9. Kapitel ⏐ Lina
Lina betrat nach Julian das Büro und spannte sich unwillkürlich an, als sie den Gesichtsausdruck ihres Chefs sah. Verdammt, das wird übel.
„Schließen Sie die Tür, Frau Herrmann", sagte Mark Bergmann bestimmt und Lina beeilte sich, seiner Anweisung zu folgen.
„Sarah Schönberg hat mir mitgeteilt, dass die Arbeit in Ihrem Team eine enorme psychische Belastung für sie darstellt, Herr Eberhardt. Eine unzumutbare Belastung, um genau zu sein. Deshalb würde ihr nichts anderes übrig bleiben, als sich krankzumelden und ihre jahrelange Therapie wieder aufzunehmen. Sie konnte oder wollte mir jedoch nicht sagen, um welche Erkrankung es sich genau handelt und wie lange sie arbeitsunfähig sein wird." Er schüttelte ungehalten den Kopf. „Das ist sehr unerfreulich und ich bin ehrlich gesagt empört, dass sie mir ihre gesundheitlichen Probleme bisher verschwiegen hat. Wenn ich gewusst hätte, dass sie für diese Arbeit nicht belastbar genug ist, hätte ich Frau Schönberg gar nicht erst eingestellt. Aber das ändert wohl nichts an der Tatsache, dass Sie der Auslöser für ihren heutigen Rückfall waren", fuhr er mit Blick auf Julian fort.
Als Lina das hörte, blieb sie wie angewurzelt mitten im Raum stehen und sah ihren Chef entsetzt an. Sie war wirklich kein Fan von Julian, doch so ein Verhalten hatte selbst er nicht verdient. Sarah musste nach seiner Abfuhr schnurstracks zu Bergmann gelaufen sein, um Julian aufs Übelste in die Pfanne zu hauen. Wie dreist! So was muss einem erstmal einfallen ...
Lina schaute forschend in Julians Gesicht, auf dem sich absolute Fassungslosigkeit widerspiegelte. Er war offensichtlich so geschockt, dass er gar nichts zu seiner Verteidigung sagen konnte. Also meldete sich Lina zu Wort: „Herr Bergmann, bei allem Respekt. Sarah Schönberg hat sich nicht wegen des schlechten Arbeitsklimas krankgemeldet, sondern weil Julian – Herr Eberhardt – keine Beziehung mit ihr eingehen wollte. Das ist ein reiner Racheakt. Den können Sie ihm wirklich nicht zum Vorwurf machen."
Nun löste sich Julian aus seiner Starre und sah sie überrascht an. Auch Mark Bergmann richtete seine Augen auf Lina und fixierte sie mit erhobener Augenbraue. „Ich kann mich nicht erinnern, dass ich Sie um ihre Einschätzung gebeten hätte, Frau Herrmann. Aber da Sie diese nun einmal geäußert haben, würde ich gerne die Hintergründe erfahren. Wie kommen Sie zu der Annahme, dass Frau Schönberg lügt?"
Lina straffte sich und berichtete schnell, was sie im Ruheraum mit angehört hatte. Während sie das Gespräch zwischen Julian und Sarah wiedergab, lauschte ihr Chef konzentriert. Dann nickte er. „Das ändert die Sachlage natürlich", stimmte er nach kurzer Bedenkzeit zu. „Ich schätze, die Disziplinarmaßnahmen für Herrn Eberhardt entfallen damit. Stattdessen werde ich Frau Schönberg zur Rechenschaft ziehen."
Lina hörte deutlich, wie Julian aufatmete. Sie sah in seine Richtung und er formte mit seinen Lippen ein stummes „Dankeschön". Sie nickte nur. Ja, er war ihr Erzfeind. Aber eine solche Ungerechtigkeit konnte sie einfach nicht wortlos hinnehmen.
„Dann bleibt wohl nur noch die Frage, ob Sie weitere Unterstützung bei der Planung des Sommerfestes benötigen, nachdem Frau Schönberg nun ausfällt. Soll ich Ihnen einen zusätzlichen Eventplaner zur Verfügung stellen? Ihre Entscheidung, Herr Eberhardt", wandte sich Mark Bergmann nun wieder an Julian.
Anstatt jedoch vehement abzulehnen, sah dieser fragend in ihre Richtung. Das ist neu, dachte Lina perplex. Sonst interessiert ihn doch auch nicht, was ich für richtig halte.
Leider hatte sie in diesem Fall gar keine Ahnung, was das sein sollte. Vorhin war sie sich noch sicher gewesen, dass drei Eventplaner für das ganze Pensum niemals ausreichen würden, aber jetzt ... Natürlich könnte ihnen eine zusätzliche Kraft die Arbeit erleichtern. Doch wenn sie es alleine hinbekamen, wäre ihr Chef umso beeindruckter vom Ergebnis. Und nach dieser Unterhaltung wollte Lina unbedingt beweisen, dass Sarah gelogen hatte. Das Arbeitsklima war zwar nicht perfekt, aber eben auch nicht unzumutbar. Und es wirkte sich definitiv nicht negativ auf den Planungserfolg aus.
Sie sah Julian nachdenklich an. Um alles zu schaffen, müssten sie sich nur zusammenreißen und an einem Strang ziehen. Keine unnötigen Streitereien mehr. Und sie würden Überstunden machen müssen, also sehr viel Zeit miteinander verbringen. Vielleicht war es das ja wert ...
Lina zuckte die Schultern, schüttelte dann jedoch den Kopf. Keine Hilfe. Wir schaffen das auch so! Nun hoffte sie nur, dass Julian die Botschaft verstand und nicht das genaue Gegenteil kommunizierte. Aber scheinbar war ihre Sorge unbegründet. Die nonverbale Kommunikation zwischen ihnen schien viel besser zu funktionieren als jeder Wortwechsel in all den Jahren.
„Vielen Dank für das Angebot, Herr Bergmann. Doch ich denke, dass wir es erst einmal zu dritt versuchen. Wenn wir später noch Hilfe benötigen, sagen wir Bescheid", antwortete Julian mit fester Stimme.
Mark Bergmann sah prüfend von Julian zu Lina und wieder zurück. „In Ordnung. Ich lasse Ihnen ein wenig Spielraum. Allerdings erwarte ich am Ende der Woche einen Zwischenbericht. Ich bin dann geschäftlich unterwegs, aber Herr Knopp wird in meiner Abwesenheit die Aufsicht über das Projekt führen und regelmäßige Updates von Ihnen erhalten. Ist das klar?"
„Natürlich, Herr Bergmann", sagten Lina und Julian wie aus einem Mund. Wie kommt es nur, dass wir uns auf einmal so einig sind?
„Gut. Also zurück an die Arbeit!"
Erleichtert verließ Lina hinter Julian das Büro. Dann beeilten sie sich, zum Besprechungsraum zu kommen, wo Eva schon ungeduldig auf sie wartete. Wir dürfen keine Zeit verlieren, es gibt viel zu tun, dachte Lina. Sie war fest entschlossen, ihr Bestes zu geben, machte sich aber auch Sorgen. Hoffentlich war das kein Fehler.
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