Kapitel 1
„Schneller Raphael!" rief ich über die Schulter und spürte, wie meine Finger erwartungsvoll kribbelten. Ich lief um die nächste Ecke und presste mich an die Wand, damit mich unser Verfolger nicht sah. Raphael flitzte an mir vorbei und der Typ kam nur wenige Sekunden nach ihm. Schneller, als er es bemerken konnte, schlug ich ihm auf die Schläfe und er verdrehte die Augen und sackte dann in sich zusammen. „Danke, Ellena. Ich glaub nicht, dass ich ihn so leicht abgehängt hätte." bedankte sich mein Freund und strich mir meine braunen Haare aus dem Gesicht, um die Wunde an meiner Stirn zu betrachten. „Immer doch." murmelte ich und schaute in seine hellblauen Augen, um zu sehen, ob sie glasig waren vor Schmerz. Er hatte um einiges mehr eingesteckt, als ich und ihm lief golden glitzerndes Blut aus seinen zahlreichen Wunden.
Ich strich über ein paar der größeren Wunden und sie schlossen sich wieder. Er machte dasselbe mit meiner Stirn und ich schob seine blonden Haare beiseite um seine Stirn ebenfalls zu inspizieren und wich kurz zurück bei dem Feuer, das ich deutlich in seinem Blut sah. „Was?!" fragte Raphael erschrocken und hielt mich an dem Ärmel meiner Winterjacke fest. „Ich bin nur erschrocken, weil ich das Feuer gesehen habe. Du hast dich an deiner Stirn echt scheiße stark verletzt." erklärte ich und schob wieder seine Harre beiseite. „Ach so." murmelte er und beobachtete mich wie ich vorsichtig über seine Wunde strich. Ich musste mich sehr konzentrieren um von der Hitze nicht zurück zu schrecken.
Ich schaute mir die Wunde noch einmal genau an, dann nickte ich Raphael zu und er beugte sich zu mir runter und legte seine Lippen auf meine. Bitte versteht das jetzt aber nicht falsch. Ich liebte Raphael höchstens wie einen Bruder und er mich wie eine Schwester, aber ein Kuss gab uns Kraft. Egal von wem er war und mit welchen Hintergrund. Wir wissen zwar nicht, wieso das so ist, aber die älteren Nephilim meinen, dass es mit unseren Vätern zu tun hat. Für die, die nicht wissen, was die Nephilim sind: Es sind die Kinder der Engel, die vor Jahrtausenden auf der Erde gelebt haben und nein, das heißt nicht gleich, dass ich auch Jahrtausende alt bin! Ich bin vor kurzem siebzehn geworden und bin aber genauso wie die anderen halb Engel, halb Mensch. Meine Mutter war ein Mensch, aber mein Vater muss ein Nephilim gewesen sein.
Warum ich dann nicht mehr Mensch bin, als die anderen? Tja, das ist ein ungelöstes Rätsel. Wir Nephilim können außerdem gar nicht Jahrtausende leben. Der älteste Nephilim, den ich bis jetzt gesehen hatte, war knapp 300 und sah immer noch aus wie achtzehn. Und ja, es war ein Mann. Die weiblichen Nephilim gibt es erst seit siebzehn Jahren. Ich war die Erste. Ich löste mich wieder von Raphael und atmete erleichtert auf, als mich die Kraft des Kusses durchströmte. „Jetzt lass uns zu den anderen gehen, bevor der da wieder aufwacht." sagte ich und zeigte auf den Mann, der immer noch am Boden lag.
Schnell liefen Raphael und ich in Richtung der Lagerhalle in der wir mit circa fünfundzwanzig anderen lebten. Als wir ankamen, waren auch die anderen von ihrer Jagd zurück und teilten schon das Essen auf, dass sie sich heute geschnappt hatten. „Ellena!" rief eines der kleinen Mädchen, das wir erst vor einer Woche ausgesetzt an einem Bahnhof gefunden hatten. Sie war ungefähr sechs Jahre... wie ich damals, als ich hier aufgenommen wurde. „Rosalie." begrüßte ich sie und hob sie hoch. Ihre blauen Augen glitzerten fröhlich und ihre blonden Haare flogen ihr wild um den Kopf. Alle Nephilim hatten blaue Augen und blonde Haare. Nur ich nicht. Warum das so war, wusste natürlich mal wieder niemand.
„Wir hatten uns schon sorgen gemacht." hörte ich eine tiefe Stimme und sah auf. Unser Anführer, Uriel, kam auf uns zu und schloss mich erst mal in eine herzliche Umarmung. „'tschuldigung. Raphael wurde von einem seiner Opfer verfolgt und wir mussten ihn erst abhängen." murmelte ich und musste aufpassen, dass Rosalie mir nicht vom Arm fiel. „Ja, aber Ellena hat ihn K.O. Geschlagen und wir konnten in aller Ruhe zurück kommen." erzählte mein Freund und überreichte Uriel's Vertreter, Michael, den Beutel voll Essen, den wir gestohlen hatten. Uriel löste sich von mir und machte mit Raphael dieses Handschlag-Dings, dass ich trotz Jahrelanger Beobachtung immer noch nicht verstand.
Ich ließ Rosalie wieder runter und sie zog mich mit zu ihrem Lager. Was bedeutete, dass sie mich mit auf ihr Bett zog und sich dann an mich kuschelte. Mein Magen knurrte zwar und ich wusste, dass sie essen musste, aber ich wusste auch, dass sie todmüde war und es am gesündesten wäre, sie jetzt schlafen zu lassen. Ich zog das kleine Mädchen also beschützerisch an mich und schloss die Augen. „Soll ich dich ablösen, damit du was essen kannst?" flüsterte Raphael mir kurz darauf ins Ohr und ich öffnete die Augen, um zu sehen, ob Rosalie schon schlief.
Ihr Atem war ruhig und ihr Herzschlag langsam, aber konstant. Ich nickte leicht und löste mich vorsichtig von der jungen Nephilim. Raphael nahm meinen Platz ein und als ich ihn streifte, sprang ich ein ganze Stück zurück und starrte ihn traurig an. „Was?" fragte er erschrocken und sah mich verwirrt an. „Du glühst." murmelte ich und merkte, wie mir eine goldene Träne über die Wange lief. Raphael's Augen weiteten sich geschockt und seine Augen flitzten unruhig durch die Lagerhalle. „Uriel!" rief ich und suchte jetzt ebenfalls den Raum ab. Unser Anführer kam aus einer Tür, die in sein Zimmer führte und sah sich verwundert nach uns um.
Als er unsere ängstlichen Gesichter sah, wusste er sofort, was los war. Er rannte schneller, als ein Mensch es je könnte, zu uns uns fragte dann „Wer von euch?" Keiner Antwortete. „Raphael! Ellena! Jetzt sagt schon!" verlangte er und ich sah Wut, die aber nur versteckte Trauer war. „Ra...Raphael." stotterte ich und konnte meine Tränen kaum noch halten. Beruhigend legte sich eine heiße Hand auf meine Schulter und ich drehte mich zu Raphael und zog ihn fest an mich. Er war der einzige hier, dem ich je ganz vertraut hatte. Der einzige, den ich liebte wie einen Bruder.
Mein Freund strich mir über den Rücken und erwiderte die Umarmung ebenfalls unter Tränen. Das darf nicht sein, das darf nicht sein, das darf nicht sein! Wiederholte ich immer wieder in Gedanken und betete, dass es nicht wahr war, dass Raphael nicht irgendwann in den nächsten drei Stunden sterben würde. „Ellena? Du musst ihn gehen lassen. Wir können ihm jetzt auch nicht mehr Kraft entziehen. Das würde uns töten." erklärte Uriel und legte seine Hand auf meine Schulter. Ja, es gab eine Möglichkeit wie man einen Nephilim retten konnte, aber bei Raphael war es schon zu spät. Sobald das Feuer sich einmal so stark bemerkbar gemacht hatte, war es unmöglich es in sich auf zu nehmen ohne selbst daran zu sterben.
Uriel versuchte mich von meinem besten Freund weg zu ziehen, aber ich schlug seine Hand mithilfe von Telekinese weg. „Fass mich nicht an!" knurrte ich und hörte, wie die anderen alle scharf die Luft einzogen. „Ellena. Sei doch vernünftig." bat Raphael, aber ich ließ ihn nicht los. Nein, ich machte etwas anderes. Ich griff nach seiner Hand und starrte ihm in die himmelblauen Augen. „Ich lass dich nicht sterben." erklärte ich und unterschrieb dann mein eigenes Todesurteil. Ich konzentrierte mich und zog Raphael's Kraft in mich ein. Während ich das tat, versuchte ich möglichst viel gleich wieder zu verbrauchen, indem ich die anderen Nephilim, die versuchten zu uns zu kommen, durch die Luft schleuderte und dann vorsichtig wieder am Boden absetzte.
Raphael versuchte mir seine Hand zu entreißen, aber ich war stärker. Ich zog ihn näher zu mich und flehte ihn in Gedanken an, mich machen zu lassen. Mit Telepathie schickte ich ihm tausende Gedanken und war erleichtert, als Raphael's Hand langsam abkühlte. „Das reicht. Bitte, Ellena. Du weißt, dass das reicht. Lass den Rest Uriel machen." murmelte Raphael und sah mir eindringlich in die Augen. Es dauerte einen Moment, bis seine Worte zu mir durch sickerten, dann ließ ich ihn los und rannte aus der Lagerhalle.
Ich hörte, wie die anderen mir hinterher riefen, aber ich musste hier weg. Ich musste meine Kraft benutzen und zwar so schnell wie möglich. Ich rannte schneller, als alles andere und kam nach wenigen Sekunden am Stadtrand an. Ich rannte weiter über ein Feld und über das nächste, dann war ich im Wald. Ich lief zu einer Wasserfall, bei dem tausende riesige Steinbrocken lagen und hob einige mit Telekinese hoch, während ich daran dachte zu fliegen. Alles beide klappte ganz einfach zusammen. Zu einfach. Ich flog durch die Luft und dachte an eine Maus. Schneller, als ich dachte klappte auch das und ich war eine fliegende Maus, die mit ihren Gedanken zehn Fünf-Tonnen-Steine hoch hob.
Leider war das alles aber immer noch nicht genug, weil es immer noch zu einfach war und ich fing an mich hin und her zu Teleportieren. Jetzt wurde es langsam schon schwieriger und ich wechselte wieder in meinen eigenen Körper, welcher zu Teleportieren noch schwieriger war. Ich spürte, wie meine Kräfte schwanden und setzte die Steine ab. Als nächstes hörte ich auf mich zu Teleportieren und setzte mich letzt endlich auf einen der Steinbrocken. Das Wasser des Wasserfalls war etwas getrübt von dem Schlamm, den die Steine aufgewirbelt hatten und ich konnte nur mit Mühen mein Gesicht erkennen. Ich atmete tief durch und schlief dann auf dem Stein ein.
Ich wurde durch ein Stupsen an meiner Schulter geweckt und wollte meine Augen eigentlich noch nicht öffnen, weil ich immer noch so erschöpft war. Ein kleines feuchtes Etwas stupste mich wieder an und als das Ding dann auch noch quer über mein Gesicht leckte, hatte ich jedoch wieder genug Kraft und öffnete wütend die Augen. Ich blickte in glitzernde, grüne Hundeaugen und wurde sofort weich. „Aww." machte ich und bitte nehmt mir dass nicht übel, aber ich kann echt total kitschig sein. Ich schaute den Welpen genauer an und erkannte, dass er mehr Ähnlichkeiten zu einem schwarzen Wolf hatte, als zu irgendeiner anderen Hundeart.
„Was machst du denn so ganz alleine hier draußen?" fragte ich. Leider konnten aber nur wenige Nephilim mit Tieren reden und ich gehörte nicht zu denen. Ich hatte dafür zahlreiche andere Fähigkeiten, die ziemlich selten waren. Der Welpe holte mich aus meinen Gedanken, indem er seinen Kopf an meinem Bauch vergrub und ein seltsames Geräusch von sich gab. Ich kicherte leise und setzte mich endlich mal auf. Ich sah mich kurz um und war erleichtert, dass ich immer noch auf dem Stein lag. „Wo ist denn deine Familie?" fragte ich weiter den kleinen Wolf aus und bekam ein kleines wimmern von ihm. Beruhigend streichelte ich ihm über den Kopf und er streckte sich mir entgegen.
Ich saß noch eine Weile so dort und tankte etwas Kraft, bevor ich vorsichtig auf stand und von dem Stein sprang. Er war unglaublich hoch und ich frage mich, wie dieser kleine Wolf da hoch gekommen war. Besagtes kleines Tierchen folgte mich schnell und lief dann neben mir her aus dem Wald. „Solltest du nicht hier bleiben? Es macht sich doch bestimmt jemand Sorgen, weil du nicht nach Hause kommst." sagte ich und sah ihn fragend an. Der kleine bellte ein tiefes, entschlossenes Bellen und zog mich an meinem Schuh Richtung Stadt. „Na gut, aber nur bis zur Lagerhalle, dann musst du gehen." erklärte ich und als hätte er mich verstanden, sprang der Welpe fröhlich bellend Richtung Stadt.
Lachend lief ich ihm hinterher und schaffte es bis zur Stadt sogar, dass er leise neben mir her lief. Ich ging schnell und stahl immer wieder unbemerkt Brieftaschen oder Schmuck. Wenn ich schon durch die Stadt lief, dann konnte ich doch wohl auch mit Beute nach Hause kommen. Der Welpe, den ich mittlerweile Sky nannte, beobachtete mich aufmerksam und schien jede meiner Bewegungen zu verfolgen. Die Menschen um mich herum machten zwar größtenteils einen Bogen um uns, aber dass war mir egal. Beute ist Beute. Schließlich bog ich in die Gasse, die auf einigen Umwegen zur Lagerhalle führte und Sky folgte mir immer noch. „Nur bis zu mir nach Hause, verstanden?" fragte ich nochmal, aber dem Welpen war das natürlich egal.
Jetzt da keine Menschen mehr hier waren, lief Sky hin und her und beschnupperte jeden Müll, der auf den Gassen verstreut war. Kurz vor der Lagerhalle zögerte ich. Wie würde die Reaktion sein, wenn ich zurück kam? Würde Raphael noch leben oder hatte ich nicht genug Kraft in mich aufgenommen? Wäre es in Ordnung Sky mit rein zu bringen? Schnell schob ich die Gedanken beiseite und öffnete einfach die schwere Tür. Sky lief ein Stückchen rein, blieb dann aber erschrocken stehen und zog den Schwanz ein. Ich kam ihr hinterher und musste leicht grinsen. Die anderen standen alle um Uriel versammelt und sahen ihn abwartend an. Das musste wohl sehr einschüchternd auf Sky wirken.
Weil der kleine Welpe, der wie ich vorhin festgestellt hatte ein Junge war, wollte es aber nicht einfach so auf sich sitzen lassen, dass er Angst hatte und stellte sich beschützerisch vor mich und knurrte meine Artgefährten an. Sofort wandten sich alle erschrocken zu mir und ich suchte sofort unter dem Gewirr von blonden Haaren und blauen Augen nach Raphael. „Ellena!" rief er und ich entdeckte ihn in der Mitte neben Uriel, der mich wie alle anderen einfach nur anstarrte. „Du lebst!" sagte ich erleichtert, drängelte mich durch die anderen und fiel ihm um den Hals. Sky folgte mir natürlich und schmuste sich dann an mein Bein.
Raphael erwiderte die Umarmung zögernd. „Eigentlich sollte ich das sagen! Wieso bist du nur so dumm und nimmst mir so viel Kraft?!" sagte mein Freund und vergrub sein Gesicht in meinen Haaren. „Ich konnte dich doch nicht sterben lassen. Außerdem geht es mir gut oder bin ich wärmer als sonst?" murmelte ich und lächelte erleichtert. „Nein. Du bist sogar etwas kälter. Komm her." sagte er, schob mich ein Stück weg und legte sein Lippen auf meine. Ich erwiderte kurz, löste mich dann aber von ihm und erklärte „Ich glaub nicht, dass das eine gute Idee ist. Du bist nur knapp dem Tot entkommen." Raphael grinste und zog mich wieder in seine Arme, bis Sky plötzlich anfing zu knurren.
Sofort ließ ich von Raphael ab und sah den jungen Wolf verwirrt an. Er knurrte meinen Freund an und ich war etwas verwirrt. „Da ist wohl jemand eifersüchtig." lachte Elias. Einer der Nephilim, der die Sprache der Tiere beherrschte. Ein Lachen ging durch die versammelte Menge und ich hätte fast meine Beute vergessen. Als Sky mich jetzt jedoch fragend ansah, erinnerte ich mich wieder. „Ach ja. Ich bin mit Sky durch die Stadt gelaufen." sagte ich und leerte meine Taschen, was den anderen noch ein Lachen entlockte. „Was?!" fragte ich und zog einen Schmollmund.
Ich sah Raphael an, der sich sehr bemühte nicht zu lachen, es aber nur zu einem breiten Grinsen abmildern konnte. „Du bist einfach unverbesserlich, Ella. Sogar wenn einer von uns in Lebensgefahr schwebt, klaust du noch." erklärte er kopfschüttelnd und die Gruppe um uns herum löste sich langsam auf. „Danke, dass du mir das Leben gerettet hast." sagte Raphael, jetzt wo wir nicht mehr das Zentrum aller Aufmerksamkeit waren. „Immer wieder gern." grinste ich zurück und umarmte ihn nochmal herzlich. Als ich Sky jedoch wieder knurren hörte, löste ich mich von meinem besten Freund und ging vor dem Wolf in die Hocke, um ihn zu streicheln.
So meine Lieben,
das war jetzt das dritte erste Kapitel. Lasst mir also bitte eure Meinung da.
Alles liebe eure Ary-Lu;*
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