I.
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nemophilisy.
Chapter I.
Yuli war keine Person, die andere verurteilte.
Yuli war ein Urteil.
Yuli.
Via klopfte unablässig mit ihren Handknöcheln auf die Dielen und starrte an die gegenüberliegende Wand. Andere hätte dieser Umstand vielleicht verwirrt oder sogar verängstigt, doch Yuli wusste das Via nur nachdachte. Was Via eigentlich durchgängig tat.
Was dazu führte das sie eigentlich durchgängig abwesend wirkte, wovon sich Yuli aber keinesfalls stören ließ. Zum einem war sie das nun schon gewöhnt und zum anderen war Yuli selbst nicht der Mensch, der sich durch die Eigenheiten anderer Menschen beeinträchtigen ließ.
Weswegen sie nur mit dem Zeigefinger die Furchen des Holzes auf dem sie hockte nachfuhr. Denn auch Yuli dachte nach. Auch wenn sie sich selbst nicht bewusst war über was genau sie gerade nachdachte. Schließlich gab es so viel das ihr durch den Geist ging. Vor allem wieso sie selbst sich von anderen unterschied. Nicht das das etwas ungewöhnliches war, zumindestens nicht in Massen.
Jedoch war Yuli anders, was selbst ihre Mutter zugegeben hatte. Aber sie selbst war sich sicher nicht so anders zu sein, wie Via es war, wenn man sie mit dem berüchtigten Norm der Gesellschaft verglich. Jedoch ließ sich Via davonaugenscheinlich weniger stören, als es bei Yuli der Fall war. In Gedanken strich sie ihren tannengrünen Rock glatt und winkelte die Beine an.
Der Dachboden war zwar nicht wirklich kühl, aber es gab angenehmere Orte, wie Yuli fand. Doch als ungemütlich hätte sie es nicht bezeichnet. Die Balken hatten etwas heimeliges und der Holzgeruch fühlte die schwere Luft in dem Raum. Yuli fühlte sich mehr als wohl hier. Und auch Via sah nicht besonders abgeneigt davon aus. Auch wenn man das bei Via wohl nie genau sagen konnte, da Via es pflegte stets ein etwas starres Gesicht zu tragen. Vielleicht lag es daran das Via abgeneigt war so etwas, wie eine Regung in den Gesichtszügen zu zeigen, vielleicht auch nicht, Yuli war sich nicht sicher. Schließlich konnte man sich bei Via nie sicher sein.
Via war nie wirklich gesprächig gewesen, aber es war nicht so das man von Yuli das Gegenteil behaupten hätte können. Die Gespräche zwischen den Beiden liefen dementsprechend meistens nach einer fast vorgegebenen Struktur ab. Sobald eine der Beiden eine zufällige Erkenntnis mit der Anderen teilte, wurde diese in wenigen Sätzen, wenn überhaupt zum Thema des nicht vorhandenen Gespräch. Meistens war es Via, die sprach und Yuli, die zustimmend schwieg.
Es war nicht so als wäre es eine Art mentale Wand zwischen den Beiden, eher als wäre die Verständigung nicht nötig. Denn merkwürdigerweise verspürte weder Yuli noch Via das Bedürftnis ein tiefgreifendes Gespräch zu führen. Die Gründe weswegen dies genauso immer wieder ablief, war einzig derjenige das eine einzelne Existenz keine zweite brauchte um zu existieren. Via empfand es deswegen als unnötig ein Gespräch zu führen. Yuli hingegen träumte eher, als das sie je über diese Tatsache nachgedacht hätte. Eigentlich träumten sie beide. Nur ließ Yuli in ihren Träumen Dinge in der Gegenwart geschehen während Via einzig allein versuchte ihr Umfeld zu analysieren.
Nicht das man Analysieren als träumen bezeichnen könnte, nur war der Umstand das Via manchmal sich ganz in ihren Gedanken verlor wohl ein Grund anzunehmen sie würde träumen. Träumen war schließlich eine der einzigen Methoden der Gegenwart zu entkommen. Yuli sah wehmütig aus dem vergilbten Fenster, dass schräg in die Wand eingelassen wurde. Der Regen tropfte in einemfortläufigen Geräusch dagegen, es beruhigte Yuli. Denn fortlaufende Dinge änderten sich selten, sie waren stets gleich. Gleichheit hieß keine Veränderung und keine Veränderung bedeutete aus Yulis Sichtetwas gutes. Das Leben war schon eine Veränderung in sich, haltgebende Dinge konnte man immer gebrauchen. Mit ihren Fingerspitzen fuhr sie weiter die Furchen des Holzes nach.
Voreinigen Jahren hatte sie Klavier gespielt, ihre Mutter hatte sie dazu gedrängt, jedoch war ihre Lehrerin weggezogen. Was Yuli ihr alles andere als verübelte. Sobald sie achtzehn werden würde, würde sie aus dieser Gegend abhauen. In irgendeine große Stadt abtauchen, ein neues Leben beginnen. Eigenleben. Der Regen zog langsam seine Bahnen und tropfte das Fenster hinab. Yuli lächelte leicht. Es war nicht die Art von Lächeln, das Menschen aufsetzten, wenn sie glücklich waren, eher das Lächeln das sie aufsetzten um sich selbst zu motivieren diese Hölle, die sich ungerechterweise Leben schimpfte, nicht hinter sich zu lassen. Es war nicht so das Yuli das Leben nicht wertschätzte. Sie tolerierte es.
„Du bist eine pluviophile Person.", erwähnte Via es plötzlich. Ihre klare Stimme riss Yuli aus ihrem Traum.
„Was bedeutet das?", fragte Yuli nach.
„Du findest Frieden im Regen. Pluviophil."
„Okay. Ich bin pluviophil.",stimmte Yuli langsam ihr zu. Denn schließlich stimmte das was Via gesagt hatte.
„Wäre es nicht so, hätte ich es auch nicht gesagt.", zuckte Via gelangweilt mit den Schultern.
Yuli schwieg.
Pluviophil. Ein schönes Wort fand Yuli. Wörter waren etwas besonderes, schließlich bewahrten sie die Facetten von Gedanken. Manchmal fragte sie sich, wie die Gedanken von Via aussahen. Das einzige was ihr dazu einfiel war ein Farbton. Tannengrün. Meistens fielen ihr Farben ein, wenn ihre Gedanken zu verwirrend waren. Farben umschrieben Gefühlslagen oft besser als es Wörter je tun könnten. Müsste Yuli ihre aktuelle Gefühlslage mit einer Farbe betiteln, wäre es signalviolet. Wieso? Yuli hätte nicht die Worte um zu sagen wieso genau diese Farbe. Es war einfach so. Ihr wirres Haar fiel ihr in das Gesicht und die braunen Strähnen versperrten ihre Sicht, nicht das sie diese in genau dieser Situation gebraucht hätte.
„Ich will rosa Strähnen.", ein einfacher Einfall, der sich in kurze Worte fasste.
„Kannst du erklären wieso?", Via fragte niemals so etwas stupides, wie „Warum?" oder „Hä?", bevor Via sprach legte sie sich die Worte genau in ihrem Kopf zurecht.
„Ein Lebenszeichen.", besser und gleichzeitig schlechter hätte Yuli es wahrscheinlich nicht beschreiben können. Doch Via verstand.
„Verstehe.", flüsterte sie zu Yuli hinüber. Manchmal fing Via an plötzlich an zu flüstern, als wären die Worte, die sie sprach, zu kostbar um sie grob in die Luft zu werfen. Yuli schätzte das an ihr, es war eine dieser Sachen, die Via zu Via machten. Ebenso wie das Klopfen ihrer Fingerknöchel auf das Parkett oder ihr starres Gesicht. All das machte Via zu genau dem Menschen, der sie war. Und das fand Yuli wunderbar. Ihr Zeigefinger wickelte gedankenverloren eine der kurzen Haarsträhnen um ihren Finger. Vor etwa einem Monat hatte sich Yuli um Mitternacht die Hälfte ihrer Haare abgeschnitten. Wieso? Mehr hatte ihre erschöpfte Mutter nicht gefragt, als Yuli sich das nun kinnlange Haar am Morgen zusammenband. Karmesinrot. Mehr hatte Yuli nicht gesagt. Schließlich gab es aus ihrer Sicht auch nicht mehr zu sagen. Das hatte ihrer Mutter nicht gefallen, aber sie hatte es missbilligend abgenickt. Yuli war aus ihrer Sicht schon lange nicht mehr zu retten.
Der Regen plätscherte munter weiter gegen das Fenster und sie zog die Knie an um ihr Kinn darauf abzulegen. Purpur. Yuli hatte plötzlich das Gefühl sie würde am liebsten weinen. Jedoch war alles an dieser Situation unpassend um den Tränen nachzugeben. Gab es überhaupt eine richtige Situation? Yuli wusste es nicht. Im Moment war alles einfach zu aussichtslos um sich nicht erschöpft zu fühlen. Melancholie. Ein wirklich gutes Wort um das alles zu beschreiben, dachte sie und schloss die Augenlider. Ihre ganze Welt verschwand hinter dem Purpur. Alles war so farblos und doch so purpur. Wieso konnte nicht alles Lavendelrosa sein?
"Du murmelst Farbnamen. Hat das einen Grund?", durchbrach Via das Gedankenchaos von Yuli abrupt. Kurz schreckte sie auf und sah Via verwirrt an. Dann begriff sie.
"Das hat keine Bedeutung. Hab nur an einen Aufsatz gedacht, weißt du?", wenn sie recht überlegte, hatte Yuli Via noch niemals angelogen. Wie es aussah, gab es wohl für alles das erste Mal.
Via sah sie misstrauisch an und ihre fast schwarzen Augen fixierten Yulis Augen, als würde sie nach etwas suchen das ihrer unausgeprochenen Vermutung recht gab. Yuli starrte tapfer zurück.
"Aha. Interessant.", Via lehnte sich wieder zurück und Yuli fragte sich wieder einmal, wieso sie nicht einfach wie Heather sein konnte. Heather war lavendelrosa und nicht purpur. Mit diesem purpuren Gedanken legte sie den Kopf wieder auf ihren Knien ab und musterte ihre grünen Schuhe. Manchmal wünschte Yuli ihre Gedanken wären für einen Moment still. Einfach still und würden sie in Ruhe lassen.
Sie lächelte müde, bis sie Vias Worte hörte.
"Du bist ein Exedenttezist.", stellte Via fest.
"Ein was?", fragte Yuli verblüfft nach.
"Ein Exedenttezist. Jemand der sämtliche Gefühle hinter einem Lächeln versteckt.". erleuterte es Via.
"Wenn ich einer bin, bist du auch einer."
"Du lächelst. Ich tue das nicht. Du bist ein Exedenttezist. Ich bin es nicht."
Yuli schwieg.
Es musste stimmen, wenn Via es sagte. Schließlich sagte Via selten Dinge, die nicht wirklich stimmten. Bevor Via etwas sagte, überlegte sie sicher.
So hätte sie es damals gesagt. Doch es kann sich in Monaten viel ändern. Mehr als man erwartet. Denn letztendlich ist alles eine Sache der Sichtweise durch die man das Geschehen betrachtet.
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