neongrüne Zettel
Ich öffnete meine Spindtür und nahm meine Französischsachen heraus. Als ich die Spindtür wieder schließen wollte, fiel mir etwas grünes ins Auge. Es war ein neongrüner Zettel. Ich nahm ihn heraus. In ordentlicher Druckschrift stand etwas darauf. "Nenne fünf Dinge, die du an dir schätzt." Was sollte das? Und von wem war dieser Zettel?
Ich versenkte den Zettel in meiner Jackentasche und schloss den Spind. Das war bestimmt nur irgendein Streich oder so.
Einige Minuten später kam meine Französischlehrerin. Eigentlich mochte ich Französisch, aber jetzt konnte ich mich einfach nicht konzentrieren. Ich dachte nur an diesen verdammten Zettel! Plötzlich war mir etwas schwindelig und ich konnte nicht mehr klar sehen.
"Eva?", fragte meine Lehrerin: "Eva, geht es dir gut?" "Es geht schon", antwortete ich. "Du solltest vielleicht besser nach Hause gehen! Du warst ohnmächtig", widersprach sie mir energisch. "Es lag, denke ich, nur am Kreislauf", lenkte ich ein, aber sie bestand darauf, dass ich nach Hause gehen sollte.
Irgendwie war ich auch froh darüber. Meine Eltern waren nicht da und ich hatte so einen entspannten Vormittag zu Hause vor mir. Außerdem konnte ich mich heute eh nicht mehr konzentrieren. Also ging ins Sekretariat und meldete mich ab.
Als ich nach einer kurzen Fahrt mit dem Fahrrad zu Hause war, lief ich in die Küche und trank. Das leichte Schwindelgefühl war fast weg, genau wie die Übelkeit. Ich sollte mir wirklich angewöhnen mehr zu trinken. Meine Eltern hatten mich extra vor Kreislaufproblemen gewarnt. Aber egal! Ich ging duschen und legte mich ins Bett, wo ich mich ein bisschen durch You Tube durchklickte. Leider wollten meine Eltern uns kein Netflix anschaffen.
Nach einer etwa einer halben Stunde klingelte mein Handy. Es war meine Freundin Emma. Ich nahm den Anruf schnell an. "Hi, Em!", begrüßte ich sie. "Eva, geht es dir gut? Ich hab gehört, dass du nach Hause gefahren bist!" "Ganz ruhig", stoppte ich ihren Wortschwall: "Ja, mir geht es gut. Ich hatte nur Kreislaufprobleme. Wie kannst du eigentlich um diese Zeit anrufen? Müsstest du nicht in der Schule sein?" "Gut, dass es dir gut geht!", stieß sie erleichtert hervor: "Und na ja, ich bin in der Schule und ich weiß, dass ich hier eigentlich nicht telefonieren darf, aber ich musste wissen wie es dir geht. Ich muss jetzt Schluss machen. Die Pause ist gleich vorbei, aber nach der Schule komme ich zu dir." "Klasse, bis später. Ich liebe dich!", verabschiedete ich mich. "Ich dich auch!" Dann legte sie auf.
Ich lächelte. Es war fantastisch jemanden wie Emma als Freundin zu haben. Und ja, wir waren "richtige" Freundinnen, also "Girlfriends". Davon wusste allerdings niemand außer ihren Eltern. Wann ich es meinen sagen wollte wusste ich noch nicht. Bei solchen Sachen war ich mir total unsicher. Auch in der Schule wusste keiner sicher, dass wir in einer Beziehung waren. Die meisten dachten vermutlich, dass wir einfach gute Freundinnen waren, genau wie meine Eltern.
Ich erinnerte mich gerne daran zurück, wie wir uns kennengelernt hatten. Wir waren beide neu auf der Schule gewesen und hatten schnell angefangen uns zu mögen. Damals hätte glaube ich keine von uns gedacht, dass wir einmal ein Paar werde würden.
Ich wollte mich wieder auf You Tube konzentrieren, aber ich dachte immer wieder an den Zettel. "Nenne fünf Dinge die du an dir schätzt."
"Meine Augen", sagte ich. Das klang ziemlich oberflächlich, aber Augen faszinierten mich und ich mochte den hellen Blauton meiner Augen, der manchmal einen Graustich hatte.
Noch etwas, was ich an mir mochte war, dass ich, ohne mich anstrengen zu müssen, ziemlich gute Noten schrieb.
Als mir nicht mehr einfiel, nahm ich meine Geige und begann einige Klezmer-Stücke zu spielen, die ich inzwischen auswendig kannte. Ich versank in der Musik. Mir fielen einige Fehler auf, aber gerade war es mir egal. Es war einfach schön, in der Musik zu versinken.
Als ich aufhörte und auf die Uhr sah, war eine halbe Stunde vergangen und ich ging in die Küche, um Mittag zu machen. Ich machte Pizza und einen Schokokuchen. Als ich die Pizza- und Kuchenstücke auf zwei Tellern verteilt hatte, klingelte es an der Tür.
Als ich sie geöffnet hatte viel mir sofort Emma um den Hals. Ich schloss sie ebenfalls in die Arme. Dann kam sie rein. Nachdem wir ich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, küssten wir uns kurz. Dann musterte Emma mich eingehend, wie um zu gucken das es mir wirklich gut geht.
"Ja, es geht mir gut", grinste ich nach einigen Sekunden. "Ein Glück!", seufzte sie: "Ich habe mir wirklich Sorgen gemacht!" "Komm mit hoch, ich habe Essen gemacht", lachte ich. Ich nahm die beiden Teller und lief ihr hinterher in mein Zimmer. Dann lief ich noch einmal nach unten, um ein Tablett mit Gläsern und Getränken zu holen.
Während ich wieder nach oben ging fügte ich in Gedanken zwei Punkte zu der Liste hinzu: Ich kann ziemlich gut geigen und backen (das Wort "ziemlich" sollte ich aus meinem Wortschatz streichen). Den fünften Punkt konnte ich eigentlich auch noch hinzufügen: Ich war ziemlich (halt, falsches Wort) Ich war zielstrebig und erreichte Dinge die ich schaffen wollte meistens (Notiz an mich selbst: die Wörter "meistens" und "eigentlich" sollten in diesem Zusammenhang ebenfalls nicht mehr verwendet werden). Ich war ein bisschen stolz, dass ich es geschafft hatte.
Als ich oben war grinste Emma mich an. "Was ist?", fragte ich etwas verwirrt. "Du hast selbst an die Getränke gedacht. Ich bin stolz auf dich!", lachte sie. Ich grinste sie an. "Wenigstens habe ich etwas aus dem Vorfall gelernt." Normalerweise musste sie mich daran erinnern, dass ich genug trank.
Nachdem wir uns unterhalten hatten und die Pizza und der Kuchen fast alle waren, musste sie leider wieder los. Zum Abschied küssten wir uns einige Sekunden und in mir kam - mal wieder - der Wunsch auf, dass vor anderen Leuten tun zu können. Das Problem war nur meine Schüchternheit. Ich hatte einfach Angst davor, was die anderen darüber denken könnten. Emma gab mir so viel Zeit wie ich wollte. Sie hatte gesagt, dass ich es tun könne wann ich es wolle, wofür ich ihr unglaublich dankbar war.
Ich nahm mein Handy in die Hand. Langweilig würde mir nicht werden. Eine Klassenkameradin, mit der ich mich ganz gut verstand, hatte mir die Mitschriften und Aufgaben aus dem Unterricht geschickt. Außerdem hatte Emma mir gefühlt den halben Inhalt meines Spinds mitgebracht.
Als ich mich an die Matheaufgaben setzten wollte fiel ein neongrüner Zettel aus dem Mathebuch. Neugierig las ich was darauf stand. "Nenne fünf Dinge die du nicht an dir magst."
1. Ich war nicht wirklich sportlich. Was heißt eigentlich sportlich? Muskeln hatte ich. Nur meine Sportnoten waren nie wirklich gut gewesen.
Ich entschied mich dafür, dass ich es erstmal stehen lies.
2. Ich war ein Einzelgänger. Ich hatte zwar eine Freundin, aber außer ihr hatte ich keine wirklichen Freunde. Zumindest nicht an unserer Schule. Mit zu vielen Leuten auf einmal kam ich einfach nicht klar.
3. Ich war perfektionistisch. Ich sag nur: immer, wenn ich meinen Laptop benutzte, viel mir ins Auge, dass dieser Pfeil auf dem Bildschirm, wie auch immer man ihn nennt, nicht symmetrisch war.
4. Ich setzte nicht immer die schlauesten Prioritäten (um Mitternacht: Schlaf ist egal. Ich muss diese Geschichte jetzt fertiglesen!)
5. Ich redete zu viel.
Es war schon irgendwie traurig, dass es mir leichter viel, fünf negative Punkte aufzuzählen, als fünf positive.
Egal, jetzt war Mathe dran!
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Am nächsten Tag in der Schule war ich so verschlafen, dass ich Angst hatte gleich wieder einzuschlafen. Ich hatte bis heute früh wach gelegen und über Gott, die Welt und neongrüne Zettel nachgedacht. Sogar geträumt hatte ich von den Dingern.
Als ich den Zettel in meinem Spind entdeckte, war ich jedoch wieder hellwach. "Nenne Dinge die du an dir ändern möchtest", stand dieses Mal darauf.
Mir schossen alle möglichen Dinge durch den Kopf. Sportlicher werden, weniger reden, ...
Ich verdrängte das, um wider einen klaren Kopf zu bekommen. Inzwischen war ich mir nämlich gar nicht mehr so sicher, ob ich diese Dinge überhaupt an mir ändern konnte. Wenn ich das ändern würde, wäre ich nicht mehr ich.
Ich lehnte mich an die Wand. In diesem Moment merkte ich, wie schön es war ich zu sein, auch wenn es Leute gab, die mich nicht mochten wie ich war. Als ich daran dachte war der schöne Augenblick verschwunden.
Ich atmete tief durch, um die Erinnerung daran zu verdrängen, warum ich damals die Schule gewechselt hatte.
Es war Mobbing gewesen. Wegen meinem Aussehen. Die beiden Jahre hatten mich innerlich zerstört. Emma hatte es geschafft, mich wieder aufzubauen. Zumindest soweit, dass es keine Tage mehr gab, an denen ich mich weigerte aus meinem Zimmer zu kommen und mit irgendjemandem zu reden.
Nur mein Selbstbewusstsein hatte sie mir nicht wiedergeben können. Aber den Grundstein für diesen Schritt hatte, glaubte ich, der Schreiber der Zettel gelegt. Bei diesem Gedanken lächelte ich.
Die Doppelstunde bis zur Pause überstand ich mit dem Gedanken daran, dass ich danach mit Emma zusammen Religion hatte.
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Als wir nach dem Unterricht aus dem Klassenzimmer gingen, wollte Em direkt auf den Schulhof. Ich nahm sanft ihr Handgelenk und drehte sie zu mir um. Dann beugte ich mich zu ihr herunter und legte ich meine Lippen auf ihre. Zuerst war sie etwas überrascht, dann erwiderte sie den Kuss.
Ich spürte die Blicke der anderen Schüler auf uns, aber in diesem Moment waren sie mir egal. Es war egal, dass wir angestarrt wurden. Es war mir egal, was an meiner alten Schule zu mir gesagt wurde. Das einzige was zählte war dieser Kuss.
Nach ein paar Sekunden lösten wir uns voneinander. Emma lächelte mich an. Dann nahm sie meine Hand und wir gingen auf den Hof.
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Ich stand vor meinem Spind und legte einen Zettel hinein. Auf dem Zettel stand nur ein Wort: Danke.
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