6. Kapitel
Einfach funktionieren! Alle Gefühle werden tief vergraben. Eingesperrt auf engste Raum, um nicht den Fokus zu verlieren. Zurück bleibt eine unfassbare Leere. Erneut beweist Skyla, dass sie die Arbeit von ihrem Privatleben trennen kann. Wie durch ein Wunder ist der Tag fast überstanden. Der Laden ist bis auf den letzten Platz ausgebucht und es gibt viel zu tun. Der Job mag noch so anstrengend sein und doch steckt sie so viel Leidenschaft in ihre Arbeit. Die Kunden sind glücklich und zufrieden. Es gibt viel Lob. Stolz auf ihre Leistung tritt Skyla hinaus in den Rosentunnel an der Eingangstür des Betriebes. Die kalte Nachtluft schlägt ihr brutal entgegen und die vergrabene Bestie schafft es immer näher an die Oberfläche. Skyla hätte so tief graben können, wie sie wollte. Ihre Seele will sich nicht spalten lassen. Der fehlende Teil nähert sich verdächtig. Begleitet von einer unheilvollen Geräuschkulisse. Der Rosentunnel mag zu dieser Jahreszeit all seine Blätter verloren haben und doch raschelt es unheilvoll in den umherliegenden Sträuchern. Wie hypnotisiert lauscht Skyla der Musik des Windes und wird mit einer Welle verdrängter Erinnerungen konfrontiert. Das Gespräch mit Lukas geistert am Ende in ihren Kopf. Sein glühender Blick lässt sie noch immer erschaudern. In all der Freundschaft gab es nicht ein Moment, wo er sie so ansah. Sein stilles Leiden, die kochende Wut und die tiefe Enttäuschung. Ein Blick, den sie eigentlich nur von ihm kennt, wenn seine Mutter erwähnt wird. Nie fürchtete sie um solch ein Gespräch. Zu wichtig ist ihr Lukas. Ihre Stütze. Ihr bester Freund. Der Gedanke, ihn zu verlieren, würde ihr den Rest geben. Dabei scheint es darauf hinauszulaufen. All ihre Entscheidung treiben die beiden Freunde weiter auseinander. Obwohl er von ihren Kräften weiß und ihre Probleme kennt.
Die Heimkehr. Etwas, dass Skyla kurz verdrängte. Der Gedanke, ihren Eltern gleich zu begegnen und sich fürs Erste zu verabschieden, bereitet ihr Magenschmerzen.
„Gute Arbeit, Skyla."
Elly tritt hinaus an ihre Seite und begutachtet den Sternenhimmel freudig.
„Auch ihr wart super. Das war ein gelungener Tag." Skyla zückt ihr Handy. „Aber ich rufe mir kurz ein Taxi."
„Ich hörte von dem Einbruch und dass du zurzeit woanders wohnst. Soll ich dich hinfahren?", bietet Elly ihr an.
„Das ist lieb, aber..."
„Kein aber! Du fährst mit mir!", meldet sich eine strenge Stimme im Hintergrund.
David kassiert sich Skyla beim Vorbeilaufen einfach ein. Er fängt sie mit seinen Arm und winkt Elly noch kurz zu, während er seine Auszubildende zu seinem Wagen lotst.
„Ich will dir keine Umstände bereiten, David. Das Taxi ist auch schnell da."
Aber Davids Blick ist starr nach vorne gerichtet. Ohne Umwege geht es zu seinem Wagen, bis eine Wagentür in der Nähe zugeht und sie gerufen wird. Skylas Herz wird ganz schwer, denn diese Stimme begleitet sie ihr Leben lang. Mit klopfendem Herzen dreht sie sich zu ihrem Patenonkel, der herbeieilt. Thomas scheint allein aufgebrochen zu sein, denn zum Glück sitzt in seinem Auto nicht ihr Vater, wie sie befürchtete.
„Thomas, was machst du hier?"
Der Unglaube spricht aus ihr und der Kopf beginnt sich zu Sorgen. Thomas Auftritt könne noch viel schlimmere Probleme verkünden. Noch mehr Hiobsbotschaften.
Davids Interesse an dem Leben seiner Lehrlinge kennt kein Ende. Sein Blick ist bereits wachsam und mustert den Besucher aufmerksam. Aber Thomas hat nur Augen für sein Patenkind. Auffordernd breitet er die Arme aus, nur Skyla ist nicht nach einer Umarmung, daher senkt sie traurig den Blick.
„Schlechter Tag?", erkundigt sich Thomas vorsichtig.
Die Traurigkeit in seiner Stimme zeigt, wie sehr er sich diese Umarmung wünscht. Eine herzliche und familiäre Begrüßung, die trotz Gefühlslage immer erfolgte. Mit nur wenig Ausnahmen. Da Skyla keinen Grund hat, ihrem Patenonkel böse zu sein, öffnet Skyla ihr Herz widerwillig. Doch Thomas kam zu ihr, weil er sich sicherlich Sorgen macht. Er zeigt ihr erneut, wie wichtig sie ihm ist. Daher eilt sie zu ihm und geht seinem Wunsch am Ende doch nach. Kaum liegt sie in seinen Armen, fühlt sie sich sicher und geborgen. Seine innere Ruhe beruhigt den Sturm ihrer negativen Gedanken und seine Wärme vertreibt die Kälte, die sich an ihr festgebissen hat.
„Sind Sie ihr Vater?", erkundigt sich David neugierig.
„Nein." Skyla hört Thomas stolzes Lächeln im nächsten Augenblick. „Ich bin ihr Patenonkel. Aber wir sind eine Familie, wenn auch nicht blutsverwandt."
„Freut mich, Sie kennenzulernen. Ich bin David. Ihr Ausbilder."
„Thomas. Die Freude ist ganz auf meiner Seite."
„Ah, da ist der liebe Charmeur." Elly kommt ebenfalls dazu. „Ich erinnere mich gut an Sie. Ich habe Sie letztens bedient."
„Die hübsche Kellnerin. Wie schön, Sie zu sehen", flirtet Thomas.
„Elly. Angenehm."
Das Lächeln auf Thomas' Lippen schwindet und Skyla spürt die plötzliche Anspannung bei ihm. „Ich muss mich entschuldigen, aber mein Patenkind hat Vorrang. Ich bringe sie nach Hause, wenn es keine Einwände gibt."
„Sie müssen sich gedulden", meldet sich David freundlich, „es gibt da etwas, was mir auf dem Herzen liegt. Skyla, hättest du kurz einen Moment?"
Die Angesprochene nickt und löst sich widerwillig aus Thomas' Griff. Ihr Patenonkel schenkt ihr ein sonniges Lächeln und tätschelt ihr freudig durch die Löwenmähne.
„Ich laufe schon nicht weg", verspricht er ihr und zwinkert frech.
Skyla nickt zögerlich und folgt David zu seinem Auto.
„Es geht um Dominik, richtig?", ahnt Skyla, da ihr Ausbilder so still und steif wirkt.
Er seufzt laut und lehnt sich müde gegen seinen Wagen.
„Dieser Junge bringt mich an meine Grenzen", gesteht er ihr, „ich toleriere sein Verhalten überhaupt nicht und auch wenn du mir ausdrücklich gesagt hast, dass du auf eine Anzeige verzichtest, spiele ich mit dem Gedanken, das Ausbildungsverhältnis zu beenden. Er muss dringend in Therapie. Seine Aggressionen kann er nicht an uns auslassen. Ich bin wahrlich besorgt um meine drei Schüler. Auch um dich, denn schon über Monate baust du ab und wirst immer unglücklicher. Du hast an Gewicht verloren, Skyla. Und dann die vielen Sorgenfalten auf deiner Stirn. Ich hatte große Hoffnung, der Urlaub tut dir gut und du erholst dich, aber ich habe das Gefühl, du bist in kurzer Zeit um ganze zehn Jahre gealtert. Geht es dir gut?"
Skyla bemüht sich, wieder zu lächeln, aber David wirkt nicht überzeugt. Stattdessen legt er den Kopf schief. Mit einem Blick, der sie auffordert, den Blödsinn sein zu lassen.
„Nein, es läuft gerade alles drunter drüber. Es findet ein großer Wandel statt", gesteht sie ihm ergeben, „ich werde heute noch mein Elternhaus verlassen. Zuerst übernachte ich bei einer Freundin, bis ich mir ein Eigenheim gefunden habe."
„Streit mit den Eltern?"
David klingt beunruhigt.
„Ich ertrage den Blick meiner Mutter nicht mehr. Sie betrachtet und behandelt mich, als sei ich der Grund all ihrer Probleme. Anscheinend habe ich ihr zu viele Sorgen und zu viel Ärger bereitet. Für den Hausfrieden ist es nun Zeit, zu gehen. Daher schlage ich das nächste Kapitel in meinem Leben auf. Mein Patenonkel spielt den Streitschlichter und hofft, dass wir uns alle schnellstmöglich vertragen. Es ist lieb, aber es ist nicht mehr so wie früher."
Ihre Ehrlichkeit lässt David schwer schlucken. Auch er ist ein Familienvater und sehnt sich nach Harmonie. Ihr Geständnis scheint ihn kurz zu beschäftigen, denn er hat sich nachdenklich abgewandt und ist mit seinen Gedanken ein Weilchen beschäftigt.
„Kommst du damit wirklich klar?", unterbricht er schließlich die Stille.
Sie nickt hoffnungsvoll. „Es ist besser so und ich bin zuversichtlich."
David nickt zwar, aber seinem Blick zu urteilen, ist die Sorge umso größer geworden.
„Alles klar. Ich höre und sehe mich um. Vielleicht findest du schneller eine Wohnung, wie dir lieb ist. Du hast ja meine Nummer und kannst dich melden, wenn du mich brauchst. Bei dem Patenonkel scheinst du dich wohlzufühlen. Er ist dir eine Stütze oder?"
„Ja, er ist der Größte", gesteht sie mit einem glücklichen Lächeln.
Davids Laune scheint sich augenblicklich zu bessern. Seine Miene hellt auf und seine Haltung wirkt entspannter.
„Gut, denn nach dem heutigen Tag will ich mich versichern, dass du bei jemanden bist, dem du viel bedeutest. Der dich aufmuntert und dir Trost schenkt. Wie ich heute Morgen gesehen habe, gibt es da noch mehr Leute, die dich gern haben."
Skyla rollt instinktiv mit den Augen. „Irrtum. Diese Frau ist eine flüchtige Bekanntschaft, die sich an mir klammert, obwohl ich sie kaum kenne."
„Aber deine Reaktion hat sie gekränkt. Sie war am Boden zerstört. Ich denke, sie hat dich gern und wünscht sich, dass eure Beziehung Fortschritte macht. Sie will dir sicher eine gute Freundin sein und hat erkannt, welch guter Mensch du bist."
„Sag so etwas nicht, David. Wer weiß, was die Zukunft bringt. Im Moment mache ich genauso viel Ärger wie Dominik."
„Aber sicherlich nicht gewollt. Auch Dominik hat seine Vergangenheit. In Wahrheit ist er ein guter Kerl, der nur zu wenig Liebe und Aufmerksamkeit bekommen hat. Er ist krank vor Sorge um Julian und blind vor Wut auf diejenigen, die seinen Freund verletzt haben."
Das klingt wahrlich nach David. Immer nimmt er alle in Schutz. Jeden. Auch den Service. Denn für ihn ist der Betrieb wie eine zweite Familie und er will genauso viel Harmonie im Kräutergarten, so wie Thomas es sich für ihre Familie wünscht.
Zum Abschied hebt David seine Hand.
„Ich will dich nicht länger aufhalten. Wir sehen uns dann morgen. Pass auf dich auf ja? Und melde dich, wenn du etwas brauchst."
Er kramt gerade nach seinen Autoschlüsseln, da erwähnt sie flüchtig seinen Namen. Augenblicklich hält er in der Bewegung inne und schaut neugierig rüber.
„Ja, Skyla?"
„Danke."
Seine Mühe und Ambitionen weiß sie zu schätzen und sie findet, dass sie ihm viel zu wenig zeigt, wie glücklich sein Einsatz sie macht. Eigentlich hat dieser Mann mehr wie nur ein Wort des Danks verdient. Ihm sollte eine ganze Rede zustehen, aber der Tag war anstrengend und die vielen Worte muss sie sich noch für Lukas sparen. Dennoch scheint sich ihr Ausbilder zu freuen. Er fängt sie erneut ein und drückt sie feste an sich. Kurz, aber kräftig.
„Gern, meine kleine Azubiene."
Am Ende klopft er ihr kumpelhaft auf die Schulter und wendet sich dann seinem Auto zu. Er öffnet gerade die Wagentür, da scheint ihm etwas ins Auge zuspringen. Ein Griff hinein und im nächsten Moment drückt er ihr ein geflochtenes Armband in die Hand. In den Farben Blau und Lila und mit Perlen geschmückt.
„Ein Talisman. Mein Sohn hat ihn mit geschenkt. Er soll Glück bringen."
„Süß, dann pass gut darauf auf."
Aber David macht keine Anstalten, diesen an sich zu nehmen.
„Für dich, Skyla. Du brauchst ihn mehr als ich."
Fassungslos starrt sie ihn an. Auf der Suche nach einem Scherz.
„Das kann ich nicht annehmen, David. So etwas solltest du nicht verschenken. Dein Sohn hat ihn extra für dich gemacht."
„Halb so wild, ich sage einfach, dass er mir einen Neuen machen soll", äußert er sich gelassen dazu.
Skyla seufzt und weigert sich. „Das geht nicht. Der ist speziell für dich."
„Und du brauchst ihn dringender wie ich", behauptet er felsenfest und steigt einfach ins Auto.
„Nicht, dass er sauer wird, dass du ihn verschenkt hast", will sie ihm ein schlechtes Gewissen reden.
Aber David nimmt es zu gleichgültig und zuckt nur mit den Schultern. Skyla seufzt und verflucht seinen Starrsinn im Stillen. Er winkt ihr zum Schluss noch einmal zu. Sie erkennt, besser nachzugeben, daher verabschiedet sie sich und kehrt zu Thomas zurück.
Ihr Pate scheint sich prächtig mit Elly zu verstehen. Er lacht herzlich und wirkt glücklich in ihrer Nähe. Hätte er nicht die Dates mit Claudia, hätte Skyla versucht, die beiden zu verkuppeln. Kaum tritt sie an seine Seite, legt Thomas seinen Arm um sie und drückt sie feste an sich.
„Da bist du ja wieder, Skyla. Können wir los?"
Elly scheint der Gedanke des Abschieds zu schmerzen. Sie blickt, als ringe sie mit einer Entscheidung. Aus ihrem Zögern wird doch ein Rückzug und bevor sie irgendetwas bereut, verabschiedet sie sich auch eilig.
„Also dann, ich muss dann los. Tschüss, ihr beiden."
„Ich wünsche noch einen schönen Abend und eine gute Heimfahrt."
Thomas' Charme bringt das Herz der Kellnerin zum Schmelzen. Nach einem Luftkuss eilt die Griechin zu ihrem Auto, von wo sie aus der Ferne zu Schmachten beginnt. Etwas, das Thomas anscheinend nicht begreift, denn sein Blick ruht eine Weile auf Skyla.
„Du hast ganz schöne Augenringe", bemerkt er.
„Ich bin auch hundemüde", gesteht sie ihm und unterdrückt ein Gähnen.
Wie ein Gentleman führt er sie zum Wagen und hält ihr die Tür offen. Skyla genießt es immer aufs Neue, von ihm abgeholt zu werden. Thomas hat sie schon immer wie eine Prinzessin behandelt und nach solch einem anstrengenden Tag will sie diesen Moment sogar genießen. Es ist schließlich lange her, wo sie mit Thomas mal allein unterwegs war. Seine Gegenwart lässt sie all den Kummer und Sorgen vergessen. Der Smalltalk ist erfrischend und die Stimmung angenehm. Neben ihm auf dem Beifahrersitz kommt sie zur Ruhe und ehe sie sich versieht, schläft sie sogar während der Fahrt ein.
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