Kapitel 20
Der übermüdete Geist wird mit einer kalten Bescherung wach gerüttelt. Wie ein Faustschlag trifft das eisige Geschoss das Ziel. Der Pulverschnee ist gefährlich fest zusammengedrückt, dass er im Gesicht schmerzt. Die Wucht hinter dem Wurf haut Skyla um, als sie durch Mias Portal tritt. Die eine Hälfte des Körpers liegt mitten in einer traumhaften Schneelandschaft, aber der Oberkörper befindet sich noch in Lukas' Zimmer. Einen langen Moment liegt Skyla auf dem Boden. Sie reibt sich über schmerzende Stelle im Gesicht, woraufhin der kaputte Schneeball von ihr rieselt und sich auf dem Fußboden verteilt. Erschrocken blickt sie auf. Denn ihr Freund wird sich über den Schnee wundern. So wie er nach ihr suchen wird, da Skyla es nicht übers Herz bringt, ihm von ihrem Vorhaben zu erzählen. Lukas hängt wie eine Klette an ihr und würde ihr folgen. Aber damit beschwört er nur unnötigen Ärger hinauf, daher will sie still und heimlich verschwinden. Mit klopfendem Herzen lauscht Skyla in die Stille hinein, aber von Lukas fehlt zum Glück jede Spur. Wie gut, dass er ein Genießer ist. Beschließt er zu duschen, dann braucht er seine Zeit, um das Badezimmer zu verlassen.
Eilig schiebt Skyla all den Schnee zum Portal, als plötzlich zwei Arme hindurch greifen. Erschrocken blickt sie hinauf zu Milan, der ebenfalls halb aus der Weltentür blickt. Sorgevoll betrachtet er sie, aber noch ehe er zum Reden ansetzen kann, legt sie den Finger auf ihre Lippen und schüttelt den Kopf. Milan nickt und hilft ihr auf, damit verlassen die beiden das warme Zimmer und schreiten durch die Kälte in die verschneite Landschaft. Hinter ihnen schließt sich Mias Tür.
„Geht es dir gut?", erkundigt sich Milan nach ihrem Wohl.
Skylas Augen werden schmal. „Hast du oder deine biestige Fee mich beworfen?"
Er seufzt laut. „Das war der Teufel."
„Er meint mich, Blauhaar!", tönt es aus dem Hintergrund.
Skylas Augen gehen auf Erkundungstour und brauchen eine Weile, bis der Täter gefunden ist. Vorerst bekommt sie Mia zu sehen, die ihr frech die Zunge ausstreckt. Das kleine Insekt fliegt frech vor ihrer Nase und ist für den Winter passend gekleidet. Ein schillernder Wintermantel mit den Farbübergängen von Violett, auf Magenta und dann auf ein Himmelblau macht das Biest nicht gerade unauffällig. Passend zu dem schrägen Stofffetzen trägt die kleine Fee kniehohe Stiefel in dem gleichen Farbenschema. Aber es ist die weißhaarige Dame auf dem Dach eines kleinen Schuppens, die Skylas Aufmerksamkeit geweckt hat. Wie eine Königin thront die junge Frau dort oben. Der Wind spielt mit dem wallenden Haar. Die himmelblauen Augen kleben förmlich an Skyla. Die blassroten Lippen sind zu einem schmalen Strich geformt und der eisige Blick erinnert an einen Dolch, der Skyla schaden soll. Das kurze Outfit und Milans Antwort lassen das Medium ahnen, wen sie vor sich hat. Trotz der Kälte fällt der Mantel mit Pelz knapp aus. Die die langen Beine kommen durch eine schwarze Strumpfhose und langen Stiefeln gut zur Geltung. Skyla kann nicht leugnen, welche Schönheit auf sie hinab blickt. Eine Frau, die weiß, was sie zu bieten hat.
„Naomi nehme ich an?"
„Ganz Recht!"
Mit einem eleganten Sprung begibt sich die Hexe hinab zu ihnen auf den Boden. Kurz vor dem Schnee beginnt sie zu schweben. Ganz sacht setzt sie den ersten Fuß aufs Erdreich und blickt gezielt zu Skyla auf. Naomi steuert das Medium an und umrundet sie wie ein Geier. Der abschätzende Blick könnte von den Cousinen Ramona und Tessa stammen.
Milan seufzt genervt. „Naomi, wir hatten darüber gesprochen."
Die Hexe blickt zu ihm auf, um ganz nah an seine Seite zu treten. Nachdenklich lehnt sie sich an ihn. Ihr schwerer Kopf legt sich auf Milans Schulter, als seien die beiden sich vertraut. Ein Anblick, der Skyla nicht gefällt und doch ertragbar ist, da sie sich bei Lukas ähnlich verhält. Milan blickt mit schmalen Augen zu der weißhaarigen Schönheit und als ihren Namen zischt, blickt die Hexe unschuldig auf. Es geht in dem Moment zu weit, als Milan einen Kuss auf die Wange gehaucht bekommt. Ruckartig macht Skyla kehrt und stampft davon.
„Mia, das Portal! Ich verschwindet!"
„Sehr gern!"
Mias Worte klingen fast wie ein Jubelschrei. Begleitet von Naomis böses Lachen, das gut zu einer Hexe passt.
„Skyla, warte!", ruft Milan ihr hinterher. „Ich weiß, Naomi ist schwierig. Aber sie ist eine gute Freundin."
Mit seiner Aussage scheint er am Ende nicht ganz zufrieden zu sein.
Skyla schnell herum und fletscht die Zähne. „Eine gute Freundin? Ich dachte, sie sei der Teufel!"
„Justins Freundin." Milan fährt sich fluchend durch die Haare, bevor er sich mit einem eisigen Blick umdreht. „Das ist sie auch! Glaube mir, von diesem Weib halte ich mich freiwillig fern!"
Das böse Kichern klingt nah, eine Drehung nach rechts und Skyla blickt der Hexe direkt in die Augen. Wie eine Schlange liegt ein violetter Schleier um das Weißhaar. Ein Nebel aus Glitzerelementen. Nur eine Handbewegung und die magische Materie schlägt zu, um sich Skyla zu angeln und an Naomi zu ziehen. Die Hexe fährt ihre Krallen aus und packt in den Stoff von Skylas Jacke. Direkt über dem Herzen des Mediums. Bedrohlich funkeln die himmelblauen Augen.
„Na, wie fühlt es sich an? Brennst du vor Eifersucht, so wie ich es tue, wenn Justin über dich spricht? Du hast Milans verdorbenes Herz, reicht dir das nicht? Bleib Justin fern, denn er gehört mir! Ich werde die Frau sein, die ihn um den Verstand bringen wird, die ihm süße Träume beschert und nicht du! Du bist es nicht mal würdig, von ihm ausgebildet zu werden!"
„Hey!" Skyla reißt sich genervt los. „Für wen hältst du mich? Ich habe kein Interesse an Justin! Halte mich da raus!"
Naomis Augen betrachtet sie prüfend. „Dann hör auf, Justin schöne Augen zu machen!"
Skyla belächelt dies spöttisch. „Ich mache Justin schöne Augen? Wer sagt das?"
„Justin spricht in hohen Tönen von dir und wie er blickt, wenn er von dir spricht, macht mich wütend!"
Allein diese Tatsache auszusprechen, lässt die Stimme der Hexe vor Zorn erzittern.
Milan geht dazwischen und drückt Naomi von Skyla fern. Ein vorwurfsvoller Blick zur Justins besitzergreifender Freundin und schon wird sein Blick weicher, als er Skylas Gesicht in die Hände nimmt.
„Ich muss Naomi entschuldigen. Sie ist eine sehr temperamentvolle Hexe."
„Justin möchte, dass ich dir bei deinem Training helfe", informiert Naomi sie biestig.
„Na klasse!"
Womit habe ich das verdient?
Aber Milan lächelt und haucht ihr folgende Worte ins Ohr: „Da ist sie. Deine Chance. Also ergreife sie."
Für Emilie!
„Wenn du dir zu fein dafür bist, dann ist das nicht mein Problem."
Schulterzuckend entfernt sich die weißhaarige Hexe von ihnen.
„Warte!", ruft Skyla, woraufhin Naomi sie erwartungsvoll ansieht.
Daraufhin verbeugt sich das Medium und es fällt ihr schwer, die nächsten Worte über die Lippen zu bringen. „Ich bitte um deine Unterstützung und wünsche eine gute Zusammenarbeit."
Gemächlich kehrt Naomi zurück, dabei knirscht der Schnee unter ihren Stiefelspitzen. Ihr Blick ist so intensiv, dass es Skyla unangenehm ist.
„Ich rieche den bestialischen Gestank von Verzweiflung." Die Hexe beugt sich zu ihr hinab und packt grob Skylas Kinn. Kaum treffen sich ihre Augen, formen Naomis Lippen ein teuflisches Grinsen. „Ich fühle Schmerz und tiefverwurzelte Schuldgefühle. Dein Geist ist unruhig, als willst du nicht hier sein. Dein Kriegerherz schlägt hörbar laut. Der Hunger nach Rache bringt dich fast um den Verstand. Die Ketten sind brüchig und es fehlt nicht viel, bis du den Kopf abschaltest und das Schlachtfeld betrittst. Den Tod fürchtest du nicht und die Dunkelheit ergreift bereits Besitz von deinem Herzen. Mauern aus Blut und Knochen türmen sich vor deinen Füßen. Deine Zukunft ist düster und voller Einsamkeit."
Skyla mag es nicht wie ein Buch gelesen zu wenden. Daher dreht sie der Hexe den Rücken zu und bekommt Milan besorgten Blick zu sehen. Er flüstert ihren Namen ehrfürchtig, bevor seine Arme nach ihr schnappen und er sie feste an sich drückt.
„Tu nichts Dummes! Verstanden?", fleht er sie an. „Nichts ohne mich!"
Es könnten Lukas' Worte sein und allein diese Tatsache bringt sie zum Lächeln.
„Eklig oder?", meldet sich Mia im Hintergrund.
Naomi stimmt dem zu. „Einfach widerlich."
Als Skyla wie ein bissiger Hund die Zähne fletscht, streichelt Milan ihren Kopf, als wolle er sie beruhigen, daraufhin erntet er einen vorwurfsvollen Blick von ihrer Seite. Etwas, das ihn zum Lächeln bringt.
„Sie ist eine sehr eifersüchtige Persönlichkeit", gesteht Milan.
„Wer Naomi oder Mia?"
Da muss der süße Kerl nicht lange überlegen. „Beide."
„Die Hexe hat dich geküsst!", beschwert sich Skyla.
„Auf die Wange", verteidigt er sich.
„Schon schlimm ...", will sie sich dazu äußern.
Er unterbricht sie jedoch mit einem Kuss auf die Lippen und im Anschluss stupst er sie glücklich mit der Nase an.
„Du hast Recht. Meine Wange brennt fürchterlich, als habe sie hineingebissen. Das war ein Angriff und für meinen Heilungsprozess brauche ich nun ganz viel Liebe von deiner Seite."
„Scherzkeks!", wirft sie ihm an den Kopf und lächelt am Ende ebenfalls.
„Dein Scherzkeks."
Noch immer hausen die Geisterjäger an einen der schönsten Orte, die Skyla zu sehen bekommen hat. Direkt an einem großen See in einem verlassenen Hotel. Umzäunt von Bergen befindet sich das Waldstück im Nirgendwo. Der Schnee ist meterhoch und die Luft ist angenehm frisch. Das Gewässer ist gefroren, sodass Skyla keine Möglichkeit hat, die Sirenen zu begrüßen. Es handelt sich dabei um magische Geschöpfe mit einer traumhaften Gesangstimme. Anders als Skyla ist Milan auf die Seebewohner nicht gut zu sprechen. Denn Grund dafür kennt sie leider immer noch nicht. Aber sie vergisst nie, wie aggressiv er handelte, als die Sirenen auftauchten, um das Medium willkommen zu heißen. Für den Geisterjäger hätte die Jagd begonnen, aber zum Glück bremste Justin ihn. Die Situation eskaliert nur deshalb nicht, weil Milan seinen Mentor respektiert.
Brav wie ein Hund folgt Skyla Milan über die große Terrasse zum Eingang. Ein riesiger Bereich direkt am See mit einem traumhaften Ausblick auf die Natur. Ein Ort voller Sitzmöglichkeiten. Eine Außenterrasse, die Skyla auf Anhieb ans Herz gewachsen ist. Hier im Sommer zu sitzen und die Sonne zu genießen bei einem erfrischenden Getränk täte dem Körper sowohl auch dem Geist gut. Immer wieder dreht sich Milan um, als fürchte er, dass sie von jetzt auf gleich verschwunden sein könne. Er lächelt ihr jedes Mal frech zu und lässt ihr Herz immer aufs Neue höher schlagen. Am Steg vorbei vibriert ihr Handy. Skyla geht davon aus, dass es sich um Lukas handelt, der sie sicherlich bereits vermisst. Daher ignoriert sie die Störenquelle und tritt in die warme Stube ein, wo Milan sich dran macht, ihre Jacke zu öffnen.
„Eine kurze Lagebesprechung und dann geht das Training los", verspricht er ihr.
Sie nickt und ihre gute Laune schwindet, als sich der nächste Anruf bemerkbar macht. Zögernd holt sie ihr Handy aus der Tasche und macht große Augen, schließlich handelt es sich um die Nummer des Kräutergartens. Ihren Arbeitgeber darf sie nicht ignorieren, daher entschuldigt sie sich bei Milan und verkrümelt sich zur Haustür.
Ein dankbares Seufzen ist von der Leitung zu hören, als der Anruf angenommen wird.
„David?", erkundigt sich Skyla.
„Hey, genießt du deinen Urlaub?"
Tatsächlich handelt es sich um ihren Ausbilder.
„Nicht so ganz. Aber du hast sicherlich von all dem Chaos mitbekommen oder?"
„Du meinst den Einbruch?" David seufzt erneut. Diesmal tiefer. „Ja, wir wissen Bescheid und es tut uns schrecklich leid. Wohnst du zurzeit bei deiner Oma?"
„Nein. Bei meinem Patenonkel."
„Also bist du nicht aus der Stadt?"
Er klingt hoffnungsvoll. Nun aber wird Skyla misstrauisch.
„Wieso? Braucht ihr mich?"
„In der Tat. Ich würde nicht fragen, aber Julian wurde gestern Abend Opfer eines Raubüberfalls und befindet sich auf der Intensivstation. Er fällt länger weg."
Skylas Atem stockt. Milan bemerkt, dass etwas nicht stimmt und begibt sich beunruhigt zu ihr. Da ihr jedoch die Worte fehlen, folgt Davids Bitte.
„Ich weiß, du bist im Urlaub. Aber können wir morgen auf dich zählen? Deinen Resturlaub könntest du dann genießen, sobald Julian zurück ist. Ben können wir leider nicht fragen, denn er ist mit seiner Frau in die Karibik gereist. Als Dankeschön würden wir dir dann zwei Tage extra an deinen Resturlaub hängen. Wäre das in Ordnung?"
Da braucht Skyla nicht mal drüber nachdenken, denn das Team braucht sie. „Natürlich. Ihr könnt auf mich zählen."
David atmet erleichtert auf. Es klingt, als viele ihm ein Stein vom Herzen.
„Du bist unsere Rettung."
Aber Skyla macht sich eher anderweitig Sorgen. „Wie steht es um Julian?"
„Ich weiß nicht. Die Chefin geht ihn gerade besuchen, dann wissen wir mehr. Sie plant, im Anschluss einen Geschenkkorb zu besorgen und wir sollen diesen mit Gute-Besserungs-Wünschen befüllen."
„Okay, ich mache da mit. Also gebt den nicht ohne meinen Beitrag ab. Verstanden?"
„In Ordnung. Und bitte entschuldige die Umstände, Skyla. Wir wissen doch, wie sehr du den Urlaub brauchst. Es schmerzt mir, nach dir zu fordern."
„Mach dir deshalb keinen Kopf, David. Ich schaffe das. Du kannst dich auf mich verlassen."
„Was wären wir nur ohne dich."
„Eindeutig aufgeschmissen", beginnt sie zu scherzen.
Tatsächlich lacht David leise. Es klingt jedoch traurig.
„Das wären wir. Aber ich will nicht länger stören. Bis morgen dann."
„Bis morgen."
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro