Kapitel 34
Hochkonzentriert und darauf bedacht, keinen falschen Schritt zu machen, waten Milan und Skyla durch das dreckige Wasser. Es reicht bereits über die Hüfte und ist bitterkalt. Weit hinter ihnen kam es zum Abschied mit Dalika. Um Skyla im Kampf gegen Segone zu unterstützen, muss sich der Nang Tani die vorhandene Energie besser einteilen. Sich ihnen weiterhin zu zeigen ist ein Kraftaufwand, den der Schutzgeist gleichzeitig nicht aufbringen kann. Dalika hat Prioritäten gesetzt und die Oberste ist Skylas Schutz. Im Groben weiß das Medium, was sie als Unterstützung erwartet. Das kleine Wunder möchte sie dennoch mit eigenen Augen sehen. Beruhigen tut Skyla die Tatsache, dass Dalika erkannt hat, dass Kai nicht die vertrauenswürdigste Person ist. Aber sie versprach, ihn im Auge zu halten und zu stoppen, falls er sie je im Stich lassen würde. In einem Punkt sind sich alle einig: Kai verlässt das sinkende Schiff zuerst.
„Was tue ich hier eigentlich?", beginnt Milan erneut zu jammern.
Skyla rollt mit den Augen. Nicht bereit, sich erneut auf eine sinnlose Diskussion einzulassen, die zu nichts führt.
Aber er hört nicht auf: „Da ist eine Falle! Und wir sind so dumm und laufen weiter! Bald stecken wir bis zum Hals in der Pampe und kommen nicht mehr raus!"
Stur konzentriert sie sich auf die schwimmenden Blüten des Tempelbaums vor ihrer Nase. Dalika mag nicht sichtbar sein und doch spielt sie den Wegweiser. Ein langer Fußmarsch liegt hinter ihnen, sodass Skyla nicht bereit ist, umzukehren. Die Hoffnung ist groß, dass das Ziel endlich mit dem Auge zu erfassen ist.
Borus Feuerkugeln haben sich seit einer Weile aufgelöst, womit ihre einzige Lichtquelle aus den vielen Glühwürmchen, um sie herum, besteht. Milan hat nicht gelogen. Sein Drache ist alt. Das mächtige Geschöpf kann nicht lange eingeplant werden. Boru ist geschrumpft und liegt schnarchend um Milans Hals. Kaum größer ein Schal.
„Hey, jetzt warte doch mal, Süße!"
Als Milan sie am Arm zurückhält, braucht Skyla einen tiefen Atemzug. Gereizt und müde dreht sie sich um.
„Dann kehre um, Milan. Ich hingegen ziehe das jetzt durch."
„Sieh uns an. Das hier kostet uns unfassbar viel Kraft. Energie, die wir im Kampf gegen den Dämon brauchen."
Ein berechtigter Einwand. Sie kann nicht leugnen, dass die Erschöpfung langsam siegt. Lange kann sie sich nicht auf den Beinen halten.
„Dein Vorschlag?"
„Wir bitten Naomi darum, diesen Ort zu verlassen. Sie hat den Dämon sicherlich auch schon ausgemacht."
Keine leichte Entscheidung! Skyla ist zwiegespalten. Der dunkle Sumpf wirkt endlos. Ein Blick in die ewige Dunkelheit und Milans Vorschlag schmeckt umso süßer. Alles spricht dafür, die Mission abzubrechen, und doch baut sich ihr falscher Stolz vor ihr auf. Mit einem warnenden Blick, der keine Widerworte duldet. Hinzu kommt eine Kreidetafel mit guten Argumenten, die gegen einen Abbruch sprechen.
Flucht = Vertrauensbruch bei Dalika
Flucht = Schaden an der eigenen Autorität
Flucht = Spott der Hexen
Flucht = große Enttäuschung für Justin
Flucht = verpasste Chance auf diverse Vorteile im Kampf gegen Segone
Flucht = mehr Gewissensbisse
Beiß dich Zähne zusammen und durch, Mädchen! – das würde Oma Ulrike sagen! Und sie hat Recht!
Eisern schüttelt Skyla ihren Kopf. „Nein! Es geht weiter! Mit oder ohne dich!"
„Nein?" Milan klingt dabei so kraftlos, dass sie schon Mitleid empfindet. Allein sein Blick zeigt, wie müde und erschöpft er ist. „Es wäre ja zu einfach gewesen, wenn du dich so leicht geschlagen gibst."
Sein langes Seufzen macht das Ganze nicht leichter. Skyla Ausdruck wird milder. Ganz sacht streichen ihre Finger über sein Gesicht.
„Geh schon. Das geht klar. Ich schaffe das auch ohne dich."
Entrüstet betrachtet er sie. Ein kurzes Blinzeln und für wenige Sekunden steht ihm der Mund offen.
„Du glaubst, ich verschwinde ohne dich?"
Seine Sorge zaubert ihr ein Lächeln auf die Lippen.
„Ich bin groß und stark."
Beenden tut sie ihre Ansage mit einem Augenzwinkern.
„Das hier ist fremdes Areal und deine erste Erfahrung in einem Kopf eines anderen festzustecken. Mal davon abgesehen, dass du viel Schaden anrichten kannst, weiß diese Welt auch, wie sie dich verschlingen kann. Ich gehe nicht! Nicht ohne dich! Damit es so endet wie mit deinem Ausflug in den U-Bahntunnel?"
Skyla sieht es ihm an, Milan hält sich zurück. Aber es fällt ihm schwer. Seinem Blick zu urteilen, unterdrückt er einige Argumente. Sicherlich auch nur, weil ihr Verhältnis enger ist. Er wendet sogar den Blick ab, als brauche er dringend Ablenkung, um das Unausgesprochene für sich zu behalten. Sie ahnt jedoch, was er wirklich denkt und sie weiß, wie dumm ihr Handeln war. Bislang unterschätzte sie die Geisterjagd, weil alles irgendwie glatt ging. Es war gefährlich, aber sie hatte es auch allein überstanden. Bis auf diesen einen Fall in der U-Bahn-Haltestelle. Aber auch der Alptraum – das erste paranormale Wesen, das sich ihr zeigte, lag im Vorteil.
„Kai und Agnar baten um Hilfe und es bot sich eine Chance, Lukas' Plan in die Tat umzusetzen."
Mit eingezogenem Kopf nuschelt Skyla vor sich hin. Ein Blick hinauf und sie sieht Milans kritischen Blick.
„Lukas' Plan?"
Sie nickt und berichtet: „Die Geisterjagd soll gefilmt werden und das Videomaterial soll Leuten den Einstieg in die neue Materie erleichtern. Nicht jeder hat so ein Glück, auf Geisterjäger zu treffen und Erklärungen für das Ganze zu erhalten. So beweisen wir nebenbei der Welt, dass wir nur helfen."
Ihr Gegenüber blinzelt verärgert.
„Lass mich das doch bitte besser verstehen. Du willst Beweismaterial ins Internet stellen, das zeigt, dass du ein Medium bist. Hinzukommt, dass du paranormale Wesen unzensiert zur Schau stellst?"
Jetzt klingt der Plan einfach nur dämlich. Dennoch nickt Skyla zögerlich.
„Seid ihr bescheuert? Mal davon abgesehen, dass ihr es dem Feind leichter macht, Beweise zu liefern, verängstigt ihr ahnungslose Menschen, die friedvoll leben und mit der ganzen Sache nichts zu tun haben! Euch ist schon klar, dass es andere Fraktionen gibt, die über euch richten können? Der Hexenzirkel ist nur eine davon!"
„Und wenn wir uns auf Szenen beschränken, wo die Bewohner der anderen Seite nicht gezeigt werden, aber ihren Einfluss auf unsere Welt?"
Skyla liegt noch viel mehr auf dem Herzen, nur unterbricht Milan ihr Gespräch mit einem Handzeichen. Er hebt die Hand und blickt konzentriert umher. Ganz langsam tastet er hinab in seine Jackentasche und holt eine Taschenlampe hervor. Völlig konfus betrachtet sie ihn. Damit wäre der Weg durch den Sumpf deutlich angenehmer geworden. Vor allem heller, denn die Dunkelheit ist erdrückend.
„Du hast die ganze Zeit eine Taschenlampe bei dir und benutzt sie nicht?"
Der Zorn bleibt Skyla am Ende im Halse stecken, als sie rechts von ihren auftauchende Gesichter zu sehen bekommt. Unzählige. Zu groß für Fische. Es mag dunkel sein und doch sieht es für sie aus, als befänden sich um sie herum Menschen mit rotleuchtenden Augen. Auf den Lichtschein weichen die Gestalten zurück. Manche tauchen einfach unter. Viele fauchen wie eine gereizte Katze.
„Wäre Mia doch jetzt an unserer Seite", nörgelt Milan leise.
„Wieso?"
„Ihr Licht wäre unser Schutz." Milan seufzt und stupst Boru an. „Hey, mein Freund. Verzeih mir, aber ich brauche dich dringender denn je."
Der Drache auf seiner Schulter beginnt zuerst leise zu murren. Daraus entwickelt sich ein jaulen. Seine Beschwerden werden immer länger und lauter. Milan blickt daraufhin, als tue er sich schwer.
„Ich weiß, du bist müde. Aber wir sind in Gefahr und ohne dich schaffen wir das nicht."
Skylas Herz zieht sich schreckhaft zusammen, als Boru plötzlich laut brüllt. Gereizt, als sei er das Schütteln satt. Der alberne Drache ist wie ausgewechselt, als er mit den Zähnen fletscht. Er schlängelt sich von Milan Schulter und ist im nächsten Moment von tosenden Flammen gehüllt. Sein Körper gewinnt an Größe, sodass sich Skyla plötzlich so klein fühlt, als er in den Himmel wächst. Die Augen der Schlange beginnen sich zu drehen, sodass sie das nur das Weiße vom Augapfel zu sehen bekommt.
„Lauf, Skyla! Aber schnell und blicke nicht zurück!"
Milan übernimmt die Führung. Eilig setzen sie sich in Bewegung. Mit den Wasserkreaturen im Schlepptau. Ein paar Mal droht Skyla auf dem Matsch wegzurutschen. Borus Gebrüll schallt durch die Ortschaft. Es klingt bedrohlich und nah. Der Drache platscht in das Wasser und seine wilden Bewegungen hauchen dem stillen Gewässer Leben ein. Die Wellen sind zuerst klein und werden beunruhigend größer. Die Dunkelheit wird durch die vielen Flammen durchbrochen, die Boru ohne Gewissen durch die Luft speit. Skyla traut sich nicht, sich umzudrehen. Die Wasseroberfläche spiegelt genug, um zu sehen, dass Milan Schutzgeist Terror schiebt. Der Drache wirbelt durch das Areal und fängt mit seinen Zähnen einige der dunklen Gestalten, die er ohne zu Zögern verschlingt. Der Drache befindet sich in Raserei und scheint sein Umfeld kaum mehr richtig wahrzunehmen, als sehe er rot. Nun versteht sie die Sorge hinter Milans Blick, wenn Boru schläft und nicht geweckt werden soll.
Milan entfernt sich von Dalikas Route. Beabsichtig oder nicht kann Skyla unmöglich beurteilen. Auf ihren Ruf reagiert sie nicht. Dennoch folgt sie ihm und nicht ihrem Schutzgeist. Um nicht voneinander getrennt zu werden. Auch wenn ihr Bauchgefühl alles andere als gut ist. Dalika mag ihr noch fremd sein und doch gaben ihre Leuchtblüten ein Gefühl von Sicherheit. Der Ritt durchs Wasser war und ist kräftezehrend. Die Lungen und Beine brennen. Die Luftnot macht sich bemerkbar und die Ohnmacht wäre die schlimmste Folge. Mit Schwindel kommt Skyla zum Halt. Das Adrenalin lässt nach. Ihr Körper bricht Augenblicke später ins Wasser weg. In die Arme der Sumpfgestalten. Umgeben von kohleschwarzen Spindelgestalten mit rotleuchtenden Augen droht ihr Bewusstsein wegzubrechen. Bis Dalikas Halskette auf Augenhöhe schwimmt und so stark erstrahlt wie die Lichtgestalt des Nang Tani. Die Lichtquelle vertreibt sämtliche Finsternis. Selbst im Gewässer und somit auch die schaurigen Bewohner. Wie bei einer Schockwelle wird alles um Skyla herum fortgerissen. Selbst Milan, der zurückkehrte, um seiner Freundin zu helfen. Sein erschrockener Ausdruck ist das Letzte, was sie zu sehen bekommt, bevor der Ohnmachtsanfall sie überrennt.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro