Kapitel 11
Die ersten Hürden waren geschafft. Am liebsten hätte sich Skyla damals den unterschriebenen Ausbildungsvertrag eingerahmt und über ihrem Bett gehangen. Ihr Traum war zum Greifen nah. Der Betrieb machte einen seriösen Eindruck. Das geheime Probeessen überzeugte in vielerlei Hinsichten. Noch war es zu früh, um sich auf den Lorbeeren auszuruhen. Für Skyla wollte keine großartigen Ablenkungen und den vollen Fokus auf die Arbeit. Zu Ehren ihrer Oma Ulrike.
Zu Beginn der Berufsschulzeit hielt sich Skyla bewusst im Hintergrund. Es bildeten sich die ersten Gruppen, aber das hatte sie nicht interessiert. An diesem Tag war es nicht ihr Ziel, neue Freundschaften zu knüpfen. Emilie hätte alles haben können. Die Jungs lagen ihr zu Füßen und mit ihrem niedlichen und spaßigen Charakter hätte sie sich bei jeder Mädchengruppe einen Platz sichern können. Aber sie kam auf Skyla zu. Niemals vergisst sie die großen, freudestrahlenden Augen und das herzerwärmende Lächeln. Emilies Auftritt war einfach perfekt. Die Sonnenstrahlen fielen in einem Winkel durch das Fenster, als stände der Lockenkopf unter den Scheinwerfern. Ihr Auftritt raubte Skyla den Atem. So stellt sich Skyla die Begegnung mit einem Engel vor.
„Hey, ich bin Emilie und du?"
Der Klang ihrer Stimme ist hell und glasklar. Ihre Schönheit sagenumwoben. Wie bei Tessa. Nur mit dem Unterschied, dass Emilie von Beginn vorurteilsfrei und freundlich war. Zu gut für die Welt. Zu gut für Janik Rose, der sich das schönste Mädchen, was Skyla kennt, einfach gekrallt hat. Emilie ist nicht einfach nur eine Klassenkameradin. Sie ist eine wertvolle Freundin.
Skyla hatte den naiven Lockenkopf gewarnt. Aber Emilie wollte nicht hören und nun bekommt Skyla auf der Polizeiwache gesagt, dass ihre Freundin vermisst wird. Apathisch starrt sie auf die Vermisstenmeldung und bringt kein Wort über die Lippen. Es fällt ihr schwer, zu atmen. Zu denken. Und vor allem die Beherrschung zu behalten. Janik und Tanja Rose – noch nie hat Skyla solch einen Hass auf jemanden empfunden. Emilie ist wie eine Blume in ihrer schönsten Form. Selbst auf dem Vermissten-Plakat.
Skyla bezweifelt, dass die Vermisstenstelle dieser Aufgabe gewachsen ist. Aber vielleicht kann der zuständige Beauftragte ihr eine Hilfe sein. Ein junger, ambitionierter Mann beschäftigt sich mit Emilies Verschwinden. Von Beginn an war er freundlich und entgegenkommend. Jetzt, wo Skyla kaum ansprechbar ist, hat sich der Beamte Hilfe geholt. Lukas befindet sich im Büro und hockt neben ihr. Ihr bester Freund spricht auf sie ein und fragt sie, ob alles okay sei. Er schlägt ihr vor, sich zurückzuziehen. Aber sie visiert den Polizisten an, der das ganze Schauspiel schweigend beobachtet.
„Wo und wann wurde Emilie zuletzt gesehen?"
Ihre Stimme zittert heftig und die Vermisstenanzeige knüllt sich in ihren Händen.
„Wann haben Sie Ihre Freundin denn zuletzt gesehen?"
Eine Gegenfrage. Er weicht ihr aus. Verbittert und voller Enttäuschung senkt sie ihr Haupt.
„In der Berufsschule", überlegt sie angestrengt. „Das war vor den Weihnachtsferien. Jetzt, wo ich darüber nachdenke, hat sie mir eine Weile nicht geschrieben. Das ist ungewöhnlich für sie. Gut, sie hat jetzt einen festen Freund. Aber einen Weihnachtsgruß kam auch nicht."
„Vielleicht hat sie darauf gewartet, dass sich ihre Freundin meldet."
Der Denkanstoß trifft wie ein Pfeil das Herz. Skyla kneift kurz ihre Augen zu.
„Ja, ich hätte mich bei ihr melden können." Sie atmet erschöpft aus. „Dafür muss ich mich bei ihr entschuldigen."
„Du warst sehr beschäftigt, Skyla. Zuerst das Weihnachtsgeschäft und dann das große Festessen bei deiner Oma. Du hattest andere Sorgen."
Lukas glaubt, ihr Gewissen damit zu beruhigen, aber Skyla schüttelt traurig ihren Kopf.
„Emilie hat viele Brüder, die wie ich bezeugen kann, anstrengend sind. Auch sie arbeitet in der Gastro. Wir beide hatten viel um die Ohren. Ich hätte mich dennoch melden können."
Ihr Freund schnauft verzweifelt, dennoch gibt er sich geschlagen.
„Einige Mitschüler haben davon berichtet, dass Sie sich mit der Vermissten gestritten haben. Hinzu kommt das auffällige, aggressive Verhalten zu zwei anderen Mitschülern."
„Tanja und Janik Rose." Skyla hebt mit einem eisigen Blick ihren Kopf. „Zwei neue Gesichter, die mich bis aufs Äußerste provoziert haben. Ich musste mich an die Lehrer wenden, denn die beiden haben mich nicht mehr in Ruhe gelassen. Sie haben mich verfolgt und sich mir aufgedrängt."
Der Beamte nickt, als sei ihm die Geschichte bereits bekannt.
„Worum ging es in Ihrem Streit mit Emilie?"
Skyla zieht scharf die Luft ein. Die Wut, die sie damals empfand, kehrt heim.
„Ich habe Emilie gewarnt vor Janik. Mein Gefühl sagte mir, dass er nach Ärger riecht und dass er es nicht ernst mit ihr meint. Für Emilie wollte ich einfach nur das Beste."
„Und Emilie kann nicht selbst entscheiden, was für sie das Beste ist?"
Der Polizist nähert sich von der anderen Seite. Er ist noch immer ruhig, aber aufmerksam. Skyla weiß, sie wird geprüft, und doch fällt es ihr schwer, sich im Griff zu halten. Trotz Lukas' Dasein.
„Emilie ist eine naive Person und sie liegt mir sehr am Herzen. Ich habe mir Sorgen gemacht."
„Sie liegt Ihnen am Herzen? Auf freundschaftlicher Basis oder steckte noch mehr dahinter?"
„Wir sind Freunde. Nicht mehr und nicht weniger."
„Wirklich?" Der Beamte klingt nicht gerade überzeugt. „Wussten Sie, dass Sie Emilie mehr bedeutet haben?"
Ungläubig blickt Skyla auf. „Sie scherzen."
Ein Griff in eine Kiste und der Polizist holt ein weißes Buch mit Blumenmuster hervor, worauf Emiles Name in verschnörkelter Schrift prangt. Als habe der Mann den Inhalt studiert, schlägt er ihr eine Seite auf und legt dieses auf den Tisch.
„Emilie hatte nicht den Mut, ihre Gefühle auszusprechen..."
„Das ist nicht wahr", unterbricht Skyla ihn ehrfürchtig.
„Wie bitte?"
Die Buchstaben verschwimmen vor den Augen des Mediums, während sie sich wehmütig zurückerinnert. „Ich hielt es für Scherze, aber Emilie war so lange auf der Suche nach der Liebe. Sie war frustriert und sagte Dinge wie: Nach einem Jahr gebe ich die Suche auf und dann haben wir etwas miteinander. Da sie lachte, habe ich nicht geglaubt, dass sie es ernst meint. Ich meine, das ergibt keinen Sinn. Denn würde sie wirklich so empfinden, warum hat sie dann versucht, mir andere Jungs schmackhaft zu machen?"
„Weil sie einfach nur wollte, dass Sie glücklich sind. Ergibt das für Sie Sinn?"
Skyla hat plötzlich einen dicken Kloß im Hals. Ihr bleibt der Atem weg. Die Zeichen waren immer eindeutig. Ob bei Lukas oder Emilie, aber sie war blind wie ein Maulwurf.
„Emilie will für alle und jene immer das Beste. Sie ist ein Mensch voller Sonnenschein." Die Tränen brechen einfach hinaus. Eilig wischt Skyla diese mit dem Handrücken aus dem Gesicht.
„Haben Sie bei Janik Rose mal nachgefragt? Seit die beiden zusammen sind, hängt sie ständig bei ihm."
„Sind Sie auf Janik Rose eifersüchtig? Weil er Ihnen Emilie weggenommen hat?"
„Ich wütend! Wütend, dass er sie nicht wertschätzt! Dass er sein Spiel mit ihr treibt?"
„Welches Spiel?"
Alles wäre einfacher, wenn Skyla ihre Macht entfesselt und die Karten offenlegen würde. Aber damit spiele sie dem Orden direkt in die Hände. Die Geheimnisse rütteln jedoch so heftig an ihr wie Gefängnisinsassen an den Gitterstäben. Dem Medium wird ganz schwindelig von dem Sturm der Gefühle, der in ihr tobt. Der Zorn pulsiert in ihren Adern. Die Blockade in ihrem Kopf verhindert, dass ihr keine Ausrede einfällt.
Aber zum Glück ist Lukas da, der stattdessen antwortet: „Ist es nicht offensichtlich? Seit die beiden Geschwister hier sind, stürzen sie sich bewusst auf Leute, mit denen Skyla in Kontakt ist. Auch bei mir wurde es versucht. Aus irgendeinen Grund sind die beiden auf Skyla fixiert."
Der Beamte bleibt unbeeindruckt. „Klingt weithergeholt."
„Überprüfen Sie Tanja und Janik Rose", rät Skyla ihm ungeduldig.
Mit einem Satz befindet sie sich auf den Beinen. Barfuß, denn die Mordsschuhe sind im Rucksack. Der Polizist stellt sich ihr jedoch entschlossen im Weg.
„Setzen Sie sich doch bitte. Noch sind wir nicht fertig."
Skyla reckt ihr Kinn und funkelt den Mann provozierend an. Er mag nur seine Pflicht erfüllen und doch ist sie bis aufs Äußerste gereizt. All das Gerede über die Geschwister Rose streut Salz in die Wunde. Emilie ist fort und sie sitzen hier rum. Diese Unterhaltung kostet wertvolle Zeit, die sinnvoller genutzt werden kann. Eine Handbewegung, und der Mann läge am Boden. Es wäre zu einfach, aber damit würde sie den falschen Weg einschlagen.
„Kann diese Unterhaltung nicht ein anderes Mal fortgeführt werden?", drängelt sie verbissen.
„Warum? Was ist so wichtig zu erledigen?"
Skyla schnauft. Sie kommt an ihre Grenzen, die kooperative Person zu spielen.
„Es war ein harter Tag", mischt sich Lukas ein.
„Wohl eher eine harte Nacht", kontert der Beamte, während sein Blick über Skyla schweift.
Das Medium ärgert sich über Naomis Kleidergeschmack und kehrt genervt zurück zu ihrem Sitzplatz. Mit verschränkten Armen lässt sie sich dort fallen, von wo sie den Ermittler ungeduldig auffordert: „Dann los! Raus mit den Fragen. Aber bitte beschleunigen Sie dieses Gespräch. Ich bin müde und erschöpft! Wer weiß, wann meine Konzentration endet!"
Sie ignoriert den vorwurfsvollen Blick von Lukas. Auch wenn ihr bester Freund sie nur erinnern mag, dass ihr Verhalten unangebracht ist und sie in Schwierigkeiten bringen kann, erlaubt sich Skyla, zu zicken. Der gesamte Tag läuft aus dem Ruder und noch viel schlimmer wird die Standpauke von ihrer Mutter sein, wenn sie ihre Tochter in solch einem Zustand und vor allem in solch einem Kleid zu Gesicht bekommt.
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