Chapter Five
„Wie geht es dir heute?", fragte ich meinen Bruder, der gerade seinen Haferbrei aß, den ihm vorhin ein Pfleger gebracht hatte. Er sah mich an. „Besser", antwortet er kurz und schob sich einen weiteren Löffel in den Mund.
„Können wir kurz reden?", fragte ich ihn etwas ernster. Er sah mich wieder an, schluckte und legte dann den Löffel bei Seite. „Tun wir das denn nicht schon?", fragte er sarkastisch zurück und zog die Augenbrauen hoch. „Du weißt, was ich meine", antwortete ich knapp und setzte mich zu ihm auf die Bettkante. Christian schob den Schiebetisch etwas weg. Er schnaufte laut aus, nickte dann aber.
„Ich habe etwa herausgefunden, das dich vielleicht interessiert", begann ich meine Aufklärungsarbeit und holte mein Handy aus der Tasche. „Pass mal auf", bat ich ihn und zeigte ihm die eine Szene vom Video, die ich gestern analysiert hatte.
Nils schmetterte gerade die Steuerung auf den Boden, als ich auf die Stopp-Taste drückte. „Sagt dir das was?", fragte ich ihn. „Ähm, nein?", antwortete mein Bruder verwirrt. „Ich meine, kannst du dir vorstellen, warum er das getan hat?", half ich ihm auf die Sprünge um eine Antwort zu erhalten, die mich weiterbringen würde. „Andreas, sie haben diskutiert. Dann hat Nils das Ding auf den Boden geworfen, na und? Was soll ich dazu jetzt sagen?"
Irgendwie enttäuscht ließ ich meinen Kopf sinken. Ja, was hatte ich denn erwartet? Dass er mir den genauen Grund sagen würde, warum die zwei diskutiert und einer davon die Steuerung auf den Boden geschmissen hatte? Woher sollte er das denn wissen?
Innerlich schlug ich mir auf die Stirn.
Andreas, du bist so ein Idiot!
„Ist in Ordnung. Ich weiß selbst nicht, was ich mir davon erhofft habe...", gab ich leise zu und spulte auf die nächste Szene vor.
Dem Unfall.
Chris zuckte neben mir etwas zusammen als die Explosion kam. Was hatte ich mir auch nur dabei gedacht? Dass es ihm leicht fallen würde, das Video anzuschauen?
Andreas... ermahnte ich mich wieder selbst.
Ich wollte ihn nicht an den Vorfall erinnern, aber ich war so in der Recherche gewesen, dass...
... ja, was denn, Andreas?
Dass du vergessen hast, dass das nicht nur ein Video, sondern wirklich passiert war? Und dein Bruder daran hätte sterben können?
Ich musste aufhören Ausreden dafür zu suchen. Ich hätte ihm diese Aufnahme nicht zeigen dürfen. Ich verlangte zu viel von ihm.
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„Hey, Bruder, tut mir leid! Ich wollte nicht...", begann ich meine Entschuldigung. Meine Worte blieben aber in meinem Mund stecken, als ich sah wie sich Christian in sich zusammengekauert hatte. Er zitterte und hatte sich bis zum Hals in die Decke gehüllt. Er trug noch das Pflaster von gestern auf der Wange. Es hatte sich mittlerweile so viel Blut angestaut, dass es fast hindurch sickerte.
Ich kam etwas näher zu meinem Bruder. „Hör mal, ich habe nicht daran gedacht, dass diese Szene zu viel für dich sein könnte. Ich dachte...", redete ich auf ihn ein. Christian unterbrach mich: „Ist schon in Ordnung. Ich weiß, dass du es nur gut gemeint hast".
Er packte mich sanft am Arm und zog mich zu sich, sodass er seinen Kopf auf mich legen konnte. „Es tut mir leid, dass ich gestern so falsch reagiert habe...", begann er sich zu entschuldigen. „Beim Wasser...", half er mir auf die Sprünge als er erkannte, dass ich nicht wusste, was er meinte. „Oh, das...", erinnerte ich mich. Ich hatte kurz vergessen, dass das passiert war. „Und Andreas...", sprach er weiter. „Ich habe Maries Reaktion gesehen". Ich wurde wieder aufmerksamer. „Ich weiß aber nicht, was ich davon halten soll". Es tat gut seinen Kopf auf meiner Schulter zu spüren.
Ja, das wusste ich auch nicht.
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„Die Ärzte meinten, ich darf morgen wieder nach Hause", berichtete Christian dann, um die Stille zu brechen. „Morgen? Das ist gut, Chris", gab ich zu.
Viel zu lange schon hatte er hier drinnen verbringen müssen. Anfangs stand es um ihm so schlecht, dass er es fast nicht geschafft hätte. Jetzt aber hatte er nur noch ein paar Verbrennungswunden. Unter anderem die auf der Wange und auf dem Arm. Eigentlich an seinem ganzen Körper.
„Du bist so tapfer", sagte ich schließlich und drückte seinen Kopf noch fester auf meine Schulter. „Ich hätte nicht gedacht, dass so etwas einmal passiert". Ich hörte Christian kurz schlucken. Er sagte aber nichts.
„Ich werde später mit Nils und Antonio über das reden. Und Bernd und Markus schnappe ich mir auch. Sie waren an dem Tag alle für die Pyro zuständig", erzählte ich und schaute auf den Haferbrei, den Christian stehen gelassen hatte. „Willst du das nicht noch essen?", fragte ich ihn und nickte zum Haferbrei. „Nein. Ist eh schon kalt und schmecken tut er auch nicht", antwortete Christian und hob seinen Kopf von meiner Schulter. Ich nickte verständnisvoll. Krankenhausessen war meistens nicht der Burner.
„Ich hol dich dann morgen ab. Schreib mir kurz um welche Uhrzeit!", sagte ich, bevor ich aus dem Zimmer ging. Ich schloss die Tür und fing einen letzten Blick von meinem Bruder auf.
Es wurde Zeit die Ermittlungen fortzusetzen.
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Ich muss sagen, ich hatte Spaß daran gefunden, den Detektiv zu spielen.
Ich bat die vier Hauptverdächtigen alle zusammen mit mir in einen Besprechungsraum zu gehen. Warum, das wussten sie noch nicht.
Ich zeigte den Vieren die zwei Szenen, die ich vorhin noch meinem Bruder gezeigt hatte, über einen großen Bildschirm. Nils und Antonio wirkten sehr nervös, als die Aufnahme ihrer Diskussion lief.
„Könnt ihr mir sagen, was da vorgefallen ist?", fragte ich die beiden und setzte mich nun endlich auf einen Stuhl. Nils spielte mit seinen Fingern. „Ach, wir haben uns nur darüber gestritten, wer aufs Knöpfchen drücken darf...", stammelte Nils sehr nervös. „Stimmt das?", wollte ich mir von Antonio bestätigen lassen und schaute ihn streng an. Ich kaufte Nils das nicht ab. Seine Nervosität sprach für sich.
Antonio nickte. „Ich habe die Effekte an dem Abend überwacht, das gebe ich offen zu". „Warum hast du dann auf den Knopf gedrückt, obwohl mein Bruder an der falschen Position stand?" Ich war etwas lauter geworden als ich diese Frage gestellt hatte.
„Das habe ich nicht. Dieser Pyroeffekt wird automatisch ausgelöst, sobald die Uhr die Uhrzeit anzeigt, auf die der Auslöser eingestellt wurde", wimmelte Antonio ab. „Da hat er Recht", stimmte Nils zu.
„Wenn es Pannen oder Schwierigkeiten beim Aufbau einer Illusion gibt, werden die Effekte doch hinausgezögert, indem die Uhrzeiten angepasst und neu berechnet werden! Das ist euer Job! Dafür seid ihr eingestellt!" Ich hatte mich mittlerweile so in Rage geredet, dass ich gar nicht bemerkt hatte, wie ich aufgesprungen war und auf den Tisch geschlagen hatte.
Ich sah in die angstvollen Blicke der Mitarbeiter und setzte mich wieder hin. „Ich will doch nur wissen, warum da nicht sofort eingegriffen wurde!", sagte ich nun um eine leisere Lautstärke bemüht und nahm meine Hände vom Tisch.
„Andreas, der Dienstplan wird hunderte Male von uns und Chris vor der Show durchgerechnet und durchgegangen", mischte sich nun Bernd ein. „Und wenn uns Änderungen bezüglich der Effekte, weil es vielleicht eine unbedachte Streuung gibt oder weil bei den Zeiten was nicht passt oder weil uns was-weiß-denn-ich mitgeteilt wird, dann versuchen wird das zu beachten", erklärte Bernd weiter mit einer sehr ruhigen Stimme. „Es gab also eine kurzfristige Änderung in der Zeit", wiederholte ich noch einmal. „Also war dieser Effekt tatsächlich geplant verschoben worden. Obwohl von den Acts und der Reihenfolge her alles exakt wie immer war!", unbewusst war ich wieder lauter geworden.
Ich legte eine Hand, die ich zu einer Faust geballt hatte, auf den Tisch. „Wer hat gesagt, dass dieser Effekt nach hinten verschoben werden soll? Wer von euch war das?"
Stille.
Natürlich. Niemand wollte seine Schuld preisgeben.
Ich schaute alle nacheinander für einen Moment an. Sie alle wirkten unglaublich nervös.
Steckten sie etwa alle unter einer Decke?
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Gerade als ich noch etwas sagen wollte, ging die Tür auf.
„Stör ich?", fragte Marie entschuldigend und steckte ihren Kopf herein. „Du wolltest mit mir reden?", sprach sie weiter und vergrößerte den Spalt der Tür.
Oh ja, und wie ich das wollte.
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