Kapitel 39
Naomi entzündet ein Leuchtfeuer. Das grelle Licht nimmt den gesamten Raum ein und ist sicherlich kilometerweit zu sehen. Das unnatürliche Brummen kündigt die Bombe an. Es gibt kein Entkommen. Panisch blickt Skyla dem Nang Tani in die Augen.
„Lauf und löse dich von mir, Dalika! Was auch immer, sterbe nicht hier mit mir!"
Skyla hofft, dass ihr Schutzgeist sie unter all dem Lärm der Schallwellen hören kann. Aber Dalika schüttelt eisern den Kopf und ergreift ihre Hand, als sei sie bereit, abzudanken. Skylas Zittern scheint ihr nicht zu entgehen und so reißt Dalika sie fest in ihre Arme. Am Hinterkopf drückt sie das Medium fest gegen ihren Busen, sofort steigt der Duft der Tempelblume dem Medium in die Nase. Das Magnetfeld ist nah. Das Dröhnen lauter und die Schwingungen in der Luft stärker. Skylas Körperbehaarung stellt sich auf und die Brust ist wie zugeschnürt.
Aus dem Augenwinkel heraus nimmt Skyla Bewegungen wahr. Starke Wurzeln kämpfen sich hinauf durch den Boden und bilden ein schützendes Dach. In nur wenigen Blicken entsteht ein dichtes Wurzelgeflecht über Skylas Kopf, dass ein dunkler Raum entsteht, der nur noch von Dalikas Leuchtgestalt erhellt wird. Das metallische Dröhnen ist deutlich leiser geworden und dennoch präsent. Als plötzlich wildes Gebrüll und bebende Schritte näher kommen. Dalika hat die Ruhe weg. Sie scheint sich nicht zu fürchten. Erst jetzt nimmt Skyla ihr herzliches Summen wahr. Der Nang Tani streicht ihr sanft durchs Haar, wie eine liebende Mutter.
Mit Wucht wird Dalikas Wurzelgeflecht attackiert. Holz splittert und Löcher entstehen in dem Dach. Das metallische Dröhnen hingegen ist von jetzt auf gleich fort und Skyla hört Naomi vor Frust brüllen.
„Wie ist das möglich! Das kann nicht sein!", ärgert sich die Hexe laut.
Dalikas Mundwinkel zucken freudig, als Skyla den Kopf hebt.
„Kai scheint sich beruhigt zu haben. Geh und sieh nach ihm, kleine Blume."
„Kai?" Skyla blinzelt ungläubig. „Bist du sicher?"
Der Nang Tani nickt sanft. „Ihm verdanken wir unser Leben."
„Du bist geblieben, obwohl du hättest sterben können", spricht Skyla die Tatsache mit Ehrfurcht aus.
„Als könne ich mit der Schande leben, versagt zu haben, meine kleine Blume zu beschützen. Wir sind doch jetzt eine Familie." Ganz sacht erlaubt sich Dalika, ihr über die Wange zu streichen. „Und das erfüllt mich mit Stolz."
Ob Wahrheit oder Lüge – es spielt keine Rolle. Skyla kann ihr Glück kaum fassen.
Da sich Skyla nicht in Bewegung setzt, führt Dalika sie an der Hand zu den brüchigen Stellen und bahnt sich mit nur wenig Druck auf das Geäst einen Weg hinaus aus dem Schutz-Kokon. Sofort springt Skyla der Schaden am Mauerwerk ins Auge. Ein riesiges Loch gewährt dort freie Sicht auf den Wald. Allein die runde Form spricht für Naomis Angriff. Dalika dreht sich erschrocken zu ihr und stößt sie zurück in den Kokon. In diesem Moment erfassen Skylas Augen eine rollende Kugel, die vom Material und von der Größe an eine Bowlingkugel erinnert. Während im inneren Blitze toben, befindet sich ein Timer auf der Oberfläche. Piepsend sinken die Zahlen rückwärts im Sekundentakt. Drei Sekunden! Aus Reflex handelt Skyla während ihres Falls und feuert das Ding mit einer Schockwelle fort. Genau rechtzeitig, um Dalika zu schützen. Denn kaum landet der Timer auf null erschüttert eine Explosion den Raum. Blitze und Rauch bahnen sich einen Weg hinaus. Naomis Schrei dringt aus dem Gefahrengebiet. Skyla fällt unsanft auf den Hintern und gönnt sich einen tiefen Atemzug. Sie ist froh, dass die Magie der Hexe nicht bei Dalika hochgegangen ist. Nun ist aber ein Punkt angelangt, wo sich Skyla kaum noch zurückhalten kann. Naomi ist gefährlich und die Toleranzgrenze ist fast erreicht.
Der Zorn macht den Körper leicht und so erhebt sich Skyla schwunghaft. Das Geäst knackt laut, bevor es bricht, als sie sich durch den Ausgang drückt. Ihre Beine tragen sie vorbei an Dalika, die ruhig an der Stelle verharrt und wachsam den Thronsaal im Auge behält. Kaum entfernt sich Skyla von ihr, nimmt der Nang Tani die Verfolgung auf. Skyla schreitet gezielt zum Rauch, der sich langsam lichtet. Das Husten der Hexe klingt nah. Zu Naomis Pech läuft sie Skyla direkt in die Arme. Naomi schwankt und Blut läuft ihr aus dem Ohr. Das hübsche Gesicht ist mit Dreck verschmiert. Aber all das beeindruckt Skyla reichlich wenig. Denn in Anbetracht der letzten Ereignisse ist die Hexe noch glimpflich davon gekommen. Naomi hat und wollte ihren Dämonen schaden. Auch wenn das in der Natur der Hexen steckt, ist Skyla unfassbar wütend. Dass Naomi nach ihrem Tod trachtet kann sie noch irgendwie verstehen und doch hätte sich die Hexe rein auf sie konzentrieren können. Hat sie aber nicht! Sie hat Skylas Schutzgeister im Visier gehabt und Kais Leiden genossen.
„Verzeih mir, Justin."
Der Zorn vergiftet Skylas Gedanken. Mit Wucht holt sie aus und donnert die Faust der Gerechtigkeit hinab. Es trifft Naomi mitten im Gesicht und haut die Hexe um. Mit glühendem Blick schaut Skyla auf die am Boden liegende Hexe und bemerkt, dass sie ihren Arm zum nächsten Schlag gehoben hat. Der Arm zittert stark, als demonstriere er ihren inneren Konflikt zwischen Moral und Selbstjustiz. Naomi spuckt Blut und kichert leise. Die Hexe hebt anmutig den Kopf, um Blickkontakt zu suchen.
„Von Zorn zerfressen. Du willst mich noch einmal schlagen oder? Und dann noch mal. Solange bis ich nicht mehr erwache? Nicht wahr?"
Skyla wünscht sich, sie könne es mit gutem Gewissen verneinen, aber ein winziger Teil in ihr findet den Gedanken verlockend. Naomis Respektlosigkeit verstärkt den Zorn. Der Körper ist steif und die Zähne gebleckt.
„Kai! Nicht!" Dalika eilt heran und stellt sich dem riesigen Grizzlybären in den Weg. „Wir haben uns in diesem Fall nicht einzumischen."
Skyla blickt über die Schulter zu ihrem ältesten Verbündeten. Der wilde Ausdruck ist noch immer nicht verschwunden, dennoch wirken seine Augen lebendiger und fixieren sie sogar an. Dalikas Worte scheinen ihn zu besänftigen und seine Haltung wirkt entspannter. Daher möchte sich Skyla an ihm ein Beispiel nehmen. Ein Fehler. Denn im nächsten Moment schmettert sie ein leuchtendes Geschoss mit Wucht fort. Denn Fall bekommt Skyla nicht mal mehr mit. Nur die Landung. Spitze Steine liegen ihr im Rücken, aber der Körper ist taub und schwer. Sie zuckt unwillkürlich und ein flammendes Inferno an Schmerzintervallen bahnt sich unter ihre Haut einen Weg von Kopf bis Fuß.
Naomi erhebt sich brüllend. Zwischen ihren Fingern formen violette Blitze einen Dolch, den sie Skyla ins Herz rammen versucht. Aber Dalika bricht ihr eigenes Wort und kickt die Hexe mit einem Tritt von der Seite fort. Auch Kai tritt in Aktion und stürmt brüllend los. Segone erscheint aus dem Nichts und hält in ihren Händen ihr Schwert. Die Königin schwingt es meisterhaft und in einem beachtlichen Tempo, dass Skyla ihren Bewegungen nicht folgen kann. Blut spritzt von allen Seiten und Kai bricht brüllend zur Seite. Dalika eilt herbei. Statt Kai entscheidet sie sich für Skyla. In ihren Händen hält der Nang Tani einen Ast, der an Bambus erinnert. Sie steckt diesen zwischen Skylas Zähne und hält die Hand des Mediums gedrückt.
Segone nähert sich Schritt für Schritt, aber Dalika beginnt zu Summen. Die Töne sind sanft und das Umfeld reagiert auf ihre Stimme. Leuchtende Kugeln steigen vom Boden auf und Skylas Schmerzen werden erträglicher. In einer anderen Situation könnte Skyla in diesen Moment vielleicht aufatmen und doch beunruhigt sie die anrückende Dämonin, die mit glühendem Blick ihren Schutzgeist fixiert. Das Schwert in den Händen ist festumklammert und wird in die Höhe gestreckt. Skyla hebt ihren halbtauben Körper stöhnend an. Den Blick auf Segone gerichtet. In der Hoffnung, Dalika erblickt die Bedrohung. Aber der Schutzgeist beugt sich lieber vor, um Skyla Halt zu geben.
Segone verharrt, obwohl das Ziel nur wenige Schritte entfernt ist. Mit gerunzelter Stirn dreht sie sich zu Kai, der sich auf die Beine gekämpft hat. Jetzt, wo der Bär sich drehte, erblickt Skyla das katastrophale Ausmaß. Segones Schnitte haben sich von der Brust bis zum Bauch tief ins Fleisch gezogen. Kai verliert unfassbar viel Blut und doch steht er eisern und schnauft herausfordernd. Im nächsten stürmt er mit dem Kopf voran, sodass Segone sich dreht und ihr Schwert so auf ihn richtet, als wolle sie ihn damit durchbohren. Dalika schnippt mit den Fingern und plötzlich wachsen aus dem Boden Ranken, die Segones Schwert umfassen. Die Dämonenkönigin reagiert darauf und zerteilt die ersten Wurzeln mit ihrer Waffe. Sie schlägt sich gut und vor allem schnell in Anbetracht von Kais Angriff. Kurz bevor der Bär sie erreicht, springt Segone zurück. Frei von sämtlichen Wurzeln. Ihr Fokus gilt nun Kai. Aber Dalika ist noch lange nicht fertig. Gerade als Segone das Schwert in Kai stoßen möchte, schlägt die Natur zu und entreißt der Dämonin zuerst das Schwert. Die Schlingen umklammern Segones Körper, aber die Königin hat Kraft in den Armen. Sie reißt das dicke Geflecht von sich. Dalikas Wurzelwerk bleibt hartnäckig und umschlingt den Feind von allen Seiten. Damit hat Kai ungehindert freie Bahn. Er kollidiert mit Segone und reißt sie fort von der Stelle.
Nun, wo die Schmerzen erträglich werden und der Strom aus Skylas Körper austritt, wird es Zeit, sich zu erheben. Dalika erkennt ihr Vorhaben und hilft ihr auf die Beine. Der Ast fällt aus dem Mund in eine riesige Blüte. Wie sich zeigt, ist Skyla auf einer lachsfarbenen Pfingstrose gelandet, deren Blüte sich vollständig geöffnet hat. Nur kurz blicken sich Skyla und Dalika in die Augen. Der Nang Tani zwinkert verdächtig und der Verdacht wird stärker, dass dies ihr Werk ist, denn Mia sagte bereits, dass der Bananenbaumgeist eine Art böse Fee sei und das was Skyla alles zu Gesicht bekam, bestätigt, dass ihr neuer Schutzgeist starkes Band zur Natur besitzt.
Kaum auf den Beinen steht Skyla der Mund offen, als sie das magische Kunstwerk auf dem Boden zu sehen bekommt. Naomi war nicht untätig und kniet auf dem Boden. Dort, wo ihre Hand liegt, ist der zentrale Punkt von insgesamt acht Ringen, die in einem gewaltigen Kreis verlaufen und von unzähligen Mustern geschmückt sind. Einige davon erinnern an keltische Runen. Naomi ist konzentriert und murmelt ihren Zauberspruch vor sich hin. Was sie auch beschwört, es wird nichts Gutes sein. Mit einem Ruck reißt sich Skyla von ihrem Schutzgeist los und läuft so schnell sie kann. Der Sprint ihres Lebens. Naomi hebt erschrocken den Kopf und doch bewegen sich ihre Lippen weiter. Es klingt nach Latein. Kaum erreicht Skyla die Hexe, reißt sie diese mit beiden Händen hoch auf die Beine und setzt zum Schlag an. Die Hexe lächelt böse und unterbricht ihr Gemurmel, woraufhin die magischen Linien zu leuchten zu beginnen.
„Dein Ende!", flüstert Naomi erfreut.
Sie mag es überhaupt nicht verdient haben und doch denkt Skyla an die Konsequenzen, wenn sie Naomi nun windelweich prügelt. Stattdessen donnert ihre Handfläche gegen den Brustkorb der Hexe, in der Hoffnung, Justins Freundin aus dieser Welt zu befördern.
Naomis Augen weiten sich vor Schreck, als sie mit Wucht durch die Luft gerissen wird und die Schockwelle sie tatsächlich fortträgt. Der Körper der Hexe wird transparent und schemenhaft, bis er ganz verblasst und Naomi nicht mehr auszumachen ist. Obwohl sie fort scheint, endet der leuchtende Fluss auf den Linien nicht. Die magische Formel ist dabei, sich vollständig aufzuladen. Zeit, um aus dem gewaltigen Gebiet zu verschwinden. Nur bleibt kaum Zeit, denn gut 80 % des Kunstwerkes erstrahlen in einem kräftigen Violett. Dalika stürmt heran und befördert Skyla mit einem Wurf in die Höhe. Die Flügel aus den Tempelblumen sind längst vergessen, bis sich diese erneut auf dem Rücken bewegen. Blitze kriechen aus der Formel und in nur wenigen Atemzügen erhellt die gesamte Formel die Halle. Bevor das Unheil Dalika trifft, wird Skylas Wunsch erhöht und Dalika in die Luft gerissen. Die Finger kribbeln solange, bis Skyla ihren Schutzgeist umfasst und an sich drücken kann. Der Schreck steht den Nang Tani ins Gesicht geschrieben, während Skyla erleichtert aufatmet. Endlich konnte sie mit ihrer Macht etwas Gutes bewirken.
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