Kapitel 26
Der Geruch von Wandfarbe steigt Skyla in die Nase, als sich die Lider heben. Müde beobachtet sie Milan dabei, wie er Symbole auf den Wänden malt. Seine Muskulatur ist noch immer angespannt und auch der Kiefer steif. Stumm und mit dem Blick eines wütenden Stieres schwingt er den Pinsel. Auch Mia ist tatkräftig und arbeitet mit einem Granitmörser. Ihre Magie lässt den Stößel durch die Schale wirbeln, während die Fee immer aufs Neue Zutaten hineinmischt und den Vorgang wachsam im Auge behält. Beim Kramen in der Hosentasche sucht Skyla vergebens nach ihrem Handy, daher setzt sie sich auf und macht sich schlafgetrunken rund ums Bett auf die Suche. Milans Gesichtszüge werden weicher. Er legt den Pinsel in eine Farbschüssel und begibt sich zu ihr.
„Lege dich hin, Süße."
„Hast du mein Handy gesehen?"
Milan legt den Kopf schief. „Das sollte deine geringste Sorge sein. Aber ich helfe dir gleich gern bei der Suche. Nun aber tanke Kraft und überanstrenge dich nicht."
Ganz sanft führt er sie zurück auf die Matratze und drückt sie an den Schultern hinab. Im nächsten Augenblick reicht er ihr eine kühle Trinkflasche und will sich mit einem Augenzwinkern verdrücken. Aber Skyla schnappt rechtzeitig zu, denn sie fordert Antworten.
„Milan, was geschieht jetzt? Lass mich bitte nicht im Ungewissen."
„Das sind nur Schutzmaßnahmen. Sei unbesorgt. Der Dämon wird nicht erneut einbrechen können. Diesmal sind wir wachsamer. Ihr Plan ist gescheitert und der Sieg vorerst unser. Morgen nehmen wir uns der Sache an."
„Ihr. Ich muss zur Arbeit", erinnert sie ihn daran.
Milan nickt, als sei ihm das sogar recht.
Skyla will gerade zum Trinken ansetzen, als ihr plötzlich etwas einfällt. „Was ist mit dem Schwert?"
„Naomi hat es an sich genommen, um es zu begutachten. Sie kann uns sagen, was es damit auf sich hat und ob die Waffe ungefährlich ist. Mir hingegen bereitet es Magenschmerzen, Besitzeigentum von einem Dämon im Haus zu haben. Dämonen lassen nichts freiwillig zurück und diese selbsternannte Königin machte nicht den Anschein, sich ihr Schwert zurückzuholen."
„Das Gefühl habe ich ebenfalls."
Kaum ist es ausgesprochen, sieht Skyla die Sorge in seinen Augen. Vielleicht hat er gehofft, dass sie seine These zerschlägt. Milan wird still, daher gleitet Skylas Blick durch den Raum.
„Sag mal, wo ist eigentlich Kai? Ich vermisse sein freches Mundwerk."
Ihr Gegenüber seufzt laut und lässt den Kopf hängen.
„Ich hatte gehofft, du würdest ihn nicht vermissen."
Skeptisch hebt sie die Augenbraue. „Milan? Was willst du mir damit sagen? Hast du ihn an Naomi verkauft?"
Milan hebt mit einem falschen Grinsen den Kopf. „Du hast es erraten. Irgendwie müssen wir Naomi doch bezahlen und verstanden hast du dich mit diesem widerlichen Bär doch eh nicht."
„Schon, aber Kai ist in meinem Vertrag! Wie wird Agnar über mich denken, wenn ich Kai einfach verkaufe?"
„Lass dir etwas einfallen."
Eilig erhebt er sich und sucht das Weite, aber Skyla brummt laut.
„Genug gespielt! Wo ist Kai wirklich?"
Zwar verweilt Milan an Ort und Stelle, als sei er festgewachsen, aber er hat nicht den Mut, sich zu ihr zu drehen. Ein Blick zu Mia zeigt, dass auch das kleine Biest den Augenkontakt meidet.
Skylas Augen weiten sich. „Ist er tot?"
„Möglich", rutscht es der Fee heraus, „wäre ja auch kein großer Verlust."
Aber Milan schüttelt den Kopf. „Ich bin sicher, ihm geht es gut."
Dieses Spiel ist Skyla satt. Wütend erhebt sie sich und schlüpft in ihre Schuhe. Unterwegs zur Tür folgt ein Ausweichmanöver, denn Milan will sie aufhalten. Aber Skyla sieht ihn kommen und schlüpft unter seinen Griffen hindurch. Im Nu befindet sie sich im Flur.
„Mia! Jetzt hilf doch mal!"
Milan klingt vorwurfsvoll, aber seine Fee nimmt das Ganze nicht ernst und kugelt sich vor Lachen. Das Medium hingegen begibt sich hinab und ruft laut nach Justin. Milans Partner wird ihr die Antworten liefern, da ist sie sich sicher. Die riesigen Räumlichkeiten machen es ihr leicht, Milan rechtzeitig zu erkennen und ihm auszuweichen. Durch Zufall erblickt Skyla Justin durch das Fenster. Noch ehe Milan reagieren kann, ist der Griff betätigt und die Kälte bahnt sich einen Weg ins Innere. Durch das offene Fenster ruft sie erneut nach Justin, der sich zögerlich zu ihr dreht. Grund für sein Zögern ist Naomi, die wenige Meter von ihm entfernt steht. Die Hexe steht mit dem Gesicht zu Wald, als wolle sie die Welt in ihre Arme nehmen. Beim genaueren Betrachten erkennt Skyla Funken in der Atmosphäre. Ein kurzes Leuchten und Aufblitzen.
„Draußen ist es gerade gefährlich. Bleibt bitte drinnen", fordert Justin kühl.
Skyla sieht es kommen, er will das Fenster vor ihrer Nase schließen, aber sie hindert ihn daran. Als ihre Hand den Stoff seines Mantels knittert, verharrt Justin verbittert. Aber sie blendet die Warnung aus und beugt sich hinaus, dass sie ihm ganz nah in die Augen blicken kann.
„Wo ist Kai?"
Naomi erschreckt sich hörbar. Sie taumelt rückwärts und beobachtet, wie ein Wildschwein eine unsichtbare Wand wenige Meter vor der Hexe rammt. Kurz wird die Barriere sichtbar. Sie mag durchsichtig sein, aber das violette Leuchten verrät die Struktur. Wie Blech wellt sich die Oberfläche bei der Krafteinwirkung. Bei einem Wildschwein bleibt es nicht, denn es kommen vier weitere angestürmt und versuchen, die Mauer zu durchbrechen. Naomi schnippt mit den Fingern und als beuge sich der Himmel ihren Willen, schmettern dunkle Wolken mehrere Blitze hinab. Alle schlagen um die Tiere ein. Es entsteht Panik in der Herde und zu ihrem Glück suchen sie das Weite. Dankbar atmet Naomi aus und dreht sich um. Das zufriedene Lächeln sollte sicher Justin gelten, aber als das Weißhaar Skyla erblickt, verengen sich ihre Augen.
„Bleib drinnen und bereite uns nicht noch mehr Ärger!", zickt sie Skyla an.
Aber das Medium blendet sie aus und wiederholt ihre Frage: „Wo ist Kai?"
„Entführt. Der Dämon Segone hat sich ihn geschnappt."
Kaum rückt Justin mit der Wahrheit aus, verzweifelt Milan an ihm. Ungläubig fasst er sich an den Kopf und betrachtet seinen Partner mit einem Ausdruck der Verzweiflung.
„Das kannst du ihr doch nicht einfach sagen!"
Aber sein Mentor geht auf das alberne Verhalten nicht ein und hinterfragt stattdessen: „Bist du fertig?"
„Nein! Ich wollte euch Skyla fern halten."
„Erfolglos, Milan! Du bist nachlässig geworden! Wir haben noch wenige Stunden, bis die Nacht einbricht. Es ist viel zu tun und das Grundstück ist groß. Es gibt viel zu tun, aber Skyla ist nun wach und kann mit anpacken."
Doch Skyla hebt abwehrend ihre Hände. „Plant mich nicht ein! Ich gehe und hole Kai zurück!"
Justin betrachtet sie kopfschüttelnd. „Zu leichtsinnig! Damit tanzt du nach Segones Pfeife!"
„Mir egal! Kai ist mein Dämon und ich bin für ihn verantwortlich."
„Ich befürchte, dass du deine Schülerin überschätzt, mein Lieber. Das viele Lob ist nicht gerechtfertigt. Diese Aktion hat mit Leichtsinn nichts mehr am Hut. Das ist eine Kamikazeaktion!", flötet Naomi aus dem Hintergrund.
Spöttisch und gemein.
Zu allem Übel pflichtet Milan ihr bei: „Der Wald ist zu gefährlich. Die Sonne ist dein Licht im Dunkeln. Am Tag ist dieser Ort einer der schönsten Kulissen, aber bei Nacht kriecht das Grauen aus sämtlichen Höhlen hervor. Uralte und von Menschen verlassene Wälder sollten nicht unterschätzt werden. In ihnen haust fast vergessene Magie. Oft sehr bösartig."
Grimmig dreht sich Skyla zu ihm. Er kann noch so sehr von den Gefahren faseln, wie er möchte. Es wird aber nichts ändern. Der Entschluss steht.
Justin ist der Einzige unter ihnen, der ihre Aufmerksamkeit verdient, denn er stellt eine wichtige Frage: „Wie willst du in dem riesigen Wald Kai ausfindig machen? Er könnte überall sein."
Skyla betrachtet ihn nachdenklich. Die Frage ist berechtigt, aber Justin sieht aus, als gäbe es eine Lösung. Nur scheint er sie nicht einfach preisgeben zu wollen. Noch immer spielt er ihren Mentor, der von seiner Schülerin erwartet, den Kopf zu benutzen. Zu ihrem Glück traf Skyla im Katzencafé ihre erste Hexe. Eine sehr hilfsbereite Seele, die viel angenehmer und weniger eitel als Naomi ist. Von ihr erhielt sie ein Buch, darunter befinden sich interessante Texte zum Thema Schutzgeister.
„Kai und ich haben eine Bindung. Solange dieses Band besteht, werde ich ihn finden können. Sag mir, ist deine Hexe nur Deko oder kann sie mir auch weiterhelfen?"
Naomi zieht empört die Luft ein und funkelt sie aus der Ferne böse an. Auch Milan seufzt, als eskaliere die Situation, aber Justins Mundwinkel zucken belustigt.
„Kannst du Naomi auch bezahlen, Skyla?"
„Will Naomi überhaupt Geschäfte mit so einer frechen Göre machen?", brummt die Hexe mies gelaunt.
Skyla hat nicht vergessen, worauf Hexen aus sind. Daher kommt ein Gegenvorschlag: „Der Wald erwacht bei Nacht und die Jagd beginnt. Dann werde ich dir für meine Dienste einen dieser paranormalen Waldbewohner einfangen. Deal?"
Anders, als erwartet, schüttelt Naomi den Kopf. „Du wirst niemals heimkehren."
„Nicht ohne Hilfe", stimmt Justin seiner Hexe zu.
In Skyla keimt Hoffnung auf und auch Naomi scheint die Bedeutung seiner Worte zu verstehen. Ungläubig blinzelt die Hexe.
„Bitte? Du willst daraus?"
Es folgt ein Nicken, das alle ins Staunen setzt.
„Och nö!", jammert Milan entkräftet.
Als Skyla ihm aufmunternd auf die Schulter klopfen möchte, blickt er verzweifelt auf und startet einen Versuch, sie zu überreden: „Können wir nicht auf Kai verzichten? Ist er es wert, uns in die Höhle des Löwen zu wagen? Ich meine, ich hatte tolle Pläne für heute Abend und wann bekomme ich dich mal zu Gesicht? Wir sind so beschäftigt, dass uns keine Zeit nur für uns gegönnt wird. Statt die Nacht im Warmen zu verbringen, willst du raus in die Kälte? Bist du ein Adrenalinjunkie? Oh, Skyla! Jetzt schweige doch nicht! Sag doch etwas! Ich kaufe dir auch ein neues Haustier! Ein viel besseres! Kein Dämon! Bald findet der Untergrundbasar statt. Dort gibt es tolle Schutzgeister."
Er wedelt während seiner Rede wie wild mit den Armen und macht sich mit seinen albernen Verhalten zum Affen. Etwas, was Skyla an ihm liebt. Dieser Mann spricht offen über seine Gefühle und ist voller Energie. Es belustigt sie, ihn so zu sehen. Selbst dann, wenn er ihren Zorn heraufbeschwört.
„Kai ist wahrlich widerwärtig, aber er ist mein Dämon. Er steht in meinem Schutz und was auch kommt, ich gehe und rette ihn. Vielleicht hat er dieses Schicksal in Segones Fängen verdient..."
„Beschwöre sie doch bitte nicht mit ihren Namen!"
Milans flehende Worte der Unterbrechung bringt sie erneut zum Schmunzeln. Selbst, wenn er sich fürchtet, ist er süß.
„Ich nutze meine Schutzgeister nicht einfach aus und werfe sie wie ein kaputtes Spielzeug weg. Sie sind mir treue Verbündete und gehen mit mir durch die Hölle. Ich sehe es als Training. Ein Überlebenskampf bei Nacht in einem mächtigen Wald macht mich stärker im Kampf gegen den Ritterorden."
„Am Ende hast du doch nur wieder einen Schutzgeist adoptiert", nuschelt Milan gedankenverloren, „und zu unserem Pech wird es die selbsternannte Königin sein."
„Dann komm mit und halte mich auf!"
Es sollte ein Scherz sein und obwohl Skyla ihm die Zunge rausstreckt, nickt Milan entschlossen.
„Selbstredend."
Sein freches Insekt reagiert entsetzt. Die Fee muss sich irgendwo in der Nähe aufhalten. „Was?"
Justin hingegen tritt an Naomi ran. „Die Schutzzauber sollten für das Grundstück ausreichen. Schone deine Magie, denn wir werden auf deine magischen Schilde unterwegs angewiesen sein."
Der Hexe steht der Mund vor Entsetzen offen. Wie erstarrt steht sie dort festgefroren, bevor ihr Kopf sich ganz langsam zum Wald bewegt.
„Bist du bescheuert, Justin? Das ist verrückt!"
„So wie eure Ausflüge und Rituale in den Wäldern?"
„Als Zirkel sind wir mindestens mit zehn Hexen unterwegs. Nur wenige sind blutige Anfänger! Außerdem, was weißt du schon über den Wald? Was, wenn sich dort Werwölfe, Wendigos oder Ghule rumtreiben?"
„Das wäre sehr vorteilhaft für dich. Eine Beute, die du dir nicht entgehen willst."
Naomi atmet einmal tief aus, bevor sie den Finger hebt und ihr Handy herauskramt. Sie tippt irre schnell in die Tasten und legt es sich am Anschluss ans Ohr.
„Oh nein!", rutscht es Milan heraus.
Fragend blickt Skyla zu ihm, aber der Geisterjäger springt mit Panik in den Augen aus dem Fenster und stürmt zu Naomi. Justin sieht dies kommen und stellt sich ihm in den Weg. Zwar steuert sein Schüler ein Ausweichmanöver an, doch Justin ist kampferfahrender und packt rechtzeitig zu, um Milan durch die Luft zu wirbeln. Am Ende liegt der süße Geisterjäger tief im Schnee und wird dort von seinem Partner festgehalten.
„Lucy!" Naomi klingt einerseits dankbar, anderseits verloren. „Justin schleppt mich auf eine Kamikazemission. Ich rufe an, um mich von dir zu verabschieden."
Der traurige Ausdruck auf dem Gesicht der Hexe verändert sich schlagartig und verwandelt sich in ein zufriedenes und bösartiges Lächeln. Provozierend dreht sich Naomi zu Milan und zwinkert ihm verschworen zu.
„Du bist ein Schatz. Warte, ich öffne ein Portal für dich."
„NEIN! SIE SOLL BLEIBEN, WO DER PFEFFER WÄCHST!", fordert Milan panisch.
Aber Naomi schenkt ihm kein Gehör und verstaut ihr Handy. Schließlich breitet sie die Arme aus und es entstehen zwischen ihren Fingern kleine Blitze. Kurz darauf leuchtet der Boden vor ihren Füßen. Ein gleißendes Licht, das zum Himmel aufsteigt.
„Du bist so etwas von geliefert, Milan."
Die Hexe kichert böse, während sich im Licht eine Gestalt materialisiert. Das Startsignal, um die Jacke über zu werfen, das Fenster zu schließen und das Haus zu verlassen. Wer auch immer Lucy ist, Skyla möchte nicht als Einzige im Haus versauern.
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