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Nemesis
Phyrros' Augen weiteten sich.
„Drystan lebt noch?"
Als ich nickte, lächelte er sichtlich erleichtert, aber ich konnte mir den Kommentar nicht verkneifen:
„Wenn König Allstair ihn hätte töten wollen, hätte er ihn nicht entführt."
Der Mann vor mir schnaubte. „Ich traue es ihm durchaus zu, dass er seine Meinung kurzfristig ändert."
Dagegen konnte ich nicht wirklich etwas sagen, also fragte ich stattdessen:
"Wie ist die Lage wegen dem Krieg? Was ist mit den Minen?"
Das Lächeln des persönlichen Dieners verschwand und das Misstrauen in seinen dunklen Augen war wieder deutlicher zu sehen. Trotzdem gab er mir die Information:
"Die Minen und das Gebiet drum herum sind gefallen, aber König Allstair ist seitdem nicht weiter vormarschiert. Die dort stationierten Soldaten haben sich zurück gezogen, kümmern sich um ihrer verletzte und warten auf weitere Befehle."
Fluchend schlug ich gegen die Wand neben mir, was Phyrros mit hochgezogenen Augenbrauen kommentierte. Vor allem, da mein Schlag kleine Risse hinterließ, da ich mich noch immer im Kampfzustand befand.
"Wohl eines der vielen Mysterien, über die Ihr weder Drystan noch mich aufgeklärt habt", murmelte er mit dem Blick zu dem zerbröckelten Stein.
Düster ließ ich die unverletzte Hand wieder sinken. "Der Prinz weiß inzwischen alles, was er wissen muss. Bestimmt wird er es Euch erzählen."
"Wieso tut Ihr es nicht selbst?"
"Ich traue Euch nicht", gab ich offen zu, "Drystan tut es, also soll er beurteilen, was Ihr wissen sollt und was nicht."
Ungläubig schüttelte Phyrros den Kopf.
„Ihr vertraut mir nicht? Die, die doch nichts von sich preisgibt."
Nochmal sah er an mir hoch und runter.
"Wobei sich irgendwas zu verändert haben scheint. Etwas ist in Leymalien passiert."
"Der König ist passiert", knurrte ich und machte mich daran die Fassade des Hauses wieder hochzuklettern, "Ihr könnt das Schloss informieren, dass der Prinz heimkehrt. Ich bringe die anderen zu den Toren der Stadt."
"Verstanden."
Ich spürte seinen düsteren Blick auf mir, bis ich über den Dächern verschwunden war.
Als ich kurze Zeit später zwischen den Bäumen auftauchte, diesmal machte ich absichtlich Geräusche, damit sie mich bemerkten und nicht gleich einen Herzinfarkt bekamen, sahen mir Drystan und Chara mit hoffnungsvollen Gesichtern entgegen.
Sie knieten rechts und links von Virginia, dessen Zustand sich zunehmend verschlechterte.
„Und?", Drystan traute sich kaum zu fragen.
„Wir können in die Stadt. Deine Eltern leben noch, aber die Stadt ist trotzdem schwer getroffen worden."
Er atmete schlagartig aus und legte eine Hand auf seine Brust.
„Den Göttern sei dank."
„Dein Kammerdiener wartet auf dich", informierte ich ihn weiter, woraufhin sein Gesicht sich weiter aufhellte. Chara lächelte ebenfalls.
Mit den Pferden und der praktisch bewusstlosen Virginia, ritten wir eilig zu den Mauern der Stadt. Das Tor wurde uns geöffnet, dahinter erwartete uns ein Empfang an einzelnen Soldaten und Deleriern, Phyrros mit einem fetten Grinsen in der Mitte.
Die koranéeanischen Soldaten in blauer Uniform, die Delerier mit ihrer weißen, luftigen Kleidung, dunklen Haut und Ringen an der Hüfte. Beide Gruppen wirkten erschöpft, sahen uns aber mit Freude entgegen.
Drystan grinste genauso breit, als er, kaum dass er durch das Tor geritten war, abstieg und Phyrros in die Arme riss.
Wir stiegen hinter ihm ebenfalls nacheinander ab. Chara wurde von einigen Deleriern begrüßt, die sie ebenfalls erleichtert an der Schulter berührten, sich aber sofort besorgt um Virginia scharrten, die wir wieder auf dem Boden abgelegt hatten.
„Ich hatte solche Angst du wärst tot oder infiziert", flüsterte Drystan in Phyrros' Armen.
Dieser klopfte dem Prinzen kameradschaftlich auf den Rücken.
„Ich hatte ja dank dir frei und konnte mich in der Stadt vergnügen. So war ich außerhalb der Gefahrenzone."
Sie lösten sich und der Diener verzog das Gesicht.
„Glücklicherweise war ich nicht in dem Teil, durch den Renalds gepflügt ist, aber Infizierte haben uns überall angegriffen."
Drystans Erleichterung verschwand und er sah seinen Freund ernst an.
„Ich muss unverzüglich mit meinem Vater sprechen. Es gibt einiges zu klären."
Phyrros nickte wissend.
„Und wir brauchen sofort einen Arzt für Virginia", forderte die Prinzessin bestimmt.
Einer von ihren Gefolgsleuten hatte die Leibwächterin auf den Arm genommen, sodass sie sich uns zuwenden konnte.
Ich stand etwas abseits und behielt alle mit ausdrucksloser Miene im Blick. Dabei hielt ich meine Muskeln davon ab, zu zittern oder meine Beine davor nachzugeben. Zwar hatte ich das schwarze Blut bekämpft und der Schmerz war weg, aber ich war dermaßen erschöpft, dass mir schon schwummrig zu Mute war. Trotzdem stand ich felsenfest auf der Straße vor dem Tor und sehnte mich nach einem Bett und Ruhe.
Phyrros hatte sich sofort um eine Kutsche gekümmert, sodass Drystan, Chara, Virginia und Phyrros einsteigen konnten. Ich entschied mich lieber dazu nicht in einen kleinen Raum gesperrt zu werden und stattdessen auf meinem gestohlenen Pferd nebenher zu reiten. Ein Delerier und ein Koranéeaner bestiegen die beiden anderen leymalischen Tiere und begleiteten die Kutsche mit mir bis zum Schloss. Die restlichen zuvor anwesend Soldaten kehrten zu ihren Aufgaben in der Stadt zurück.
Auf dem Weg wurden mir geschockte Blicke zugeworfen von Bürgern, die meine blubesudelte Kleidung und meine Narben nun sehen konnten. Die Soldaten behandelten mich mit Misstrauen, aber alles andere wäre fast schon eine Beleidigung gewesen.
Mein Blick wanderte von meiner Umgebung zu der dunkelblauen Kutsche. Vermutlich brachten die Verlobten gerade Phyrros auf den neuesten Stand.
Oder er wusste all das schon längst. Noch hatte ich keinerlei Anhaltspunkte, weder für die eine noch für die andere Möglichkeit. Schuldig oder unschuldig, wir würden sehen.
Als wir das Schloss erreichten, hatte sich die Nachricht, dass der Prinz heimgekehrt war bereits verbreitet und es hatten sich jubelnd Menschen aus allen Kreisen vor den Toren versammelt.
Drystan und Chara setzten den Bürgern zuliebe ein Lächeln auf und verbargen ihre bleiernde Müdigkeit. Sie beugten sich ein wenig aus dem Fenster der Kutsche und winkten.
Ich musterte die Menschen ausdruckslos. Viele davon hatten Schmutz an ihrer Kleidung haften von den Reparaturarbeiten und ebenso viele schienen verletzt.
Mit der Kutsche und unserer kleinen Eskorte kam ich auf dem Hof mit der goldenen Statue von Riniah an. Besonders der Reif und das Schwert reflektierten die Mittagssonne und ich musste die Augen ein wenig zusammenkneifen.
Wo waren die Götter geblieben, als ich Drytsan und Chara befreit hatte? Wo war ihr Schutz?
Ich dachte an Drystans Licht zurück, das explosionsartig von ihm ausgegangen war. Ich nahm an das meine durch das schwarze Blut entwickelte Immunität mich geschützt hatte.
Aber ganz offensichtlich verfügte er über Magie... an die er selbst nicht ran kam.
Kopfschüttelnd brachte ich meine Verachtung für die Götter zum Ausdruck und stieg vom Pferd. Bei der Landung wären mir fast die Beine weggebrochen, aber ich klammerte mich am Sattel fest, bis ich wieder sicher war und der gekommene Schwindel wieder verschwand.
Ich brauchte dringend Essen. Und Wasser.
„Drystan!"
Die Königin tauchte auf der Treppe zum Schloss auf und rannte diese mit gerafften Röcken nach unten. Ihr Kleid war nichtsdestotrotz schlichter als sonst. Ganz in schwarz, mit kleinen Edelsteinen am Rocksaum und an ihrem schulterfreien Schnitt. Ihre Locken wehten hinter ihr her, die Krone funkelte in ihrem Haar, als die Königin die Arme aufriss, um ihren Sohn zu empfangen, der ihr entgegen gerannt kam.
Beide fielen sich schluchzend um den Hals.
Hinter der Königin kam der König gemessenen, wenn auch schnellen Schrittes hinterher. Seine blauen Augen glitten über die versammelte Truppe, blieben kurz an mir haften, ehe auch er seine Familie umarmte.
„Wir dachten, wir hätten dich verloren!"
Die Königin drückte Drystan noch fester.
„Es gab keinen Erpressungsbrief, kein Lebenszeichen..."
Die Eltern ließen Drystan los und die Königin schob ihn auf Armeslänge von sich, um überprüfen zu können, ob es ihm gut ging.
Mit besorgten Blick musterte sie den zerrissenen Saum seiner Hose, paar Schnitte und Schrammen von dem Kampf mit den Soldaten in den Ställen.
Beruhigend nahm der Prinz die Hände seiner Mutter von seinen Schultern und drückte diese sanft.
„Mir geht es gut. Alles dank Nemesis."
Jetzt wandten sich die Gesichter mir zu. Drystan löchelte mir dabei schwach zu, was ich nicht erwiderte.
Stattdessen begegnete ich unbeeindruckt den kalten Blick des Königs. Ich war eine Leymalierin, eine Mörderin der Gardisten, die mich verfolgt hatten.
Seine Krone blendete mich, als er den Kopf knapp neigte. „Ihr habt unseren Dank, aber Eure Lügen sind in Zeiten eines Krieges gegen Eure Heimat nicht vergessen. Haltet Euch im Schloss auf, solange Ihr braucht, um Euch auszuruhen. Danach sollt Ihr gehen."
„Sie hat uns zur Flucht verholfen."
Chara war aus der Kutsche ausgestiegen und stellte sich neben mich, während der Delerier Virginia eilig ins Schloss trug. Vermutlich wurde sie zu Alaric gebracht.
Die Prinzessin fuhr mit gestrafften Schultern und ihrem Akzent fort: „Sie hat sich gegen König Allstair gestellt. Ihre Loyalität ist bewiesen."
Auch wenn ich Chara respektvoll zunickte, dass sie mich verteidigte, wandte ich mich wieder dem König zu. Die Königin stand noch immer bei ihrem Sohn, hatte ihre dunklen Augen aber ebenso auf mich gerichtet. In ihren Augenwinkeln trockneten noch Tränen, aber ihr Mund bildete eine unschlüssige Linie.
„Ich werde nicht lange bleiben", informierte ich Drystans Eltern, „Jetzt, wo euer Sohn wieder in Sicherheit ist, kann ich meine eigenen Wege gehen."
Der Prinz sah mich unglücklich an, widersprach aber nicht.
Kaum merklich atmete der König aus.
„Ich weiß, dass Ihr nicht dem leymalischen König dient"
Er wandte sich um, um wieder rein zu gehen.
„Aber genauso wenig dient Ihr mir."
Ich schwieg, da ich nichts dagegen zu sagen hatte. Wieder überkam mich der Schwindel, aber ich blinzelte dagegen an. Gleichzeitig gesellt sich eine schlagartige Übelkeit dazu.
„Wir sollten rein", beschloss die Königin, in das entstandene Schweigen hinein, „Eure Betten warten auf euch."
Ihre Augen trafen auf meine. „Auf euch alle."
Chara beschloss zuerst zu ihrer Freundin zu gehen, was Drystan ebenfalls tun würde, sobald er sich erholt hatte. Die Reise war lang gewesen und wir hatten weder ausreichend Essen noch genügend Schlaf gehabt.
Ich begleitete den Prinzen noch bis zu seinem Gemach. Seine Eltern hatten schnell wieder zu einer Ratssitzung gemusst. Die Lage war noch immer brenzlig und der Krieg ging weiter.
Vor seiner Tür wandte er sich zu mir um. Hinter meiner Maske bemerkte er meine Erschöpfung nicht, auch wenn ich mich kaum noch auf den Beinen halten konnte.
„Vielen Dank, dass du uns da raus geholt hast", sagte er leise, „Ich glaube, in meiner Angst hatte ich dir das noch gar nicht richtig gesagt."
Entschuldigend sah er zu mir runter.
„Ich war zu beschäftigt damit, wie du es getan hast."
Ich musterte ihn in dem weißen, wenn auch verdreckten Hemd. Die Verletzungen, die er davon getragen hatte und die neuen Schatten in seinem Blick.
„Ich hatte dich vor mir gewarnt", erinnerte ich ihn, „Ich bin kein Unschuldsengel."
Er schmunzelte leicht. „Wohl wahr."
Sein Lächeln verschwand wieder und er holte Luft.
„Ich weiß nicht, ob ich diese Seite von dir... verstehen kann. Ich weiß nicht, wie du einfach so töten kannst und es macht mir Angst."
Mein Gesicht blieb ausdruckslos, auch wenn seine Worte schmerzten.
Schwach.
„Aber ich will trotzdem, dass du bleibst. Du bleibst trotzdem meine Freundin."
Jetzt atmete ich aus. „Ich habe alles an Bach gesagt. Hör auf, mich von etwas anderen zu überreden."
Er presste die Lippen aufeinander, nickte aber knapp. Gerade wollte er in sein Zimmer gehen, da knickten mir plötzlich die Beine weg und ich fing mich überrascht an der Tür ab.
„Nemesis?!"
Drystans kniet sich erschrocken vor mich, hütete sich aber davor, mich anzufassen.
Blinzelnd stützte ich mich auf dem Boden ab und hielt mir mit der anderen Hand die Stirn. Die Übelkeit stieg und Punkte tanzten vor meinen Augen, während mich ein benommenes Gefühl überkam.
„Verdammt", Drystans Stimme war das letzte, das ich hörte, ehe die Welt kippte und in schwarz versank.
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