59
Nemesis
Innerlich strotze ich vor Energie und mein Sturm war lauter als jeh zuvor. Er raste durch jede Zelle meines Körpers, setzte mich unter Strom und erweiterte meine Sinne.
Ich roch den Schweiß, die Angst, die Nervösität. Da war das Scharren der Füße, das Klappern der Karren, die Stimmen, gelegentliches Husten und so viele Herzschläge, die ein ganzes Crescendo verursachten.
Meine Sicht war gestochen scharf und ich sah Einzelheiten in der Ferne, die ich sonst nicht gesehen hätte.
Zum Beispiel, wenn ich jetzt quer über den Hof zu einen der Türme hochsah, konnte ich den einzelnen Raben genau erkennen, der auf den von den Diamanten glitzernden Dach saß.
Sein schwarzes Auge, das schillernde Gefieder.
Genauso wie ich sein Krächzen hörte, ehe er davonflog, wodurch ich meine Aufmerksamkeit auf Drystans Eltern richtete.
Sie standen vor uns auf den Stufen des Palastes und hatten alle Soldaten auf dem Hof zusammengerufen, sodass eine wilde Gruppe aus Koranéeanern und Deleriern vor ihnen stand. Zahlenmäßig erreichten wir knapp die Tausend.
Entsprechend eng war es hier auch.
Rechts vom König in seiner blauen Robe und Musselinmantel, standen Drystan und Chara mit ernsten Gesichtern. Die Prinzessin in ihrer leichten, delerischen, weißen Rüstung und der Prinz in Kettenhemd, blauem Gewand drüber und den metallenen Schonern.
Links von König stand seine Frau in einem eleganten, dunkelblauen Kleid gekleidet und daneben General Lasberc. Im Gegensatz zu den anderen, die entschlossene, zuversichtliche Mienen aufsetzen, machte er niemanden etwas vor, wie wenig er von dem Kampf hielt.
„Heute liegt eine große Aufgabe auf euren Schultern", sprach der König zu den Soldaten, „Ihr müsst unseren Verbündeten beschützen. Der Verbündete, der uns im Krieg gegen Allstair und seine Infizierten unterstützt. Der unseren Nachteil ein Stück ausgleicht."
Seine blauen Augen, die Drystan geerbt hatte, glitten über die versammelten Soldaten, Königswächter und Delerier.
„Heute tragt ihr einen entscheidenen Beitrag zu unserem Sieg über Allstair bei."
Die Worte kamen ihm mühelos über die Lippen. Und beinahe hätte man es ihm abkaufen können, dass wir eine reelle Chance hatten.
Aber die, die die Nachrichten von der Grenze erhalten hatten und die Not auf dem Land kannten, wussten es besser.
„Um den Hafen rechtzeitig zu erreichen, wird Prinzessim Chara die Zeit anhalten und so das rechtzeitige Erreichen des Hafens gewährleisten. Denn die Götter haben uns erhört. Einmalig wird ihr diese Fähigkeit garantiert, um die Delerier, die uns unterstützen, zu schützen."
Überraschtes Gemurmel kam auf und einige Körpfe wurden zusammengesteckt.
Ich hatte gewollt, dass meine Fähigkeiten nicht vor allen bekannt gegeben wurden. Lieber, ich behielt den Trumpf für mich und spielte ihn aus, wenn ich ihn brauchte. Es wussten bereits genug Leute davon.
Darauf konzentriert, mich nicht wieder in den auf mich einstürzenden Eindrücken zu verlieren, ließ ich die Rede des Königs über mich hinwegspülen, wartete das Applaudieren und gegenseitige Schulterklopfen der Soldaten ab und schwang mich schließlich wie alle anderen auf das Pferd.
Mit einem kurzen Blick zum Himmel ließ Drystan das Zeichen der Götter über uns schweben als wir die Mauern des Palastes verließen und durch die Straßen zogen. Wir bildeten ein langen Zug, mit den frisch verheirateten Paar an der Spitze, Martell und Aramis zu ihren Flanken und mich und Naevan dazwischen.
Mir hatte man einen schwarzen Hengst gegeben, Naevan eine weiße Stute.
Uns folgten die Offiziere auf ihren Pferden, dann die Karren mit Material und Waffen. Dazwischen marschierte ernste Soldaten, denn Rede und Magie hin oder her, wir zogen in die Schlacht.
Und mittlerweile war kein Geheimnis mehr, wie gefährlich die Infizierten für uns waren.
Die Bewohner traten aus den Häusern des ersten Rings. Es waren einige mehr, als bei meinem Aufbruch zu der Mission, denn die Flüchtlinge vom Land waren dazugestoßen.
Man nickte uns zu, zollte und Respekt, aber es gab keinen Jubel.
Wir erreichten die Tore der Stadt, wovor noch immer die vielen klagenden Menschen standen und verzweifelt Einlass forderten.
Bevor ich mich fragen konnte, wie wir an ihnen vorbei kommen sollten, ohne sie zu überrennen, machte Chara einen Wink mit der Hand. Das Tor hob sich, die Menschen dahinter wurden auf magische Weise sanft zur Seite geschoben, sodass sich eine Passage für uns bildete, die die Flüchtlinge nicht durchbrechen konnten.
Erst verstanden sie nicht, was los war, dann erkannten sie das Paar und verbeugten sich schnell.
„Verbeugt euch nicht!", rief Chara ihnen zu, als wir durch die Passage ritten, „Ihr habt mehr als genug auf euch genommen."
Mit ausdrucksloser Miene glitten meine Augen über die hungrigen Gesichter, schreienden Babys, schmutziger Kleidung. Natürlich stank es auch nach ungewaschenen Körpern, denn viele harrten seit mehreren Tag vor der Stadt aus.
Vielleicht sollte ich Mitleid empfingen. Vielleicht sollte sich mein Gewissen melden, dass ich nichts unternahm.
Aber es war nicht so. Wenn ich in mich rein horchte war da nur Stille, denn jegliche Moral hatte Allstair mir rausgeschnitten.
Und irgendwie machte mich die Stille in meinem Inneren nur noch trauriger.
Sieh dem Monster ins Gesicht.
Schnell richtete ich meinen Blick geradeaus und sammelte mich. Sobald der letzte Soldat die Stadt verlassen hatte, breitete ich meine übernatürlichen Sinne aus.
Ich erfasste die ganzen Soldaten hinter mir, die Reittiere, die Offiziere. Jeden einzelnen Herzschlag.
Naevans hörte ich am lautesten. Ihn konnte ich deutlicher wahrnehmen, als alle anderen und das lag nicht daran, dass er neben mir ritt.
Aber ich ließ mich nicht davon ablenken, nahm all das in mir auf. Die vielen Leben, um mich herum, durch die das Blut rauschte.
Ich sammelte die Unmengen an Magie in mir, die ich dank Drystan und Chara in mir spürte. Ließ meinen Sturm sich in mir ausbreiten und jede Zelle erfüllen, bis mein ganzer Körper bebte.
Und dann packte ich die Zeit.
Und unsere Welt wurde still.
Einige Soldaten blieben stehen und sahen verwirrt zu einige schwarzen Vögel am Himmel, die mitten in der Luft erstarrt waren. Es gab keine anderen Geräusche abgesehen von den Schritten und Atmen des Zuges.
Naevan wirkte unbeeindruckt und behielt seinen Blick gerade aus. Wie schon den ganzen Tag sah er es nicht notwendig, mit mir zu reden.
Drystans Atem stockte und er sah über die Schulter fragend nach hinten zu mir.
Ich nickte knapp als Zeichen, dass alles funktionierte und seine Mundwinkel hoben sich erleichtert.
Die Soldaten begannen leise zu tuscheln und den Pferden schien die Situation nicht ganz geheuer. Immer wieder scheuten sie, aber ich hatte keine Zeit darauf zu achten.
Ich war voll und ganz darauf konzentriert das Netz aus Energie, um uns alle zu halten, damit keiner zurückblieb.
Denn so viel Magie ich im Moment auch in meiner Brust hatte, so schwer war es sie kontrolliert nach außen zu lassen.
Wenigstens hatte ich genug Macht in mir, um es ohne Körperkontakt zu bewerkstelligen. Das wäre sonst ziemlich frustrierend gelaufen.
Schnell meldeten sich Kopfschmerzen, aber ich biss die Zähne aufeinander. Mir blieben nur noch zwei Tage zu leben und ich würde mich von nichts unterkriegen lassen.
Zwei Tage hatte ich mehr oder weniger akzeptiert, aber ich verreckte keine Sekunde früher.
Wir legten zwischendurch Rast ein, aber ich behielt die Zeit weiterhin im Griff. Es zählte jede Sekunde, denn je früher wir da waren, desto besser konnten wir uns gegen den Angriff vorbereiten. Und Vorbereitung war alles, was uns gegen die Infizierten blieb.
Ich beobachtete General Lasberc, wie er sich unter den Soldaten bewegte. Er selbst war nicht viel älter als die meisten, schließlich hatte er seinen Posten erstaunlich jung erreicht.
Jedenfalls redete er auf Augenhöhe mit ihnen, hörte ernst zu und aß mit ihnen zusammen.
Chara gesellte sich zu ihren Landsleuten, denn auch sie pflegte einen persönlichen Umgang. Zwar wechselten sie sofort ins Delerische, aber würde ich es wollen, konnte ich auch dort zuhören.
Naevan saß im Schneidersitz neben mir, wenn auch mit ein wenig Abstand und distanzierter Miene. Wie eigentlich den ganzen Tag, redete er nicht direkt mit mir.
Es war ungewohnt ihn in schwarzer Tunika und Hose im koranéeanischen Stil zu sehen, aber zu behaupten, es würde nicht gut aussehen, wäre gelogen.
Für die Schlacht hatte er sich den ausfahrbaren Stab ans Kreuz gebunden und es überkreuzten sie zwei schmale Klingen auf seinem Rücken. Zusätzlich steckte ein Dolch an einem Band an seinem Oberschenkel.
Verdreifachte man die Zahl an Waffen, kam man der Anzahl an meinem eigenen Körper schon näher, denn ich war ins vollausgestatteter Montur aufgebrochen.
Schließlich gesellten sich Drystan, Aramis und Martell zu mir, wobei sie Naevan knapp zunickten.
„Na?Bereit ein paar Infizierten gehörig in den Arsch zu treten?", fragte Martell, als er sich neben mir zu Boden gleiten ließ. Aramis neben ihm und Drystan mir gegenüber.
Der Prinz wirkte angespannt und sah grimmig drein, beachtete die Worte seines Freundes kaum.
Ich zuckte nur die Schultern. Die Magie in mir gleichmäßig durch mich hindurchfließen zu lassen, wurde immer anstregender, aber ich schwieg und machte weiter.
Wie oft war ich weiter gegangen, als mein Körper eigentlich konnte? Wie oft war ich bis an meine Grenzen gekommen und hatte immer noch kämpfen, immer noch dienen, immer noch ausdruckslos sein müssen?
Allstair hatte mich gestählt und deswegen würde ich uns bis nach Kreel bringen.
Das tat ich nicht für die andern oder für die Delerier.
Das tat ich für mich.
Denn egal, wie schwer das Schwert über meinem Kopf baumelte, es würde mich nicht klein kriegen.
Eine Weile schwiegen wir alle und beobachteten die anderen Soldaten um uns herum.
"Das mit der Magie ist echt krass", bemerkte Aramis mit seiner ruhigen Stimme, "Du hattest uns davon erzählt, aber das hier hat ganz neue Ausmaße."
"Es ist keine Magie", brummte Naevan von der Seite, ohne in unsere Richtung zu schauen.
Langsam drehte ich meinen Kopf zu ihm, wartete darauf, dass er mich ebenfalls ansah. Als er das nicht tat, fragte ich:
"Bist du es nicht leid, das immer wieder zu betonen, wenn dir keiner Beachtung zu schenken scheint?"
Weiterhin ließ ich meinen Blick brennend auf ihn ruhen. Forderte ihn heraus, das erste Wort seit Stunden an mich zu richten.
Er atmete ein und aus, behielt seinen Blick aber geradeaus.
"Magie ist was völlig anderes. Du kannst Magie aufnehmen und nutzbar machen, aber sie ist kein Teil von dir."
"Ich weiß", sagte ich kühl.
"Wenn du es wüsstest, würdest du es nicht falsch bezeichnen wollen."
Das war kindisch. Dieses Gespräch drehte sich um eine unwichtige Kleinigkeit, aber es ging mir gegen den Strich, dass er mich nicht mal ansah. Als hätten wir nie unserem Herzschlag zugehöhrt, als hätten wir uns nie gegenseitig aus der Panik geholt und als hätte es gestern Abend auf der Spiegelebene nie gegeben.
Als würde er nicht diese Energie spüren, die uns verband. Den Sturm, den jeder in sich trug.
Vielleicht ärgerte ich mich auch, dass ich wegen sowas unwichtigen wie seiner Aufmerksamkeit aufgewühlt war.
Und wenn es ein Streit sein musste, dass wir miteinander redeten, dann sollte es so sein. Lieber diskutierte ich mit ihm, als dieses Schweigen.
Also besann ich mich auf unseren üblichen Streitpunkt:
"Ich denke, ich werde mehr Infizierte erlegen."
Das schien ihn zu amüsieren und endlich sah er mich an.
Überheblich, als hätte er ein Kind vor sich, dem er die Welt erklären müsste, aber trotzdem.
"Haben dich unsere bisherigen Kämpfe denn nichts gelehrt?"
"Sie haben mich gelehrt, dass du eine Schwäche in der Deckung deiner Flanke hast."
Jetzt runzelte Naevan die Stirn und eine Strähne seines schwarzen Haares fiel ihm ihn die Stirn.
"Ich habe keine Lücke in meiner Deckung."
Jetzt drehte ich den Kopf meinerseits weg. "Doch hast du."
Hatte er nicht. Seine Deckung war doppelt und dreifach dicht, aber es machte mir Spaß zu sehen, wie er sich an unsere Kämpfe zurück erinnerte und nach dieser Lücke suchte. Das erkannte ich an dem leichten verkniffenen Zug um seinen Mund.
"Man könnte meinen in deiner Gegenwart ist Nemesis gesprächiger als üblich", bemerkte Matell mit einem erheiterten Lächeln. Aramis neben mir nickte zustimmend.
Nun schien auch Drystan dem Gespräch zu folgen, denn er sah mit berechnender Miene zwischen Naevan und mir hin und her.
Wo ich schwieg, seufzte Naevan mit einem gelangweilten Blick zu dem Gardisten:
"Was wollt Ihr damit andeuten?"
Schulterzuckend stütze dieser sich mit den Armen nach hinten ab und lehnte sich zurück.
"Nichts, nur bei dir ist sie....", er suchte nach dem richtigen Wort, da kam Aramis ihm leise zu Hilfe.
"Lebhafter. Sie ist lebhafter."
Martell schnippte in die Richtung seines Freundes. "Genau. Lebhafter."
Mein Gesicht verriet nichts, als ich trocken sagte:
"Wenn du mit lebhaft, genevt meinst, kann ich mich dir anschließen."
Ich nickte knapp zu dem Hüter.
"Und reden tue ich, weil er einen Dämpfer für sein Ego verdient hat."
Naevan sah mich mich hochgezogenen Augenbrauen an.
"Ehrlich, was ist mit dir los?"
"Nein, was ist mit dir los?", zischte ich und begegnete seinem Blick.
Seine bernsteinernende Augen brannten sich in meine und wieder hielt ich unbemerkt den Atem an. Die Luft zwischen uns lud sich auf und sein Gesicht war voller ungesagter Dinge. Da steckte etwas hinter seiner Distanz und es war nicht nur, dass wir beschlossen hatten uns zu hassen.
Aber die anderen waren ebenfalls anwesend, weswegen wir beide wieder wegsahen und grimmig taten, als wäre der jeweils andere Luft.
Wir erreichten Kreel, da war es kurz nach Mittag. Mit so wenig Rast wie möglich hatten wir einen Zwei-Tages ritt innerhalb eines halben Tages zurück gelegt. Auch wenn wir selbst in der geforeren Zeit tatsächlich achtunvierzig Stundne unterwegs gewesen waren.
Während dieser ganzen Reise hatte ich die Magie nur losgelasssen, um wenige Stunden zu schlafen, dann aufzuwachen und sofort weiter zu machen.
In der gleichen Formation, wie wir auch aufgebrochen waren erreichten wir die Hafenstadt.
Als wir die offenen Tore passierten, schlug mir sofort die salzige Luft entgegen und milderte die Kopfschmerzen ein wenig.
Endlich konnte ich den Griff um die Zeit losassen und mit einem Seufzen schickte ich den Sturm zurück in die Tiefe, wo er warten würde, bis ich die Klingen in die Hand nahm.
Und dann gab es für niemanden ein Entkommen.
~2300 Wörter
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