kommode. Natürlich hatten wir noch unzählige Decken und Kissen für die Sitzfensterbank, weiße und hellrosa Wandfarbe, sowie zwei weiße Stoffsessel und ein kleines Tischchen gekauft. Es war ziemlich spät und wir hatten schon im Möbelhaus gegessen, deshalb entschieden Emily und ich uns relativ schnell dazu, zu schlafen. Nachdem wir kurz die Decken und Kissen auf der Sitzfensterbank, die durch eine Matratze gepolstert war, verteilte hatten, legten wir uns drauf und redeten noch ein bisschen, bis wir beide einschliefen. Am nächsten Morgen fingen wir, direkt nachdem wir eine Schüssel Müsli gegessen hatten, damit an mein Zimmer zu streichen. Zwei Wände rosa, die an der das Fenster war und die, vor der mein Bett stehen sollte. Die restlichen Wände weiß. Das Zusammenbauen der restlichen Schränke dauerte deutlicher länger und beim Bett brauchten wir die Hilfe meines Dad's. Um viertel nach drei konnten wir dann unser Werk zufrieden bestaunen. Schnell duschte erst Emily, danach ich und wir zogen uns etwas sauberes, nicht farbverschmiertes, an. Mein Vater, der auch in die Stadt musste, bot an uns mitzunehmen und schnell sprangen wir in sein Auto. Emily ging ins Café, ich hinter ihr, darauf bedacht, möglichst nicht erkannt zu werden. Emily unterhielt sich mit James und ich schlich mich dann von hinten an ihn ran. Zwei Sekunden später war ich auf seinen Rücken gesprungen. Er schrie erst kurz, versuchte dann zu erkennen, wer ihn soeben angefallen hatte. Als er mich dann erkannte, begrüßte er mich mindestens genauso freudig, wie Emily mich begrüßt hatte. Der Unterschied lag darin, dass wir nicht umfielen. James hatte mich stattdessen hochgehoben und im festen Griff, sodass er mich fast zerquetschte, aber es machte mir nichts aus. Er war ein ganzes Stück größer als ich und viel stärker, als die Jungs an meiner alten Schule in Deutschland, das traf allerdings auf fast alle amerikanischen Jungs zu.
Die andern Leute im Starbucks mussten uns für verrückte, gehirnamputierte Affen halten, sie schauten uns an, als wären wir Außerirdische. Lachend setzten wir uns hin. Nachdem James uns drei schnell jeweils einen Java Chip Chocolate Cream bestellt hatte, redeten wir darüber, was wir alles erlebt hatten. Während das bei mir hauptsächlich auf das Leben in Afrika und Deutschland zutraf, erzählten meine beiden besten Freunde im Schnelldurchlauf, was sich hier so alles abgespielt hatte, seit ich umgezogen war. Als letztes erzählten sie von der Schule, von der Schule, auf die ich ab Morgen gehen würde. Meine besten Freunde versicherten mir mehr als einmal, dass sie die ganze Zeit bei mir bleiben würden. Erst als mein Handy klingelte, unterbrachen wir unser Gespräch. Fünf Minuten legte ich auf. „ Mein Vater hat gerade angerufen. Er meinte, dass wir heute Abend grillen und er eure Eltern schon eingeladen hat. Ihr sollt gleich direkt mit zu mir kommen." Wir blieben noch eine halbe Stunde sitzen, bevor wir dann zu mir nach Hause liefen.
Ich schaltete gerade meinen Laptop an, als ich sah, das Cat mich über Skype anrief. Ohne groß nachzudenken drückte ich auf den grünen Hörer und sah ein paar Sekunden das, wenn auch etwas verzerrte, Bild meiner besten Freundin vor mir. Ich stellte ihr kurz Emily und James vor, sie wunderte sich nicht, dass ich so schnell Freunde gefunden hatte, denn ich hatte ihr schon viel von beiden erzählt und daher wusste sie auch, dass wir uns, seit wir drei waren, kannten. Wir skypten ziemlich lange. Generell ging mir und Cat nie der Gesprächsstoff aus, obwohl wir so gut wie alles über den andern wussten. Allerdings kam es dann auch mal vor, dass wir über völlig absurde Themen wie Tampons oder Teenie-Mütter philosophierten. Heute aber nicht. Erstens war ein Junge dabei, was die Hemmschwelle steigen ließ und zweitens gab es genug über Amerika und James und Emily zu erzählen, was deutlich interessanter war. Meine besten Freunde verstanden sich ziemlich schnell sehr gut und ich konnte kaum noch einen Satz sprechen, da Emily oder James die ganze Zeit redeten.
Sie wendeten ihren Blick erst vom Laptop ab, als meine Zimmertür aufgerissen wurde. Sofort sprang ich auf die Beine und rannte in Masons Arme. Er war mein Cousin und ein Jahr älter. Ich hatte ihn seit mehr als drei Jahren nicht gesehen, was wirklich schwer fiel, da er wie ein großer Bruder für mich war. Während ich ihn so umarmte, verließen meine Beine plötzlich den Boden. Mein Cousin hatte mich einfach hochgehoben. Kein Wunder bei seinen 1,94 Metern Körpergröße. „ Ach was bist du groß geworden, Cousinchen!" Ha, dass ich nicht lache! Andauernd ärgerte er mich damit, dass er so viel größer war. Eigentlich stimmte mich meine Körpergröße, mit 1,70 Meter, ganz zufrieden, nur eben dann nicht, wenn Mason meinte, er müsse mich damit mobben. Als er mich wieder runter gelassen hatte, begrüßte er kurz James und Emily mit einer Umarmung, bevor mein Cousin wieder runter ging, nachdem er noch kurz Cat gegrüßt hatte, die kein Wort sprechen konnte. James, Emily und ich hockten uns wieder vor den Laptop, um das Gespräch mit Cat zu beenden. „ Wer war denn das?", fragte Cat. Ihre Stimme war mehr ein Hauchen, als etwas anderes. Ich wollte gerade antworten, als James mir zuvor kam. „ Mason. Alexis' Cousin." Seine Antwort war einfach gehalten. „ Warum hast du nie erzählt, dass dein Cousin so ein Schnittchen ist?" Ein leichter Vorwurf lag in Cat's Stimme. „ Sorry", murmelte ich entschuldigend. Sie deutete ein Wischen mit der Hand an und meinte dann: „ Ach, ist nicht schlimm. Du ich glaube ihr solltet mal runter gehen. Hab dich lieb!" Sie warf mir noch einen Luftkuss zu, bevor sie dann die Konversation beendete.
Wir gingen schnell in den Garten, wo unsere Eltern inzwischen am Tisch saßen und sich unterhielten Ryan, Mason, seine Schwester Anna, sein Bruder Toby und Fleur, Emilys Schwester spielten in der anderen Ecke des Gartens Fußball und Sam saß auf der großen Hollywoodschaukel. Em und ich setzten uns sofort dazu, während James beim Fußball mitspielte. Nach der dritten Runde hatte Anna uns drei Mädchen überredet mitzuspielen. Sie fand die Teams unfair, denn James, Mason und Toby waren in dem einen und die gerade mal vier jährige Anna zusammen mit meinem Bruder und Fleur. Dann spielten wir mehrere Runden Mädchen gegen Jungs und hörten erst auf, als unsere Eltern uns zum Essen riefen. Es roch nach gegrilltem und ich liebte diesen Geruch!
Später gingen wir runter an den Strand und machten dort ein Lagerfeuer, während unsere Eltern sich weiter unterhielten Sie hatten sich eben auch lange nicht gesehen. Wir ließen die Marshmellows auf dem Stock fast schmelzen, strichen sie dann auf einen Butterkeks ab, legten ein Stück Schokolade drauf und dann einen zweiten Butterkeks. Also praktisch ein Marshmellow-Sandwich. Gerade als ich meinen dritten aß, kam Anna zu mir, kuschelte sich auf meinen Schoß und war wenige Minuten später eingeschlafen. Es war kurz vor Mitternacht, als ich sie hoch in mein Zimmer brachte und ihr ein T-Shirt von mir überzog, indem sie übrigens wie ein Gespenst aussah, damit sie nicht in den unbequemen Sachen schlafen musste. Danach kuschelte ich sie unter der Decke ein und legte ein paar Kissen an den Rand, damit sie nicht rausfiel.
Ich schlug meine Augen auf, neben mir räkelte sich etwas, aber mein Verstand war noch nicht eingeschaltet. Das Geräusch, welches mein Wecker von sich gab, ließ mein Trommelfell fast platzen. Naja eigentlich erschreckte ich mich nur zu Tode. Am Morgen wurde ich oft zur Dramaqueen. Eins wurde mir schlagartig bewusst: es war Montag. Heute wäre mein erster Tag an der neuen High School. Schnell hastete ich in mein Badezimmer und bekam den nächsten Schock, als ich in den Spiegel sah. Meine Haare waren an lauter Stellen verknotet, ich hatte Augenringe, die wahrscheinlich bis nach Japan reichten und sah generell ziemlich verquollen aus. 20 Minuten stand ich unter der eiskalten Dusche und der Vorher/Nachher- Effekt war deutlich erkennbar. Ich kämmte noch mal durch meine langen hellblonden Haare und tapste dann zurück in mein Zimmer, wo die kleine Anna immer noch wie eine Prinzessin schlummerte. Aus meinem Kleiderschrank zog ich eine hellblaue Jeans, die an beiden Knien Löcher hatte und ein cremeweißes, lockeres Top. Rosa Hängeohrringe und weiße Chucks würde ich nachher anziehen.
Unten in der Küche war es still und erst dachte ich mir nichts dabei. Nachdem ich mein Müsli gegessen hatte und noch immer keiner hier unten war, weckte ich meinen Bruder, Toby und Mason, die alle friedlich schliefen. Danach ging ich in das Zimmer meiner Schwester und alle gingen runter, während ich Anna, die im Halbschlaf auf meinem Arm war, auch runtertrug. Alle anderen aßen, als die Haustür aufging und meine und Masons Eltern mit frischen Brötchen reinkamen. Als sie sahen, dass wir schon gegessen hatten, zuckten sie bloß mit den Schultern und machten uns die Brötchen für die Schule. Während die anderen sich anzogen, lockte ich mir die Haare und zog dann, bevor wir das Haus verließen schnell die Chucks und die rosa Ohrringe an, auch meine Lederjacke, da es draußen noch etwas frisch war. Als letztes schnappte ich mir meine Tasche und dann trafen wir draußen auf Emily und James, die gestern Nacht noch nach Hause gegangen waren. Zusammen brachten wir erst Toby, Ryan, Fleur und Anna zur Schule, beziehungsweise in den Kindergarten, dann liefen wir zu unserer Schule.
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