Kapitel 9
Erschrocken schlägt Skyla die Augen auf, um daraufhin festzustellen, dass Milan das Bett mit ihr teilt. Es ist kuschelig warm unter der Decke und der Geisterjäger wirkt zufrieden und glücklich im Reich der Träume. Er lächelt und atmet ruhig. Sein Anblick zaubert ihr ein Lächeln auf die Lippen.
Es war alles nur ein Traum. Ein schrecklicher Alptraum – daran will sie fest glauben und verdrängt bewusst die letzten Erinnerungsfragmente an den Besuch der verlassenen U-Bahn-Station. Ganz sacht streicht Skyla dem Geisterjäger durchs Gesicht und drückt ihm einen Kuss auf die Wange, womit sie ihn weckt. Milan fängt sie mit halboffenen Augen ein und drückt ihr einen Kuss auf die Lippen. Seine Arme schmiegen sich um sie. Das Medium ist so glücklich, ihn gefunden zu haben. Ihr Herz schlägt lauter und schneller vor Freude, als wolle es von Milan gehört werden. Der Körperkontakt löst wollige Schauer aus. Die Welt mit einem Mann wie ihn an ihrer Seite wirkt perfekt.
„Hey, Süße", haucht Milan ihr ins Ohr. „Hast du gut geschlafen?"
Es gibt nichts, was Skyla ihm nicht erzählen kann. Deshalb berichtet sie: „Ich hatte einen Alptraum."
Mehr muss sie nicht sagen, denn ihre Stimme ist schwach und der Hals schmerzt, womit die Panik Wurzeln schlägt. Mit weitaufgerissenen Augen blickt sie zu ihm auf. Milan legt ihr seine warme Hand ans Gesicht und betrachtet sie mitfühlend.
„Ich fürchte, es war kein Traum. Aber Kai hat richtig gehandelt, denn er hat sich dein Handy geschnappt und mich angerufen. So konnten wir schnell reagieren und dich retten. Die Reinigung war ein voller Erfolg. Du musst dich aber schonen, denn eine Geisterbesessenheit ist nichts, was du auf die leichte Schulter nehmen solltest."
Es ist unfassbar! Wie konnte Kai das Handy entsperren? Aber noch viel schlimmer ist die Tatsache, dass ich von einem Geist besessen war!
Ein Sturm aus Zorn, Furcht und Enttäuschungen wütet in Skyla. Die Pille, versagt zu haben und die Kontrolle an einen absorbierten Geist zu verlieren, ist bitter. Gleichzeitig macht es sie wütend, dass ihr Schutzgeist ihre Privatsphäre nicht respektiert. Auch wenn der Anruf sie gerettet hat, beunruhigt sie der Gedanke, dass ihr Dämonenbär freien Zugriff auf ihr Handy hat. Immerhin ist er abartig böse und kann einen riesen Schaden mit ihrem Telefon anrichten. Der Ursprung ihrer Furcht kommt daher, dass sich ihre Fähigkeiten gegen sie gewandt haben und Monster erschaffen können. Milans Fee hat es mehrfach angedeutet und langsam kann Skyla es nicht leugnen.
Womöglich ist meine Gabe gefährlicher, als ich zuerst gedacht habe. Wer kann garantieren, dass mich die Finsternis nicht irgendwann verschluckt?
„Hey." Milan stupst sie mit der Nase an und holt sie somit aus ihren Gedanken. „Wir schaffen das schon. Das war ein kleiner Rückschlag, aber so etwas hält uns nicht auf."
„Aber...", setzt Skyla zum Widerspruch an. Doch ihre Stimme bricht weg, woraufhin sie frustriert den Kopf senkt.
Milan lächelt keck und macht einen verspielten Eindruck. „Ich weiß, was dir mit deiner Stimme helfen könnte. Aber zuerst koste ich den Moment aus, denn wann bist du mal so wehrlos."
Kaum spricht er zu Ende, stürzt sich der Geisterjäger auf sie und knutscht sie von allen Seiten ab. Es folgen kleine Liebesbisse und Kitzelattacken, wo er im Vorteil ist, da er über ihr liegt und ihre Fluchtversuche scheitern. Seine Albernheiten verschaffen ihr gute Laune, bis zu dem Moment, als Skyla ihre Umgebung wahrnimmt. Ein fremder Ort voller seltsamer Pflanzen und vielen dunklen Ecken, von wo sie unzählige Augenpaare beobachten. Die vielen Tierhaare auf der Bettdecke fallen dem Medium erst jetzt auf. Der Geruch in dem Zimmer voller antiker Möbel erinnert an das Restaurant Zum Kräutergarten. Es duftet in den einen Ecken würzig und den anderen erfrischend.
Laut Milan befinden sich die beiden in den Privatgemächern einer Hexe namens Naomi. Eine launische Natur und eine starke Geschäftsfrau. Bei ihr hat der Geisterjäger immer das Gefühl, er verliert sein letztes Hemd. Niemals zieht er es in Erwähnung bei ihr einzukaufen und seine Ware vertickt er hier nur, wenn es wirklich nicht anders geht.
Aus reiner Herzensgüte legte die Hexe eine Garnitur alter Kleidung drauf, als sich Naomi den Geist krallte, der Skyla tyrannisierte. Laut Milan war dies die Abzocke seines Lebens. Fertig angezogen macht Skyla einen riesigen Spiegel aus. Er wirkt antik und ist von Ornamenten verziert. Von der Größe überragt das Möbelstück sie locker. Naomis Kleid fällt sehr knapp und Milans lodernder Blick bestätigt das Ganze noch einmal. Es fühlt sich an, als würde ihr Hintern gerade so bedeckt sein. Der Ausblick auf ihre Brust ist zu gewaltig, dass sich Skyla ein Schal, ein Tuch oder irgendetwas wünscht, etwas, das Abhilfe verschafft. Die Vorfreude ist groß, denn die Highheels wirken zu klein. Aber Magie kann auch ganz mies sein. Wie in ihrem Fall, denn das Mordsschuhwerk passt sich ihren Füßen einfach an. Es wächst auf die richtige Größe heran und Milan bekommt sie tatsächlich für die Anprobe überredet. Würde es nach Skyla gehen, stolziert sie barfuß hinaus. Frech wie der Geisterjäger ist bedient er sich an Naomis dunkler Schminke. Nach einem kleinen Wortgefecht, wo Skyla als Verlierer herausgeht, tut sie Milan den Gefallen und schminkt sich so dezent, wie es mit diesem düsteren Material überhaupt möglich ist. Als kleine Belohnung für die Rettung – seine Worte.
Milan fordert Fotos. Ohne Kompromiss. Das Blitzlicht verrät ihn und ihr düsterer Blick spornt den Geisterjäger umso mehr an, sie mit der Kamera zu verewigen. Unter der Bedingung, dass die Bilder in seinem privaten Besitz bleiben, lässt sich Skyla auf seinen Wunsch ein. Was sie für diesen süßen Kerl nicht alles macht. Am Ende des Fotoshootings fühlt sie sich so schmutzig und billig. Ohne seine Hilfe sind ihre Schritte auf den Monsterschuhen jedoch alles andere als elegant. Da die Blamage in dem Outfit nicht zu verhindern ist, übt Skyla in Naomis Zimmer. Die Hexe hat einen abnormalen Geschmack. Auf der dunklen Kommode liegen Tierknochen zwischen herumliegenden Kräuterbündeln. Von der Größe her passen die Gebeine zum Beuteschema der Katzen. Es sieht nach Nager und Vögel aus. Die Bücher in den Regalen wirken alle sehr alt und mysteriös. Fast kein Buchrücken ist beschriftet und alle Bücher sind in Leder ummantelt.
Der Weg aus Naomis kleiner Wohnung wird zur schwersten Hürde, die Skyla je meistern musste. Noch viel schlimmer ist die Tatsache, dass Milan ihr das gutbesuchte Café verschwieg. Naomi betreibt zwei Arten von Business: das gewöhnliche Café mit der facettenreichen Teepalette und ein Nebenraum für den Kauf und Verkauf unterschiedlicher Energien und Dienste. Das Café ist voller antiker Möbelstücke, die wie in der Wohnung ausschließlich schwarz sind. Die Einrichtung passt zum Namen des Cafés -Hexenkessel. Es ist düster eingerichtet und erinnert an ein Versteck einer bösen Hexe. Auch hier liegen zwischen den Regalen Schädel herum und Symbole, wie Monde und Sterne sind überall zu finden. Ob auf eingerammte Bilder oder Objekten wie den Tassen. Zischende Geräusche dringen an Skylas Ohr. Grund dafür sind aufgehängte Stöcke, die so aneinandergeknotet sind, dass sie kreuzartige Symbole ergeben. Schlendern die beiden zu nah an der Hängedeko vorbei, wird das Zischen lauter und Skyla macht große Augen, als die Schnüre sich in Schlangen verwandeln. Die Köpfe strecken sich ihnen entgegen und die Fangzähne werden entblößt. Eine Warnung, die sie besser ernst nimmt.
Skyla fühlt sich wie ein Stück Fleisch in einem Löwenkäfig. Sämtliche Leute werden auf sie aufmerksam, darunter auch Lukas, der in einer Ecke sitzt und in einem alten Buch blättert. Ihr Kindheitsfreund macht große Augen. Ihm steht der Mund offen. Sicherlich ist er enttäuscht von ihr. So wie sie von sich selbst. Als Milan loslacht, blickt sie mit einem tödlichen Blick zu ihm auf. Dabei gilt Milans Spott nicht ihr, sondern Justin, der zur Abwechslung kellnert.
„So tief bist du gesunken, Justin? Für ein Teufelsweib wie Naomi?" Milans Körper bebt vor Erheiterung. „Ihr müsst euch ja wirklich nahe stehen."
Sein griesgrämiger Mitbewohner richtet seine Brille gerade und steuert sie sofort an.
„Naomi will, dass Skyla schnell verschwindet. Sie hat einen Ausflug gemacht und wenn sie heimkehrt, müsst ihr weg sein."
Daraus hört sie: „Ich habe euch Ärger gemacht, das ist unverzeihlich."
Milan schüttelt unverständlich den Kopf. „Was hat Naomi eigentlich? Ich meine, das war der Profit ihres Lebens und wir gehen mit leeren Händen aus!"
„Tun wir nicht!", widerspricht Justin ihm schroff. „Wir haben Skyla retten können und das war jedes Risiko wert!"
Reuevoll schlägt Milan die Augen nieder.
Justin winkt sie zum Tresen und serviert Skyla eine Tasse Tee. „Deine Stimmbänder sind angeschlagen, das wird dir helfen. Du magst dich vielleicht ausgeruht fühlen, aber ich versichere dir, dass du dich überschätzt. Schone dich, Skyla. Naomi ist in der Lage, dich krank zu schreiben, wenn du magst."
Sie schüttelt ihren Kopf. „Ich habe Urlaub."
„Was?" Milan ist schockiert. „Warum erfahre ich erst jetzt davon?"
Reuevoll schlägt Skyla die Augen zu. „Sorry, Milan. Es ist über Weihnachten so viel passiert und die Ereignisse haben sich einfach überschlagen."
Der süße Geisterjäger lächelt sanft, als habe er für ihre Situation vollstes Verständnis. „Hey, ist okay. Trink den Tee, der wird dir helfen."
Bislang ist Skyla auf den Geschmack von Salbei nicht gekommen und wird sie so schnell auch nicht. Der Tee ist wohltuend und doch kostet ihr jeder Schluck Überwindung. Die geheime Zutat der Hexenküche behebt den Schaden jedoch sofort und Skylas Stimme gewinnt an Kraft und die Schmerzen sind mit der einen Tasse wie fortgespült.
„Wow. Ein kleines Wunder", staunt sie laut.
Justin lächelt zur Abwechslung. „Schon bald geht es dir besser, vertrau mir."
„Oh, Justin. Du kannst ja auch mal anders. Ich dachte, ich wäre dir total egal!", provoziert sie ihn mit einem fiesen Grinsen.
Daraufhin schmettert Justin ihr einen beleidigten Blick entgegen. „Ich habe dich für schlauer gehalten und unser Verhältnis harmonischer eingeschätzt, Skyla."
„Welches Verhältnis? Das klingt ja schrecklich!" Milan schüttelt sich genervt. „Nimm dir lieber Naomi, denn Skyla gehört mir!"
Doch Justin winkt genervt auf und konzentriert sich mehr auf das Medium, die amüsiert lächelt.
„Harmonisch ja?"
„Liege ich falsch?"
„Ich weiß nicht, was für dich unter harmonisch fällt, aber ich nenne unsere Momente mal liebevoll lebhaft. Wir haben gute, aber auch schlechte Tage."
Justin nickt zufrieden. „Das ist wahr und gestehe ein, dass wir beide launisch sein können. Aber du weißt ja, wir müssen noch länger miteinander auskommen. Deine Ausbildung ist noch nicht abgeschlossen."
„Mhm. Ich hab dich auch lieb!", kontert sie giftig und sorgt für Verwirrung bei den Geisterjägern. „Was denn?"
„Hör auf so etwas zu sagen! Das sorgt für Missverständnisse!", fordert Milan bestimmend. „Man könnte meinen, dass ihr euch mögen würdet."
Am Ende schüttelt sich der dreiste Kerl.
Skyla blinzelt ihn verwirrt an. „Hast du Verlustängste, Milan?"
„Ja", gesteht er sich ein und drückt sie näher an sich. „Warum auch nicht?"
Augenrollend entfernt sich Justin von ihnen. Etwas, das Skyla nicht zulassen will und hinterherruft: „Warte, Justin."
Widerwillig kehrt der Brillenträger zu ihnen zurück.
„Was gibt es denn noch, Skyla?"
„Wo sind eigentlich meine Sachen? Und meine Dämonen?"
Erwartungsvoll hält Justin ihr seinen Arm hin und da sie zögert, sich einzuhaken, hebt er die Augenbraue. Milan atmet hörbar laut ein und betrachtet seinen Mitbewohner warnend, aber das scheint einen Mann wie Justin nicht zu interessieren.
„Wirklich, Justin? Geh doch einfach vor!", fordert Skyla ihn auf.
Seine Mundwinkel zucken kurz. „Damit du dich in diesem Schuhwerk hinlegst?"
Mit einem genervten Laut wechselt Skyla den Geisterjäger und lässt sich in den kleinen Nebenraum führen. Ein kleines Büro dort. Spärlich beleuchtet und eingerammt von Apothekerschränken, die mit unzähligen Gläsern vollgestopft sind. Es erinnert an ein Chemielabor bei all den vielen Substanzen. Viele von den Tränken dienen neben den vielen Kerzen als zusätzliche Lichtquelle.
Mitten drinnen auf einem kleinen, runden Tisch sitzen Agnar, Kai und Mia. Skyla blinzelt ungläubig, denn die Schutzgeister spielen Karten und ein jeder hat einen so fiesen Gesichtsausdruck, dass es ihr vorkommt, eine Zusammenkunft der weltschlimmsten Bösewichte zu unterbrechen. Bei all dem Übel steckt in Kais Maul eine Zigarre. Da fehlen nur noch der Hut und die Krawatte und ihr Bär könne als Mafiaboss durchgehen.
„Hey! Macht die Türe zu! Das Licht blendet ja schrecklich!", beschwert sich Agnar bei den Besuchern.
Statt die Karten zu halten, schweben diese vor der kleinen Spinne.
Provokativ reißt Justin die Tür noch weiter auf, woraufhin Mias Kopf rot zu glühen beginnt und die Fee vor Zorn ihre Karten auf den Tisch pfeffert, um sich mit erhobener Faust zu ihm zu drehen.
„Sag mal, spinnst du! Das Licht schmerzt in den Augen!"
Kai lässt ebenfalls die Karten fallen und erhebt sich baff, als er Skyla zu Gesicht bekommt.
„Das muss ein Traum sein", bringt er ungläubig hervor.
Als er zu Sabbern beginnt, dreht sich Skyla provokativ von ihm weg und schnaubt genervt. Ihre Sachen sind schnell ausgemacht, sie liegen fein säuberlich auf dem Stuhl gefaltet. So knitterfrei und fast schon zu perfekt sieht nach Justins Arbeit aus.
„Das restliche Equipment befindet sich noch vor Ort, richtig?", spricht Milan sie an.
Zur Antwort nickt sie, woraufhin Justin beschließt: „Darum kümmern wir uns. Von Lukas habe ich bereits alle Details, die wir brauchen."
„Habt ihr nicht!", widerspricht Skyla ihm. „Denn ich habe das Wesen erschaffen!"
Während Justin sie prüfend betrachtet, schüttelt Milan sein Kopf.
„Schwachsinn! Bürde dir doch nicht solch eine Last auf."
„Es ist wahr!", versichert Skyla ihm. „Ich habe auf meine Macht zurückgegriffen und befand mich in einer Erinnerung, als mir der Geist zwischengefunkt hat, der meine Cousine Tessa damals terrorisierte. Heißt das jetzt, dass all die Seelen, die ich absorbierte, tickende Zeitbomben sind?"
Um ihre Sorge mehr Bedeutung zu verleihen, streckt sie ihren rechten Arm auf Augenhöhe, als ob unter ihrer Haut das Übel lauert. Zum ersten Mal sieht sie einen Mann wie Justin ratlos und sichtlich besorgt. Milans Partner betrachtet sie fassungslos, während Milan sich das Medium schnappt und in eine feste Umarmung zieht. Eine Alles-wird-gut-Geste, denn das ist sein Lebensmotto. Egal, was passiert, irgendwie stehen sie das durch. Nichts, was sie beruhigt, denn in Anbetracht der Fakten ist Skyla beunruhigt.
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