Kapitel 44
Daniel hat mir gestern Abend nur noch eine kurze Nachricht geschrieben, dass er mich liebt und ins Bett geht, aber als ich ihm antworten und fragen wollte, wo er den ganzen Tag war, war er auch schon wieder offline. Deswegen habe ich nur ein Ich dich auch. Schlaf gut. zurückgeschickt.
Heute Morgen wache ich von selber relativ früh auf. Als ich auf die Uhr schaue, ist es erst 7 Uhr. Theoretisch könnte ich mich jetzt noch fertig für die Schule machen und würde noch rechtzeitig kommen. Aber ich habe keine Lust. Zwar will ich auch nicht wieder den ganzen Tag blöd daheim rumsitzen, aber blöd rumsitzen würde ich in der Schule ja auch. Ich mein, was sollte ich auch sonst machen?
Ich drehe mich wieder auf die andere Seite und schließe die Augen. Doch ein Klirren lässt mich zusammenzucken. Was war das denn? »Mamaaa? Papaaaa?«, rufe ich in der Hoffnung, dass ich eine Antwort bekomme. Es gibt ein erneutes Klirren, aber dieses mal ist es leiser und länger. Wie als wäre ein Teller zerbrochen und jetzt würde man die Scherben aufkehren. Keiner meiner Eltern antwortet. Ich will nachschauen, was da drüben in der Küche passiert ist, aber ich komme nicht von alleine aus dem Bett.
Da ist schon wieder dieses ohrenbetäubende Geräusch. Und Geschrei folgt. »Mama!!«, schreie ich erneut. Wieder keine Reaktion. Ich versuche mich aus dem Bett zu winden, aber es gelingt mir nicht.
Also bleibt mir nichts anderes übrig, als abzuwarten.
Es dauert bestimmt 5 Minuten, bis meine Eltern aufhören zu schreien. Mich interessiert brennend, was da draußen los ist. Auch, wenn ich eigentlich gar nicht wissen will, worüber die beiden sich schon wieder streiten.
Nach den 5 Minuten hören sie aber nicht einfach auf, sondern Lukas unterbricht sie, sodass sie verstummen.
»Seid ihr denn eigentlich komplett durchgedreht?!«, schreit er so laut und deutlich, dass auch ich ihn in meinem Zimmer noch hören kann. Bei meinen Eltern habe ich ja kein einziges Wort verstanden. Meine Mutter hat einfach nur rumgekreischt und mein Vater hat versucht, sie mit seinem Brüllen zu übertönen. »Lukas?!«, rufe ich aus dem Zimmer.
»Ihr seid 2 erwachsene Menschen und ihr seid verheiratet. Eure Tochter, die im Rollstuhl sitzt, ist in ihrem Zimmer und ruft nach euch, während ihr hier Geschirr zerdeppert und euch anschreit? Ist das euer ernst?«, keift Lukas unsere Eltern an.
Anscheinend hat er gehört, dass ich die ganze Zeit geschrien habe. Im Gegensatz zu meinen Eltern. »Lukas, es tut mir leid..«, gibt meine Mutter beschämt zu.
Es kommt mir vor, als wären sie jetzt näher an meiner Zimmertür, denn ich kann sie wahnsinnig gut verstehen. »Räum lieber das Chaos hier auf. Ich sehe jetzt nach meiner kleinen Schwester«, sagt Lukas und es wird still, bis es an meiner Zimmertür klopft.
»Ja?«, rufe ich und warte, bis Lukas hereinkommt.
»Hi«, sagt er uns setzt sich neben mich auf die Bettkante.
»Hi. Was ist da draußen passiert?«, frage ich und sehe ich zweifelnd an.
»Unsere Eltern haben wieder einmal gestritten und es ist soweit gegangen, dass Papa den alten Teller von Oma zerbrochen hat und dann war Mama so wütend und auch angefangen, ein paar Teller zu nehmen und auf den Boden zu werfen. Total krank. Ich weiß nicht, was sie geritten hat, aber die beiden sollten sich schnellstmöglich wieder einkriegen.«
Ich seufze. »Was ist denn nur los mit denen?«, frage ich und spiele an meinen Fingernägeln herum.
»Ich weiß es doch auch nicht. Aber eine andere Frage: Was bedrückt dich noch? Du bist gestern kein einziges Mal aus deinem Zimmer gekommen.«
Ich sage nichts, weil ich weiß, dass ich sonst wieder weine. Ich habe ihm noch gar nichts von dem Vorfall in der Schule erzählt und von der Sache mit Daniel natürlich auch nicht. Ich bin immer noch ständig am grübeln, wer diese Sarah wohl ist, warum er sich mit ihr getroffen hat und warum er deswegen den ganzen Tag nicht erreichbar war.
»Komm schon. Red mit mir, Emma. Ich bin dein Bruder«, versucht Lukas mich zu überzeugen. »Ich will nicht drüber reden«, würge ich mühsam hervor. Er sieht mich eindringlich an und streicht mir dann über den Kopf. »Du musst nicht, wenn du nicht willst. Aber du weißt, dass ich immer für dich da bin, oder?« Ich nicke, wende den Blick aber von ihm ab.
Seit Daniel gestern Vormittag einfach abgehauen ist, ist meine Laune im Keller. Ich habe keine Lust mehr auf gar nichts und sitze bloß blöd in meinem Zimmer rum. Einerseits fühle ich mich einsam, aber andererseits habe ich gar keine Lust, mit irgendwem zu sprechen. Genauso wie ich keine Lust habe, jetzt auch noch Lukas mit meinen Problemen zu belasten. Ich weiß, dass er mir nur helfen will. Aber sogar meine Eltern zerkriegen sich wegen mir. Und Daniel vergraule ich ja anscheinend auch. Wenigstens meinem Bruder will ich nicht auch noch zur Last fallen.
»Sagst du mir bescheid, wenn etwas ist?«, fragt Lukas und steht auf. »Mach ich«, antworte ich und ringe mir einen kurzen Blick zu ihm und ein Lächeln ab. Er steht von meinem Bett auf und macht sich bereit, das Zimmer zu verlassen, doch ich unterbreche ihn.
»Lukas?«
»Ja?« Er dreht sich nochmal zu mir um.
»Wird es besser werden?«, frage ich und weiß dabei nicht mal, was für eine Art von Antwort ich erwarte. »Ich weiß es nicht, Emma. Ich kann dir nicht versprechen, dass es besser wird«, sagt er und beißt sich direkt danach auf die Unterlippe. Ich forme meine Lippen zu einem Schlitz und senke dann den Blick, bis Lukas den Raum verlässt und die Tür hinter im ins Schloss fällt.
Ich weiß nicht, warum ich das gerade gefragt habe. Woher soll Lukas denn auch wissen, ob sich meine Situation verbessern wird? Er ist ja kein Hellseher.
Und außerdem weiß ich die Antwort ja eigentlich auch schon. Und die ist: Nein. Die Tatsache, dass ich im Rollstuhl sitze, wird sich niemals mehr ändern. Und die Beziehung zu Daniel kann auch nur schlechter werden. Und was meine Eltern angeht... ich weiß nicht, wie lange diese Streitereien noch gehen sollen.
Das Einzige, was ich mit Sicherheit weiß ist, dass ich mir meinen Kräften am Ende bin. Mein Traum ist zerplatzt und mein Leben zerstört. Kann ich jemals wieder glücklich werden?
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