5 | Vaterfreude
Kapitel 5 | Vaterfreude
· NF - My Stress
J E N N Y
Die nächsten Tage verbringe ich damit, in einem Kinderheim meinen Alltag zu bewältigen. Nach dem Gespräch wurde mir Vodka gebracht, den ich mittlerweile immer mit nehme. Die Kinder hier im Heim haben mich kennen gelernt mit dem Frettchen auf den Schultern.
Ich wurde gefragt, ob ich schon meine alte Wohnung besuchen möchte um meine Sachen abzuholen. Doch das kann ich noch nicht, die Wohnung jetzt zu sehen, würde ich nicht aushalten. Man hat mir zwei Wochen gegeben, bis dahin muss ich die Wohnung leer räumen. Ich bin froh, dass mir diese Zeit noch bleibt.
Und wer weiß, was passieren wird. Wenn keine Familie gefunden wird, muss ich im Heim leben.
Seit diesem Tag habe ich nicht geweint. Es ist, als ob ich alles realisiere und gleichzeitig nicht. Wahrhaben kann ich den Tod meiner Mutter immer noch nicht ganz.
Frau Richards hat sich bereit erklärt zur Wohnung zu fahren und mir das wichtigste zu holen. Also habe ich ihr beschrieben was ich brauche und sie hat es mir vorbei gebracht.
Momentan teile ich ein Zimmer mit zwei anderen Mädchen. Die beiden sind 15 und 17. Am ersten Abend habe ich mit keinem geredet. Am nächsten Tag konnte ich ihnen erzählen, was passiert ist und das ich ich nicht weiß, wie es weiter gehen wird.
Daraufhin hat mir Maja, die 15 jährige ebenfalls erzählt, warum sie im Heim ist. Clara konnte sich bisher noch keinem öffnen, allerdings war sie schon seit dem ersten Tag für mich da. Generell habe ich in diesen drei Tagen die ich hier bin, einige bereits ins Herz geschlossen.
Einige haben ebenfalls ihre Geschichten erzählt - diese waren weit aus schlimmer als meine eigene.
Die Erzieher in diesem Kinderheim sind alle wirklich nett und geben sich Mühe, den Kindern so viel Liebe und ein schönes zuhause zu schenken wie es möglich ist. Ich bin froh, dass die anderen Kinder in einem guten Heim aufwachsen. Man hat ja oft die Vorstellung, dass Kinderheime total schrecklich sind.
Doch hier sind die Leute für einen da. Obwohl ich am ersten Tag mit niemandem gesprochen habe und auch jetzt meist nur still daneben sitze.
Meine zwei besten Freunde habe ich am ersten Abend im Heim angerufen. Stockend habe ich ihnen erzählt, dass meine Mutter gestorben ist und ich momentan in einem Kinderheim untergebracht bin.
Mehr konnte und wollte ich ihnen nicht erzählen - vor allem nicht übers Telefon. Das sind Dinge, die persönlich erzählt werden müssen. Nur bin ich mir nicht sicher, ob ich es schaffen würde den beiden endlich die Wahrheit zu erzählen.
Vielleicht irgendwann.
Aus meinen Gedanken werde ich geholt, als Maja aufgeregt in das Zimmer platzt. Erschrocken schaue ich von meinem Block auf und beobachte sie dabei, wie sie grinsend zu mir rennt. Fragend ziehe ich eine Augenbraue nach oben.
»Jenny, Jenny! Frau Clemens möchte mit dir sprechen. Dringend.«
Frau Clemens ist die Leiterin von diesem Heim. Eine nette Frau, Mitte 30 und momentan Schwanger. Sie hat mich herzlich hier aufgenommen.
Ich klappe meinen Block zu und lege ihn neben mich. »Hat sie gesagt, worum es geht?»
Maja schüttelt ihren Kopf und setzt sich auf ihr Bett. Clara ist momentan draußen. »Sie meinte nur, dass es dringend ist.«
Schnell ziehe ich mir über mein Top einen Pullover, damit mein Ausschnitt nicht zu sehen ist. Das wäre mir vor der Heimleitung dann doch unangenehm. Dann schlüpfe ich in meine Hausschuhe.
»Na dann, bis gleich. Drück mir die Daumen, dass ich keinen Ärger kriege.« Lachend schaut mir Maja hinterher. Unsicher gehe den Flur entlang und laufe die Treppen runter.
Ihr Büro befindet sich im Erdgeschoss, zusammen mit den Aufenthalt Räumen, der Küche und den Essenssaal. Unsere Schlafräume sind im ersten Stockwerk. Die der Betreuer im zweiten.
Vorsichtig klopfe ich an die Tür und bei ihrem Herein betrete ich vorsichtig den Raum.
»Ach hallo Jenny. Setz dich doch bitte.«, lächelnd bietet sie mir Platz vor ihrem Schreibtisch an. Ich setze mich und schaue sie abwartend an. Ich bin echt gespannt, was jetzt auf mich zu kommt.
»Du fragst dich sicher, warum ich dich herbestellt habe, deswegen komme ich direkt zum Punkt.« Das ist gut, denn ich bin kein geduldiger Mensch.
»Das Jugendamt hat nach deiner Familie geforscht. Die jenigen die wir finden konnten, wollten allerdings keinen Kontakt aufbauen.« Auch wenn ich es erwartet habe, trifft mich das. Es ist wie ein Schlag in die Magengrube. Meine Familie möchte keinen Kontakt mit mir. Ich nicke und setze ein Fake Lächeln auf.
»Allerdings haben wir etwas anderes interessantes rausfinden können. Wir haben deinen Vater ausfindig machen können.« Geschockt schaue ich sie an.
Das kann nicht wahr sein.
Nach sechzehn Jahren soll ich erfahren, wer mein Vater ist.
»Ich habe ihn hier hin gerufen. Sein Name ist...« Frau Clemens wird unterbrochen, durch das Klopfen an der Tür. »Das ist er vielleicht sogar schon.« Grinsend ruft sie Herein und steht auf.
Langsam öffnet sich die Tür und aufgeregt schaue ich dorthin. Mein Herz klopf wild.
Sechzehn Jahre.
Sechzehn Jahre ohne Vater.
Und ich kann nicht glauben, wer dort zur Tür herein kommt. Das kann nicht wahr sein.
»Hallo Herr Ragucci, wir haben telefoniert. Mein Name ist Frau Clemens.« Lächelnd geht sie zu ihm und schüttelt seine Hand. Er grüßt zurück. Dann fällt sein Blick auf mich.
Wir schauen uns in die Augen. Er mustert mich und versucht ein lächeln. Man sieht ihm an, wie ihn diese Situation ebenfalls fertig macht.
»Jenny, darf ich vorstellen: Dein Vater.«
Ich schüttel meinen Kopf.
Das kann nicht sein. Er kann nicht mein Vater sein. Als ob mein Vater einer der bekanntesten deutschen Rapper Deutschlands ist. Als ob mein Vater Raphael Ragucci ist. Als ob mein Vater ein Leben im Luxus führt, während seine Tochter leidet.
»Nein.« Ich stehe auf.
»Das kann nicht sein. Sind Sie sich auch wirklich sicher, Frau Clemens?«
Sie nickt und schaut mich ernst an: »Bei deiner Mutter wurde ein Brief gefunden. An Herrn Ragucci adressiert, in dem sie erklärt, dass er der Vater ist.«
Ich schaue zu ihr. Dann wieder zu dem Mann vor mir. Dann zu ihr. Dann wieder zu meinem angeblichen Vater.
»Das kann doch nur ein Witz sein.«
»Anscheinend ist das kein Witz. Ich habe erst von dir erfahren, als Frau Clemens bei mir angerufen hat. All die Jahre wusste ich nicht, dass ich eine Tochter habe. Sonst... sonst wäre ich dir schon früher ein Vater gewesen.«
Er schaut mich an. Man sieht die Ehrlichkeit in seinem Blick.
»Ihr wollt mich doch alle verarschen. Das ist doch ein Witz. Als ob du wirklich mein Vater bist?! Und dann hast du die ganzen Jahre nichts von mir gewusst? Meine Mutter hat mir erzählt, du hättest uns verlassen! Sie wurde Schwanger zurück gelassen! Scheiße, du hast ein Leben im Luxus geführt, eine tolle Familie und ich hab die letzten Jahre nur leiden müssen. Fuck. Das darf nicht wahr sein.«
Aufgeregt fahre ich mir durch die Haare. Ich weiß nicht mehr weiter. Das ist zu viel für mich. Ich brauche Luft.
Ich drängel mich an den beiden vorbei zur Tür. Achte darauf, dass ich ihn nicht berühre.
»Raf Camora soll mein Vater sein... wer's glaubt.«, murmel ich.
»Jenny!«, ruft er mir hinterher. Sein Arm streckt sich nach mir aus, doch ich weiche aus. Sobald die Tür hinter mir schließt fange ich an zu rennen.
Ich renne. Und renne.
Die Kinder und Jugendliche an denen ich vorbei renne, schauen mir nach. Einige rufen meinen Namen. Doch ich achte nicht weiter darauf.
Hinter dem Haus lasse ich mich auf eine Bank fallen. Hier ist man versteckt von Bäumen. Meistens ist hier keiner. Das ist mein Ort der Ruhe hier.
Hier kann ich nachdenken.
Und das tue ich jetzt. Tausende Gedanken schwirren mir im Kopf umher. Ich bin verwirrt, sauer, enttäuscht, traurig. Und vieles mehr.
Das kann nicht wahr sein.
[ 27.07.2019 | 1302 Wörter | 23:24 Uhr ]
Bin in Schreiblaune.
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