23
• 2 Jahre später •
*Lizzy POV*
Der eisige Regen peitschte mir ins Gesicht. Hastig überquerte ich die Straße und stieß die große eiserne Metalltür auf. Der vertraute Geruch des Desinfektionsmitteles schlug mir entgegen. Ohne groß nachzudenken ging ich die Treppe hoch in den dritten Stock nach oben.
"Hey Mum", meine Mutter saß wie immer in ihrem Rollstuhl am Fenster. Verträumt beobachtete sie den Regen, dabei wirkten ihre Augen so leer, als wäre sie bereits woanders. Was sie auch waren. Schnell zog ich mir meinen nassen Mantel aus und setzte mich meiner Mutter gegenüber.
"Hallo", wiederholte ich und ergriff ihre Hände. Anteilnahmslos sah sie mich an und schaute dann wieder weg. Tatsächlich sah sie mich nicht an, sie sah einfach durch mich hindurch.
"Ich bin's Lizzy", ich sah ihr in die schmerzhaft vertrauten Augen. Doch das Licht dahinter war schon seit über zwei Jahren nicht mehr da. Seit dem Flugzeugunglück.
Durch den Brand hatte sie zu wenig Sauerstoff bekommen und ihr Gehirn hatte große Schäden erlitten. Sie saß am dichtesten am Feuer dran, weshalb sie neben den inneren- auch äußere Schäden davon trug. Große Brandnarben überzogen ihre rechte Körperhälfte. Sie erkennt weder mich, noch irgendjemand anders. Sie reagierte nicht und war längst nur noch ein Schatten ihrer selbst.
"Wollen wir einen Kaffee trinken gehen?", schlug ich ihr vor. Langsam drehte die Frau vor mir ihren Kopf zurück zu mir und schüttelte ihn kurz. Es waren Momente wie diese, in denen ich die Hoffnung hatte, dass doch noch tief in ihr drinnen ein Funke mich hörte. Momente in denen sie reagierte.
"Gut", wie immer holte ich die alten Fotoalben aus dem Schrank und blätterte sie durch.
So verbrachten wir eine gute Stunde, bis ich mich auf den Weg nach Hause machte. Zuhause. Meine kleine Wohnung, mitten in Zentrum von London. Bezahlt wurde sie von meinem Vater, der genug Geld hatte. Aber eigentlich tat er das nur aus schlechtem Gewissen. Nachdem ich mit Alec und meinen Vater Australien verlassen hatte blieben sie ganze drei Tage, bis sie sich wieder aus dem Staub gemacht hatten. Sie seien der Meinung, dass sie zu Mum's Heilungsprozess nichts mehr beisteuern konnten und ihre Pflichten in Sydney auf sie warteten. Sie packten ihre Koffer und ließen mich und meine pflegebedürftige Mutter zurück. Dabei war sie noch für über drei Monate im Krankenhaus. Und auch als sie aus dem Koma erwachte und ihr Heilungsprozess voran ging, kam sie nicht wieder zurück.
Doch irgendwie hatte ich es geschafft. Mum wird in ihrem Heim alles gegebenen was sie braucht. Durch den Verkauf unserer Wohnung in Oxford konnte ich ihr Heim gut bezahlen und auch die Versicherung gab einiges dazu. Geld war zum Glück nicht mein größtes Problem. Trotz allem hatte ich es geschafft mir etwas neues aufzubauen. Hier in London. Nachdem ich meine Mutter für mehrer Stunden am Tag alleine lassen konnte, nahm ich an der Aufnahmeprüfung für ein Musikstudium an. Ich wurde genommen.
Erschöpft schloß ich die Tür meiner Wohnung auf und schleuderte meine Schuhe in die Ecke. Danach zog ich mir trockene Klamotten an und setzte mich vor die Couch. Dabei glitt mein Blick rüber zur alten Kommode und den darauf stehenden Bildern.
Die meisten stammten aus meiner frühen Kindheit. Alle außer einem. Es zeigte Ashton, Calum, Michael, mich und ihn am Strand. Jedes Mal wenn ich es sah, versetztes es mir eine Stich mitten ins Herz. Ich hatte sie nach den Unfall nicht mehr kontaktiert. Irgendwie hatte ich es nie über mich gebracht auf ihre Nachrichten zu antworten. Sie häuften sich, aber mir fehlte damals die Kraft mit irgendjemanden zu reden. Mein ganzes Leben war nämlich auf einmal nicht mehr so wie es war. Ich hatte keinen Boden unter den Füßen. Ich lebte wie in Trance und war der festen Überzeugung, es nicht verdient zu haben, je wieder glücklich zu werden. Die Anzahl der Anrufe wurden mit jedem Tag weniger und hörten nach einigen Wochen komplett auf. Damals war ich erleichtert. Mein Vater schrieb mir circa einmal im Monat eine E-Mail, in der er fragte, wie es mir und meiner Mutter ging. Er hielt seine Nachrichten stets in einem höflichen und förmlichen Ton. Somit konnte ich ein Telefongespräch mit ihm umgehen.
Trotzdem würde ich gerne wissen, wie es ihnen ging und was aus ihnen geworden ist. Aber die Antworten werde ich nur bekommen wenn ich Fragen stellen würde. Was ich nicht konnte.
Gerade als ich es mir bequem gemacht hatte klingelte mein Telefon. Stöhnend stand ich auf und nahm den Hörer ab.
"Liz", meldete sich eine der einzigen beiden Personen, die jemals bei mir anriefen.
"Hey Lucas", stöhnte ich und ging zurück zur Couch.
"Morgen steigt eine fette Party bei James. Kommst du mit?", obwohl ich Party's hasste, stimmte ich ihm nach einigem Überreden seinerseits zu. Irgendwie dachte ich, es würde mir gut tun mal wieder unter Menschen zu gehen. Wir redeten noch ein Weile bis meine Augen zu schwer wurden und ich auflegte. Müde ging ich ins Bett. Es war wieder einer dieser Tage gewesen. Einer, an dem ich funktionierte, aber nicht lebte. So wie seit 2 Jahren.
Am nächsten Morgen klingelte mein Wecker unbarmherzig.
Genervt stand ich auf und machte mich fertig. Zur Uni musste ich sieben Stationen mit der Bahn fahren. Quälend langsam näherten wir uns meiner Endstation. Irgendwann waren wir dann doch da und ich ging den kurzen Weg bis zu meinem Campusgelände.
"Hey Liz", begrüßte mich meine Freundin Mika. Wir lernten uns an unserem gemeinsamen ersten Tag kennen und wurden schnell gute Freunde. Während ihr Schwerpunkt auf der Geige lag, war meiner das Klavier.
"Vorlesung über...", Mika kramte in ihrer Tasche nach einem Zettel und las dann laut "über Mozart." Unmotiviert gingen wir in den Vorlesesaal und ließen uns auf unsere gewohnten Plätze, ganz hinten, nieder.
Mr. Niwt, unser Dozent, begann mit seinem Vortrag und innerhalb zwei Sekunden war der halbe Saal am einschlafen.
"Wie geht's deiner Mum?", fragte Mika interessiert nach. Ich zuckte nur mit den Schultern, ihr Zustand hatte sich seit zwei Jahren nicht mehr verändert. Aber trotzdem freute es mich immer, dass Mika fragte. Diese kleine Geste zeigte mir, dass sie sich in irgendeiner Art und Weise für mich interessierte. Ich wusste es, was jedoch nicht bedeutete, dass ich es verstand.
Nach dem Vortag ging es endlich zum praktischen Teil über.
Gemeinsam mit Mika belegten wir einen Raum und übten. Die Jahresabschluss Prüfung waren dieses Jahr besonders wichtig. Wir mussten dieses Vorspiel gemeinsam überstehen. Mika und Lizzy. Geige und Klavier.
Wir übten und übten wie die Verrückten. Bis zu den Prüfungen waren es nur noch drei Tage.
Drei Tage bis zu unserem Urteil vorm Schiedsgericht.
"Nochmal ab Takt 145", wies ich meine Freundin an. Zum millionsten Mal wiederholten wir diese Stelle, bis sie endlich perfekt sitze.
Nach drei Stunden hörten wir auf und hatten für den heute genug geübt. "Fahren wir in die Stadt", schlug Mika vor. Ich stimmte zu und kurze Zeit später standen wir in einer Masse aus Menschen am Bahnhof Waterloo.
Wir schlenderten eine Weile durch die Stadt und redeten über belanglose Sachen.
"Lucas zwingt mich zu einer Party zu gehen. Mika ich will da nicht hin! Was hat mich nur gestern bewegt ja zu sagen?", jammerte ich und hängte mich an meine Freundin.
"Da musst du wohl oder übel durch, du hast es ja schließlich versprochen", grinste sie frech und schüttelte mich von ihrem Arm.
Vier Stunden später standen wir in meine Wohnung und Mika durchwühlte meinen Schrank nach einem passenden Outfit.
Nach gefühlten Jahren beschloss sie mir eine einfach Jeans und ein Hemd zu geben. "Es ist zwecklos. In jedem anderen Outfit fühlst du dich doch sowieso nicht wohl. Holt Lucas dich ab?", fragte sie mich, ich nickte.
Wie auf Kommando klingelte jemand an der Tür.
"Viel Spaß! Pass schön auf Lucas auf", sie sah mich grinsend an, nahm ihre Tasche und verschwand im Flur.
Hastig suchte ich mein Sachen zusammen und zog die Tür fest hinter mir zu.
Hey,
Hoffe es gefällt euch :)
Edit: 2020
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