XX.
,,The moon does not fight. It attacks no one. It does not worry. It does not try to crush others. It keeps to its course, but by its very nature, it gently influences. What other body could pull an entire ocean from shore to shore? The moon is faithful to its nature and its power is never diminished."
~ Deng Ming-Dao, Everyday Tao
Die HimmelClan-Krieger ließen lange auf sich warten, tauchten aber nach und nach am Horizont auf, wie die ersten Strahlen der Morgensonne, allen voran Krähenfluch und Adlerschweif. Zwischen ihnen baumelte jeweils ein strampelnder Schatten, eine Heilerkatze, die die beiden Krieger mit Klauen und Zähnen festzuhalten versuchten. Manche wehrten sich gegen ihre Entführer, aber am Ende waren sie schlau genug, ihren Fall aus Wolkenhöhe nicht zu reizen.
Fuchsauge ließ sie in einem leeren Nest weit oben in der Himmelseiche unterbringen, damit sie nicht auf die Idee kamen, alleine herunterzuklettern und stellte fünf Wachen davor auf. Sie würden die Flucht der vier Heiler zu verhindern wissen.
Drosselfells Gruppe war ohne Tulpenknospes Schülerin zurückgekehrt. Entweder sie hatte Rehpfote aus unbestimmten Gründen im Lager gelassen oder die kleine, silberbraune Kätzin war rechtzeitig davongelaufen, um der Ergreifung durch die fliegenden Katzen zu entgehen. Tulpenknospe schwieg wie ein Grab, aber Fuchsauge dachte nicht, dass ihnen eine naive, scheue Heilerschülerin Ärger bereiten könnte.
Später zu Sonnenhoch würde sie sich mit den Gefangenen persönlich unterhalten, doch vorerst hatte sie sich ihren Schlaf gehörig verdient. Fuchsauge schloss die Augen und genoss ihre kurze Ruhezeit, die nur von ihren mondbeschienenen Träumen unterbrochen wurde.
»Mondschimmer?«
Sobald sie die kupferfarbenen Augen aufschlug, rief sie nach der hellgrau-weiß gefleckten Kätzin, ihrer Spionin. Doch sie war nicht da. Der Mond leuchtete wie immer auf die blauen Blüten und das smaragdgrüne Gras, aber von der blauäugigen Kätzin war keine Spur.
Seltsam. Sonst ist sie immer schon hier, wenn ich komme. Sie überlegte. Letztes Mal war Mondschimmer aus dem Tannendickicht am Horizont hinter der Wiese gekommen und hatte immer wieder Blicke dorthin geworfen, als würde sie dort jemanden erwarten.
Entschlossen, sie zu finden und ihr von den Heilern zu erzählen, machte sich Fuchsauge auf die Suche und lief in den Nadelwald. Ihr scharfes Auge tastete jeden Winkel, jede Ecke der düsterschönen Landschaft ab und sie streckte ihren Hörsinn und Geruchsinn nach eventuellen Zeichen des Lebens aus.
Der Wald umschloss sie wie Wasser und bald wusste sie nicht mehr, wo sie ihn betreten hatte. Die bemoosten Fichten- und Tannenstämme glühten in einem seegrünen Licht, das von innen heraus zu flimmern schien, so als bestünden die Nadeln und Moosflechten selbst aus Helligkeit. Lange Schatten tänzelten zwischen den Bäumen umher und streckten ihre Arme nacheinander aus. Die Nadelbäume waren dick und seltsam verdreht, ihre breiten, dunklen Wurzeln krochen wie Schlangen über den Boden.
Eine sanfte Luftbrise fuhr durch die Bäume und trug ferne Stimmen an Fuchsauges Ohr heran. Sie folgte ihrem wispernden Klang.
Fuchsauge gelangte an den Rand einer Lichtung, in deren Mitte sich mehrere Katzen versammelt hatten. Leise spähte sie unter einer verdrehten Wurzel hervor und lauschte ihrem gemurmelten Gespräch, das sie das Fell im Nacken sträuben ließ.
»Du kannst sie nicht einfach umbringen«, sagte eine dunkelbraun-weiß gefleckte Kätzin. »Deine bisherigen Versuche sind alle gescheitert.«
Der Angesprochene, ein nachtschwarzer Kater, fauchte erbost. »Hast du einen besseren Vorschlag, oh Weise?«
»Wir könnten sie zu uns holen und mit ihr reden«, schlug ein weißer Kater mit roten und silbernen Flecken vor.
Fuchsauge zählte die Katzen, während sie diskutierten. Es waren fünf, die stille Schildpattkätzin am Rand und den mürrischen, rotbraunen Kater, der kein Wort sagte, eingenommen.
»Der Fluch darf nicht aufgehoben werden«, meinte dieser schließlich. »Wir haben sie damals bestraft und das zurecht.«
»Und was, wenn sie es gar nicht ist, he? Bringt ihr dann alle Katzen der Reihe nach um?«, fragte die gefleckte Kätzin.
»Es gibt nur zwei«, knurrte der schwarze Kater. »Und sie hält sich erstaunlich zäh. Ich verdächtige-«
»Halt! Was war das?«
Oh nein. Sie war auf einen Zweig getreten, verborgen im Schatten des Geästs. Jetzt werden sie mich finden.
»Komm heraus! Zeig dich, Spion!«
Wenn sie ihre Deckung nun aufgab, würden ihre Pläne zunichte gemacht sein. Krampfhaft suchte sie nach einer Alternative, einer Ausweichmöglichkeit. War Wegrennen eine Option? Sie hielt den Atem an. Ihre Wahrnehmung beschränkte sich auf ihre unmittelbare Umgebung. Dunkle Stämme, Katzenstimmen, die Nadeln unter ihren Pfoten, ihr heftig pulsierendes Herz. Schwärze, Kälte, stockender Atem.
Und ein Licht. Es ging von der Katze neben ihr aus, denn sie hatte Sterne im Pelz und den Mut im Herzen, Fuchsauge wieder einmal zu retten. Mondschimmer trat auf die Lichtung und gab sich zu erkennen. Fuchsauge hielt die Luft an, aus Angst, sie könnte sich selbst verraten.
»Ich ... ich bin zufällig hier vorbeigekommen«, stammelte die hellgrau-weiße Kätzin. Ihre hellblauen Augen zuckten gespielt ängstlich von einer Katze zur anderen, aber Fuchsauge konnte auch eine wirkliche Spur von Furcht in dem Gesicht der hübschen Kätzin entdecken. »E-es tut mir leid, falls ich euch gestört habe. Wird nicht wieder vorkommen, versprochen.«
»Das will ich auch hoffen«, miaute der schwarze Kater gereizt.
Mondschimmer nickte schnell und zog sich zurück. Sie winkte mit dem hellen Schweif und Fuchsauge folgte ihr lautlos wie ein Schatten.
»Danke«, formte sie tonlos mit dem Maul. Die SternenClan-Kriegerin warf ihr nur einen verärgerten Blick zu.
Als sie wieder auf der Mondwiese waren, stellte sie sie zur Rede. »Was zum Himmel hattest du dort zu suchen?«
»Dich. Du warst nicht hier«, stellte sie entrüstet fest.
Ihr Gegenüber seufzte. »Ich habe mit anderen Sternenkatzen geredet. Einige wollen sich dem Widerstand anschließen. Dein Vater ist unter ihnen.«
Fuchsauge zuckte mit dem Ohr, als Zeichen, dass sie verstanden hatte. »Wer waren die fünf Katzen da? Du bist ja praktisch vor ihnen gekrochen.«
»Die Clangründer«, miaute Mondschimmer ernst. »Farn, Nacht, Nebel, Sturm und Regen. Haben sie dich gesehen?«
Fuchsauge schüttelte den Kopf. »Was meinten sie mit umbringen?«
Ihre frühere Feindin stöhnte. »Genau das wollte ich dir heute erzählen. Ich habe es endlich herausgefunden. Sie waren es, schon immer.«
»Die Gründer der Clans?«
»Ja. Sie versuchen seit langem, dich umzubringen, weil sie in dir die Retterin des HimmelClans sehen.«
»Sie wollen mich umbringen?«, fragte Fuchsauge überrascht. »Wie?«
»Der Einsturz des Heilerbaus, der fallende Ast im Nachtwald, der umfallende Baum im Stillen Wald, der Albtraum auf der Himmelseiche...«
»Du weißt davon?«
»Ich habe Rotkehlchenwunsch auf den richtigen Weg geführt«, sagte Mondschimmer. »Aber ja. Das alles ist das Werk der Gründer.«
Fuchsauge war sprachlos. Sie erinnerte sich an die unzähligen Male, in denen sie fast gestorben wäre, hätte Mondschimmer sie nicht gerettet. Ihr Leben hing von der SternenClan-Kätzin ab, wie der Tag von der Sonne und das gefiel ihr ganz und gar nicht.
»Es kommt noch schlimmer«, riss die hell gefleckte Kriegerin sie aus ihren Gedanken. »Fuchspelz' Tod war auch eine von ihren Machenschaften. Die Prophezeiung ist nicht eindeutig. Der Fuchs wird den Himmel zu den Sternen tragen.«
»Also könnte Fuchspelz genauso gut der Auserwählte sein wie ich.«
Mondschimmer nickte. »Und jetzt ist er tot. Du musst sie retten, Fuchsauge.«
»Und wenn ich es nicht war, sondern er?« Zweifel schlichen sich in das Bewusstsein der rot-weißen Kätzin, Zweifel daran, dass die HimmelClan-Katzen die falsche Katze gefunden hatten, dass er der Auserwählte war und die Prophezeiung sich nur erfüllen würde, wenn er sie ausführte. »Was, wenn ich nicht dazu bestimmt bin?«
»Spielt das eine Rolle? Es sind unsere Taten, die zählen. Nicht unser Schicksal bestimmt unseren Kurs, sondern wir alleine. Eine Prophezeiung ändert nichts daran, wer du bist und was du tust.« Sie blickte Fuchsauge fest in die Augen und sie erkannte, dass sie Recht hatte, mit allem. Wer sagte schon, dass Prophezeiungen überhaupt den Lauf der Dinge beeinflussten? Waren sie nicht mehr Aufgaben, die die Clans bewerkstelligen mussten, als Visionen über die Zukunft? Merkwürdige Angelegenheiten, diese Prophezeiungen. Ständig gaben sie einem Rätsel auf, verwirklichten sich dann aber in ganz anderer Form als erwartet, wie ein Fluss, dessen Anfang und Ende man nicht kennt, von dem man aber weiß, dass er fließen wird.
Mondschimmer zog Fuchsauges Aufmerksamkeit wieder auf sich, als sie die Stimme zu einem Flüstern senkte. »Da ist noch etwas«, hauchte die silbern schimmernde Kriegerin. »Damals im Stillen Wald, das war wirklich nicht ich. Es muss ein böser Geist über mich gekommen sein, sonst hätte ich das nie getan.«
Fuchsauge schnurrte knapp. »Entschuldigung angenommen. Freunde?«
Mondschimmers Gesicht hellte sich auf. »Freunde. Ich gebe dir Bescheid, wenn ich mehr in Erfahrung bringe.«
Allmählich verdüsterte sich Fuchsauges Blickfeld und sie spürte, dass sie bald aufwachen würde.
»Mondschimmer? Du bist eine gute Spionin. Und ein guter Schutzpatron.«
Dann löste sich die Sternenwelt auf.
Lange hatte Fuchsauge überlegt, ob sie die Heiler einzeln oder alle zusammen sprechen wollte, entschied sich aus Zeitmangel aber für letztere Variante.
Als Finkenherz und Amselteich sie in den Bau ließen, in dem die Heilerkatzen bewacht wurden, schlug ihr eine Wolke der Wut entgegen. Hätte sie keine HimmelClan-Krieger an den Seitenwänden postiert, wäre Vipernschatten wahrscheinlich sofort auf sie losgegangen. Graupelz, Tulpenknospe und Sandstaub waren weniger kampflustig, musterten sie aber mit nicht minder hasserfüllten Blicken.
»Du Fuchsherz«, schimpfte Graupelz. »Was fällt dir ein, die Heiler der Clans anzugreifen?«
»Und wo ist Blattpelz?«, rief Tulpenknospe dazwischen. »Was habt ihr ihm angetan?«
Die dunkelrot-weiße Kätzin nahm jeden der Heiler in Augenschein. »Blattpelz ist nichts geschehen«, miaute sie. »Im Gegensatz zu euch hat er verstanden, worum es hier geht und nicht an Verrat gedacht.«
Vipernschatten fauchte und Sandstaub schaute angsterfüllt von ihm zu den HimmelClan-Kriegern.
»Ihr könnt euch vorstellen, weshalb ihr hier seid. Und warum ich euch nicht gehen lassen kann. Vipernschatten, Sandstaub, bei euren Clans waren wir noch nicht. Um das Risiko eines Verrats zu verringern, habe ich beschlossen, euch erst freizulassen, wenn eure Clans unserem Vorschlag zugestimmt haben.«
»Du willst uns als Druckmittel einsetzen«, knurrte der braun melierte Kater.
»Haargenau. Es freut mich, dass du das so schnell begriffen hast.«
Ihre Worte hatten ihn aus der Fassung gebracht. Überrascht suchte der Heiler des RegenClans nach einer Antwort, bekam aber keinen Satz heraus.
Fuchsauge wandte sich an Graupelz und Tulpenknospe. »Euch kann ich das leider nicht versprechen. Ihr habt euch gegen eure Anführer gewandt und die Strafe redlich verdient.«
Sandstaubs Augen weiteten sich. »Aber was wollt ihr ohne Heiler machen? Im Kampf und auch in der Zwischenzeit? Drei Katzen in meinem Clan haben Grünen Husten. Bitte! Du musst mich nach Hause gehen lassen.«
Fuchsauge schüttelte bedauernd den Kopf. »Eine Schande. Aber wir gehen heute zum NebelClan, falls dich das beruhigt. Lillienstern wird zustimmen und du wirst bald wieder in deinem Clan sein.« Ganz so sicher, wie sie es aussprach, fühlte sich Fuchsauge nicht. Aber sie musste Sandstaub weismachen, dass es für sie aussichtslos war.
»Die wirklichen Verräter seid doch ihr!«, schrie Graupelz. »Du und der gesamte HimmelClan. Die anderen Clans werden euch niemals helfen und der SternenClan wird euch das nie vergeben.«
Fuchsauge wusste, dass es schlecht um sie stand, wenn sie den NebelClan und den RegenClan nicht auf ihre Seite brachten. Aber mit Mondschimmers Verbündeten und den ehemaligen Sternenkatzen aus dem HimmelClan bestand eine immer größer werdende Chance des Sieges. Die HimmelClan-Katzen sind unsterblich. Der SternenClan nicht. Wir können gewinnen.
Innerlich seufzend sah sie auf die vier eingesperrten Heiler, die ihnen im Kampf sicherlich fehlen würden. Hoffentlich sind einige HimmelClan-Heiler dabei, die ihre Kunst nicht verlernt haben.
»Bis dahin bleibt ihr hier und könnt darüber nachdenken, wem eure Treue gilt: eurem eigenen Clan oder dem SternenClan«, schloss sie ihre Erklärung.
Ein erzürnter Aufschrei unterbrach sie. »Wir verraten euch!«, kreischte Tulpenknospe. »Wir tuns! Sobald du deine elenden Pfoten aus diesem Bau setzt, werden wir schlafen und der SternenClan wird Träume zu uns senden. Und dann erzählen wir ihm alles, was du gesagt hast!« Die goldenen Augen der kleinen Kätzin brodelten vor Weißglut.
Fuchsauge erschrak kurz und blieb verblüfft stehen. Sie hatte nicht gewusst, ob Heiler tatsächlich einfach so vom SternenClan träumen konnten, ohne die Mondhöhle aufzusuchen. Aber es ergab Sinn, denn sie unterhielt sich auch mit Mondschimmer, ohne eine bestimmte Verbindung zum SternenClan zu haben. Dann, mit dem Anflug einer unerwarteten Idee, schnurrte sie.
»Tulpenknospe, deine vorlaute und sorglose Art wird dich noch in viele Schwierigkeiten bringen.«
Zu Rabentraum, die vor dem Nest auf sie gewartet hatte, sagte sie: »Hast du Mohnsamen? Viele davon?« Die schwarze Kätzin nickte.
»Ich möchte, dass du sie damit unter Drogen setzt, so stark, dass sie in einen traumlosen Schlaf fallen, verstanden? Bis wir wiederkommen.« Sie hatte vor, heute noch zum NebelClan und zum RegenClan zu gehen.
Rabentraum zögerte. »Es könnte gefährlich für sie werden.«
»Gefährlich?«, fragte Fuchsauge aufgebracht. »Wir befinden uns kurz vor einem Krieg. Sollten sie wieder aufwachen, wird es gefährlich, für uns. Wenn sie wieder aufwachen, gib ihnen Essen und Trinken und dann sorge dafür, dass sie entweder schlafen – mit Mohnsamen – oder wachbleiben. Sie dürfen nicht träumen und mit dem SternenClan reden.«
»Bist du dir sicher?«, miaute Rabentraum vorsichtig. Ihre blauen Augen glänzten vor Nervosität.
»Tu, was immer nötig ist, um sie zum Schweigen zu bringen. Ich kann mich jetzt nicht auch noch mit vier lästigen Heilern herumschlagen. Meine Krieger bereiten mir genug Sorgen.« Sie wandte sich ab, um nach Drosselfell zu suchen. Die beiden durften keine Zeit verschwenden, wenn sie den HimmelClan retten wollten.
»Du hältst nicht viel von Heilern, oder?«, murmelte Rabentraum leise, aber Fuchsauges geübte Ohren schnappten es trotzdem auf.
»Doch«, rief sie zurück, »wenn sie endlich lernen, sich nicht überall einzumischen.«
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