Kapitel 42
Wie ein geprügelter Hund folgt eine Entschuldigung aus Naomis Munde. Die Hexe kniet zitternd vor Skyla und meidet Blickkontakt zu allen Anwesenden. Milans Zorn ist nicht verflogen, aber das Mündel wird von Justin im Zaun gehalten. Die Laune des erfahrenen Geisterjägers gleicht einem Dynamitfass. Justin ist gereizt und zieht sich zurück. Keiner der anwesenden Hexen traut sich, ihm in sein Zimmer zu folgen. Segone kostete allen Kraft und Nerven. Auch wenn Milan andere Pläne hat, sucht Skyla die Küche auf, um die Meute zu stärken. Milan verweilt dabei die ganze Zeit über bei ihr. Er mag zwar keinen Finger krumm machen, um ihr bei der Zubereitung des Mahls zu helfen, und doch reicht es Skyla, wenn er Wache hält und zwischendurch verkostet. Die Vorräte der Geisterjäger sind noch immer erbärmlich und doch befindet sich Skyla in ihrem Element. Am Herd zu stehen und Produkte respektvoll zu verarbeiten ist für sie fast so entspannend wie ein guter Manga. Auch wenn der nächste Arbeitstag Anstrengung verspricht, freut sie sich, an Davids Seite zu kochen.
Bei all dem Theater geht Skyla nicht davon aus, dass sie die Gruppe an einen Tisch versammelt kommt. Daher sind die Augen der Hexen groß, als Skyla und Milan ihnen Essen servieren. Besonders Naomi ist verwundert. Sie zögert. Milan muss sich zurückhalten, denn würde es nach ihm gehen, hätte er ihr den Teller ins Gesicht geklatscht. Aber Skyla hält nicht viel von Essenverschwendung. Zumal sie in Zukunft auf Naomi bauen muss. Das ist ein Friedensangebot von ihrer Seite. Ob Justins drei Freundinnen die Mahlzeit anrühren, sei ihnen überlassen. Skyla findet, dass der Chef ebenfalls etwas Warmes gegen die schlechte Laune braucht.
Widerwillig beugt Milan sich Skylas Willen und lässt sie allein in Justins Reich passieren. Ein Zimmer, das mehr an ein Büro erinnert. Mittig des Raumes befindet sich eine Dreier -Konstellation von Schreibtischen und zwei riesige Bücherregale trennen den Arbeitsbereich vom Schlafzimmer. Skyla schmunzelt bei all der Reinlichkeit. Der Duft starker Reinigungsmittel liegt in der Luft und die Dielen glänzen beeindruckend. Hier kann jedermann unbedenklich vom Boden speisen.
Justin funkelt seine Besucherin böse durch die Brille an. Er lenkt sich mit Arbeit ab. Der Laptop ist eingeschaltet und neben einer Stadtkarte liegt eine offene Akte.
„Ich habe dir keine Erlaubnis gegeben, einzutreten."
Skyla ignoriert sein Grummeln und stellt ihm den Teller Pasta vor die Nase und dazu das Besteck.
„Du solltest etwas essen, Justin."
Er seufzt laut und nimmt die Brille ab. Als wüsste der Geisterjäger nicht, wie er mit ihr in Zukunft sprechen kann, lässt er den Kopf hängen. Nur kurz, denn wenige Sekunden später sucht Justin Augenkontakt.
„Für das ganze Drama fühle ich mich verantwortlich, denn ich habe Naomi falsch eingeschätzt. Ich habe gedacht, sie vertraue mir mehr und handelt nicht hinter meinem Rücken."
Skyla schüttelt den Kopf und verschränkt die Arme. „Nein, Justin. Du warst da und hast mir mit Caja aus einer sehr unangenehmen Situation geholfen. Ohne euch wäre meine Lage deutlich schlimmer. Ich danke euch."
Mit einem ironischen Lächeln schlendert Skyla zu der Wand, wo ein Jagdgewehr hängt. In diesem Moment muss sie sich erinnern, wie Justin gegen den Dämon kämpfte. Entschlossen dreht sie sich um.
„Ich verspreche, dein Training nun mit mehr Motivation wahrzunehmen. Segone ist nicht fort und ich will euch eine größere Hilfe sein. Auch ohne Fähigkeiten. Was nicht bedeutet, dass ich in Zukunft auf meine Macht verzichte. Ich vertraue darauf, dass Naomi mir mit meinen Problemen hilft und nebenbei lerne ich weiterhin von dir. Ist das ein Plan?"
Es wäre nicht Justin, wenn sein Misstrauen nicht geweckt wäre. Dieser Mann ist vorsichtig und glaubt an keine Zufälle. Sein Blick ist prüfend. Skyla schreitet entschlossenen Schrittes auf den Schreibtisch zu. Sein Schweigen belustigt sie. Mit einem großen Grinsen beugt sie sich zu ihm hinab und hält ihm auffordernd die Hand hin. Justin hingegen schüttet sich etwas Wasser in ein Glas und deutet an zu trinken. Bevor er dieses jedoch an seine Lippen ansetzt, trifft der Inhalt Skyla im Gesicht. Es war eigentlich vorhersehbar und doch wischt sich Skyla mit ihrem Pulloverärmel sauber.
„Weihwasser", ahnt sie.
Justin nickt stumm. Sein Blick ist wachsam.
„Wie du siehst, bin ich nicht besessen und auch keine Täuschung. Ich bin die Echte. Deine nervige Schülerin."
„Woher kommt der Sinneswandel?"
Natürlich geht Justin nicht auf ihre Albernheiten ein. Stattdessen fordert er Antworten. Ihr Schulterzucken ist eine Provokation, die er mit einem strafenden Blick kontert. Ein Geständnis kommt alternativ für Skyla nicht in Frage. Sicherlich rühmt er sich nicht, wenn sie damit rausrückt, wie beeindruckt sie von seiner Aktion war, und doch hat dieser unverschämte Kerl kein Lob verdient.
Seufzend lehnt sich Justin zurück in den Sessel und verschränkt die Arme.
„Also schön. Naomi hat ihr Fett wegbekommen und nun bist du dran, Skyla. Bist du zufrieden?"
Misstrauisch runzelt sie die Stirn. „Womit zufrieden?"
„Mit deiner Lage."
„Allgemein oder bezüglich Segone?"
Nun wird Justin zu lange still, sodass es Skyla unangenehm wird. Der Sekundenzeiger an der Wanduhr schlägt so laut wie nie zuvor. Der Geisterjäger prüft sie, da ist sich Skyla sicher. Daher überlegt sie sich die Antwort gut.
„Du kennst meine Meinung zu meiner aktuellen Lage. Daher konzentriere ich mich nun auf Segone. Meine Pläne habe ich dir kürzlich verkündet und beklagen will ich mich nicht, denn wir alle atmen noch und es stehen eine Menge Vorbereitungen vor."
Justin schnappt sich eine weitere Akte. Ihre Akte. Skyla staunt, als sie das oberste Begrüßungsblatt sieht. Ein Filmstreifen mit Fotos von ihr und eine Reihe Informationen prangen dort. Justin wird schnell fündig und ruht mit dem Zeigefinger auf dem Text.
„Du kannst in die Köpfe anderer eindringen."
„Unbewusst und es geschah bislang immer nur bei Milan."
„Warum ausgerechnet Milan?"
Eine berechtigte Frage. Skyla nimmt sich einen Moment, um darüber nachzudenken. Sie glaubt, die Antwort zu kennen, aber zögert dennoch.
„Es ist seine Vergangenheit. Die verschlossene Tür, die ich niemals öffnen darf. Aber ich möchte mit eigenen Augen sehen, was sich dahinter verbirgt."
„Die Dunkelheit ruft nach dir." Erschöpft nimmt er die Brille ab, um diese zu putzen. „Das ist gefährlich."
„Dein Essen wird kalt."
Skyla hat sich so viel Mühe gegeben, es wäre schade, wenn er sich nicht stärkt. Auch wenn sie eigentlich vom Thema ablenken möchte. Aber Justin schenkt ihrem Werk keine Aufmerksamkeit und starrt seinen Gesprächspartner weiter an.
„Ich frage dich noch einmal, bist du glücklich mit deiner Lage."
Er macht sie fertig. Skyla könnte ihn verfluchen und fährt sich verzweifelt mit den Fingern durch die Haare.
„Boar Justin! Bitte sag doch einfach, was dir auf den Herzen liegt und spiele nicht mit mir! Bin ich in deinen Augen eine Bedrohung oder nicht?"
Justin schüttelt verärgert den Kopf und beugt sich vor. „Es geht sich hier nicht um deine Fähigkeiten, sondern um die Verantwortung!" Sein Blick ist tadelnd, dennoch weicht er von ihr. Stattdessen fixiert er die Tür an. „Milan, komm schon rein, statt uns zu belauschen!"
Erschrocken dreht sich Skyla um und horcht in die Stille. Tatsächlich knirschen die Dielen aus dem Flur und Milan tritt Sekunden später ein. Mit einem entschuldigenden Lächeln an Skyla gerichtet, die empört ist, schließlich soll er ihr vertrauen.
„Hey." Milan winkt in die Runde und erblickt den ungerührten Teller. „Isst du das noch, Justin? Ich werde langsam hungrig und das hier scheint länger zu dauern."
„Deine Einschätzung!", brummt Justin warnend.
Aber Milan atmet genervt aus und es folgt eine Beschwerde: „Nö! Es sind noch keine vierundzwanzig Stunden vorbei. Mein Bericht ist nicht mal ansatzweise aufgesetzt!"
„Dann eine kurze Stellungnahme bezüglich des Ausflugs", fordert Justin streng.
Milan schmeißt sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch und starrt die Decke an, bevor er sich auf das Spiel einlässt.
„Es lief alles nach Plan hätte sich der Nang Tani nicht eingemischt."
So schnell wie Justin die Akte in der Hand hat, kann Skyla kaum mit dem Auge verfolgen. Tatsächlich haut er Milan diese um die Ohren.
„Ich fordere Ehrlichkeit, Milan!"
„Was soll das, Justin? Ich bin ehrlich!"
„Schwachsinn! Du schützt Skyla, dabei weiß ich bereits von Naomi, dass sie sämtliche Regeln gebrochen hat und sie dir auf der Nase herumtanzte! In einem gefährlichen Areal! Schande über dich!"
Milans Schulterzucken scheint Justin auszureichen. Wütend erhebt er sich.
„Ist doch nichts passiert, Justin!"
„Überlege dir deine Antworten dreimal, Junge! Statt dich bestrafe ich deinen Schützling!"
Nun werden Milans Augen schmal und auch er erhebt sich.
Skyla atmet genervt aus, als die beiden Geisterjäger sich streitsuchend anstieren. Daher schiebt sie sich zwischen die beiden Kerle. Es wäre ein leichtes die beiden Köpfe zu packen und aneinander zu donnern. Ein Gedanke, der ihr gefällt und doch packt sie sich Milan und hievt ihn auf die Beine. Mit geweiteten Augen balanciert er sein Gewicht, während Skyla auf dem Stuhl Platz nimmt und Justin mit einem dunklen Ausdruck ansieht.
„Ich habe es verbockt, also schimpfe mit mir. Du mutest Milan zu viel zu. Er wird sich nicht gegen mich durchsetzen, denn ich handle nach einem Bauchgefühl heraus. Milan warnte mich, aber ich war mit den Bedingungen nicht einverstanden. Ich sehe nicht weg und schreite zur Tat."
„Womit du uns alle in Gefahr bringt!", zischt Justin.
Er hat Recht und das fuchst Skyla. Es wird Zeit, dass sie schnell genug lernt und im Alleingang ihre Angelegenheiten klärt.
Widerwillig nickt Skyla. „Darum geht es hier oder? Du bist sauer, weil ich die Gefahr nicht ernst nehme."
„In der Tat muss ich mich darauf verlassen können, dass du die Regeln unterwegs befolgst. Zu unser aller Schutz. In Köpfe einzudringen und nach Lust und Laune handeln bringt Chaos. Der Geist deines Dämons hätte beschädigt werden können. Dann wäre er ein fragiles Wrack und unbrauchbar."
Skyla presst die Luft genervt durch die Zähne und betrachtet dies von einem anderen Blickwinkel.
„Es mögen Erinnerungen gewesen sein, aber ich wurde wahrgenommen und konnte mit Personen in Aktion treten. Damit bin ich in der Lage, etwas zu verändern."
„Falsch!" Justin schüttelt erzürnt den Kopf. „Deine Einmischung fand bereits in der Vergangenheit statt. Ein Paradox. Ist dir bewusst, was das bedeutet? Was ein Paradox überhaupt ist?"
„Etwas, was nicht eintreten sollte und alles auf den Kopf stellt", antwortet Skyla schnaufend.
Statt Lob funkelt Justin sie böse an. „Fällt ein Dominostein, kannst du die Kettenreaktion nicht aufhalten. Alles kippt und bricht. Ein Schaden, den du verschuldest. Ich bitte dich, konfrontiere Kai im Vier-Augen-Gespräch. Er kannte dich bereits aufgrund deiner Einmischung. Er wusste, euch verbindet etwas, daher verlangte er gezielt in Gefangenschaft nach dir."
Skyla mag dies bezweifelnd und doch schadet es nicht, dem nachzugehen. Daher willigt sie mit einem Nicken ein.
„Aber zuerst stärken wir uns. Kai ist eh bewusstlos."
Fast erreicht Skyla die Tür, da ruft Justin sie mahnend. Er blickt streng zwischen seinen beiden Schützlingen hin und her.
„Euer Bericht liegt morgen früh auf meinem Tisch."
Milan stöhnt frustriert, während Skyla überrascht die Augenbraue hebt.
„Bitte?" Sie rückt Justin auf die Pelle. „Dein Ernst? Nach dem Erlebnis?"
„Ja. Besser jetzt. Je mehr Zeit verstreicht, je weniger Details werden dir im Nachhinein einfallen."
„Nö, Justin. Ich bin kaputt und hungrig", weigert sie sich.
„Es gehört zu deinen Pflichten!", ermahnt er sie.
Skyla lacht höhnisch. „Du glaubst doch nicht allem Ernst, dass ich mich jetzt an einen Bericht setze!"
Justin lächelt böse und spielt mit verdammt guten Karten, indem er sämtliche Informationen gegen sie verwendet. „Du bist morgen doch arbeiten oder? Soll ich dir deinen Tag vermiesen? Ich könnte ein nerviger Gast sein, der dein zubereitetes Essen nicht mag oder wie wäre es mit einem plötzlichen Überfall vom Amt für Hygeneschutz. Mia könnte in meinem Auftrag ein riesen Chaos veranstalten. Es gibt genug Mittel, wie ich dir die Arbeit versaue."
Mit schmalen Augen beugt sie sich zu ihm heran und presst die Beschimpfung zischend zwischen ihren Zähnen durch. „Du bist so ein Arsch!"
Ihr Gegenüber belächelt ihren Zorn, denn er erkennt sicherlich seinen Sieg.
Die Tür ist fast erreicht, da dreht sich Skyla wütend um und kotzt sich ein letztes Mal aus. „Weißt du, ich hatte wirklich geglaubt, dich mögen zu können. Ich war dir dankbar und fasst hatten wir so etwas wie ein harmonisches Verhältnis, aber jetzt ziehst du den Mist ab und es fühlt sich an wie damals, als du mir zum ersten Mal die Türe zu eurem verkommenen Heim geöffnet hast! Mir zu drohen, wirst du bereuen! Ich mag vielleicht jetzt deinem Wunsch nachgehen, aber das rächt sich, Justin. Das rächt sich! Dann, wenn du es nicht erwartest!"
Ignoranz ist mehr Bestrafung als ein darauffolgendes Wortgefecht. Justin hat die Ruhe weg und blickt sie durch seine Brille an, als gedulde er sich auf ein Nachbeben, das aber nicht kommt. Milan hingegen hält den Atem an. Sorge scheint ihn zu plagen. So wie damals, als Skyla nicht gut auf seinen Partner zu sprechen war.
„War es das, Skyla? Du musst wissen, ich bin beschäftigt und würde mich nun wichtigeren Dingen widmen."
Die Provokation schlägt ein wie ein Blitz. Skyla verschlägt es die Sprache. Die Zunge ist wie verknotet und die Wangen glühen. Eilig tritt sie hinaus. Selbst das dramatische Türknallen sei ihr nicht gegönnt, denn Milan ist ihr gefolgt und betrachtet sie besorgt mitten im Rahmen. Quälend langsam schließt er die Pforte zu dem Psychopathen.
„Der Bericht", beginnt Milan mit einem charmanten Lächeln, „der ist schnell gemacht. Versprochen."
Aber davon will Skyla nichts hören und winkt ihn in Richtung Küche. Die Arbeit kann vorerst warten!
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