Geschwisterliebe
Sanjit versank in den Polstern des roten Sofas.
Zum Glück war der Gryffindor Gemeinschaftsraum leer. Außer ihm waren nur zwei Erstklässler über die Weihnachtsferien im Schloss geblieben. Das Feuer im Kamin prasselte gemütlich und erfüllte den Raum mit einer stickigen Wärme, die ihm unerträglich vorkam. Er spürte Schweißperlen auf seiner Stirn, obwohl er nicht sagen konnte, ob sie vom Feuer kamen oder nicht schon zuvor da gewesen waren. Mit einem Schwenk seines Zauberstabs öffnete er die Fenster und ein kühler Windstoß strich über seine Stirn. Trotzdem fühlte er sich als würde er von innen heraus brennen. Bekam er etwa Fieber? Sein Kopf fühlte sich schwer und nebelig an und er hörte gar nicht, was seine Schwester ihm sagte, die sich vor ihm aufgebaut hatte.
"Was?", murmelte er.
"Also wirklich Sanjit, du musst mehr auf Zack sein, wenn sie mit dir redet. Du musst wirklich aufpassen, was du zu ihr sagst."
Sameena funkelte ihn vorwurfsvoll an.
"Redest du von der Ermittlerin?" fragte er benommen. Eigentlich wollte er jetzt nur noch schlafen, er hatte das Gefühl seit gestern kein Auge mehr zugemacht zu haben.
"Natürlich rede ich von der Ermittlerin! Sag mal hörst du mir überhaupt zu? Kein Wunder, dass du geplappert hast wie ein Schwatzstorch! Du solltest am besten gar nicht mehr mit ihr reden, siehst du nicht, dass sie versucht uns alle verantwortlich zu machen!"
Sameenas Stimme bohrte sich in seinen Kopf wie eine Pfeilspitze. Er wollte doch nur schlafen.
"Und du gibst ihr auf keinen Fall deinen Eselsfellbeutel, verstanden? Wer weiß, was sie damit anstellt."
Sameena hatte jetzt begonnen vor ihm auf und ab zu laufen. Sanjit bemerkte auf einmal feine Linien, die ihre Mundwinkel nach unten zeigen ließen. Hatte sie schon immer so verbittert ausgesehen, fragte er sich.
Ein weiterer kalter Windstoß zerzauste seine Haare. Langsam schien er wieder klarer denken zu können.
"Mutter und Vater", fuhr Sameena gehässig fort, "wissen natürlich nichts von der ganzen Sache hier, oder? Sind zu beschäftigt mit der Zaubereiministerin persönlich zu dinieren, um dich als ihren Nachfolger anzupreisen, nicht? Oder sind sie wieder in Afrika oder sonst wo, um den Menschen dort von dem Wunderkind hier zu berichten?" Sie hatte sich jetzt in Rage geredet und zum ersten Mal hatte Sanjit das Gefühl zu hören, was sie tatsächlich sagte, als hätte ihn all die Jahre wirklich ein Fieber geplagt, das seinen Kopf vernebelte.
"Wenn sie nur wüssten, was ihr Wunderkind hier alles so treibt, während sie überall verkünden, du seist die Wiedergeburt Albus Dumbledores höchstpersönlich."
"Es reicht, Meena!" Sanjit sprang auf. Er ertrug ihre Stimme nicht länger, er ertrug ihre Gegenwart nicht länger. Seine Schwester, an die er sich all die Jahre geklammert hatte, Dinge getan hatte auf die er nicht stolz war, sie stand vor ihm und kam ihm nicht mehr groß, klug und stark vor, sondern wie eine Rosine, die zu lange in der Sonne lag. Klein und schrumpelig und ungenießbar.
Wie der kalte Wind fuhr seine Stimme jetzt schneidend über sie hinweg und Sameena verstummte.
"Ich bin kein kleiner Junge mehr, den du rumschubsen kannst und der für dich den Handlanger spielt. Es ist nicht meine Schuld, dass deine Karriere nicht so verlaufen ist, wie du es dir vorgestellt hast, aber das hast du ganz und gar dir und deinen schlechten Entscheidungen zuzuschreiben."
Sameena holte Luft, um etwas zu sagen, aber Sanjit schnitt ihr das Wort ab.
"Du kannst von Glück sagen, dass deine Handlungen dich nicht schon längst einmal in das Interesse der Patrouille gerückt haben, aber dafür bist du wahrscheinlich ein zu kleines Licht. Und anstatt mich hier anzugreifen, solltest du froh sein, dass ich Aurelia Winter nichts von deiner kleinen Bitte erzählt habe."
Er hatte sich jetzt in Rage geredet und wollte alles loswerden, was er ihr schon so lange einmal hatte sagen wollen. Es fühlte sich gut an, als würde jemand mit einem großen Wasserschlauch seinen Körper durchspülen und allen Dreck, der sich angesammelt hatte, ausschwemmen.
„Und dass du so weit gehen würdest mich unter den Imperiusfluch zu setzten, damit du die Tränke vertauschen kannst, das hätte ich nie gedacht. Ich habe dich immer verteidigt, Meena. Aber ich weiß nicht, wie lange ich das noch schaffe."
Mit dem letzten Wort fiel Sanjit zurück auf das Sofa. Er fühlte sich komplett ausgelaugt, als wären mit den Worten auch all seine Energie aus ihm herausgesprudelt. Sameena blickte ihn mit großen Augen fassungslos an. Sie sagte kein Wort und in ihren Augen meinte er es verdächtig glitzern zu sehen. Schlechtes Gewissen stieg brennend in ihm hoch und ein Teil von ihm wollte zu ihr rennen, sie in den Arm nehmen, alles zurücknehmen und ihr alles versprechen, was sie wollte. Aber er blieb standhaft.
"I..Ich habe nie" Sameena schüttelte ungläubig den Kopf.
"Wie kommst du darauf, dass ich dich mit dem Imperiusfluch belegt habe? Das würde ich nie machen." sagte sie ernsthaft und für einen Moment war sie wieder die Schwester, die ihm so geduldig alle Fragen über Hogwarts beantwortet hatte und ihm heimlich abends unter der Bettdecke ihre Schulbücher vorgelesen hatte.
Er sah in ihre vertrauten braunen Augen mit den Goldflecken und wollte ihr so sehr glauben, aber er wusste auch, was er gespürt hatte, an dem Mittag des 31. Wunderbare Leere. Er konnte sich an nichts mehr erinnern, was er getan hatte..
"Du hast mich gebeten einen Gifttrank zu brauen. Und als ich das abgelehnt habe, ..." Er ließ den Satz unvollendet.
Sameena ging vor ihm in die Hocke und sah ihm fest in die Augen.
"Ich weiß nicht wovon du sprichst, Sanjit. Ich verspreche dir, dass ich nichts davon getan habe. Du musst mir glauben. " Einen Moment lang wirkte es so als wolle sie ihn umarmen, aber der Moment verflog und sie stand wieder auf.
"Was auch immer du glaubst zu wissen oder gesehen zu haben, es ist ja wohl genauso in deinem Interesse nichts zu sagen. Ich glaube kaum, dass die magische Welt dir noch immer zu Füßen fallen würde, wenn sie wüsste, was du schon alles getan hast." sagte sie schnippisch und raffte ihren Umhang.
Sanjit spürte eine Welle von Traurigkeit, die über ihn hinwegspülte. Er sah seiner Schwester nach, als sie das Portal verließ und es war als wäre ein Riss zwischen ihnen entstanden, der sich vielleicht nicht mehr schließen ließ.
Sanjit jedenfalls hatte eine Entscheidung für sich getroffen. Er würde sie nicht ans Messer liefern, aber konnte sie auch nicht weiter unterstützen und so tun als würde er nicht sehen, dass sie den komplett falschen Weg entlanglief.
Er übergab Aurelia Winter den Eselsfellbeutel (er hatte ihn auch schon untersucht und nichts gefunden), die ihm vor dem Gemeinschaftsraum beinahe in die Arme lief.
Dann ging er zurück in den Schlafsaal, legte sich ins Bett und schlief ruhig, fest und traumlos.
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