Zehn Meter schätzt Skyla den Abstand zu ihrem Ziel. Der Boden bebt unter den schweren Schritten ihres Schutzgeistes. Kai verrät sich. Er atmet laut und hektisch. Bei seinem Gebrüll vibriert die Luft. Es macht ihr Angst und sie erkennt den kleinen Bären nicht wieder. Samantha hat ihn komplett umgekrempelt. Trotz der Gefahr hält Skyla Blickkontakt zu dem Teufel auf dem schwebenden Thron. Milan hat nicht untertrieben, Naomi ist mehr als ein kleines Biest. Und atemberaubend schön, dass kann sie nicht leugnen. Schon schlimm genug, dass die Augen der Hexe einen hübscheren Blauton haben als ihre eigenen Haare. Mit Schwung dreht sich Skyla um und feuert eine Schockwelle ab, um zu sehen, ob der Bär ins Straucheln kommt. Tatsächlich verliert Kai kurz den Bodenkontakt und hebt schützend seine Bärenpranken. Den Kopf zieht er ein, aber der Abstand verringert sich nur wenige Zentimeter. Nicht genug.

Kaum zieht die Machtwelle an dem Dämon vorbei, verkündet dieser mit einem ohrenbetäubenden Gebrüll seinen Zorn über die Aktion. Skyla wendet sich ab, als die Bärenspuke ihr entgegengeflogen kommt. Die erste Bärenpranke holt aus und verfehlt. Skyla tropft der Schweiß vom Gesicht, denn sie spürte den Windzug. Der Koloss steht ihr genau gegenüber und hat nur deshalb verfehlt, weil sie einen Schritt zur Seite gemacht hat. Die glühenden Augen fixieren das Medium und doch weicht Skyla nicht zurück. Sie hält stur Blickkontakt und versucht es erneut, zu ihm durchzudringen.

„Kai, lass nicht zu, dass dich die Hexe kontrolliert. Wehre dich."

Als ihr Schutzgeist die Pranke erneut hebt, pfeffert sie ihm einen mahnenden Blick entgegen. Mit Nachdruck ruft sie seinen Namen und kurz verharrt der Grizzly in der Bewegung. Kais Geist droht zu erwachen, was Naomi verhindert, denn ihre Blitze schießen von der Decke und schlagen mit Wucht auf den Bären ein. Dalikas Blütenflügel handeln eigenwillig und reißen Skyla fort von der Gefahr, bevor der Blitz auf sie übergehen kann. Dennoch schließt das Medium die Augen und dreht den Kopf schützend zur Seite.

Die Ohren bluten, als Kai den Schmerz hinaus brüllt. Der Dämon windet sich und leidet unter starken Zuckungen. Sein Körper dampft und droht umzukippen. Er schwankt verdächtig von der einen Seite zur anderen. Wie auf einem Schiff, das einem starken Wellengang ausgesetzt. Die violetten Blitzadern klettern über seine Schultern, hinab zum Brustkorb. Wie ein Parasit bahnt sich die Magie ihren Weg zum Herz. Das leuchtende Geflecht beult sich und schlägt wie ein Wiederharken in das Fleisch ein. Mit einem gewaltigen Ruck befördert Naomis Macht die Bestie hinauf in einem Zustand des Schwebens. Wenige Zentimeter über den Boden. Kai ist bislang verstummt und wirkt bewusstlos. Sein Kopf hängt schlaff. Kaum dringt die Magie in den Dämon ein, entsteht auf dem Brustkorb ein leuchtendes Symbol. Zwei Kristallumrisse, die ineinander verflechten und mit Ösen gesichert werden.

„Eine Magiebestie." Segone klatscht begeistert. „Welch ein seltener Anblick."

Die dämonische Königin klingt nah und Skyla erschreckt sich, als sie Segone direkt neben sich ausmacht. Dieser Dämon ist lautlos und dumm genug, sich nah neben Skyla zu platzieren. Der Schrecken ist schnell überwunden, denn es bietet sich eine Chance. Ohne den nächsten Schritt sorgsam zu überdenken, holt Skyla aus, um auf Segone einzuschlagen. Doch die Rosenkönigin fängt ihren Arm, als habe sie geahnt, was das Medium plant. Eine ihrer dickgeflochtenen Strähnen bewegt sich auffällig. Skyla macht große Augen, als sich ein Schlangenkopf erhebt und sie bedrohlich anfaucht. Keine kleine Schlange. Es hat schon etwas von einer imposanten Boa. Ein genauerer Blick auf das Kunstwerk von Haaren und Skyla stellt fest, dass jede einzelne Strähne zu Leben erwacht ist. Unzählige Augenpaare ruhen auf Skyla. Zischend heben sie ihre Köpfe. Begleitet von dem Klimpern der Schmuckelemente im Schopf. Nur Segone würdigt ihr keinen Blick, als könne sie etwas bei der Transformation verpassen. Kai verändert sich und das scheint der Königin zu gefallen. Ihre Augen glänzen vor Begeisterung und die Lippen formen ein bestialisches Grinsen.

Magiebestie klingt nicht gut. Naomi muss sehr schnell zur Vernunft kommen. Segone scheint aktuell kein Gegner für sie zu sein. Die Dämonin ist mächtig ohne Frage. Skylas Zeit ist begrenzt und es müssen Prioritäten gesetzt werden. Mit einem Ruck reißt sich Skyla von Segone los und stürmt voran. Ein Sprung und die Flügel reagieren. Sie verlässt den Boden, womit sie die Aufmerksamkeit der Hexe gewinnt. Kaum fixieren sie die blauen Augen an, hagelt es Blitze. Einer nach dem anderen und jedes Mal zieht sich beim Ausweichmanöver Skylas Herz schmerzhaft zusammen. Durch die starke Lärmeinwirkung trifft der Schall ungebremst Skylas Ohren und hinterlässt ein lästiges Pfeifgeräusch. Begleitet von einem stechenden Schmerz. Nichts, was Skylas Kampfgeist ins Schwanken bringt. Naomi erkennt, dass mehr folgen muss und so donnert ein Geflecht an Energie hinab. Ein Käfig aus Blitzadern. Schmal sind die Lücken zwischen den Gittern und doch wagt Skyla den todesmutigen Versuch. Mit eingezogenen Bauch und angehaltener Luft saust sie hindurch und spürt die Elektrizität in der Luft. Wie tausend Vögel zwitschert sie bedrohlich, als verkündet der Chor die Apokalypse. Die Armhaare stellen sich auf und das bedrohliche Leuchten der Blitzadern ist so grell, dass Skyla kaum hinsehen kann. Aber sie schafft es. Sie schafft es hindurch in die Freiheit. Vor Freude zucken ihre Mundwinkel, als plötzlich etwas auf sie einschlägt. Mit Wucht trifft es sie am Rücken. Hitze und Schmerz lähmt sie. Ihr Körper fällt in einem Affenzahn hinab und landet vor Segones Füßen.

Die Muskeln krampfen. Der Körper gehorcht Skyla nicht länger. Leichte Zuckungen erschweren das Aufstehen. Segone geht in die Knie und umfasst Skylas Gesichts. Ganz sanft.

„Ein netter Versuch. Vielleicht klappt es beim nächsten Mal."

Von der Seite holt ein Bein aus und trifft die Dämonenkönigin im Magenbereich. Segone keucht und verliert den Bodenkontakt. Ihr Angreifer holt erneut aus und rammt ihr Knie aufs Neue in die Magenregion des Dämons. Damit befördert sie Segone fort. Ein Flug quer durch den Raum. Skyla blickt zu Dalika, die sich von Kais Entführerin abwendet und ihrem Schützling unter die Arme packt. Mit ihrer Hilfe schafft es Skyla auf die Beine und nach einigen Anläufen hat Skyla sogar einen sicheren Stand. Nur kurz blicken sich die beiden in die Augen, als sich Dalika von ihr abwendet und mit dem Arm ausholt und Kai aufhält, bevor er auf Skyla einschlägt. Der Nang Tani donnert ihre Handfläche gegen das leuchtende Symbol auf der Brust, woraufhin der Bär erstarrt und keucht. Erst einige Sekunden später ereilt ihm das gleiche Schicksal wie Segone und er wird durch den halben Raum geschossen. Zufrieden nickt Dalika und hebt den Kopf, um der Hexe ins Gesicht zu blicken. Voller Entschlossenheit. Während Skyla der Mund offen steht. Kai ist aktuell ein Schwergewicht, das sie niemals wegschubsen könne. Vielleicht mit der Hilfe ihrer Kraft, aber Dalika hat ihn mal eben mit reiner Muskelkraft durch den halben Saal gefeuert. Ein genauerer Blick auf den Körper des Bananenbaumgeistes zeigt den athletischen Körperbau. Die Muskeln fallen nur auf, wenn darauf geachtet wird. Aber auch die aggressive Haltung und der finstere Blick erinnern an eine Walküre.

„Die Hexe darf nicht sterben." Skyla tritt an ihrem Schutzgeist heran. „Justin würde mir nie vergeben. Wenn möglich schlagen wir sie bewusstlos und zerren sie zurück zu den Geisterjägern, um sie später zur Rechenschaft zu stellen."

„Wie du wünschst, kleine Blume."

Dalikas Freundlichkeit ist fort. Es klingt, als befürworte sie den Plan nicht und doch beugt sie sich dem Willen des Mediums. Es bleibt keine Zeit für eine Unterhaltung. Skyla hat auch schon einen Plan, denn noch immer hat sie vor Augen, wie Milan durch ihre Kraft wegflog. Sie hat ihn aus dieser Welt befördert. Vielleicht müssen sie Naomi nicht mal bewusstlos schlagen. Das gleiche Verfahren reicht aus, um die gefährliche Hexe von hier fortzubringen. Hoffentlich unterbrechen sie damit Kais Verzauberung.

Die Gedanken werden ruckartig unterbrochen, denn Dalika schnappt sich Skyla am Pullover und katapultiert sie mit einem kräftigen Wurf in die Luft. Wie ein Pfeil saust Skyla hinauf. Fast hätte das Medium dabei geschrien.

„Kümmere dich um die Hexe. Segone gehört mir", ruft Dalika ihr noch zu.

Kurz darauf hallt das böse Gelächter der Dämonenkönigin durch den Raum. Skyla saust knapp an Naomi vorbei. Die Hexe verliert einen erschreckten Laut und verfolgt mit ihren Augen Skyla, die sich nun überschlägt und mit den Füßen die Kappendecke berührt. Das Medium beugt sich hinab und umfasst einen der vielen Wandträger mit ihren Händen, sodass sie in Hocke an der Wand lehnt. Naomis schluckt den Schrecken hinab und sie fokussiert sich. Die Hexe stellt sich entschlossen auf den Thron und schwingt ihren Arm. Aus ihrem Ärmel schüttelt sie somit fünf violett leuchtende Kugeln, die vor Energie knistern und leuchten. Mit denen plant Skyla nicht in Berührung zu kommen, daher stößt sie sich mit den Beinen von der Decke ab und startet ein Ausweichmanöver. Erfolgreich fliegt sie an den Geschossen vorbei, aber Naomi ist vorbereitet. In ihren Händen spannt sie einen Bogen aus Blitzen und mit einem energiegeladenen Pfeil zielt sie auf das Medium. Binnen von Sekunden verfehlt dieser nur deshalb knapp, weil Skyla die Gefahr richtig eingeschätzt hat. Dennoch wird sie an der Wange gestreift. Ein kribbelnder Schmerz macht sich breit und warme Flüssigkeit bahnt sich einen Weg über ihr Gesicht. Zeit zum Denken und Analysieren bleibt nicht, denn der nächste Pfeil befindet sich im Blitzbogen. Ohne Reue schießt Naomi einen Pfeil nach dem nächsten ab und bringt das Medium ordentlich ins Schwitzen.

Kaum ist der erste Pfeilhagel überstanden, folgt der nächste. Naomi gönnt Skyla keine Pause. Die Hexe sorgt für ausreichend Abstand. Skyla kommt nicht an sie heran, egal, wie schnell sie unterwegs ist. Die Magiegeschosse werden im Sekundentakt abgefeuert. Hinter einer Säule sucht Skyla schweratmend Feuerschutz und flucht über die Präzision der Hexe. Zwei Blitzpfeile befinden sich in Skylas Körper und lassen das Gewebe ertauben nach einer höllischen Schmerzwelle, die sich wie Feuer unter der Haut anfühlte. Ein neuer Plan muss her! Aber wie Justin einmal über die Bewohner der anderen Welt sagte, bleibt oft dafür keine Zeit und es muss improvisiert werden.

Ein Schnaufen weckt schreckliche Erinnerungen. Wie Boru kommt ein Schlangendrache um die Ecke und macht sie findig. Ein riesiges Monster aus Blitzen, das sofort zubeißt. Skyla will nur ein Stück fallen, da versagen die Flügel komplett den Dienst. Schreiend fällt sie hinab und rechnet mit Knochenbrüchen, denn es geht einige Meter tief hinab. Doch Dalika ist erneut ihre Lebensretterin und fängt das Medium, während der Blick weiterhin auf Segone hängen bleibt. Ein Sprung zur Seite und Dalikas entkommt der Dämonenkönigin, die ihr Bein als Waffe schwingt und mit dem Stiefelabsatz in der Säule stecken bleibt. In einem Spinnennetz aus Rissen, das sich bedrohlich das Mauerwerk hochstreckt. Erschrocken hebt Segone den Kopf und blickt dem Blitzdrachen in die Augen, als dieser mit aufgerissenem Maul die Dämonin verschlingt und in einem hellen Licht verschluckt. Skyla staunt nicht schlecht und erst jetzt sieht Dalika dem Medium in die Augen.

„Du bist verletzt, kleine Blume."

„Halb so wild." Eine Lüge, die sich Skyla selbst einreden muss. Ein Blick umher macht sie hingegen stutzig. „Wo ist Kai?"

„Mach dir um den keine Sorgen."

Das gewaltige Lichtgefängnis, in dem Segone steckt, erlischt, als plötzlich neue Blitzpfeile im Boden einschlagen. Dalika tänzelt an diesen vorbei und blickt nun hoch zu Naomi, die ihre Arme in die Höhe steckt. Der Blitzbogen ist fort. Stattdessen erschafft die Hexe ein gigantisches Geflecht aus Blitzen, das doppelt so groß wie die Beschwörerin ist und mit jeder Sekunde weiterwächst.

„Dein Ende, Skyla", ruft Naomi, als sie die gesammelte Energie siegessicher hinabwirft.