II - altbekannte Gesichter
Das Erste was sie mit wieder zunehmendem Bewusstsein spürte war der Regen. Der Regen, der sich auf ihrer blaugefrorenen Haut anfühlte wie Messerstiche. Danach folgte das Rauschen des Windes und das prasselnde Geräusch der Regentropfen, die auf Pflastersteine trafen und in kleinen Rinnsalen die Straße entlang flossen.
Irgendwann danach schaffte sie es ihre Augen zu öffnen.
Es kostete sie viel Kraft die Augen offen zu halten, war doch die Realität zu kalt und schmerzhaft und die Bewusstlosigkeit hingegen, wäre wie eine sanfte Umarmung, die endlich Ruhe mit sich brächte.
Ihre kalten Hände tasteten fahrig über die nassen Pflastersteine nach ihrem Zauberstab. Erleichterung durchschoss sie, als sie das vertraute Stück Holz umfasste und an sich zog. Es fühlte sich warm und sicher an.
Ihre rote Bluse war schwer und voll eisigem Wasser getränkt. Die Stoffhose klebte unangenehm an ihren Beinen. Das Aufsetzten machte die nasse Kleidung mühsam.
Sie versuchte sich an einem Trocknungszauber, während sie die unaufhörlich nachkommenden Regentropfen aus ihrem Gesicht wischte, doch der Effekt war klein. Ihr Zauber war zu schwach um gegen den unermüdlichen Regen anzukommen.
Sie brauchte einige Minuten um sich zu orientieren.
Ihr Blick heftete sich auf den Platz zwischen Haus Nr. 11 und Haus Nr. 13. Dazwischen musste es eigentlich sein. Sirius hatte ihr davon erzählt, dass es dort war. Es hatte ihn immer so sehr gefreut, dass seine Eltern in einer Muggelgegend leben mussten. Doch hier fehlte es einfach. Hier fehlte ihr erhoffter Zufluchtsort.
Sie hatte gehofft, dass er nach seiner Flucht aus Askaban vor zwei Jahren hier untergekommen wäre und ihr nun helfen könnte, doch diese Hoffnung schwand mit jeder Sekunde in der sie zwischen Haus Nr. 11 und Haus Nr. 13 hin und her blickte.
Ihre Lippen waren blau vor Kälte, das Haar hing wild und nass vor ihrem Gesicht. Gerade als sie wieder das Bewusstsein zu verlieren drohte, verlassen von der Hoffnung, die sie zu diesem Ort geführt hatte, da erschien eine Person zwischen den beiden Häusern. Genau dort wo Haus Nr. 12 stehen müsste.
Sie tauchte nur kurz auf und apparierte dann mit einem leisen Plopp, nicht weiter vom Haus entfernt als nötig. Und da sah sie die metallene Nr. 12, ihre Zuflucht.
Alle Kraft, die sie in irgendeiner Weise mobilisieren konnte, nahm sie zusammen um aufzustehen. Es dauerte einige Minuten bis sie stehen konnte, da war die Nummer 12 schon wieder verschwunden.
Es musste durch den Fidelius-Zauber geschützt sein. Sie hatte es gesehen, sie wusste, dass das Haus existierte. Sie war sich sicher. Sie musste sich nur noch ein wenig konzentrieren. Konzentrieren...
Ihre Schuhe mit den eleganten schwarzen Pfennigabsätzen waren nicht für Blitzeis auf Pflastersteinen gemacht und sie strauchelte mehr als nur einmal auf ihrem Weg zwischen die Häuser. Ihre Hände waren blutverkrustet, als sie dort ankam und sich an der Wand abfangen musste.
Hier musste die Nummer 12 sein. Sie wusste es. Sie musste sich nur konzentrieren...
Doch all der Wille half nicht, der Fidelius-Zauber hielt den Eingang vor ihr verborgen und die eisige Kälte zwangen die Hexe in die Knie. Sie rutschte an der Wand entlang und blieb auf dem Boden liegen, nur eine Handbreit von ihrer Zuflucht entfernt.
Etwa 20 Minuten später verließ Remus Lupin das Hauptquartier des Ordens, dass sich seit einigen Monaten im Grimmaultplatz Nummer 12 befand.
Den Kragen seines braunen Mantels hochgestellt, bereit sofort zu apparieren, sobald er den Schutz des Hauses hinter sich gelassen hatte, öffnete er die Tür. Der Schneesturm der draußen mittlerweile tobte ließ in den Schal enger schnüren und einen Wärmezauber sprechen.
Er trat hinaus und da sah er sie. Die junge Hexe, blau gefrorerene Lippen und feuerrotes Haar, dass in Schnee und Eis zu leuchten schien. Und ohne jeden Zweifel erkannte er sie.
Ihn überspülte eine Welle aus Fragen, Verwirrung und Sorge, die ihn beinah handlungsunfähig zurückließ. Doch die Verantwortung übernahm und er tat was getan werden musste.
"Ich brauche Hilfe", rief er halblaut in den Flur hinter sich und war schon zu knien an ihrer Seite.
Er fühlte ihren Puls, sie lebte, gerade noch. Ihr Puls war schwach und sie war eiskalt, dem Tod näher als den Lebenden.
Einen Wärmezauber hatte schnell über sie gesprochen, dann hob er sie mit einem Schwebezauber und transportierte sie, ohne jegliche Absprache ins Hauptquartier. Er konnte nicht warten, ob man ihm die Erlaubnis gab sie zu retten, er tat es einfach.
Im engen Flug nahm er sie in die Arme, um sie besser transportieren zu können und stolperte prompt vor dem Gemälde der alten Walburga über den hässlichen Trollbeinständer, sodass die alte Hexe sogleich zu zetern anfing.
Sie sprach einiges an Schimpfwörtern aus und brüllte das Haus zusammen.
Von all dem Tumult aufgebracht, versammelten sich alle Hausbewohner um die Treppe herum. Und sie starrten Remus Lupin an, mit der jungen Frau in seinen Armen, der hastig Wärmezauber sprach, um den kalten Körper in seinen Armen etwas aufzuwärmen und zu trocknen.
Die Kinder wurden schnell von Molly davon gescheucht, während die Erwachsenen tuschelten und Blicke austauschten.
Sirius, der nicht einen Wimpernschlag gebraucht hatte, um die Hexe zu erkennen, hatte sofort in der Bibliothek, die am nächsten war, einen Sessel in ein Bett verwandelt und mehrere Wärmezauber über den Raum gelegt.
Er verschloss die Tür hinter sich und Remus, dahinter hörte man Molly noch fragen, ob sie Dumbledore holen sollte. Ihr schallte nur ein einstimmiges Nein von Remus und Sirius entgegen.
Remus trocknete ihre durchnässte Kleidung und ihr wirres Haar mit einem Schwenk seines Zauberstabes. Dann nahm er eine der Decken, die Sirius heraufbeschworen hatte und deckte die junge Frau zu. Erst dann machte er sich daran seinen Mantel auszuziehen und über eine Sessellehne zu legen.
Beide Männer sahen sich stumm und überfordert an. Sie waren sich nicht sicher, was genau sie zu sehen glaubten. Eine Halluzination vielleicht, eine Wahnvorstellung...
Die Frau, das Mädchen vor ihnen, hatten sie fast zwei Jahrzehnte totgeglaubt.
Und doch da lag sie, die feuerroten Locken im Kerzenschein wie flüssiges Gold, das feine Gesicht wie gemalt und die wieder rosigen Lippen wie frische Rosenblätter. Die Schatten, die ihre Wimpern warfen wie gemalt und von ihr ging jetzt, da sie dort lag dieser sanfte Rosenduft aus, der ihnen so bekannt war, als hätten sie nie aufgehört ihn zu riechen.
Remus durchsuchte ihren Lederbeutel und fand das Gift, dass er vorsichtig auf ein kleines Tischen anbei legte und irgendwann fand er einen simplen Aufpäppeltrank, den er ihr an die Lippen hielt.
Kreacher brachte irgendwann murrend heiße Schokolade und Hühnersuppe. Natürlich nicht ohne jegliche Flüche, die seine alte Herrin ihn gelehrt hatte, auszustoßen.
"Kreacher, reiß dich zusammen und geh in die Küche", Sirius wies den Haushelfen harsch zurecht. Er hatte gerade nicht den Kopf für mehr und nicht den Willen mit dem alten mürrischen Haushelfen zu kämpfen, der sich Flüche murmelnd aus der Bücherei verzog.
Der Wind rüttelte laut am Fenster, durch dass die alten Straßenlaternen schmutziges Neonlicht warfen. Ansonsten war nur der rythmische Atem der drei Anwesenden in der Bibliothek zu hören. Die Kerzen, die den Raum eine Weile erhellt hatten, waren beinahe komplett runtergebrannt.
Die Standuhr neben der Tür schlug Mitternacht.
Sirius Black, der seinen Kopf auf den Händen abgestützt hatte, schreckte hoch und blickte zu seinem schlafenden Freund, dann zu der rothaarigen Hexe, die nicht mehr bewusstlos, sondern ruhig zu schlafen schien.
Er rutschte ein Stück auf seinem Sessel nach vorne und streifte mit sanften Fingern ihre Hand. Zeichnete kleine Kreise auf ihren Handrücken, während er überlegte, wie surreal diese Situation nur war.
"Du kannst es dir auch nicht erklären, oder?", Remus Lupins stimme klang müde und erschöpft.
Sirius nickte nur stumm und starrte sie an, malte weiter Kreise über ihren Handrücken. Er hatte nie verstanden, warum sie verschwunden war. Zwei Wochen nach ihrem Abschluss in Hogwarts war sie verschwunden und er hatte sie gesucht. Wochenlang war in freien Minuten durchs Land appariert und hatte gehofft zu verstehen wohin sie geflohen war.
Und dann am Abend von James und Lily's Tod hatte er sie wieder gesehen. Er hatte so viele Fragen an sie gehabt und sie alle stellen wollen, doch keine einzige Frage ließ sie ihn stellen. Sie flehte ihn an seinen Freunden zu helfen, die jemand verraten hatte. Dass er sich beeilen sollte nach Godrics Hollow zu gelangen um zu verhindern, was sie nicht konnte.
Aber als er wiederkam, zwei Freunde tot, das Patenkind an Fremde übergeben und ein Freund ein Verräter, den er noch aufsuchen musste, da war sie bereits wieder verschwunden. Nicht mehr als der sanfte Geruch nach Rosen in seiner Wohnung erinnerte daran, dass sie tatsächlich dort gewesen war.
Mehr Fragen und mehr hatten sich ihm gestellt, auf die ihm keiner eine Antwort geben konnte. Fragen, die auch in Askaban nicht leiser wurden, sondern lauter nach Antworten verlangten. Fragen, deren Antworten er jetzt so nah war wie nie zuvor.
Sirius Black schreckte aus seiner Trance auf, als jemand seine Hand schwach drückte. Die rothaarige Hexe gewann an Bewusstsein und klammerte sich an seine Hand. Remus Lupin, der die Situation mit Argusaugen bewacht hatte, half seinem Freund die junge Frau in eine aufrechtere Position zu bringen, so dass sie sich an die Kissen lehnen und ihre Umgebung in Augenschein nehmen konnte.
"Amara, bist das wirklich du? Wo kommst du her? Warum bist du damals verschwunden? Was ist passiert? ... "
Beim Klang des Namens zuckte die Angesprochene zusammen. Der Name fühlte sich so richtig und doch so falsch an, wie Sirius in aussprach.
Als sie nicht reagierte, reichte Remus ihr ruhig lächelnd die Schale mit der aufgewärmten Hühnerbrühe.
"Komm erstmal zu Kräften, danach haben wir immer noch Zeit zu reden und Fragen zu beantworten."
Dankend nickte sie und ergriff die gebotene Schüssel mit zittrigen Händen. Sie hob sie an den Mund und nippte daran. Die geschmackvolle Flüssigkeit gab ihr etwas Kraft und beruhigte ihre trockene Kehle. Es wärmte sie innerlich auf.
Sie erinnerte sich an die Nokturngasse, an Lucius Malfoy und an den Wald. An das Feuer, die Verletzungen und den eisigen Regen. An die Flucht zum Grimmaultplatz und die Bewusstlosigkeit im Schnee, nur eine Handbreit von ihrer Zuflucht entfernt, die sie durch den Fideliuszauber nicht eintreten ließ.
Und auch wenn es keine frischen Erinnerungen waren, so erinnerte sie sich an Sirius Black und Remus Lupin, die sie Beide mit sorgenvollen Mienen betrachteten und denen vermutlich tausende Fragen auf den Zungen brannten.
Sie trank den letzten Schluck der warmen Brüche und stellte die Schale auf ihren Beinen ab. Aus Gewohnheit fasste sie an den Ring an ihrem Finger und drehte ihn. Sie war den beiden eine Erklärung schuldig, egal wie sehr diese Erklärung schmerzen würde.
"Ich...", ihre Stimme klang kratzig und fremd in ihren eigenen Ohren. Sie hörte die Angst und die Erschöpfung durch den Raum klingen, die sie so fest in sich trug. Beinah fühlte sie die Tränen, die sich in ihren Augen sammelten, "... ich hab euch viel zu erklären."
Beide Männer sahen sie nur stumm an und ließen ihr Zeit.
"Aber ich flehe euch an: Ich werde jede eurer Fragen beantworten, doch bitte hasst mich nicht", nun brach ihre Stimme und sie verbarg das Gesicht in den Händen. Wischte die Tränen trotzig weg, nur um danach noch heftiger zu weinen.
Sirius nahm ihre Hände in seine und drückte sie sanft: "Ich könnte..., wir könnten dich niemals hassen."
Remus reichte ihr ein Taschentuch und ergänzte: "Fang am Anfang an und schau bis wohin du es schaffst."
Einatmen.
Ausatmen.
Einatmen.
Ausatmen.
"Vielleicht sollte ich dann damit anfangen, dass mein Name nicht wirklich Amara ist. Es war nur ein Deckname, aus Schutz, aus Angst und Verzweiflung. Eigentlich heiße ich ..."
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