Kapitel 2
"So, Koffer fertig gepackt." meinte Lucy und stellte ihn vors Auto.
"Bist du wahnsinnig? Wir sind nur 2 Tage weg, kein ganzes Jahr!"
"Das weiß ich, aber nicht, was ich da anziehen soll." quengelte sie.
"Etwas schwarzes, ein Kleid oder Hose und Bluse, ein paar schicke Schuhe und einen Pyjama. Mehr brauchst du nicht."
"Ja, aber ich brauche etwas für den nächsten Tag."
"Da reicht das, was du grad anhast."
"Aber ich kann doch nicht..."
"Herrgott, Lucy! Wir fahren nicht zu einer Oscar Verleihung sondern in ein winziges Dorf wo man froh sein kann dass die dort überhaupt etwas anhaben, was kein Lendenschurz ist. Also nimm einen kleineren Koffer mit, bitte. Und beeil dich, sonst kommen wir nie an." rief ich.
"Ja, ja." knurrte Lucy und ging wieder zurück ins Haus.
Zur gleichen Zeit kam Trish mit ihrem Mini herbeigerast, bremste und stieg aus.
"Spinnst du, James? Du fährst weg und das erfahre ich erst jetzt durch eine SMS von Lucy? Was fällt dir ein? Du kannst Lucy nicht einfach so entführen! Schließlich bin ich ihre Mutter!"
"Ich entführe sie nicht, wir fahren zu einer Beerdigung, Trish."
"Wieso habt ihr mich dann nicht informiert?" fragte sie schnippisch.
"Weil du nicht mitkommst." sagte ich klar und deutlich.
"Wir sind eine Familie, da muss ich dabei sein, was sollen sonst die Leute denken?"
Der Satz brachte mich zum Lachen. Es war nicht nur absurd sondern absolut lächerlich, was sie da von sich gab.
"Wir sind keine Familie, Trish. Schon lange nicht mehr, falls wir es je waren. Außerdem konntest du meine Mom nie leiden und umgekehrt hat es sich genauso verhalten. Und spiel dich nicht als sorgende Mutter auf, denn das bist du nicht. Sei froh, dass du uns jetzt für die nächsten Tage los bist, da kannst du ungestört mit deinem Martin oder Steve, oder wie auch immer dein Neuer heißt, das Schlafzimmer unsicher machen." meinte ich und setzte wieder meine Sonnenbrille auf.
"Jack! Sein Name ist Jack, wann merkst du es dir endlich?"
"Vielleicht wenn du aufhörst, ihn zu vögeln?"
"Du bist so ein Arsch!"
"Jack...vielleicht ist er ein Sexualtäter und schlitzt dich irgendwann auf. Wie Jack the Ripper. Wundern würde es mich nicht." Im Moment kam mir der Gedanke alles andere als erschreckend vor. Vielleicht war Jack the Ripper auch nur ein Mann, der betrogen wurde und sich an allen Frauen dafür rächte? Zugegeben, sehr brutal aber ein klein wenig verständlich.
"Du Scheißkerl!" schrie sie.
"Ja, ich bin der Scheißkerl, dann hätten wir das geklärt. Aber dann bist du auch nichts anderes als eine dreckige Hure, die es mit ihrem Frauenarzt treibt." brüllte ich zurück.
"Leute, chillt mal! Mom, wir sind eh nur kurz weg." sagte Lucy und warf ihren kleineren Koffer auf den Rücksitz.
"Komm, steig ich ein, Lucy." forderte ich meine Tochter auf und sie setzte sich neben mich auf den Beifahrersitz.
"Ich prophezeie dir, James, das wird dir noch leid tun! Wir sehen uns vor Gericht und dann wirst du meinen Anwalt kennen lernen. Der wird dich fertig machen. Er ist einer der besten."
"In was? Verteidigung oder im Besteigen? Hast du mit ihm etwa auch geschlafen?"
"Fick dich, James!"
"Ein tolles Vorbild bist du, Trish. Wirklich super. Hoffentlich wirst du vor Gericht nicht so ausfallend. Oder besser doch, dann sieht der Richter, wer du wirklich bist. Man sieht sich." sagte ich und trat aufs Gas.
"Langsam habe ich das Gefühl, es macht dir Spaß, sie zu beschimpfen und mit ihr zu streiten." murmelte Lucy.
"Spaß? Keineswegs. Es macht nie Spaß, sich mit jemanden zu streiten, weil er dich verletzt hat. Das wirst du merken, wenn du mal Liebeskummer hast."
"Ja schon, aber das ist doch kein Liebeskummer mehr. Ihr streitet euch dauernd."
"Du hast Recht."
"Hasst ihr euch so sehr?"
"Nein...naja...keine Ahnung." gab ich zu.
"Du brauchst dich nicht zurück zu halten und auf mich Rücksicht nehmen. Ich bin kein Kind mehr, ich sehe dass ihr euch nicht mehr liebt. Du kannst also ruhig zugeben, dass ihr euch hasst."
"Kann man jemanden hassen, den man mal geliebt hat?" fragte ich.
"Kann man jemanden hassen, den man davor nicht geliebt oder gemocht hat?" stellte sie die Gegenfrage.
"Alles gute Fragen." meinte ich grinsend.
"Du solltest bei mir anfangen."
"Nee, lieber nicht. Am Ende feuerst du mich noch." grinste sie.
Ich schüttelte fassungslos den Kopf.
"Wieso halten mich alle für so grausam?"
"Sieh dich doch mal an! Der erste Eindruck von dir ist streng und arrogant. Und der zweite ist nicht viel besser."
"Streng? Arrogant?" Ich? Niemals!
"Du trägst immer deinen schwarzen Trenchcoat. Sommer wie Winter. Im Sommer mit Sonnenbrille, im Winter mit Schal. Warum? Als ob du nicht genug Sachen zum Anziehen hättest."
"Er ist elegant. Und er verleiht sofort Autorität. Und mich erkennt jeder."
"Ja, um dich zu fürchten. Dad, jeder im Büro hasst dich und selbst meine Freundinnen haben Angst vor dir."
Freundinnen? Anne, die Tochter der Nachbarn war mit Lucy schon ewig befreundet und kannte mich seit sie ein Baby war. Es gab eine Zeit, da hat sie mich Onkel Jamie genannt, also konnte es unmöglich Anne sein, die Angst vor mir hatte.
"Welche Freundinnen?"
"Die aus der Schule."
"Ich dachte, die halten mich für deinen Lover?" Jetzt war ich vollkommen verwirrt.
"Es gibt zwei, die wissen die Wahrheit."
"Ich dachte, du wärst eine Außenseiterin und du hättest keine Freunde?"
"Naja, sie waren gute Freundinnen, aber die eine ist jetzt zu nem Gothic mutiert und die andere...naja wir haben uns gestritten und sind jetzt keine Freundinnen mehr."
"Ach okay. Und die hatten Angst vor mir?"
Lucy lachte.
"Ja. Sue, also die jetzt ne Gothic-Braut ist, dachte sogar, du hättest mich entführt."
"Seltsam. Ich bin doch überhaupt nicht streng. Ich sage halt das was mir passt." murmelte ich.
"Die kennen dich halt nicht so gut. Du hast ja nicht mal Freunde, obwohl du hier seit fast zwanzig Jahren lebst. Du wirkst eben unnahbar."
"Freunde werden überbewertet. Außerdem hatte ich..."
"Ja, du hattest zwei Freunde, aber die sind gestorben nach einem Autounfall. Das hast du mir schon tausendmal erzählt, aber das ist immer noch kein Grund, sich keine neuen Freunde zu suchen."
"Wenn man erfolgreich ist und viel arbeitet, dann hat man nicht viele Freunde." seufzte ich.
"Ich glaube, es wird dir guttun, mal wieder alte Gesichter zu sehen, Dad."
"Das glaube ich nicht. Du kannst dich zwar kaum mehr an deinen Opa und deine Tante erinnern aber ich kann dir versichern: wer so eine Familie hat braucht keine Feinde mehr."
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