Kapitel 28
Achtundvierzig Stunden, bevor die Wirkung abklingt und zum Totalausfall führt. Skyla schüttelt widerwillig den Kopf, denn sie kann es sich nicht leisten, nach der Rettungsaktion wegzubrechen. Emilie schwebt noch immer in Gefahr und ihre Ausbildungsstätte ist ebenfalls auf sie angewiesen.
„Milan, ich kann das nicht nehmen."
„Du wirst uns unterwegs wegbrechen, Süße. Du hattest heute schon zwei Zusammenbrüche."
Stur wie ein Esel weigert sich Skyla, dies einzusehen. „Ich darf nicht ausfallen!"
Der Geisterjäger blickt alles andere, als begeistert. Er kehrt ihr verdächtig den Rücken und klammert sich an der Holzplatte des Tresens.
„Süße", beginnt er mit einem gespielten Lächeln, „wenn wir für dich durch die Hölle gehen, dann sind wir auf jedermann angewiesen. Auch auf dich. Wenn du in Sorge um deine Schönheit bist..."
„Bin ich nicht!"
Skyla bleckt die Zähne, denn es ist ihr egal, wie das Zeug ihren Körper entstellt. Für die Rettung ihrer Freunde und Liebsten nimmt sie fast alles in Kauf. Milan blickt misstrauisch, als sei er davon nicht überzeugt.
„Hör zu, es geht sich darum, dass ich auch nach den achtundvierzig Stunden voll einsatztauglich sein muss! David zählt auf mich und Emilie ist auch noch fort!"
Die plötzliche Kälte in Milans Augen gefällt Skylla überhaupt nicht. So wie die Tatsache, dass er Worte hinunterwürgt, um die Harmonie zu bewahren. Denn so schätzt sie ihn ein. Er hält eisern mit seiner Fee Blickkontakt, als suche er bei Mia seinen Ruhepol.
„Oh gut, ihr rüstet euch aus."
Skyla fährt erschrocken herum und atmet erleichtert auf, als sie den anderen Geisterjäger ausmacht. Justin schleicht leiser als eine Katze. Ohne großartig auf ihre Reaktion einzugehen, begibt er sich zur Waffenkammer, um ihr im nächsten Augenblick eine Schrotflinte zuzuwerfen.
„Die hier hat Milan bereits oft Glück gebracht."
Am Ende lächelt Justin, während Milan seine Worte registriert und sich entsetzt umdreht.
„Du kannst ihr doch nicht meinen Glücksbringer geben! Sie bekommt schon Boro von mir!"
„Skyla wird mehr als Glück brauchen. Ihr Vorhaben grenzt an Größenwahnsinn."
Justins Worte kann sie kaum ernst nehmen, denn er hat zu gute Laune und grinst auffällig. Vielleicht liegt es an der Gesellschaft der Hexen. Milan gibt sich jedoch nicht geschlagen. Er seufzt laut und kratzt sich am Hinterkopf, bevor er sich an das Gespräch erinnert.
„Skyla hatte noch nie eine Schusswaffe in der Hand und fühlt sich nicht wohl damit."
„Ja und?" Justin legt sich ein Jagdgewehr um und einen Gurt, der bereits mit Munition ausgestattet ist. Etwas, was typisch für den Kerl ist. Dieser Mann ist immer gut vorbereitet. „Ein paar Minuten am Schießstand und sie hat den Dreh raus. Außerdem lass die Finger von Raubtierelixier! Der Zeitpunkt ist ungünstig! Ich fürchte, dass wir die nächsten Tage einsatzfähig sein müssen. Nimm es mit, wenn du möchtest und setze es im äußersten Notfall ein. Aber lass die Finger davon, wenn es geht. Sonst verpasst du am Ende den ganzen Spaß."
„Aber..."
Doch Justin schenkt ihm kein Gehör und schnappt sich Skyla beim Vorbeigehen. Er entführt sie in einen der Nebenräume, die von den Geisterjägern umfunktioniert wurden. Im hinteren Bereich befinden sich eine Reihe von Zielscheiben. Dosenschießen wird ebenfalls angeboten. Mit Tischreihen werden die Stationen voneinander getrennt. Justin begibt sich zu der beeindruckenden Auswahl an Waffen. Eine jede befindet sich in einem sorgfältig gezogenen Kreis aus weißem Pulver.
„Salz?", erkundigt sich Skyla aus Neugier.
Ein kurzes Nicken und schon schnappt sich ihr Mentor die Übungsschrotflinte. Es findet ein kurzer Tausch der Waffen statt.
„Milan hat eine gute Wahl getroffen. Im Wald werden uns die Viecher zu nah kommen. Bei geringer Distanz bist du erfolgreicher für den Anfang. Ein Treffer hat mehr Wucht und kann größeren Schaden anrichten. Je nach Koloss wird dies hilfreich sein."
„Koloss?" Ein Anflug von Panik macht sich in ihr breit. „Das klingt nicht gut."
Justin winkt sie an sich heran und es gibt eine kurze Einführung mit der Waffe.
„Der Abstand sollte reichen. Vergiss den festen Stand und den Rückstoß nicht. Versuche von hier aus die Ziele treffen. Sei dabei in Bewegung. Von rechts nach links."
Acht Zielscheiben. Auch wenn es Skyla widerstrebt, solch eine Waffe führen zu können, will sie vorbereitet sein. Ihre Macht hat sich gegen sie gewandt und im Kampf gegen das Böse möchte sie nicht wehrlos sein. Daher hebt sie entschlossen das Schießeisen und beherzigt all die Ratschläge von Justin. Fokussiert feuert sie den ersten Schuss ab und staunt über das Ergebnis. Denn die Zielscheibe hat nachgegeben und ist umgekippt. Mittig gelöchert. Sicherlich nur Anfängerglück. Statt einem Lob folgt Tadel.
„Du brauchst zu lange! Zögere nicht! Und vergiss nicht, dass du nachladen musst! Im Wald sind wir ein Team. Wir geben demjenigen Deckung, der nachlädt. Also verballere nicht direkt deine ganze Munition. Außer du befindest dich in Not und ganz wichtig: Beschütze immer unsere Hexen! Oberstes Gebot! Denn sie sind unsere Lebensversicherung. Wir können uns nicht leisten, auch nur eine zu verlieren."
Skyla nickt gehorsam, bevor die Neugier aus ihm spricht: „Darf ich fragen, wie du zu ihnen stehst? Seit ich dich kenne, sprichst du in hohen Tönen von Hexen. Anders, als Milan."
Ihr Gegenüber schnauft und lächelt spöttisch. „Tja, das ist, weil Milan blind ist und nicht erkennt, welch Segen die Hexen sind. Sein Problem war es, sie von Beginn an unterschätzt zu haben und zu meinen, sie seien da, um seinen Spaß mit ihnen zu haben. Aber in unserer Branche sind sie ein fester Meilenstein. Türen zu vielen Möglichkeiten. Sie vereinfachen unseren Job und auch wenn mein Partner es anders sieht, haben wir viele Gemeinsamkeiten mit ihnen. Wir stecken alle im selben Boot und statt sich zu verfeinden, können wir als Verbündete viel mehr erreichen."
Seine Sicht klingt vernünftig und doch erinnert sich Skyla an Milans Blick. Die Panik in seinen Augen.
„Das mag sein. Aber diese Lucy scheint Milan schikaniert zu haben."
„Das hat sie. Aber auch nur, weil sein schlechter Ruf, ihm vorauseilte. Lucy wollte sich rächen für all die gebrochenen Herzen und seines taktlosen Benehmens. Ich heiße nicht alles von ihr gut, aber ich hatte Milan auch gewarnt. Behandelt die Hexen mit Respekt, denn ihre Gemeinschaft hält zusammen."
Milans Taten mögen nicht gerechtfertigt sein, aber sie sollten wie Brüder durch dick und dünn gehen. Thomas und ihr Vater Finn haben ihren Kindern dies immer gepredigt. Die Familie hält zusammen. Egal, was kommt. Justin und Milan mögen nicht blutsverwandt sein und doch leben sie wie eine Familie unter einem Dach und gehen gemeinsam durch die Hölle.
„So wie ihr zusammenhalten solltet. Dann sieh nicht weg und hilf ihm in Zukunft, statt dich auf ihre Seite zu schlagen."
Justin seufzt, sicherlich, weil ihnen die Zeit hierzu fehlt. Das sieht Skyla ein und visiert die nächsten Ziele an. Der nächste Schuss folgt noch zögerlich, aber dem dritten geht es schneller und einfacher. Die Trefferquote hat zwar nachgelassen und doch wirkt Skyla zufrieden. Es mag vielleicht etwas früh zu sein, um zu behaupten, sie könne damit umgehen. Dennoch gewöhnt sich die Azubiene langsam an dem schweren Gewicht ihres neuen Freundes. Auch das Nachladen zwischendurch klappt reibungslos, als sei ihr die Waffe vorherbestimmt.
„Es ist nicht so, dass ich schadenfroh auf Milan blicke, wenn er fällt. Aber zum Leben gehört es dazu, aus Fehlern zu lernen. Ich habe ihn gewarnt und er hat nicht gehört, daher wollte ich, dass er die Konsequenzen trägt. Ist das in deinen Augen falsch?"
Skyla dreht sich verwundert um. Es verwirrt sie, dass Justin seine eigene Taktik anzweifelt und dazu noch Rat bei ihr sucht. Fast, aber nur fast, hätte sie vergessen, worüber sie sprachen, so überrascht ist sie über sein Verhalten. Ein kurzer Rückruf der vergangenen Gesprächsfetzen und schon wieder beginnt sie das Verhältnis der Geisterjäger mit dem Band zu ihrem besten Freund zu vergleichen.
„Nein. Das ist wichtig, dass er die Konsequenzen aus seinem Handeln trägt. Nur gebe ihm nicht das Gefühl, dass er allein damit klarkommen muss und wenn die Situation eskaliert, dann hilf ihm ab und an. Milan sieht zu dir auf. Aber er wirkt zwischendurch wehrlos und verlassen. Daher nimm es mir nicht übel, wenn ich meine Klappe aufreiße, sollte Lucy weiter auf ihn rumhacken."
Eigentlich hofft sie, dass er dieses Gespräch fortführt, aber Justin tritt stumm an sie heran und begutachtet die Trefferquote. Ohne Vorwarnung richtet er die Waffe in ihrer Hand und legt sorgt für einen geraden Halt. Seine Griffe sind grob, als habe sie ihn verärgert. Obwohl seine Mimik nicht dafür spricht, denn er schmunzelt leicht. Frech schnappt er im nächsten Augenblick ihr Kinn und dreht den Kopf zu den Übungshilfen.
„Du sollst nicht mich ansehen, sondern deinen Feind! Oder bin ich etwa dein Feind?"
„Nein! Aber du verhältst dich seltsam!"
Kaum spricht sie die Wahrheit aus, seufzt er tief.
„Wohl wahr. Du kostet mir mehr Nerven, als Milan es tat."
„Hey! Ich gebe mir Mühe!"
„Das wirst du mir im Wald beweisen müssen", fordert er schroff, „einen Versuch hast du noch. Ich will eine saubere Runde. Diesmal ist dein Rücken durchgestreckt und du reagierst bitte schneller."
„Noch schneller?"
„Mhm", summt er die Antwort und tritt von ihr fern.
Skyla ist gerade dabei, den Kopf in seine Richtung zu drehen, da nennt er sie mahnend beim Namen.
„Fokussieren, anvisieren und töten! Los! Ich gebe dir 30 Sekunden!"
Dieser Mann hat ein Talent, ihr Blut zum Kochen zu bringen. Genervt setzt sie sich dran, ihre Leistung zu verbessern. Nicht, um ihn zu überzeugen, sondern um in den nächsten Stunden zu überleben.
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