30
Schweißnass fuhr ich aus dem Traum hoch. Mein Herz raste und ich keuchte, wie als hätte ich tatsächlich stundenlang gekämpft.
Die Panik schlug bereits ein, noch ehe ich meine Situation und Umgebung ganz erfassen konnte. Meine Gedanken überschlugen sich und rasten von ihm zu dem Blut, den Menschen, die durch meine Hand gestorben waren und zu der Burg.
Ich war komplett überfordert mit den vielen Empfindungen, die ich sonst immer gut zurück halten konnte, sodass sie meine Maske nicht beeinträchtigten.
Doch anscheinend hatte der Kampf gegen die Infizierten mir mehr zugesetzt, als ich gedacht hatte.
Jedenfalls trat ich hastig das Laken weg und fiel bei dem Versuch, eilig aus den Bett zu krabbeln, der Länge nach hin. Der Sturz holte mich aus den Erinnerungen, aber die Panik blieb und zog ihren Würgegriff um meine Kehle immer weiter zu.
Nach Luft ringend stürzte ich wie jede Nacht zum Balkon hinaus.
Frische Luft kam mir entgegen, doch auch nachdem ich mich so weit wie möglich auf der Brüstung nach vorne lehnte, war ich nicht frei genug.
Ich spürte den Stein an meinen Fingern und musste an die Burg denken. An genauso rauen Stein unter meinen Händen als er ...
Ohne groß nachzudenken schwang ich meine Beine über die Brüstung und begann an der Fassade nach unten zu klettern. Dafür benutzte ich die vielen Verzierungen, Fensterbretter und auch den Spalier mit einer dichten Hecke.
Alles woran ich dachte, war die Tiefe der Gartens. Die Ruhe, die es hoffentlich zwischen den vielen Hecken und Blumen geben würde.
Hauptsache ich hatte genug Raum zum Atmen.
Bei den letzten Metern rutschten meine zitternden Hände ab und ich landete hart im Gras. Auch wenn es meinen Sturz etwas dämpfte, bekam ich zuerst keine Luft, da mein Rücken die volle Wucht des Aufpralls abfangen musste.
Das machte aber gerade keinen großen Unterschied, also kam ich etwas unbeholfen auf die Beine und rannte los.
Es war mir egal, ob mich die Wächter so sahen. Eigentlich schenkte ich meiner Umgebung keinerlei Beachtung, was sonst nie vor kam.
Erst als ich eine Weile orientierungslos durch Garten gerannt war, fiel ich in einem Kreis aus Rosenbüschen auf die Knie.
Schwer atmend krallten sich meine Hände ins Haar. Der Zopf löste sich, da ich ihn um meine nassen Haar zu trocknen, nur locker geflochten hatte. Helles Haar fiel mir rechts und links ins Gesicht.
Töte sie.
- Jawohl.
Folter ihn.
- Jawohl.
Küss mich.
- Ja-Jawohl.
Tränen liefen mir über die Wange und ich schloss die Augen. Bilder schossen an mir vorbei. Sie waren wie Kugeln, die meine Mauern nach und nach runter rissen, sodass meine Gefühle ausbrechen konnten.
Nach Luft ringend sah ich hoch zu den Sternen. Doch anders als sonst spendeten sie mir heute keinen Trost.
Liebe macht schwach.
„Liebe macht schwach."
Du brauchst niemanden.
„Ich brauche niemanden."
Und das wichtigste...
Hinter mir erklangen Schritte. „Nemesis?"
Augenblicklich sprang ich auf. Als ich mich umdrehte, wollte ich schon mein Schwert ziehen, aber meine Hand griff ins leere.
Verwundert sah ich auf meine leere Hüfte. Ich hatte kein Schwert angelegt. Ich trug nur ein weißes weites Hemd und Hose zum schlafen.
Als die Person noch einen Schritt tat, schoss mein Kopf hoch, während ich gleichzeitig die Fäuste hob. Handschuhe hatte ich ebenfalls nicht angezogen.
Erst dann erkannte ich im schwachen Licht des Mondes Drystans Gesicht. Seine Augenbrauen waren besorgt zusammen gezogen, als er noch näher an mich ran trat. Genauso wie ich trug er Schlafklamotten.
„Ihr... weint!", geschockt sah er mich an. Das war das erste Mal, dass er irgendeine Emotion an mir ausmachen konnte.
Hastig wischte ich mir die Tränen weg und nahm mehrere tiefe Atemzüge. In Anwesenheit des Prinzen erinnerte sich mein Körper wieder an die Lektionen. Ich zwang meine Miene dazu zu erstarren, das Zittern hörte auf.
Zwar waren meine Gefühle äußerlich nicht mehr zu sehen, aber ich hatte den Sturm an Gefühlen nach innen gekehrt. Mein Herz schlug immer noch rasend schnell, Sauerstoff musste ich regelrecht in meine Lungen zwingen.
Innerhalb kürzester Zeit war ich wieder zu der unnahbaren Leibwächterin geworden, als die mich der Prinz kennen gelernt hatte. Meine nassen Wangen waren das einzige, das auf meinen Gefühlsausbruch hindeutete.
„Eure Hoheit", ich verbeugte mich, „Ich hatte nicht erwartet, Euch hier anzutreffen."
Doch anstatt darauf einzugehen, sah er mich verstört an.
„Ihr... ihr könnt doch nich einfach Eure Gefühle ausknipsen!"
Um meine Hände davon abzuhalten zu zittern, zupfte ich mein Hemd zurecht.
„Sie sind nicht verschwunden. Ich habe nur gelernt, sie zu verbergen."
Ernst trat er einen Schritt vor. Das Gras raschelte leise unter seinen Fußsohlen. Wie immer war er barfuß.
„Vor mir müsst Ihr das nicht."
Bitter verzog ich den Mund. Doch das so minimal, dass der Prinz es in der Dunkelheit nicht bemerkte.
„Doch das muss ich, Eure Hoheit."
Ein verletzter Ausdruck trat in seine Augen.
„Aber warum?"
Hoffentlich entging ihm meine zitternden Lippen. Schnell presste ich sie aufeinander.
Entschlossen straffte ich stattdessen die Schultern und reckte das Kinn.
„Ihr könnt es gegen mich verwenden. Es würde mich verwundbar machen. Ihr solltet wissen, dass Gefühle am Hof gefährlich sind."
Drystan machte noch einen Schritt vor. Wenn er den Arm ausstrecken würde, könnte er mich berühren.
„Ich würde euch niemals verletzen, Nemesis."
„Auf Euer Wort vertraue ich nicht."
Er blinzelte und fragte leise:
„Was hat Euch dazu gebracht, so über mich zu denken?"
Hart schüttelte ich den Kopf. „Das hat nichts mit Euch zu tun. Man hat mich nur einmal zu viel verraten, als das ich noch jemanden vertrauen kann."
Er hatte bewusst Personen in mein Leben gesetzt, die freundlich zu mir waren. Oft waren es Lehrpersonen, aber manchmal auch andere Soldaten.
Sie gewannen langsam mein Vertrauen und am Ende verrieten sie mich an ihn.
Zum Beispiel hatte ich eine Zeit lang eine Soldatin zugeteilt bekommen, die auf mich aufpasste. Damals war ich sieben oder sechs gewesen. Nach einiger Zeit, so naiv mein kindliches Herz eben war, begann ich ihr zu vertrauen. Ich erzählte ihr von der Angst, die ich jeden Tag durchstand und von den Bestrafungen. Ich weinte an ihrer Schulter und sie tröstete mich.
Eines Tages weckte sie mich aus meinem Schlaf und sagte, sie würde mir helfen zu fliehen. Gemeinsam würden wir in irgendeinem Dorf als Bauern weiter leben. Sie führte mich an den Wachen vorbei zu einem geheimen Tunnel unter der Burg.
Am Ausgang hatte er auf uns gewartet.
Natürlich hatte er mich für meine mangelnde Loyalität bestraft.
Wie sich herausstellte war jeder Moment mit der Soldatin geplant gewesen. Sie sollte mich trösten, ich sollte ihr vertrauen und fliehen.
Mehrere Male danach hatte mir jemand angeboten, bei der Flucht zu helfen. Doch seit diesem Tag hatte ich niemanden mehr über den Weg getraut, der nett zu mir war.
„Aber nicht jeder wird euch verraten!", wandte Drystan ein. Um seine vorherigen Worte zu unterstützen legte er eine Hand auf sein Herz.
„Ich werde es nicht. Das schwöre ich bei der Göttin und dem Thron meines Vaters."
Von dem Schwur unbeeindruckt blieb meine Miene kalt.
„Worte können lügen und Versprechen werden gebrochen. Das ist nunmal unsere Welt."
Sein Kiefer mahlte.
„Das ist eine grausame Welt, in der Ihr lebt."
„Ihr habt recht. Sie ist grausam. Die Augen davor zu verschließen, ändert nichts an ihrer Natur."
Während ich das sagte, lagen seine blauen Augen forschend auf mir. Sie sprangen von meinen Augen zu meinem Mund und zu meine Händen. Er suchte nach etwas, das meine Gefühle von eben widerspiegelte, aber er traf auf eine Mauer aus Stein.
„Was habt Ihr erlebt, dass ihr so verbittert seid? Ihr seid zu jung."
Darauf konnte ich nur erwidern: „Hat man Euch so behütet, dass Ihr so naiv seid zu glauben, dass man anderen gefahrlos vertrauen kann?"
Bei meinen harten Worten kniff er die Augen zusammen.
„Ich wurde nicht behütet. Man hat mich nur anderen Gefahren ausgesetzt, als Euch."
Beinahe hätte ich geschnaubt.
„Ich bin mir sicher, dass zwischen den samtweichen Betten, Essen im Überfluss, Reichtümern und Festen jede Menge Gefahren lauern. Ihr müsst sicher immer auf der Hut sein."
Meine scharfen Worte waren ein Hinweis auf meine Gefühle. Die Angst hatte mich immer noch gepackt, auch wenn ich es nicht zeigte. In seiner Gegenwart wusste ich nicht, wie ich mich verhalten sollte. Einerseits war er der Prinz und mein Befehlshaber. Andererseits hatte er mir nie einen Befehl gegeben oder mich zu etwas gezwungen. Er sagte, er wolle mein Freund sein, aber das war unmöglich.
Meine angreifende Worte waren also nur eine Abwehrreaktion. Ich war wie eine Schlange, die man in die Ecke gedrängt hatte.
„Ja, ich bin immer auf der Hut", kam der Prinz leise auf meine Worte zurück, „Ich werde immer beobachtet. Alles, was ich tue wird von den restlichen Höflingen von allen Seiten inspiziert und für neue Gerüchte verwendet."
Eindringlich kam er mir bei jedem Wort etwas näher.
„Ich verstelle mich permanent. Ich bin immer der, der ich sein muss, um die anderen zufrieden zu stellen. Also glaubt nicht, ich hätte es einfach."
Wir waren uns jetzt so nah, dass ich das Heben und Senken seines Brustkorbes erkennen konnte. Auch wenn mir die körperliche Nähe unangenehm war, weigerte ich mich zurück zu weichen.
Keine Schwäche zeigen.
„Oh ich weiß wie es ist immer unter Beobachtung zu sein", flüsterte ich, „Ich weiß, wie es ist immer eine Maske zu tragen. Eure Aufgabe mag hart sein, aber Ihr könnt euch einen vollen Magen sicher sein. Solltet ihr scheitern, werden eure Eltern Euch unterstützen. Ihr habt Aramis und Martell, die Euch den Rücken stärken... Ihr seid nicht allein."
„Dass Ihr niemanden habt, liegt daran, dass ihr niemanden an Euch ran lasst. Dass ihr allein seid, habe Ihr Euch selbst zuzuschreiben."
Von seinen Worten unbeeindruckt zwang ich mich noch einen Schritt näher zu gehen. Unsere Körper berührten sich fast. Meine Muskeln waren bis zum zerreißen angespannt, aber wie allzuoft schob ich die Panik zu Seite und bohrte meine Augen in seine.
„Ihr überlebt am Hof, indem Ihr Euch verstellt.", erwiderte ich, „Ich überlebe, indem ich mich auf niemanden stütze."
Seine Augen funkelten und ich merkte, wie sein Kiefer sich anspannte.
„Dann werdet Ihr fallen."
Ruckartig brachte ich wieder Abstand zwischen uns. Länger hielt ich es nicht aus einem Menschen so nah zu sein.
„Wenn ich falle, werde ich ihn mit mir reißen.", versprach ich fest.
Drystan runzelte bei meiner Antwort verwirrt die Stirn. „Wen?"
„Der, der meine Welt zu einem kalten Ort gemacht hat."
Mein dunkler Blick dabei, hielt ihn davon ab, nachzufragen. Stattdessen verschränkte er die Arme vor der Brust. Dabei spannte das Hemd ein wenig über seine Oberarme.
„Was macht Ihr hier draußen? Es ist offensichtlich etwas vorgefallen, das Euch so mitgenommen hat."
Mit würden sicher eine Menge Ausreden einfallen, hätte er mich nicht zusammengesunken im Gras gesehen.
„Ich musste mich nur kurz sortieren. Nichts weiter.", redete ich es klein.
Es war klar, dass er mir das nicht abkaufte, aber er seufzte nur.
„Ich werde Euch nicht zwingen, mir zu erzählen, welche Erinnerungen Euch zu schaffen machen."
Er machte ein Pause, ehe er offen sagte
„Aber ich höre Euch zu, wenn ihr wünscht. Wann ihr wünscht."
Wortlos sah ich ihn an ohne mich zu regen.
Resigniert wandte er sich in Richtung Schloss .
„Ich war alleine im Saal, um die Schritte nochmal durchzugehen und sah Euch die Fassade runter klettern", erzählte der Prinz, „Ihr seid die letzten Meter gefallen. Ich hatte Angst, Ihr hättet Euch verletzt."
Als eine Art Friedensangebot, wechselte er das Thema. Erleichtert darüber, ging ich auch sofort darauf ein.
„Ihr dachtet, ich wäre verletzt? Deswegen seit Ihr gekommen?"
Es fiel mir schwerer als sonst, meine Gesichtszüge unter Kontrolle zu halten. So schwang eine gewisse Überraschung in meiner Stimme mit.
Jedenfalls hörte Drystan es scheinbar nicht. Mit einem Stirnrunzeln sagte er:
„Natürlich. Ihr seid aus bestimmt drei Meter Höhe gefallen!"
Verwundert sah ich zu dem Palast auf.
„Drei Meter?", wiederholte ich.
Besorgt musterte er mich von oben bis unten.
„Habt Ihr Euch sicher nicht verletzt?"
Nachdenklich bewegte ich meine Oberkörper. Schmerz durchzuckte meine rechte Seite und ich hielt überrascht inne. Als ich prüfend meine Rippen berührte tauchte der Schmerz wieder auf. Erst da fiel mir auf, dass nicht nur die Panik das Atmen erschwerte, sondern auch meine schmerzenden Rippen.
Erneut berührte ich den Knochen. Verstaucht oder angeknackst vielleicht?
„Möglicherweise habe ich mir dabei eine Rippe verstaucht", stellte ich nüchtern fest und sah wieder auf, „Mir geht es gut."
Drystan blinzelte fassungslos. „Euch soll es gut gehen?"
Ich fühlte weiter meine Seite. „Das ist nichts schlimmes."
Drystan starrte mich an, dann fuhr er sich durch das Haar.
„Wir sollten das versorgen. Kühlen oder etwas abschwellendes drauf schmieren. Ich habe etwas davon in meinen Zimmer."
„Nein."
Überrascht von meinem Protest blinzelte er: „Wie bitte?"
Ich nahm die Hand von meiner Seite.
„Danke für Euer Angebot, aber ich lehne ab. Mir ist es lieber, ich kümmer mich selbst darum."
Unzufrieden kniff er die Augen zusammen. Nach einer Weile jedoch sagte er mit eine Stimme, die keine Widerworte zuließ:
„Als Euer Prinz befehle ich Euch, Euch von mir helfen zu lassen. Ihr kommt mit auf mein Gemach. Los."
Ohne weiter abzuwarten wandte er sich abrupt um.
Wütend biss ich die Zähne aufeinander, folgte ihm aber.
Befehl war Befehl.
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