Kapitel 50
Emma
Ich kann es immer noch nicht fassen. Wie konnte das passieren? Ich bin extra weit von meinem Zuhause weggefahren, damit mich keiner findet. Der Einzige, der bescheid wusste, war Ben. Aber wieso sollte er zurückkommen, wenn ich doch gesagt habe, dass ich mich mit meinem Freund treffe? Das ergibt alles keinen Sinn. Ich liege seit ein paar Stunden jetzt hier im Krankenhausbett und starre an die Decke.
Es ist ein anderes Zimmer als ich nach dem Unfall hatte, aber es sieht fast genauso aus.
Es ist genauso kahl eingerichtet. Ich will hier nicht mehr sein. Mein Selbstmordversuch hatte schon einen Grund. Aber leider sitzt seit einer halben Stunde diese Psychotussi neben mir und beobachtet jeden meiner Bewegungen.
»Willst du nicht doch mal mit mir reden, Emma?«, fragt sie mich jetzt, doch ich verdrehe nur genervt die Augen. »Ich will dir doch nur helfen. Aber das geht nicht, wenn du mich nicht helfen lässt.«
»Mir ist doch eh nicht mehr zu helfen«, murmle ich. »Glaubst du das wirklich?« Jetzt sehe ich die Psychotussi mit hochgezogenen Augenbrauen an.
»Ja. Das glaube ich wirklich.« »Und warum glaubst du das?«
»Weil ich mein Leben lang in einem beschissenen Rollstuhl sitzen und auf die Hilfe meiner Familie angewiesen sein werde«, entgegne ich genervt und wende meinen Blick wieder ab. Ich verschränke die Arme hinter meinem Kopf und schließe die Augen. »Es gibt viele Menschen, die ein glückliches Leben im Rollstuhl führen«, sagt sie. »Wieso kannst du das nicht?«
Diese Psychologin macht mich echt wütend. Sie weiß einen Scheißdreck über mein Leben und will trotzdem darüber urteilen.
»Weil es halt nicht geht, okay?! Es passiert eine Scheiße nach der Nächsten seit diesem Unfall. Ich kann einfach nicht mehr.«
»Was ist denn passiert?«, hakt sie nach. Sie ist wirklich gut. Sie hat mich jetzt schon so lange genervt, bis ich wirklich angefangen habe mit ihr zu reden. Aber ich habe trotzdem keinen Bock darauf. »Das geht Sie einen Scheißdreck an!«, blaffe ich sie an.
»Beruhig dich, Emma.«
Sie kann es nicht lassen.
»Nein, ich beruhige mich nicht! Ich will, dass Sie jetzt gehen!« »Ich werde nicht gehen, Emma. Du hast gerade versucht, dich umzubringen. Ich glaube, du brauchst Hilfe. Und ich kann dir helfen. Aber nur wenn du mich lässt.«
Ich setze mich in meinem Krankenbett leicht auf. »Ich will Ihre Hilfe aber nicht. Sie kennen mich nicht einmal. Wie sollen Sie mir da dann helfen können?«
»Lass es mich dir zeigen, Emma«, sagt die Psychologin. Ich weiß nicht, was das ganze hier soll. Setzen die mir jetzt diese Frau vor die Nase, damit ich auch ja keinen Selbstmordversuch mehr unternehme? Das ist doch lächerlich. Das kann denen doch egal sein. Außerdem brauche ich keinen Babysitter.
»Was verstehen Sie unter ‚ich will Ihre Hilfe nicht' nicht?« Ich lege mich wieder hin und drehe mich auf die andere Seite, damit ich sie nicht mehr ansehen muss. Vielleicht lässt sie dann endlich locker. »Naja. Ich kann dich nicht dazu zwingen, aber ich werde da sein, wenn du es dir anders überlegst, okay?« Ich reagiere nicht und das nimmt sie anscheinend als ‚okay', denn jetzt ist auch sie still.
Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich eingeschlafen bin, aber als es an der Tür klopft reiße ich erschrocken meine Augen auf und drehe mich um. Die Psychotussi ist verschwunden. Ich sehe mich im Raum um, doch sie ist nirgendwo zu sehen. Noch bevor ich auf das Klopfen an der Tür reagieren kann, wird sie auch schon geöffnet. »Emma?«, fragt eine altbekannte Stimme. Es ist Frau Eilers.
»Was machen Sie denn hier?«, frage ich sie. Ich streiche mir die blonden Haarsträhnen aus dem Gesicht und warte gespannt auf eine Antwort. »Ich habe gehört was passiert ist und wollte sehen wie es dir geht. Erst wollten sie mich nicht zu dir lassen, aber dann habe ich mich einfach vorbeigeschlichen. Wieso hast du ihnen gesagt, dass du keinen sehen willst? Hast du mal an deine Familie gedacht?« Was ist denn jetzt los? Warum macht sie mich so blöd an? »Ähm.. ja.. also«, stotterte ich, weil ich überhaupt nicht weiß, was ich darauf antworten soll. »Ähm.. ja.. also«, äfft sie mich nach. Ich sehe sie schief an. So habe ich sie noch nie erlebt. »Was ist denn los mit dir, Emma? Du warst immer eine Kämpferin. Die größte Kämpferin, die ich kenne. Du hast dein Leben lang für deinen Traum geackert. Und jetzt lässt du dir alles wegen so einem blöden Unfall kaputt machen?«
Als Frau Eilers durch die Tür gekommen ist, habe ich vielleicht Bemitleidungen erwartet. Aber bestimmt keine Standpauke. »Was erwarten Sie denn? Was hätte ich denn machen sollen?« »Meinst du diese Frage gerade ernst?«, lacht sie spöttisch. »Du hättest am Ball bleiben sollen und dafür kämpfen müssen, dass du irgendwann wieder laufen kannst. Ich weiß, dass deine Eltern deine Physiotherapie nicht mehr zahlen konnten. Das haben sie mir vorhin erzählt. Aber wieso bist du dann nicht zu mir gekommen? Wir kennen uns seitdem du klein bist. Du hättest mit mir reden können und wir hätten eine Lösung gefunden.«
»Wissen Sie eigentlich wie viel so eine Therapie kostet?«, frage ich sie, weil ich ihren Worten keinen Glauben schenke. Was hätte sie denn auch gemacht? Auch sie hätte sich die Therapie nicht leisten können mit ihrem mickrigen Gehalt als Ballettlehrerin. »Mir ist egal, wie viel sowas kostet. Fakt ist, dass ich Tanz studiert habe und so Einges über Verletzungen und Physiotherapie gelernt habe und mit dir üben hätte können. Aber wenn du mir deine Probleme nicht verrätst, kann ich dir auch nicht helfen.«
Genervt schüttle ich den Kopf. »Es ist ja nicht nur diese eine Sache gewesen. Hannah hat mich angelogen, meine Eltern haben mich angelogen und sogar Daniel. Und wahrscheinlich betrügt er mich auch noch. Genauso wie mein Vater meine Mutter«, haue ich ihr an den Kopf, in der Hoffnung, dass sie mich dann in Ruhe lässt. Frau Eilers ist ja wirklich noch schlimmer als die Psychotussi.
Meine Ballettlehrerin verschränkt die Arme vor der Brust. »Genug gejammert?«, fragt sie dann mit hochgezogener Augenbraue und einem gespieltem Gähnen. »Warum sind Sie denn jetzt so gemein zu mir?«, gebe ich erschrocken zurück und schlucke einmal kräftig. Vielleicht wären mir Bemitleidungen doch lieber gewesen.
»Ich bin nicht gemein zu dir, Emma«, sagt sie, dieses mal mit einem etwas sanfteren Ton, und setzt sich auf meine Bettkante. »Ich versuche nur, dich endlich wachzurütteln. Du wolltest gerade dein wertvolles, junges Leben wegwerfen. Einfach so. Vielleicht empfindest du momentan einige Sachen als schlimm. Aber wenn du ein bisschen älter bist, wirst du irgendwann darüber lachen können.«
»Warum sollte ich darüber lachen, dass mein Freund mich betrügt?«, keife ich sie an und nun bin ich diejenige, die ihre Arme vor der Brust verschränkt. »Wieso glaubst du überhaupt, dass er dich betrügt?« »Er hat mich schon des öfteren angelogen und sich dann mit dieser Sarah getroffen, mit der er seit neustem schreibt.« Frau Eilers prustet los. »Ist das dein ernst? Weil er sich mal mit diesem Mädchen getroffen hat und du nichts davon wusstest? Emma, denk mal nach. Daniel liebt dich über alles. Wieso sollte er dich denn dann betrügen? Er tut alles für dich.« »Ich habe doch mit meinen eigenen Augen gesehen, wie innig sie sich umarmt haben!«
»Rede doch erstmal mit ihm, bevor du eilige Schlüsse ziehst. Vielleicht gibt es eine logische Erklärung für das Ganze, hm?« Ich ziehe eine Schnute. »Wenn's unbedingt sein muss«, sage ich und verdrehe dann die Augen. »Gut. Ich sage der Krankenschwester, dass du jetzt für Besuch offen bist und hole Daniel und deine Eltern ok?«, sagt sie ganz aufgeregt und springt auf. Für ihr Alter ist Frau Eilers wirklich wahnsinnig fit. »Wow! Stopp! Von meinen Eltern war nie die Rede«, warne ich sie. »Emma, krieg dich wieder ein! Es sind deine Eltern und sie machen sich Sorgen. Das haben sie nun wirklich nicht verdient. Ach ja, Hannah ist auch hier, die will dich auch sehen. Bis gleich!«, sagt sie und noch bevor ich protestieren kann, ist sie auch schon durch die Zimmertür verschwunden.
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