10
Als die Schulglocke endlich das Ende dieses ersten Schultages ankündigte, wartete ich draußen auf Marley. Wir hatten uns in der Pause noch eine Weile unterhalten und sie schien wirklich nett zu sein. Ein spontanen Eingebung folgend habe ich sie gefragt, ob wir nach der Schule noch etwas unternehmen wollten. Sie hatte ja gesagt und ein kleines Café um die Ecke vorgeschlagen. Ich hatte Ashton einen Nachricht geschrieben, dass er nicht auf mich warten bräuchte. Ich freute mich auf den Nachmittag mit Marley. Es tat mir gut auch mal wieder mit einem anderen Mädchen zureden.
Ein paar Minuten nach mir tauchte Marley im Eingang auf. Gemeinsam liefen wir ein paar Straßen entlang, bis sie halt vor einem kleinem Café machte. Scheinbar waren mehrere Schüler auf die Idee gekommen. Es dauerte einige Minuten, bis wir endlich einen Platz für uns ergattern konnten.
Sobald wir an unserem Tisch saßen ließ ich meinen Kopf stöhnen auf die Tischplatte fallen. "Kaputt?", fragte sie und nahm einen Bissen von ihrem Sandwich. Ich stöhnte nur und raffte dann meinen Kopf wieder auf: "Ja. Diese Hitze. Diese vielen Menschen, mit ihren vielen Fragen. Hab ich schon erwähnt, diese Hitze!"
Marley lachte nur und schüttelte ihren Kopf. "Was, du bist das gewöhnt", beklagte ich mich und deutete aus dem Fenster auf die strahlend heiße Sonne. "Zuhause ist es in der Regel ehr nicht so warm", sagte ich und zog meinen Teller zu mir. Gerade als ich einen Bissen nehmen wollte hörte ich vertraute Stimmen hinter mir.
"Lizzy", riefen Ashton und kam mit Luke im Schlepptau auf uns zu. Augenblicklich hörte ich, wie Marley scharf Luft einzog. Stirnrunzelnd sah ich sie an, aber es war zu spät um sie auf ihre Reaktion anzusprechen. Immerhin standen die beiden Jungen schon neben uns.
"Hier treibst du dich also rum, kleine Schwester". "Ja großer Bruder", antwortete ich ihm und lachte. Eigentlich hatte ich ihn nur aus Spaß vor ein paar Tagen so genannt, aber als ich mitbekam, wie genervt Alec davon war, ließ ich die Formulierung immer mal wieder fallen. Was tut man nicht alles um seine Geschwister zu ärgern. "Hey Marley", wandte Ashton sich an Marley, als er sich neben sie auf die Bank setzte. Marley erwiderte die Begrüßung mit zarter, wackeliger Stimme. Oh oh.
"Was mach ihr hier?", fragte ich Luke, der sich zu mir gesetzt hatte. "Vermutlich das, was die meisten Leute hier machen. Essen", er stupste mir mit seinem Ellenbogen in die Seite und ich merkte wieder, wie ich rot wurde. Aber scheinbar war ich nicht die Einzige, die sich Unbehagen fühlte. Marley sah aus als würde sie gleich sterben. Unauffällig stupste ich sie mit meinem Fuß unter dem Tisch an. Erschrocken sah sie hoch und ich nickte ihr ermutigend zu. Zumindest war das mein Gedanke. Ob es auch so rüberkam?
"Das tat gut", Ashton rieb sich den Bauch und lehnte sich nach hinten. Sein Gesicht strahlte Zufriedenheit aus. Er und Luke hatten gerade ihre Hamburger in nicht einmal drei Minuten verschlungen.
"Was machen wir jetzt?", fragte Luke in die Runde. Marley und ich zuckten nur mit den Schultern.
"Bandprobe?", Ashton stellte ihm keine Frage. Es war mehr ein Befehl.
"Ach ja", stöhnte Luke und sank auf der Bank ein wenig herunter.
"Möchtet ihr mitkommen?", fragte Ashton und ignorierte Luke.
"Wir kommen nach", schnitt ich Marley, die gerade drauf und dran war zu bejahen, das Wort ab. Aber ich hatte andere Pläne.
"Gut, dann bis später. Weißt du, wie du zurückkommst Lizzy?", fragte Ashton, als er gerade seine Sachen aufhob. Ich verdrehte gespielt genervt die Augen und bejahte seine Frage. Er war wirklich ein großer Bruder. Als die Jungen weg waren sah ich Marley grinsend an.
Vermutlich wusste sie, was jetzt kommen würde, denn sie schaute bewusst überall hin, außer zu mir.
"Marley", begann ich und sah sie mit einem vielversprechenden Blick an.
"Lizzy", äffte sie mich ziemlich gut nach.
"Was war das", ich konnte mein Grinsen nicht verstecken. Sofort lief sie rot an und fragte nur im flüsternden Ton: "Ich weiß nicht, was du meinst. Wollen wir gehen?"
Zehn Minuten später saßen wir auf einer Bank an einem Spielplatz.
"Also? Was war eben los", begann ich. Das ist einer meiner großen Fehler, meine übernatürlich große Neugier. "Du weißt es doch eh schon", gab sie kleinlaut zu und betrachtete wieder den Boden.
"Weiß er es?", fragte ich sie.
Traurig schüttelte sie nur den Kopf: "Ich wusste nicht einmal, dass er meinen Namen kennt", zögerte sie. Ein paar Sekunden sagte keiner von uns beiden was, bis mich Marley plötzlich mit großen Augen anstarrte: "Er ist dein Bruder. Stört dich das gar nicht?" Mit jedem Wort weiteten sich ihre Augen mehr und ihre Stimme rutsche jeweils eine Terz höher.
Ich lachte nur und sah sie ungläubig an: "Er ist mein Stiefbruder. Bis vor ein paar Wochen wusste ich nicht einmal, dass es ihn gibt. Du kennst ihn also deutlich länger als ich. Und wenn wir mal ganz ehrlich sind, er sieht doch auch ziemlich gut aus. Also mach dir mal um mich keine Sorgen."
"Genau wie Luke", flüsterte sie leise, woraufhin ich sie nur fragend ansah. Sie schüttelte den Kopf, lachte und meinte: "Ach Lizzy".
Erst als es so gegen sechs Uhr und es schon dunkel war, fuhr ich nach Hause. Nachdem Marley und ich erstmal im Redefluss waren verging die Zeit viel schneller und wir hatten beide die Bandprobe total vergessen. Ich hatte Marley noch nach Hause eingeladen, aber mit einem nervösen Blick auf die Uhr verabschiedete sie sich.
Zuhause angekommen stellte ich meine Schuhe in eine Ecke und lieg nach oben in mein Zimmer. Verträumt öffnete ich die Tür und stellte meine Tasche neben meinen Schreibtisch, an den ich mich setzte. Ich nahm mein Handy aus der Tasche und wählte gerade Lucas Nummer als sich plötzlich jemand hinter mir räusperte. Ich bekam ein riesigen Schreck als auf meinem Bett jemand saß.
Dieser jemand war Alec.
"Alec, willst du, dass ich einen Herzinfarkt bekomme? Was willst du?", fragte ich ihn erschrocken. Sein Blick war wütend, aber auch irgendwie traurig und schmerzvoll verzogen.
"Reden", gab er knapp von sich.
Normalerweise wäre ich für jedes Gespräch offen, aber Alec hatte seinen Recht auf eine Versöhnung bei mir schon vor langer Zeit verloren. Außerdem ging es mir gerade so gut, das wollte ich mir nicht kaputt machen.
"Alec, bitte. Kannst du mich bitte alleine lassen? Normalerweise kannst du das doch so gut. Hast es zumindest oft genug unter Beweis gestellt", damit hatte ich genau ins Schwarze getroffen.
Sein Gesichtsausdruck machte in kürzester Zeit die verschiedensten Phasen durch.
Betroffenheit, Verlegenheit, Trauer und zuletzt Zorn.
Leider bleib es bei diesem Stadium stehen.
Wütend sprang er auf, lief auf mich zu und das Nächste, was ich wahrnahm, war ein höllischer Schmerz im Bereich meines Auges.
"Bist du komplett irre geworden?", schrie ich ihn an, wobei sich meine Stimme ein paar Oktaven überschlug.
"Du bist doch vollkommen gestört", im nächsten Moment hörte ich Schritte die Treppe hoch stürmen. Alec schien gar nicht zu realisieren, was er gerade getan hatte, sondern starrte nur auf seine Knöchel.
"Ich habe Stimmen gehört und dachte ich. Ich schaue mal. Nach", zum Ende des Satzes wurde Lisa's Stimme immer leiser. Sie schaute erst von mir zu Alec und dann wieder zu mir. Ihr Blick blieb auf meinem linkem Auge hängen, an dem bereits Blut herunterlief. Ich hielt schützend meine Hände unter mein Auge, damit das Blut nicht auf den hellen Teppich tropfte.
"Verschwinde Alec", zischte sie mit einer solchen Autorität, wie ich es bei ihr nie wieder hören werde. Irgendwann befreite Alec sich aus seiner Starre und stürmte nach unten. Er schleuderte seine Tür hinter sie zu.
"Toller Bruder", murmelte ich und hielt mir mein Auge. Vermutlich stand ich unter Schock, denn ich spürte keinen Schmerz.
Lisa, die immer noch total perplex an der Wand lehnte, blickte besorgt zu mir und kam auf mich zu. "Lass mich mal sehen", sie hielt mein Kinn hoch und schaute besorgt auf mein Auge. "Wir säubern das jetzt erstmal. Vielleicht muss das genäht werden", ich bekam etwas Angst, was sie wohl merkte. "Keine Sorge. Ashton war ein ziemlich wilder Junge. Ich hab da schon ein bisschen Erfahrung", gemeinsam gingen wir ins Bad und sie säuberte meine Wunde mit heißem Wasser, was dann doch ziemlich weh tat. "Scheint nicht so schlimm zu sein", sie holte ein erste Hilfe Kit hervor und begann meine Wunde mit Klammerpflastern zu verarzten.
"Das wird einen schönen Bluterguss und vielleicht eine kleine Narbe geben", meinte sie, als ich ihr Werk im Spiegel betrachtete. "Das war sein komischer Siegelring, den er und seine Clique Zuhause alle getragen hatten", bemerkte ich kühl. Lisa schaute mich nur mitleidig an, drehte sich um und kramte im Schrank vor ihr. "Wer trägt heute noch Siegelringe?", fragte ich sie, als sie mir zwei Schmerztabletten hinhielt. Sie zuckte nur mit den Schulter und fragte stattdessen mit sanften Ton: "Was hat ihn eigentlich dazu bewegt so auszublicken?"
Ich setzte mich zu ihr auf den Badewannenrand. "Er wollte reden, aber ich wollte das nicht. Dann meinte ich zu ihm, er solle einfach verschwinden, weil er das doch so gut könne", erinnerte ich mich.
Mein Kopf brummte vor lauter Schmerz. Lisa atmete geräuschvoll aus.
"Was war daran jetzt falsch? Ist doch wahr", verteidigte ich mich, als ich ihren vorwurfsvollen Blick sah.
Dann erzählte mir Lisa etwas, was ich niemals erwartet hätte.
"Lizzy. Damals, als dein Bruder und Vater hier hergekommen sind und ich sie kennen gelernt habe, da habe ich Alec einmal gefragt, warum er unbedingt hierher wollte. Seine Antwort war, dass er herausfinden wolle, wie stark die Liebe seiner Mutter ihm gegenüber wirklich ist"
"Sein Ernst?", rief ich verwundert aus und schnaubte ungläubig. Nicht mal Alec hätte ich zugetraut, so eine bescheuerten Mist zu erzählen. Aber das war einmal wieder typisch für ihn. Er manipulierte Menschen so, dass er als das Opfer dasteht und die anderen die Bösen sind.
"Also haben ihm Mum's Bemühungen nicht gereicht?"
"Ich schätze nicht."
"Hast du eine Ahnung, was meine Mutter alles probiert hat um die Beiden wieder nach Hause zu bekommen?"
"Ich kenne bisher nur die Version von deinem Vater, aber ich kann mir vorstellen, was eine Mutter für ihren Sohn tun würde."
"Ich weiß nicht, ob du das kannst. Sie hat wirklich alles getan. Ihn angefleht zu bleiben, über seine Probleme zu sprechen. Aber weißt du was er getan hat? Er hat sie angelacht, sich über ihre Verzweiflung lustig gemacht, hat seine Koffer gepackt und ist gegangen. Sie hat ihn angefleht. Angefleht! Aber er ist gegangen. Er. Nicht sie. Nicht ich. Er."
Bei der Erinnerung kamen mir die Tränen. Es war gerade alles zu viel für mich. Beruhigend strich Lisa mir über den Rücken. Ich merkte, wie sie die Neuigkeiten überraschten.
"Alex wollte niemals Mum's Liebe zu ihm testen. Er hat sich noch nie für die Gefühle anderer interessiert. Für ihn gibt es doch nur sich und niemanden anderes."
Lisa fuhr weiter mit ihrer Hand meinen Rücken auf uns ab.
So verharrten wir eine ganze Weile, bis ich sie bat mich alleine zulassen. Ich wollte ein bisschen für mich sein, um die ganzen Gedanken zu sortieren. Traurig und frustriert setzte ich mich an meinen Schreibtisch und kramte mein Notenpapier aus dem Schrank.
Während "normale" Mädchen sich wahrscheinlich mit ihren besten Freundinnen treffen würde, treffe ich mit der Musik um meine Trauer zu bewältigen. Ich ließ mich auf den Klavierhocker fallen und begann wahllos drauf los zuspielen. Ich war wie im Rausch und hörte erst lange Zeit später auf.
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Hey,
Ich hoffe es gefällt euch einiger maßen, wenn ja/nein lasst es mich wissen ;)
Bis bald,
Emma^.^
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