7. Kapitel
Eindrucksvoll leuchtet der Mond am Himmel und wirkt größer als für gewöhnlich. Er begrüßt Skyla zuerst, als sich die Augen öffnen. Thomas nennt sie ganz sanft beim Namen, so wie in alten Zeiten. Bei ihm erwacht sie mit einem Lächeln auf den Lippen. Ihr Patenonkel sitzt mit ihr noch immer im Auto. Geparkt auf der Einfahrt seines Hauses. Für gewöhnlich strahlt er heller als die Sterne. Nun aber betrachtet er sie mit großer Sorge. Benommen blickt sich Skyla um. Ihr Kopf ist noch nicht ganz erwacht. Der Schlaf war zu kurz. Gähnend wendet sie sich von ihm ab, um kurz darauf zu sehen, wie er etwas mit seinen Augen an ihr fixiert. Ertappt hebt sich sein Blick und er deutet auf seinen Hals. Dennoch übt er sich in Geduld, weil er sicherlich weiß, dass sie nachgeben wird und erzählt, was passierte. Nur kostet es Skyla viel Überwindung.
„Ich habe dir doch von den anderen beiden Azubis erzählt oder?"
„Hast du. Dominik und Julian, wenn ich mich richtig entsinne. Haben sie dir das angetan?"
„Dominik ist ein Problemkind. Er ist aggressiv und oft schlecht drauf. Mein Ausbilder David hat die Hoffnung, dass er mit der Arbeit beim Kräutergarten abgelenkt auf die richtige Schiene gelangt. Ab und zu wird der Junge handgreiflich und beleidigend. Aber noch nie kam es, dass er mir an den Hals gesprungen ist. Ich meine, ich bin selbst schuld oder? Immer reiße ich meine große Klappe auf und lege mich mit jeden an."
Am Ende lächelt sie verbittert, denn Probleme konnte sie schon immer gut anziehen.
Thomas hingegen ist nicht nach lächeln. Er umfasst das Lenkrad verkrampft und sein Blick fällt kurz auf sein Handy.
„Ist die Polizei in Kenntnis gesetzt wurden?", hinterfragt er schließlich. Zu steif für ihren Geschmack.
„Nein. Ich sehe von einer Anzeige ab. Dominik hat es nicht leicht und sicherlich bereut er die Sache auch schon wieder."
Das will sie für den Kerl hoffen. Andernfalls entkommt er beim nächsten Mal nicht so glimpflich.
Thomas' lautes Seufzen holt sie aus den Gedanken. Sie ahnt, wie er darüber denkt und doch spricht er es aus: „Du bist zu gut für diese Welt, Skyla. So etwas solltest du nicht leichtfertig hinnehmen. Vielleicht trägst du Spätfolgen daraus und außerdem gebe dir nicht die Schuld für Dinge, wofür du nichts kannst. Dieser Kerl ist zu weit gegangen und sollte nicht mit euch arbeiten."
„Mir geht es gut."
„Eine Lüge, die mir aus den Ohren raushängt. Aber dein Vater sollte die Rötungen nicht sehen. Er würde ausrasten und den Kerl eigenhändig zur Polizei schleifen. Wenn du solch ein Theater verhindern willst, dann ziehe dir den Schal über."
Im Nu befreit sich ihr Pate von dem schwarzen Stoff. Skyla nimmt den weichen Schal entgegen und drückt diesen ganz fest an ihr Gesicht, um seinen Duft einzuatmen. Ein Anblick, der Thomas entzückt, denn er lächelt nun endlich wieder. Fröhlich wuselt er ihr durchs Haar.
„Du bist wirklich niedlich", findet er.
Kaum befolgt Skyla seinen Rat, schnallt sie sich ab. Aber bevor sie aussteigen kann, hält Thomas sie zurück. Seine Hand liegt auf ihren Arm und sein Blick wird nun ernster. Sie rechnet mit einer Standpauke, aber stattdessen reicht er ihr eine kleine Tasche. Stirnrunzelnd nimmt sie diese entgegen. Auf dem schwarzen Stoff ist kein Druck. Nichts, was ihr den Inhalt verraten könne. Dennoch ist sie schwer, aber handlich durch ihre Größe.
„Was ist das, Thomas?"
Hoffentlich nichts Belastendes. Thomas und ihr Vater verhielten sich die letzte Zeit verdächtig und sie kennt deren Nachforschungen. Aber statt Briefe oder Artikel springt ihr ein ordentlicher Batzen Geldscheine ins Auge. Zu viel, um zu zählen. Erschrocken hebt sie den Kopf.
„Was soll das, Thomas?"
Ihre Reaktion entlockt ihm ein kurzes Lachen.
„Dein Blick, Skyla", ärgert er sie frech, „du willst doch deine eigene Wohnung beziehen oder? Also habe ich dir ein kleines Startkapital abgehoben."
„Kleines Startkapital? Wie viel ist das?"
„Fünfzehntausend", antwortet er zögernd, „Zu wenig?"
Stumm schließt sie den Reißverschluss, um ihn die Tasche an die Brust zu drücken.
„Danke, Thomas, aber das kann ich unmöglich annehmen. Es ist lieb gemeint, aber ich schaffe das auch allein. Wirklich."
Thomas lächelt auffällig. Fast, als sei er stolz auf sie. Warnend blickt Skyla ihn an, denn auf seine Überredungskünste kann sie getrost verzichten.
„Sei nicht so bescheiden und nimm es an dich. Eine eigene Wohnung ist gar nicht so billig. Du wirst sehen, was für Kosten auf dich zukommen. Außerdem ist es doch normal, dass ich mich um meine Patentochter sorgen möchte oder etwa nicht?"
„Das ist lieb. Wirklich. Aber ich habe einen festen Job und habe viel angespart. Es wird für den Anfang reichen und wenn nicht, dann arbeite ich härter", versichert sie ihm.
Liebevoll tätschelt er über ihren Kopf. „Ich weiß, du magst alles allein packen, aber zwischendurch darfst auch du dich verwöhnen lassen."
„Du verwöhnst mich schon genug, Thomas", nuschelt sie.
Es fühlt sich nicht verdient an, daher wird sie sein Geschenk auch nicht entgegen nehmen. Ihren Starrsinn hat sie von ihrer Mutter und Thomas wird daran scheitern. Etwas, was der Mann erkennt und den Umschlag in seinen Aktenkoffer packt.
„Also schön, aber ich lege es dir weg und solltest du es brauchen, frage mich nur."
„Du weißt, dieser Tag wird nie kommen."
Kaum blicken sich die beiden in die Augen, fühlt sich der Moment nach einem
Déjà-vu an. Thomas ist der Erste, der sich mit dem Grinsen verrät und Skyla damit ansteckt.
In der Hoffnung, es sei alles geklärt, ergreift Skyla die Türklinke. Doch Thomas hat noch mehr auf dem Herzen.
„Brauchst du sonst noch irgendetwas? Sei es ein Rat, Hilfe oder sonst ein Wunsch?"
Sie schüttelt den Kopf und erkennt, dass er sich schwer mit diesem Gespräch tut. Daher dreht sie sich zu ihm und blickt ihm tief in die Augen.
„Was bedrückt dich, Thomas?"
Lange braucht er nicht für seine Antwort. Seine Hand legt sich auf ihre und er gesteht: „Der Gedanke, dass du zu einer Erwachsenen heranwächst. Würde es nach mir gehen, wärest du für immer meine kleine Prinzessin, die niemals groß wird. Es fühlt sich nach einem schmerzlichen Abschied an, wenn du den Wagen verlässt. Mein Herz rät mir, die Türen zu verschließen und dich nicht gehen zu lassen. Aber das wäre falsch. Ich bin so unfassbar in Sorge um dich und der Gedanke, du wendest dich von uns ab, bereitet mir schlaflose Nächte."
„Nur weil ich ausziehe, bin ich nicht aus der Welt, Thomas."
Er lächelt bitter. „Schon und doch fühlt es sich danach an."
Thomas ist unfassbar süß. Er behandelt sie, seit sie denken darf, wie seine eigene Tochter. Dankbar umarmt sie ihn von der Seite. Eine sehr unbequeme Position in seinem Auto und doch fühlt es sich richtig an.
„Du warst immer ein zweites Zuhause für mich, Thomas. Ich danke dir dafür, dass du immer so gut zu mir warst. Aber nun wird es Zeit, dass ich meinen eigenen Weg gehe."
Ein Schniefen verrät Thomas. Sein Gesicht ist plötzlich ganz feucht und sein Körper zittert. Skyla zögert den Abschied ebenfalls hinaus. Sie will nicht aussteigen und stattdessen die alten Zeiten zurück. Aber so kommen beide nicht voran. Außerdem wartet Lukas auf sie und sie gab ihm ein Versprechen. Tatsächlich weint Thomas und braucht ein paar Minuten, um auszusteigen. Skyla will ihm die Zeit geben und verlässt das Auto. Ein Blick zum Fenster und sie entdeckt ihren Vater und Lukas. Erschrocken verstecken sich die beiden, was ihr ein Grinsen entlockt. Bis Kai sie warnend ruft. Für gewöhnlich meldet sich der Dämonenbär nicht, wenn sie unter Leuten ist. Aber ein Blick in den Seitenspiegel und ihr gefriert das Blut in den Adern. Jemand lauert ihr erneut auf. Eine vertraute Gestalt. Versteckt unter dem schwarzen Mantel. Genau wie damals auf dem Parkplatz, wo sie Lukas zusammen geschlagen haben. Skyla zieht den Riemen ihrer Tasche fester und plant die Flucht. Der Ritter bewegt sich kein Stück und allein seine Präsenz lässt ihre Nerven zittern. Er hält sich sicherlich für überlegen. Die Fluchtroute ist begrenzt. Von hinten abgeschnitten. Rechts der Zaun zum Nachbarn und links das Auto, das vor dem Garagentor parkt.
„Sorry, Thomas."
Kaum ist die Entschuldigung ausgesprochen, folgt ein Sprung über die Motorhaube. Ihre Arme zittern, als sie ihren Körper hinüber stemmt. Es reicht nicht. Ihr Hintern berührt kurz die linke Seite des Blechs, aber dann hat sie das Hindernis auch schon überwunden und stürmt, so schnell es geht, voran. Der Ritter nimmt die Verfolgung auf. Eine Wurfbewegung entgeht ihr dabei nicht. Skyla stockt der Atem, als sie ein Messer erblickt, das im Rasen versinkt.
Scheiße! Er will meinen Tod!
Aus der Ferne erreicht Thomas' Ruf ihre Ohren. Er ist ausgestiegen! Aber zum Glück scheint sich ihr Verfolger nicht für ihn zu interessieren, denn er hat Skyla fast eingeholt, daher nimmt sie ihre Beine in die Hand und rennt die Straße hinab.
„Agnar! Kai!", ruft sie ihre Dämonen.
In der Hoffnung, sie können den Abstand vergrößern. Ansonsten hat der Ritter sie gleich in seinen Fingern. Tatsächlich meldet sich ihre Spinne und die Schritte des Verfolgers enden abrupt. Mit einer jungen Männerstimme hört sie ihn fluchen, was sie nicht hindert, weiter zu rennen. Skyla kennt sich ein bisschen in der Gegend aus und will eine Parkanlage ansteuern, bis sie die vielen Umrisse von weiteren Rittern ausmacht. Als wüssten sie, dass ihre Fluchtroute dort lang führt! Diese miesen Kerle sind vorbereitet, daher ändert sie ihren Fluchtweg und folgt der Straße.
Der Verfolger ist nicht mehr zu hören, woraufhin Skyla Schutz hinter einem parkenden Auto sucht. Dort schnappt sie kurz nach Luft. Kai löst sich von ihrer Tasche und wächst zu seiner gewohnten Größe als Plüschbär heran. Er hält jedoch eine Bärentatze hoch an seinen Mund und deutet an, leise zu sein.
„Sie können uns nicht sehen", verrät er ihr das Geheimnis.
Agnars Fähigkeit ist wahrlich ein Segen. Unsichtbarkeit verschafft ihnen einen Vorteil. Ein Blick am Auto vorbei zeigt, dass der Ritter sie in der Nähe sucht. Auch die anderen lauern im Schutz der Dunkelheit. Sie zählt acht Leute.
„Kai! Hör mir zu!", wendet sie sich an ihren Schutzgeist, „Geh und beschütze meine Familie. Auch Thomas und Lukas!"
Verwirrt betrachtet der Bär sie. „Was? Denen geht es doch gut!"
„Tu es einfach! Agnar und ich werden klarkommen!"
Der Bär beugt sich hinab und kriecht ignorant unter das Auto. Skyla will am liebsten mit ihm schimpfen, aber damit würde sie ihr Versteck verraten. Stattdessen wendet sie sich ab und feilt an einem Plan.
Schritte nähern sich und das Herz schlägt verräterisch laut. Skyla wird nervös und zögert mit ihrer Entscheidung, zu verharren oder das Weite zu suchen. Ein Schrei und das Auto ruckelt plötzlich, als bebe die Erde. Lautes Bärengebrüll und erstickte Laute dringen unter dem Wagen hervor. Skyla nimmt erschrocken Abstand. Die anderen Ritter bewegen sich in ihre Umgebung und einer zieht eine Steuerungskonsole hervor, die bedrohlich leuchtet. Ein grünes Licht verteilt sich Rund um die Konsole und Skyla ahnt übles.
„Sicherlich ein Radargerät", spricht sie ihren Gedanken laut aus.
Erschrocken legt sie sich die Hände auf den Mund. Die Ritter hätten sie bei der Entfernung nicht hören dürfen und doch drehen sich ihre Köpfe zu ihr. Skyla läuft im Zickzack rückwärts. Nun kommen von allen Seiten Drohnen angeflogen. Skyla fühlt sich wie eine Schwerverbrecherin und ahnt übles, als die Fluggeräte ebenfalls grünes Licht herunterscheinen lassen. Lichtkegel, die sie erfassen und auch noch verfolgen. Dank der dunklen Kleidung sieht Skyla ihre Feinde nicht kommen. Sie bewegen sich laut und schnell. Dank Justins strengen Trainingsplans kann sie ihnen wahrlich ausweichen und ihre Angriffsmuster hervorsehen. Als hätte Justin die Ausbildung eines Ritters studiert, kommt ihr der Bewegungsablauf vertraut vor. Das vereinfacht das Ausweichen.
Wie einem Horrorstreifen kommen die riesigen Spinnennetze aus dem Nichts geschossen und wickeln sich im Nu um das Opfer, das im nächsten Augenblick schreiend in den Hintergrund gezogen wird.
Nice, Agnar!
Eine Lücke in der Verteidigung präsentiert sich und wird sofort wahrgenommen. Skyla schlüpft zwischen ihren Feinden durch setzt sich eilig in Bewegung. Gezielt zur Bushaltestelle, wo sich so viele Leute tummeln, dass sie dort untertauchen kann. Es kommt sogar noch besser, der Bus ist im Schlepptau. Ohne groß darüber nachzudenken steigt Skyla ins Fahrzeug und wirft sich auf einen leeren Platz. Hoffentlich noch unsichtbar. Das hintere Abteil ist leer und so gönnt sie sich eine Verschnaufpause. Ein Blick zu den Rittern zeigt, dass diese die Flucht ergreifen. Aber auch nur deshalb, weil die Straße in Blaulicht getaucht wird. Die Polizei rückt an und die Ritter verteilen sich in sämtliche Richtungen. Eilig holt Skyla ihr Handy heraus. Es braucht eine Weile, bis das System startet und die erste Nummer, die sie wählt, ist die von Sina. Um die Reporterin zu warnen. Nicht als Anruf, sondern eine Nachricht. Gar nicht so leicht, denn sie ist völlig aufgewühlt. Die Nerven zittern noch so stark, dass es ihr schwerfällt, die richtigen Tasten zu erwischen. Ihre Nachricht war noch nie so voll mit Rechtschreibfehlern, aber das ist ihr gerade egal. Viel wichtiger ist es, Sina und Mason in Sicherheit zu wissen.
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