55
Nemesis
Naevan nickte ernst und ließ sich elegant im Schneidersitz zu Boden gleiten. Eine Bewegung so lautlos, so natürlich, als hätte er nie etwas anderes gemacht.
Als ich es ihm gegenbüber gleichtat, fiel mir ein, dass er genau so im Tempel dar gesessen hatte, als ich gekommen war, um die Magie zu holen.
"Was ist mit deinen Erinnerungen?", fragte ich leise.
Das Lächeln, dass er mir schenkte, war kein fröhliches Lächeln.
"Ich habe Übung."
Nickend bohrte ich nicht weiter nach, sondern fokkussierte mich auf das Unbekannte. Beunruhigt stellte ich fest, dass ich nervös war. Vermutlich, weil ich sowas noch nie getan hatte.
Wobei ich zugeben musste, dass die Nervosität nicht von der Bedingung kam, Naevan zu vertrauen. Das war überraschenderweise der leichte Teil.
Nein, es ging um die Erinnerungen und was ich dem Hüter gegenüber preisgeben könnte.
Ohne die Augen von meinem Gesicht abzuwenden, rutschte er näher ran, sodass unsere Knie sich fast berührten. Dann hielt er mit seine geöffneten Handflächen hin.
Gerade wollte ich meine Hände drauflegen, da murmelte er leise: "Ohne Handschuhe"
Meine Hände erstarrten. "Was?"
"Wir brauchen Hautkontakt, sonst kann ich dich nicht mit mir nehmen"
Meine Miene von Außen immer noch unbeteiligt, wappnete ich mich und zog die Handschuhe aus. Ohne sie fühlte ich mich verwundbar und mir fehlte ein Anker, der mich beruhigte. Sie waren wie Messer, mit denen ich mich sicherer fühlte.
Trotzdem zwang ich mich dazu, meine Hände auf seine zu legen. Seine Handflächen waren warm, wenn auch schwielig vom Umgang mit seinem Stab. Auch wenn die Sonne bereits unterging, waren meine Narben deutlich zu sehen.
Einen Moment lang ruhten seine Augen auf unseren Händen, dann richtet er seine Aufmerksamkeit auf mein Gesicht. Da war kein Schalk, keine Überheblichkeit.
Er war todernst. Und mit seinem Blick gab er mir zu verstehen, dass er verstand, wie schwer das Loslassen der Handschuhe war.
"Schließ deine Augen und lass dich einfach fallen. Es wird anfangen zu kribbeln und du wirst merken, wie du abdriftest. Halte dich nicht an deinen Körper fest. Lass einfach los."
Ich nickte und hinderte meinen Atem daran schneller zu gehen.
Also schloss er die Augen und ich tat es ihm nach. Die Stelle, an der unsere Hände sich berührten, überdeutlich spürend. Aber auch wenn ich mich mit der bloßen Haut unwohl fühlte, so hielt Naevans Duft und die Berührung mich davon ab, in Erinnerungen zu versinken.Vor allem da ich in der Stille der Bibliothek, umgeben von alten Wissen und Worten, seinen Herzschlag hören konnte, der mich erdete.
Das versprochene Kribbeln setzte ein. Von unseren Händen aus, wanderte es meine Arme hoch und verteilte sich in meinem ganzen Körper. Es war nicht das elektrisierende Kribbeln, wie wenn Naevan und ich die Verbindugn zwischen uns spürten. Es war etwas, dass einen schwerelos werden ließ und träge machte.
Ich merkte, wie mir das Bewusstsein entglitt und mein erster Instinkt war dagegen anzukämpfen, doch Naevan drückte sanft meine Hand.
Ich vertraute ihm.
Also ließ ich los.
Als ich die Augen blinzelnd öffnete, war die Bibliothek verschwunden. An ihrer Stelle erstreckte sich eine endlose Spiegelebene vor mir, die beinahe nahtlos mit dem blauen Himmel und den fluffigen Wolken am Horizont verschmolz.
"Hier habe ich dich das erste mal gesehen", wurde mir klar, als ich den Kopf zu Naevan neben mir drehte, "Im Traum."
"Nur, dass es kein Traum war. Unser Geist war wirklich hier", bestätigte er und setzte sich in Bewegung. Bei jedem Tritt wellte sich die Oberfläche der Bodens wie Wasser.
Ich folgte ihm, nahm die friedliche Stille in mich auf und die Tatsache, dass wir ganz allein waren.
"Wie konnte ich hierhin gelangen, wenn ich nicht mal davon wusste?"
Naevans Miene wirkte hier entspannter, als wäre ihm diese Ebene viel vertrauter, als die reale Welt. Vielleicht war das auch so, da es nicht seine war.
"Ich nehme an, durch das Amulett warst du mit mir verbunden, als ich diese Ebene betreten habe."
"Das heißt, du wusstest, dass ich komme?"
Er blieb stehen und seine Augen glimmten silbern. Wobei sie nicht vollständig leuchteten, sondern es waren die feinen Adern er Iris die aussahen wie flüssiges Silber.
"Ich habe dich schon weit vor dem Tempel gespürt", gestand er leise und irgendwie hatte ich das Gefühl, es steckte mehr hinter diesen Worten.
Bevor ich aber weiter nachhaken konnte, hob Naevan die Hand und eine edle, elfenbeinfarbene Tür kristallisierte sich direkt vor uns. Sie war mit eleganten Mustern und bronzenen Emblems verziert. Beim genaueren Hinsehen erkannte ich Runen, die sich an die Form der Schnitzereien schmiegten.
"Du bist öfters hier gewesen", stellte ich fest und er nickte. Wieder hatte er dieses einsame Lächeln im Gesicht, das mir das Herz brach, weil ich die tragweite seiner Einsamkei Stück für Stück zu begreifen begann.
"Ich wollte der fremden Welt entfliehen", murmelte er, den Blick starr auf die Tür gerichtet, "Ich habe viel der Zeit im Tempel mit Meditieren verbracht und bin auf die astrale Ebende gekommen."
Er stieß die Luft aus und da es keine Worte zu sagen gab, griff ich kurzerhand nach seiner Hand. Fehlende Handschuhe hin oder her.
Überrascht sah er auf und ich erwiderte seinen Blick entschlossen.
Das ließ Naevans Züge weicher wirken.
"Während wir durch diese Tür treten, muss du an das Geistwesen denken. Stell es dir so genau vor wie möglich."
Ich nickte knapp. Dieses Ding würde ich nicht so schnell wieder vergessen.
Naevan griff nach dem bronzenen Türknauf und wir traten hindurch. Dabei ließ keiner die Hand des anderen los.
Erst durch gleißendes Licht geblendet, gelangten wir in eine ganz neue Szenerie.
Dieses Mal war unsere Umgebung dunkel, die mit Sternen gefüllte Galaxie erstreckte sich über unseren Köpfen und Planeten kreisten über sie hinweg. Violettes und blaues Licht warf seinen sanften Schimmer auf uns, als wir auf die gekachelte, runde Platte traten.
Ich stellte fest, dass wir inmitten dieser Galaxie schwebten, das beduetete, nach dem Ende des Bodens, ging es runter in die unendliche Weite.
Die Tür hinter uns löste sich Funken sprühend auf und ich sah hoch zu Naevan.
Auch wenn ich mir sicher war, meine Züge gut unter Kontrolle zu haben, meinte er beruhigend:
"Keine Sorge. Wir können jederzeit zurück."
"Sieh an, sieh an", ertönte es von vorne und unsere beiden Köpfe fuhren herum.
Vor uns stand eine junge Frau, mit langem bis zum Boden reichenden, weißem Haar und violetten Augen. Um ihre Stirn lagen funkelnde Kristalle, die auch an ihrer schillernden Robe klimperten. Als sie sich auf uns zu bewegte schimmerte der Stoff in den unterschiedlichsten Tönen von Violet.
"Nemesis Warleight, ich hätte nicht gedacht, dass du auf der Suche nach Antworten nochal zu mir finden würdest."
Nun sah sie an Naevan hoch und runter.
"Und wie es aussieht war deine Mission in der Wüste erfolgreich."
Meine Miene war undurchdringlich als ich sie ansah. Ich erkannte sie als das Geistwesen wieder, das mir mehr Erinnerungen abverlangt hatte, als ausgehandelt. Aber ich brauchte seine Hilfe, also hielt ich meine Wut zurück. Was konnte ich auch tun? Es war eh schon quasi-tot.
Als Naevan und ich beide berechnend schwiegen, seufzte die Frau und zauberte mit einen Wink drei rote, samtbezogenen Sessel herbei.
"Setzt euch, ihr habt Fragen."
Wir beide tauschten einen Blick, ließen uns dann aber auf die Sessel fallen. Das Geistwesen selbst machte es sich auf dem Sessel uns gegenüber bequem.
"Stellt eure Fragen. Ich weiß ganz genau, wie kanpp deine Zeit ist, Nemesis."
Sofort wurde ich misstrauisch. An der Art wie Naevan wachsam wurde, erkannte ich, dass es ihm genuaso ging.
"Was ist der Preis", verlangte ich also zu wissen.
"Der Preis ist, dass Riniah und Xenos in der Hölle schmoren und ihre verdammte Magie nicht bekommen."
Sie sprach die Worte so süffisant aus, dass sie nicht zu ihrem Inhalt passen wollten, aber die Frau versuchte nicht ihre Abniegung gegenüber den Göttern zu verbergen.
"Sie haben mich unterm Schloss eingesperrt und hungern lassen."
"Wieso haben sie dich da eingesperrt?", fragte Naevan, "Wie hast du ihnen im Weg gestanden?"
Die Frau strich sich über das weiße Haar.
"Ich habe Arnicus im ersten Krieg Informationen gegeben. Das hat dem Götterpaar einige Verluste gekostet."
Ihr Blick warnte uns davor, weiter nachzufragen, also kam ich auf den eigentlichen Grund zurück, warum wir hier waren.
„Ich muss einen Weg finden, den Deal aufzulösen", informierte ich das Geistwesen, „Wie mache ich das?"
Fast schon enttäuscht sank es in dem Sessel ein Stück zurück.
„Wenn das eure Frage ist, dann wir das Gespräch sehr kurz: Es gibt keinen."
Eiskalt sah ich es an:
„Gibt es nicht oder willst du uns nicht sagen?"
Mit einem entschuldigenden Lächeln schüttelte es den Kopf.
„Ein Deal dieser Art ist absolut bindend und keine Macht der Welt kann ihn auflösen. Es gibt keine Möglichkeit zu tricksen oder zu täuschen. Entweder du erfüllst ihn oder du erfüllst ihn nicht."
Panik wollte sich meinen Hals hinaufklettern zu einem wütenden Schrei, aber ich drückte ihn runter und zwang jegliche Angst aus meinem Blick. Mit einem heftigen Tritt, stopfte ich sie nach unten und konzentrierte mich mit aller Macht auf das Hier und Jetzt.
„Die einzige Wahl, die euch bleibt, ist wer von euch beiden stirbt", setzte das Geistwesen resigniert nach, „Und mehr könnt ihr nicht tun."
Naevans Kiefer zuckte und er vermied es mich anzusehen. Dabei warf ich ihm nichts vor. Ich würde meine Rache genauso sehr bekommen wollen, wie er seine.
Aber das hieß nicht, dass ich den Geist nicht noch andere, genauso wichtige Fragen stellen konnte:
„Wer ist der Verräter in unseren Reihen?"
Die Frau vor uns schlug die Beine übereinander und zuckte die schmalen Schultern.
„Ich weiß es nicht."
„Du weißt es nicht?", wiederholte ich ungläubig, „Verarsch mich nicht."
Naevan räusperte sich warnend und auch die Augen des Geistwesens wurden schmal.
„Sei dir bewusst wo du bist und mit wem du sprichst. Das hier ist mein Reich und bilde dir nicht ein, hier sicher zu sein oder so mit mir reden zu können."
Ich sah ohne eingeschüchtert zu sein zurück. Der Geist hatte mich zu Erinnerungen gezwungen, die nicht ausgemacht waren und verdiente keinen Tropfen meines Respekts.
„Nachdem, wie du mit meinen Erinnerungen umgegangen bist, kann ich mir genau diesen Ton erlauben", erwiderte ich kühl, „Und ich glaube dir nicht, dass du es nicht weißt."
Die Frau verkniff den Mund und ich war mir sehr wohl der Gefahr bewusst, die sie ausstrahlte. Auch Naevan richtete sich kaum merklich auf, bot mir aber keinen Einhalt.
„Ich kenne den Verräter nicht. Wenn ich danach suche, wird die Vision schwarz. Irgendwas hindert mich daran, zu sehen"
Als ich den Geist forschend in das blasse Gesicht sah, bemerkte ich, dass ihr diese Tatsache missfiel. Und ob es mir behagte oder nicht. Sie sagte die Wahrheit.
Ich war echt versucht den Fuß gegen diese Sessel zu treten, aber das war kindisch und würde mich nicht weiter bringen. Also sah ich die Frau einfach weiter düster, wenn auch ausdruckslos, an.
Nun richtete sich die Aufmerksamkeit des Geistes auf Naevan.
„Und? Hat der Hüter der Magie auch eine Frage auf der Seele?"
Der Angesprochene neigte kaum merklich den Kopf und ich spürte den Sturm in ihn aufbranden.
„Wie tötet man einen Gott?"
Der Geist hob die Augenbrauen und richtete sich auf.
„Das ist eine gefährliche Frage, die einen auf einen gefährlichen Weg bringt."
„Den gefährlichen Weg bin ich längst gegangen", sagte Naevan ruhig, „Sag mir, was ich tun muss."
Ich musterte ihn von der Seite. Sah die Wut, die Entschlossenheit.
Und wieder zog mich etwas zu ihm hin. Eine Kraft, die ich nicht benennen konnte, die hier auf der Ebene stärker war als zuvor.
„Ein Gott kann nur getötet werden, wenn er in der physischen Welt ist. Wenn er im Körper seines Gefäßes ist. Wenn man dieses Gefäß umbringt, stirbt auch der Gott in ihm."
Naevan nickte knapp, ließ sich nicht anmerken, welche Gedanken ihn gerade durch den Kopf gingen.
Jetzt sah die Frau ihn aus violetten Augen eindringlich an und ich hatte das Gefühl die Luft wurde kälter.
„Aber sei gewarnt. Die Energie, die freigesetzt wird, wenn ein Gott stirbt, ist nicht für deinen Körper gemacht. Wenn du Glück hast, stirbst du direkt."
Der Hüter zeigte keine Spur der Angst.
„Und wenn ch kein Glück habe?"
„Wirst du zum Infizierten."
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